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OGH vom 28.09.2021, 4Ob95/21f

OGH vom 28.09.2021, 4Ob95/21f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. PD Dr. Rassi sowie die Hofrätinnen Dr. Faber und Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin S***** GmbH, *****, vertreten durch bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beklagte M***** GmbH, *****, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 25.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom , GZ 5 R 38/21d-17, womit der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 35 Cg 119/20z-11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 1.647,18 EUR (darin 274,53 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Beide Streitteile betreiben den Handel mit Sportnahrung, Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmitteln. Die Klägerin ist mittelbare Schwestergesellschaft einer GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (in der Folge: Insolvenzgesellschaft).

[2] Als werbende Gesellschaft verkaufte die nachmalige Insolvenzgesellschaft über einen Webshop Sportnahrung und versandte an ihre Kunden regelmäßige Newsletter in Form von E-Mails. Ihre Datenschutzerklärung enthielt ua folgende Klausel:

Wir können außerdem personenbezogene Daten, die wir von Ihnen gespeichert haben, übermitteln, wenn wir das gesamte Unternehmen oder Unternehmensteile oder -anteile verkaufen oder übertragen (davon erfasst sind auch Restrukturierung, Abspaltung, Auflösung oder Liquidation).

[3] Die Beklagte kaufte vom Insolvenzverwalter im Weg der Einzelrechtsnachfolge konkret definierte Vermögensgegenstände der Insolvenzgesellschaft, darunter die Domain, über die der Webshop betrieben wurde, und den Firmenwert (Goodwill) des Unternehmens, „bestehend aus Kundenstock, dem Online-Auftritt des schuldnerischen Unternehmens sowie der dazu bisher verwendeten Software“ (Kaufvertrag vom ). Danach sandte sie E-Mails als Newsletter zu Zwecken der Direktwerbung auch an bisherige Kunden der Insolvenzgesellschaft.

[4] Die stellte drei Unterlassungsbegehren samt dem gleichlautenden Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, wonach der Beklagten aufgetragen werden möge, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen,

1. ohne vorherige Einwilligung des Empfängers bzw ohne Erfüllung der Voraussetzungen des § 107 Abs 3 TKG 2003 zu Zwecken der Direktwerbung elektronische Post an Personen zu senden;

2. ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen im Sinne des Art 6 Abs 1 lit a DSGVO oder ohne Vorliegen einer anderen Rechtsgrundlage nach Art 6 Abs 2 DSGVO zu Zwecken der Direktwerbung personenbezogene Daten der Betroffenen zu verarbeiten, insbesondere durch Versand von Werbe-E-

3. personenbezogene Daten von Betroffenen zu Zwecken der Direktwerbung zu verarbeiten, wenn nicht spätestens zum Zeitpunkt der ersten Mitteilung bzw des Versands einer Werbe-E-Mail dem Betroffenen die Informationen nach Art 14 Abs 1 und 2 DSGVO zur Verfügung gestellt werden.

[5] Die Beklagte habe Newsletter an Kunden des Webshops der Insolvenzgesellschaft versandt, die der Beklagten gegenüber keine Einwilligung dazu erteilt hätten und von der Übernahme des Kundenstocks nicht informiert worden seien. Damit habe sie gegen § 107 Abs 2 TKG 2003 verstoßen. Die Daten hätten mangels Vorliegens einer der Bedingungen nach Art 6 DSGVO nicht verarbeitet werden dürfen. Zudem seien den Empfängern der Newsletter nicht die Informationen nach Art 14 Abs 3 lit b DSGVO über den Erwerb der Daten von der Insolvenzgesellschaft erteilt worden. Durch den Verstoß gegen § 107 TKG, Art 6 DSGVO und Art 14 DSGVO verschaffe sich die Beklagte einen unlauteren Wettbewerbsvorteil durch Rechtsbruch.

[6] Die wendete ein, sie habe das gesamte Unternehmen der Insolvenzgesellschaft samt Kundenstock, insbesondere auch den Webshop, erworben. Daher habe sie lediglich eigene Kunden kontaktiert, was zulässig sei. In Bezug auf die behaupteten Rechtsverletzungen sei die Klägerin nicht klagslegitimiert, da Verstöße gegen das Datenschutzrecht nicht als unlauterer Wettbewerb vom Mitbewerber aufgegriffen werden könnten. Dies gelte sinngemäß auch für behauptete Verstöße gegen das TKG. Die Beklagte habe im Übrigen weder gegen das TKG noch gegen die DSGVO verstoßen; zumindest aber liege einem allfälligen Verstoß eine vertretbare Rechtsansicht zu Grunde. Die Beklagte habe ein rechtliches Interesse an der Verarbeitung der Daten ihrer Kunden. Die Kunden der Insolvenzgesellschaft hätten vernünftigerweise erwarten können, dass die Daten im Insolvenzfall weitergegeben werden. Zudem seien sie schon anlässlich der ersten Datenerhebung in der Datenschutzerklärung der Insolvenzgesellschaft ausdrücklich darüber informiert worden, dass ihre personenbezogenen Daten übermittelt werden können, wenn das gesamte Unternehmen oder Unternehmensteile verkauft oder übertragen werden. In der Datenschutzerklärung werde im Übrigen nicht auf die Insolvenzgesellschaft selbst, sondern bloß auf die Domain des Webshops Bezug genommen, weshalb die Kunden gar nicht gewusst hätten, wer Träger des Unternehmens sei; sie hätten daher nur damit rechnen können, künftig den Newsletter betreffend den von ihnen besuchten Webshop zubeziehen. Die Beklagte habe in ihren Newslettern auf ihre Datenschutzerklärung verwiesen und sei damit ihren Informationspflichten nachgekommen.

[7] Die wiesen den Sicherungsantrag ab. Die ursprüngliche Einwilligung der Kunden zur Direktwerbung bleibe auch nach dem Wechsel des den Webshop betreibenden Rechtsträgers aufrecht. Für die Kunden sei es unerheblich, welches Unternehmen hinter dem Webshop stehe. Die Beklagte verstoße damit nicht gegen § 107 Abs 2 TKG. Betreffend die behaupteten Verstöße gegen die DSGVO fehle der Klägerin nach jüngster höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Aktivlegitimation, da das Recht auf Datenschutz ein Persönlichkeitsrecht sei und nur vom Verletzten, nicht aber vom klagenden Mitbewerber geltend gemacht werden könne.

[8] Das Rekursgericht bemaß den Wert des Entscheidungsgegenstands mit jeweils 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig, weil im Hinblick auf die Kritik der Lehre an der Entscheidung 4 Ob 84/19k die Frage der Aktivlegitimation von Dritten (Mitbewerbern) bei Verstößen gegen die DSGVO als Rechtsbruch nach § 1 UWG zur Wahrung der Rechtssicherheit einer Klärung bedürfe.

[9] Die Klägerin beantragt mit ihrem – von der Beklagten beantworteten – , die begehrte einstweilige Verfügung zu erlassen; weiters regt sie die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH sowie die Unterbrechung des Verfahrens bis zur Erledigung des zu 6 Ob 77/20x eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahrens an.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Zulassungsausspruchs des Rekursgerichts in Ermangelung von erheblichen Rechtsfragen .

[11] 1.1. Die Klägerin stützt sich hinsichtlich ihres Sicherungsantrags zu Punkt 1. unter der Fallgruppe Rechtsbruch darauf, dass die Beklagte die Newsletter ohne vorherige Einwilligung der Empfänger bzw ohne Erfüllung der Voraussetzungen des § 107 Abs 3 TKG 2003 zu Zwecken der Direktwerbung an vormalige Kunden der Schuldnerin gesendet habe.

[12] 1.2. Ein lauterkeitsrechtlich relevanter Rechtsbruch liegt nur vor, wenn er auf einer unvertretbaren Rechtsansicht beruht. Die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht ist aufgrund des Wortlauts und des offenkundigen Zwecks der angeblich verletzten Norm und gegebenenfalls der dazu ergangenen Entscheidungen der zuständigen Behörden und Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu beurteilen (RISJustiz RS0077771; RS0123239).

[13] 1.3. Bei Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden: Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RS0124004).

[14] 2.1. Das Rekursgericht hat die kumulative Erfüllung jener Voraussetzungen des § 107 Abs 3 TKG, nach denen eine vorherige Einwilligung zur Zusendung einer elektronischen Post nicht notwendig ist, als gegeben erachtet. Diese Beurteilung ist aus folgenden Gründen nicht unvertretbar:

Z 1 „… wenn der Absender die Kontaktinformation für die Nachricht im Zusammenhang mit dem Verkauf oder einer Dienstleistung an seine Kunden erhalten hat“

[15] Die Beklagte hat im Insolvenzverfahren den Kundenstock der Insolvenzgesellschaft samt Online-Auftritt gekauft. Ihre Auffassung, die Kunden der Insolvenzgesellschaft, die schon bisher Sporternährungsprodukte über deren Website bezogen haben, seien durch diesen Vorgang zu ihren eigenen Kunden geworden, ist auch nach dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht unvertretbar. Dass hier nicht der Absender der Newsletter (die Beklagte), sondern deren Rechtsvorgängerin die Kontaktinformationen erhalten hat, ändert beim gegebenen Sachverhalt an der Vertretbarkeit dieser Auffassung nichts.

Z 2wenndiese Nachricht zur Direktwerbung für eigene ähnliche Produkte oder Dienstleistungen erfolgt“

[16] Die Erfüllung dieser Voraussetzung ist unstrittig und entspricht der Bescheinigungslage.

Z 3 „… wenn der Empfänger klar und deutlich die Möglichkeit erhalten hat, eine solche Nutzung der elektronischen Kontaktinformation bei deren Erhebung und zusätzlich bei jeder Übertragung kostenfrei und problemlos abzulehnen“

[17] Auch die Erfüllung dieser Voraussetzung wurde von den Tatsacheninstanzen (unter Hinweis auf Beilage ./G) als bescheinigt erachtet.

Z 4 „... der Empfänger die Zusendung nicht von vornherein, insbesondere nicht durch Eintragung in die in § 7 Abs. 2 E-Commerce-Gesetz genannte Liste, abgelehnt hat.“

[18] Dass eine derartige Vorweg-Ablehnung vorgelegen hätte, wurde weder behauptet, noch besteht ein Anhaltspunkt dafür im bescheinigten Sachverhalt. Die Klägerin geht nach ihrem eigenen Vorbringen (Klage Rn 20) vielmehr selbst davon aus, dass es „offensichtlich“ sei, dass die Insolvenzgesellschaft die (später an die Beklagte verkauften) Kundendaten „von den [gemeint: ihren] Kunden iSd § 107 TKG [also rechtmäßig] erlangt hat“.

[19] 2.2. Ein Rechtsbruchtatbestand im Sinne des UWG ist nicht schon dann erfüllt, wenn nach der strengsten Auslegung einer Verhaltensnorm deren Verletzung zu begründen wäre, sondern nur dann, wenn die Verletzung der Norm nicht mit guten Gründen vertreten werden kann, also unvertretbar ist (4 Ob 225/07b, Stadtrundfahrten). Eine derartige Unvertretbarkeit im Zusammenhang mit dem von den Vorinstanzen verneinten TKG-Verstoß wird im Revisionsrekurs nicht aufgezeigt.

[20] 3.1. Gleiches gilt für die von der Klägerin geltend gemachten Verstöße gegen die DSGVO. Bescheinigt ist nämlich, dass sich die Kunden der Insolvenzgesellschaft im Zusammenhang mit dem Bezug des Newsletters über deren Webshop mit der Weitergabe personenbezogener Daten ua für den Fall des Verkaufs des gesamten Unternehmens oder von Teilen davon einverstanden erklärt haben. Hat demnach die Beklagte die Kundendaten ihrer Rechtsvorgängerin nur für genau jenen Zweck (Versendung eines Newsletters über den identen Webshop) benutzt, für den die Kunden zuvor ihre Einwilligung erteilt haben, ist es nicht unvertretbar, diese Einwilligung als ausreichend iSd Art 6 Abs 1 lit a DSGVO zu erachten (wonach die Verarbeitung rechtmäßig ist, wenn die betroffene Person ihre Einwilligung zu der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten für einen oder mehrere bestimmte Zwecke gegeben hat) sowie die nach Art 14 DSGVO vorgeschriebenen Informationen in diesem Fall für entbehrlich zu halten, zumal die personenbezogenen Daten – wenn auch nicht durch die Beklagte selbst, sondern durch ihre Rechtsvorgängerin – als bei der betroffenen Person (den Kunden) erhoben angesehen werden können.

[21] 3.2. Ist demnach die Gesetzesauslegung der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände im Einzelfall vertretbar, kommt es auf die Frage der Aktivlegitimation nicht weiter an. Den Anregungen, ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen einzuleiten bzw das Ergebnis im genannten Vorabentscheidungsersuchen abzuwarten, war daher nicht zu folgen.

[22] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 393 Abs 1 und § 402, 78 EO iVm § 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat in ihrer Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0040OB00095.21F.0928.000

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