OGH vom 17.12.2013, 4Nc27/13b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch MMag. Dr. Thomas Schobesberger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C***** Ltd, *****, vertreten durch B***** LLP, Turnpike Gate House, Birmingham Road, Alcester, Großbritannien, als Liquidator, wegen 12.949 EUR, infolge neuerlicher Vorlage des Aktes 15 Cg 51/12w des Landesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt mit dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien nach § 47 JN den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Fortführung des Verfahrens ist das Landesgericht Innsbruck zuständig. Der Beschluss dieses Gerichts vom , ON 14, wird aufgehoben.
Text
Begründung:
Mit seinem am beim Bezirksgericht für Handelssachen Wien eingelangtem Antrag begehrt der Kläger von der Beklagten, einer englischen Gesellschaft, im Europäischen Mahnverfahren 12.949 EUR. Die Beklagte befindet sich nach dem englischen Gesellschaftsregister seit im Zustand einer „Voluntary Creditors Liquidation“. Dabei handelt es sich um ein Insolvenzverfahren im Sinn der EuInsVO. Offenbar in Unkenntnis dessen erließ das Bezirksgericht für Handelssachen Wien einen Zahlungsbefehl und verfügte dessen Zustellung im Rechtshilfeweg. Aufgrund eines bei ihm eingelangten Schreibens, das offenkundig nicht vom Insolvenzverwalter stammte, stellte es mit Beschluss vom , ON 9, fest, dass der „Antragsgegner fristgerecht Einspruch erhoben“ habe, und forderte den Kläger auf, binnen 30 Tagen das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht namhaft zu machen.
Die damalige Vertreterin des Klägers wandte sich nicht gegen die Feststellung, dass ein Einspruch erhoben worden sei, und machte das Landesgericht Innsbruck namhaft. An dieses überwies das Bezirksgericht für Handelssachen Wien mit Beschluss vom , ON 11, die Rechtssache. Eine Zustellung erfolgte zunächst nicht. Das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom , ON 14, sprach seine Unzuständigkeit aus und überwies die Sache an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zurück. Diesen Beschluss stellte es der Klagevertreterin und im Rechtshilfeweg der Beklagten zu, wobei die Zustellung dort nach der Zustellbescheinigung durch „Einwurf in den Briefkasten an der bekanntgegebenen Unternehmensadresse“ erfolgte. Nach ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist legte das Landesgericht Innsbruck den Akt das erste Mal zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor.
Der Senat stellte die Akten mit Beschluss vom , 4 Nc 16/12h, an das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zurück. In der Folge wurden die Bezeichnung der klagenden Partei berichtigt und sowohl der Beschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien als auch jener des Landesgerichts Innsbruck dem Insolvenzverwalter zugestellt. Dieser beteiligte sich nicht am Verfahren. Nun legt das Landesgericht Innsbruck den Akt neuerlich zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vor.
Der Senat hat dazu erwogen:
Rechtliche Beurteilung
1. Die Entscheidung nach § 47 JN hat beim Obersten Gerichtshof (anders als in Delegierungs und Ordinationssachen gemäß § 7 Abs 1 Z 1, 2, 4 und 5 OGHG) im Fünfersenat nach § 6 leg cit zu erfolgen (RIS Justiz RS0126085).
2. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Europäisches Mahnverfahren nach der VO (EG) 1896/2006 (EuMahnVO). Für solche Verfahren ist in Österreich nach § 252 Abs 2 ZPO ausschließlich das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zuständig. Es hat bei Vorliegen einer Mahnklage, die den Form- und Inhaltserfordernissen der EuMahnVO entspricht, einen Europäischen Zahlungsbefehl zu erlassen. Nach einem fristgerechten Einspruch ist das Verfahren außer bei einem gegenteiligen Antrag des Klägers vor den „zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses“ weiterzuführen (Art 17 Abs 1 EuMahnVO), wobei die Überleitung nach dem Prozessrecht dieses Staates zu erfolgen hat (Art 17 Abs 2 EuMahnVO). § 252 Abs 3 ZPO bestimmt dazu Folgendes:
„Nach Einlangen eines fristgerechten Einspruchs hat das Gericht diesen dem Antragsteller mit der Aufforderung zuzustellen, binnen einer Frist von 30 Tagen das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht namhaft zu machen, sofern das Verfahren nicht gemäß Art. 7 Abs. 4 der Verordnung zu beenden ist. Macht der Antragsteller fristgerecht ein Gericht namhaft, so ist die Rechtssache an dieses zu überweisen. Die Streitanhängigkeit wird durch die Überweisung nicht aufgehoben. Die Prüfung der Zuständigkeit obliegt dem Gericht, an das die Rechtssache überwiesen wurde. Macht der Antragsteller innerhalb der Frist kein Gericht namhaft, so ist die Klage zurückzuweisen.“
3. Eine solche Überweisung ist hier erfolgt, obwohl nach der Aktenlage zumindest Zweifel am Vorliegen eines Einspruchs bestehen. Durch die Rücküberweisung ist ein negativer Kompetenzkonflikt entstanden, über den der Oberste Gerichtshof als einziges den beiden Gerichten gemeinsam übergeordnetes Gericht zu entscheiden hat. Diese Entscheidung setzt voraus, dass beide Gerichte rechtskräftig über ihre Unzuständigkeit abgesprochen haben (RIS Justiz RS0118692). Das ist nun der Fall, da beide Beschlüsse auch dem englischen Insolvenzverwalter zugestellt wurden.
4. Zwar obliegt nach § 252 Abs 3 ZPO die „Prüfung der Zuständigkeit“ jenem Gericht, an das überwiesen wurde. Diese Formulierung bezieht sich allerdings nicht auf die Frage, ob überhaupt ein wirksamer Einspruch vorlag und daher eine Überweisung zu erfolgen hat. Die diesbezügliche Prüfung obliegt vielmehr nach dem System des § 252 ZPO ausschließlich dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien. Dabei kann offen bleiben, ob und gegebenenfalls wie sich der Kläger gegen die unrichtige Annahme eines wirksamen Einspruchs wehren könnte. Denn im konkreten Fall hat er die mit Beschluss ausgesprochene Feststellung eines wirksamen Einspruchs hingenommen und ein Gericht für die Fortführung des Verfahrens benannt. An die dem Überweisungsbeschluss zugrunde liegende Annahme, dass die Beklagte wirksam Einspruch erhoben habe, ist dieses Gericht gebunden. Die Rechtslage ist hier nicht anders zu beurteilen als bei einem Überweisungsbeschluss nach § 44 JN, der das Adressatgericht ebenfalls bindet (RIS Justiz RS0046315, RS0046391; vgl auch RS0081664 [T1]).
5. Aus diesem Grund ist die Sache vom Landesgericht Innsbruck weiterzuführen. Bei der Prüfung der Prozessvoraussetzungen wird es allerdings zu beachten haben, dass bereits vor Einbringung des Antrags auf Erlassung eines Europäischen Zahlungsbefehls ein Insolvenzverfahren über die Beklagte eröffnet worden war. Ob dies wie nach § 6 IO einer Rechtsverfolgung außerhalb des Insolvenzverfahrens entgegensteht, ist gemäß Art 4 lit f EuInsVO nach englischem Recht zu beurteilen ( Maderbacher in Konecny / Schubert , EuInsVO Art 4 Rz 41 mwN).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2013:0040NC00027.13B.1217.000