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OGH vom 18.10.2012, 4Nc16/12h

OGH vom 18.10.2012, 4Nc16/12h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** B*****, vertreten durch Mag. Filiz Gökdas Seyhan, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die beklagte Partei C***** C***** H***** Ltd, *****, wegen 12.949 EUR, infolge der Vorlage des Aktes 15 Cg 51/12w des Landesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt mit dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien nach § 47 JN den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien mit dem Auftrag übermittelt, die Zustellung seines Beschlusses vom , ON 11, zu veranlassen.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt von der mit „C***** C***** H***** Ltd“ bezeichneten Beklagten, deren Sitz sich nach dem Klagevorbringen in S***** befindet, im Europäischen Mahnverfahren 12.949 EUR. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien erließ den Zahlungsbefehl und verfügte dessen Zustellung im Rechtshilfeweg. Aus der Zustellbescheinigung (Art 10 EuZVO) ergibt sich, dass der Zahlungsbefehl am nach dem Recht des ersuchten Staats zugestellt wurde, und zwar durch Aushändigung an eine namentlich genannte Person „on behalf of D***** S***** (Director)“.

Am 15. März langte beim Bezirksgericht für Handelssachen ein von einem „D***** S*****“ unterfertigtes Schreiben ein, das in englischer Sprache auf dem Geschäftspapier einer anderen Gesellschaft verfasst war. Die Erstrichterin trug dem Kläger auf, entweder eine Übersetzung dieses Schreibens vorzulegen oder dafür einen Kostenvorschuss von 300 EUR zu erlegen. Der Klagevertreter folgte diesem Auftrag nicht, sondern verwies in einer Eingabe darauf, dass das Schreiben für das Gericht unbeachtlich sei, weil es von einer anderen Gesellschaft stamme. Die Beklagte habe nicht, wie im Schreiben behauptet, ihre Geschäftstätigkeit eingestellt; auf ihrer Website finde sich auch kein Hinweis auf ein Insolvenzverfahren. Offenbar handle es sich bei den „handelnden Personen“ um Betrüger. Er möchte seinem Mandanten angesichts nicht gesicherter Einbringlichkeit keine zusätzlichen Kosten verursachen und werde die Erstrichterin in dieser „causa miserabilis“ telefonisch kontaktieren.

Ein solches Telefonat wurde nicht aktenkundig. Mit Beschluss vom , ON 9, stellte das Erstgericht jedoch fest, dass der „Antragsgegner fristgerecht Einspruch erhoben“ habe, und forderte den Kläger auf, binnen 30 Tagen das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht namhaft zu machen. Dieser hatte inzwischen den Vertreter gewechselt. Seine neue Vertreterin machte das Landesgericht Innsbruck namhaft, an welches das Bezirksgericht für Handelssachen die Rechtssache mit Beschluss vom , ON 11, überwies. Dieser Beschluss wurde nicht zugestellt, der Akt dem Landesgericht Innsbruck übermittelt. Dieses stellte ihn formlos dem Bezirksgericht für Handelssachen zurück, weil nach der Aktenlage kein wirksamer Einspruch der Beklagten vorliege; das Bezirksgericht für Handelssachen retournierte ihn ebenso formlos unter Hinweis auf die von ihm gefassten Beschlüsse, mit denen das Mahnverfahren geendet habe. Darauf sprach das Landesgericht Innsbruck mit Beschluss vom , ON 14, seine Unzuständigkeit aus und überwies die Sache an das Bezirksgericht für Handelssachen zurück. Diesen Beschluss stellte es der Klagevertreterin und im Rechtshilfeweg der Beklagten zu, wobei die Zustellung dort nach der Zustellbescheinigung durch „Einwurf in den Briefkasten an der bekanntgegebenen Unternehmensadresse“ erfolgte. Nach ungenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist legte das Landesgericht Innsbruck den Akt zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu erwogen:

1. Die Entscheidung nach § 47 JN hat beim Obersten Gerichtshof (anders als in Delegierungs und Ordinationssachen gemäß § 7 Abs 1 Z 1, 2, 4 und 5 OGHG) im Fünfersenat nach § 6 leg cit zu erfolgen (RIS Justiz RS0126085).

2. Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Europäisches Mahnverfahren nach der VO (EG) 1896/2006 (EuMahnVO). Für solche Verfahren ist in Österreich nach § 252 Abs 2 ZPO ausschließlich das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zuständig. Es hat bei Vorliegen einer Mahnklage, die den Form- und Inhaltserfordernissen der EuMahnVO entspricht, einen Europäischen Zahlungsbefehl zu erlassen. Nach einem fristgerechten Einspruch ist das Verfahren außer bei einem gegenteiligen Antrag des Klägers vor den „zuständigen Gerichten des Ursprungsmitgliedstaates gemäß den Regeln eines ordentlichen Zivilprozesses“ weiterzuführen (Art 17 Abs 1 EuMahnVO), wobei die Überleitung nach dem Prozessrecht dieses Staates zu erfolgen hat (Art 17 Abs 2 EuMahnVO). § 252 Abs 3 ZPO bestimmt dazu Folgendes:

„Nach Einlangen eines fristgerechten Einspruchs hat das Gericht diesen dem Antragsteller mit der Aufforderung zuzustellen, binnen einer Frist von 30 Tagen das für die Durchführung des ordentlichen Verfahrens zuständige Gericht namhaft zu machen, sofern das Verfahren nicht gemäß Art. 7 Abs. 4 der Verordnung zu beenden ist. Macht der Antragsteller fristgerecht ein Gericht namhaft, so ist die Rechtssache an dieses zu überweisen. Die Streitanhängigkeit wird durch die Überweisung nicht aufgehoben. Die Prüfung der Zuständigkeit obliegt dem Gericht, an das die Rechtssache überwiesen wurde. Macht der Antragsteller innerhalb der Frist kein Gericht namhaft, so ist die Klage zurückzuweisen.“

3. Eine solche Überweisung ist hier erfolgt, obwohl nach der Aktenlage zumindest Zweifel am Vorliegen eines Einspruchs bestehen. Durch die Rücküberweisung ist ein negativer Kompetenzkonflikt entstanden, über den grundsätzlich der Oberste Gerichtshof als einziges den beiden Gerichten gemeinsam übergeordnetes Gericht zu entscheiden hätte. Diese Entscheidung setzt allerdings voraus, dass beide Gerichte rechtskräftig über ihre Unzuständigkeit abgesprochen haben (RIS Justiz RS0118692). Das trifft hier schon deswegen nicht zu, weil der Überweisungsbeschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen bisher noch nicht zugestellt wurde.

4. Aus diesem Grund ist der Akt zunächst dem Bezirksgericht für Handelssachen Wien mit dem Auftrag zu übermitteln, seinen Beschluss den Parteien zuzustellen. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:

(a) Eine „C***** C***** H***** Ltd“ ist im englischen Gesellschaftsregister („Companies House“; www.companieshouse.gov.uk) nicht eingetragen. Bei der vom Kläger gewollten Beklagten könnte es sich um die zu n° 01500517 eingetragene „C***** C***** C***** and A***** H***** Ltd“ handeln. Der Kläger wird daher zunächst klarzustellen haben, ob die Parteienbezeichnung entsprechend zu berichtigen ist. Beharrt er auf der ursprünglich gewählten Bezeichnung, wird er die rechtliche Existenz einer so firmierenden Beklagten nachzuweisen haben; sonst könnte das Verfahren nicht fortgesetzt werden.

(b) Wird die Parteibezeichnung berichtigt, so wäre der Überweisungsbeschluss an die „C***** C***** C***** and A***** H***** Ltd“ zuzustellen. Diese befindet sich allerdings nach dem englischen Gesellschaftsregister im Zustand einer „Voluntary Creditors Liquidation“. Dabei dürfte es sich wie auch aus dem als „Einspruch“ gewerteten Schreiben hervorgeht um ein Insolvenzverfahren handeln. Vor Zustellung des Überweisungsbeschlusses wäre daher zu prüfen, wer die Gesellschaft derzeit vertritt. Dafür ist jedenfalls englisches Recht maßgebend, und zwar entweder als Personalstatut der Gesellschaft (8 Ob 17/12a) oder, wenn das englische Liquidationsverfahren unter die EuInsVO fällt, als lex fori concursus iSv Art 4 Abs 2 lit c EuInsVO. Der Inhalt des englischen Rechts ist von Amts wegen zu ermitteln (§ 4 IPRG), wofür insbesondere eine Anfrage an das BMJ oder die Einholung eines Gutachtens in Betracht kommt. Die Kosten eines Gutachtens hätte zunächst der Kläger zu tragen.

4. Sollte der Überweisungsbeschluss des Bezirksgerichts für Handelssachen nach einer wirksamen Zustellung rechtskräftig werden, wären die Akten dem Landesgericht Innsbruck zu übermitteln, das nun seinerseits die Wirksamkeit der Zustellung seines Rücküberweisungsbeschlusses beurteilen und gegebenenfalls eine neuerliche Zustellung veranlassen müsste. Erst danach wären die Akten wenn noch erforderlich zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt vorzulegen.