OGH vom 29.04.2014, 4Nc10/14d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der C***** R*****, nach § 28 JN den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Zur Weiterführung des Verfahrens wird das Bezirksgericht Steyr bestimmt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Bezirksgericht Enns hatte für C***** R***** mit Beschluss vom , GZ 36 P 255/10g-52, einen in Linz ansässigen Rechtsanwalt zum Sachwalter bestellt. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts hatte sich aus dem gewöhnlichen Aufenthalt der Betroffenen in der Gemeinde Kronstorf ergeben. Diese Gemeinde gehörte nach der damals anwendbaren Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich, BGBl II 2002/422, zum Sprengel des Bezirksgerichts Enns. Auch das weitere Verfahren wurde bei diesem Gericht geführt.
Die Bezirksgerichte-Verordnung Oberösterreich 2012, BGBl II 2012/205, in der Folge als BG VO OÖ 2012 bezeichnet, führte zu einer Änderung der Zuständigkeit. Nach § 1 Z 1 dieser VO wurde das Bezirksgericht Enns mit dem Bezirksgericht Steyr als aufnehmendem Gericht zusammengelegt; nach § 2 Z 14 BG VO OÖ 2012 umfasste der Sprengel des letztgenannten Gerichts nun auch die Gemeinde Kronstorf. Die Zusammenlegung wurde nach § 3 Abs 1 Z 2 BG-VO OÖ 2012 mit wirksam.
Auf dieser Grundlage wäre das Sachwalterschaftsverfahren beim Bezirksgericht Steyr weiterzuführen gewesen. Dieses Gericht stellte aber mit Beschluss vom , GZ 15 PS 21/14i 135, den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge (ua) die Nennung der Gemeinde Kronstorf in der Aufzählung der zum Sprengel des Bezirksgericht Steyr gehörenden Gemeinden (§ 2 Z 14 BG-VO OÖ 2012) aufheben. Aufgrund dieses Antrags hob der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , V 4/2014 17 ua, das Wort „Kronstorf“ in § 2 Z 14 BG VO OÖ 2012 auf. Nach Art 139 Abs 6 B-VG sprach er aus, dass die Aufhebung mit in Kraft trete.
Das Bezirksgericht Steyr legt nun dem Obersten Gerichtshof die Akten des Sachwalterschaftsverfahrens „zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit und Delegierung“ vor. Im Vorlagebericht vertritt es die Auffassung, dass durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs die weitere Zuständigkeit des Bezirksgerichts Enns festgelegt worden sei und daher kein Fall für eine Entscheidung nach § 28 JN vorliege. Der Sachwalter ersucht den Obersten Gerichtshof um nicht näher bezeichnete „Veranlassungen“, die eine Erledigung seiner offenen Anträge ermöglichen.
Das Bezirksgericht Steyr ist nach § 28 JN als für die Weiterführung des Verfahrens zuständiges Gericht zu bestimmen.
1. Aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs fehlt im vorliegenden Fall ein örtlich zuständiges Gericht.
1.1. Hat der Pflegebefohlene einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, ist für das Pflegschaftsverfahren nach § 109 Abs 1 JN jenes Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel dieser gewöhnliche Aufenthalt liegt. Diese Bestimmung ist hier grundsätzlich anwendbar, weil der gewöhnliche Aufenthalt der Betroffenen in der oberösterreichischen Gemeinde Kronstorf liegt. Für die Anwendung von § 109 Abs 1 ZPO ist daher zu ermitteln, in welchem Sprengel diese Gemeinde liegt.
1.2. Der räumliche Umfang der Gerichtssprengel ergibt sich aus den Organsiationsvorschriften der Gerichtsbarkeit, in Oberösterreich daher aus § 2 BG VO OÖ 2012. Hier hat die Aufhebung des Wortes „Kronstorf“ in § 2 Z 14 BG-VO OÖ 2012 dazu geführt, dass diese Gemeinde keinem Sprengel zugeordnet ist. Diese Aufhebung ist nach Art 139 Abs 6 B-VG im Anlassfall trotz der vom Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Fristsetzung zu beachten. Frühere Regelungen treten anders als vom vorlegenden Gericht angenommen bei Aufhebung einer Verordnungsbestimmung nicht wieder in Kraft (VfGH B 841/90, VfSlg 12.560; Aichlreiter in Kneihs / Lienbacher , Bundesverfassungsrecht Art 139 Rz 32 mwN). Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs hat daher nicht dazu geführt, dass das ehemalige Bezirksgericht Enns für den Anlassfall wieder existent geworden wäre.
1.3. Auch aus den weiteren Regelungen des § 109 JN ergibt sich kein örtlich zuständiges Gericht. Die subsidiären Zuständigkeitsbestimmungen des § 109 Abs 2 JN sind nicht anwendbar, weil sie voraussetzen, dass sich der Pflegebefohlene anders als hier nicht im Inland aufhält.
2. Bei Fehlen eines örtlich zuständigen Gerichts hat der Oberste Gerichtshof nach § 28 Abs 1 JN
„aus den sachlich zuständigen Gerichten eines zu bestimmen, welches für die fragliche Rechtssache als örtlich zuständig zu gelten hat, wenn
1. Österreich auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet ist;
2. der Kläger österreichischer Staatsbürger ist oder seinen Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Inland hat und im Einzelfall die Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar wäre;
3. die inländische Gerichtsbarkeit, nicht aber ein örtlich zuständiges Gericht vereinbart worden ist.“
3. Diese Bestimmung ist hier analog anwendbar. Denn ihr Ziel ist es, bei Bestehen eines vom Gesetz als ausreichend angesehenen Rechtsschutzbedürfnisses ein Verfahren im Inland zu ermöglichen, auch wenn sich aus den Zuständigkeitsvorschriften kein örtlich zuständiges Gericht ergibt. Ein solcher Fall liegt hier zweifellos vor: Die Betroffene hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, was nach § 110 Abs 1 Z 2 JN die inländische Gerichtsbarkeit begründet. Das ist dem Bestehen von inländischer Gerichtsbarkeit aufgrund staatsvertraglicher Verpflichtung (§ 28 Abs 1 Z 1 JN) oder Vereinbarung der Parteien (§ 28 Abs 1 Z 3 JN) zumindest gleichzuhalten. Dass dieser Fall in § 28 JN nicht ausdrücklich genannt ist, liegt daran, dass die Jurisdiktionsnorm bei ausdrücklicher Regelung der inländischen Gerichtsbarkeit regelmäßig subsidiäre örtliche Zuständigkeiten vorsieht, die das Fehlen eines örtlich zuständigen Gerichts ausschließen (zB §§ 105, 108 Abs 1, 109 Abs 2 JN). Daher ist im Allgemeinen keine Ordination erforderlich. Im vorliegenden Fall greift diese Regelungstechnik aber nicht, weil die subsidiären Zuständigkeiten des § 109 Abs 2 JN das Fehlen eines Aufenthalts im Inland voraussetzen. Damit besteht eine planwidrige Lücke, die durch Anwendung von § 28 JN zu füllen ist. Für dieses Ergebnis spricht auch Folgendes: Läge ein Fall mit Auslandsberührung vor, wäre Österreich nach Art 5 des (Haager) Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BGBl III 2013/287, iSv § 28 Abs 1 Z 1 JN zur Ausübung von Gerichtsbarkeit verpflichtet. Damit wäre § 28 JN unmittelbar anwendbar. Umso mehr muss das in einem reinen Binnensachverhalt gelten, in dem von vornherein kein Zweifel an der Notwendigkeit eines inländischen Verfahrens bestehen kann.
4. Denkbar wäre zwar auch die analoge Anwendung der subsidiären Zuständigkeitsbestimmungen des § 109 Abs 2 JN. Dies führte zunächst zur Zuständigkeit jenes Gerichts, in dessen Sprengel der gesetzliche Vertreter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, hier also des Bezirksgerichts Linz. Die Ordination ermöglicht allerdings die Bestimmung eines Gerichts, das der Wertung des § 109 Abs 1 JN also der Nähe zum Pflegebefohlenen eher entspricht als die Anknüpfung am gewöhnlichen Aufenthalt des gesetzlichen Vertreters. Unter Bedachtnahme auf diese Wertung ist daher die analoge Anwendung von § 28 JN vorzuziehen.
4. Aus diesen Gründen hat der Oberste Gerichtshof von Amts wegen (§ 28 Abs 4 JN) ein örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen. Kriterien bei der Auswahl sind die Sach- und Parteinähe (RIS-Justiz RS0106680 [T13]), hier konkretisiert durch die Wertung des § 109 Abs 1 JN, wonach ein dem Pflegebefohlenen räumlich nahes Gericht entscheiden soll. Der gewöhnliche Aufenthalt der Betroffenen in Kronstorf spricht für die Zuständigkeit des etwa 20 km entfernt liegenden Bezirksgerichts Steyr.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0040NC00010.14D.0429.000