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OGH vom 11.07.2012, 3Ob99/12y

OGH vom 11.07.2012, 3Ob99/12y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*****, Rechtsanwalt, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der C***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Dr. Engelhart Partner Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagte Partei D***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Lessiak Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 1.113.258,74 EUR und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 39 R 195/11g 21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 2 C 469/10f 17, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die spätere Gemeinschuldnerin (Bestandnehmerin) und die beklagte Bestandgeberin haben mit der Auflösungsvereinbarung vom ihr Bestandverhältnis über Geschäftsräumlichkeiten mit Wirkung zum aufgelöst. Die Bestandgeberin verpflichtete sich zu einer Abschlagszahlung in zwei Teilen. Der erste Teil in Höhe von 750.000 EUR sollte nach Unterfertigung der Vereinbarung bezahlt werden und wurde auch bezahlt, der zweite Teil in Höhe von 1 Mio EUR sollte sieben Tage nach Rückstellung des Bestandobjekts bezahlt werden. Zu beiden Teilzahlungen wurde vereinbart, dass die Bestandgeberin von der Verpflichtung zur Abschlagszahlung befreit ist, wenn zum Zeitpunkt der Fälligkeit ein Konkursverfahren über das Vermögen der Bestandnehmerin anhängig ist oder unmittelbar bevorsteht. Das Bestandobjekt wurde am übergeben. Am erfolgte die Eröffnung des Ausgleichsverfahrens, am diejenige des Konkursverfahrens.

Der klagende Masseverwalter stützt seine vor allem auf die Bezahlung des zweiten Teilbetrags gerichtete Klage auf Anfechtungsrecht sowie auf Sittenwidrigkeit der Befreiungsklausel.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab.

Rechtliche Beurteilung

Dem Kläger gelingt es aus folgenden, kurz darzulegenden Gründen (§ 510 Abs 3 ZPO) nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO in seiner außerordentlichen Revision darzustellen, sodass sie als nicht zulässig zurückzuweisen ist.

1. Die Rechtsansichten der Vorinstanzen, die Befreiungsklausel sei zur Gänze auf Basis der Rechtslage nach der KO und AO zu beurteilen (Konkurseröffnung am ), und die Voraussetzungen der Befreiungsklausel seien erfüllt, werden in der Revision nicht (mehr) beanstandet.

2. Die behauptete Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit des Berufungsverfahrens wurden geprüft, sind jedoch nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Der Masseverwalter hat die Wahl, entweder die Nichtigkeit oder die Anfechtbarkeit der Rechtshandlungen des Gemeinschuldners geltend zu machen (RIS-Justiz RS0064255); davon machte der Kläger Gebrauch, indem er primär die zivilrechtliche Sittenwidrigkeit der Befreiungsklausel behauptete und nur hilfsweise auf die Anfechtung nach der KO zurückgriff.

3.1. Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls, die nicht aufzugreifen ist, wenn das Berufungsgericht wie hier bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (RIS-Justiz RS0042881 [T8]).

3.2. Nach § 879 Abs 1 ABGB sind Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, nichtig.

Ein Geschäft ist sittenwidrig, wenn es, ohne gegen ein positives inländisches Gesetz zu verstoßen, offenbar rechtswidrig ist, also ungeschriebenes Recht - insbesondere allgemeine und oberste Rechtsgrundsätze - verletzt (vgl RIS-Justiz RS0022866; RS0022920 ua). Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände, unter denen das Rechtsgeschäft geschlossen wurde, anhand der von der Gesamtrechtsordnung geschützten Interessen zu beurteilen, wobei es auf Inhalt, Zweck und Beweggrund des Geschäfts, also auf den Gesamtcharakter der Vereinbarung ankommt (RIS-Justiz RS0113653; RS0022884). Sittenwidrigkeit liegt insbesondere dann vor, wenn der Vertrag eine krasse einseitige Benachteiligung eines Vertragspartners enthält. Im Hinblick auf den Grundsatz der Privatautonomie wird die Rechtswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten nur dann bejaht, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt oder wenn bei einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht (RIS-Justiz RS0045886). Bei den durch die guten Sitten umschriebenen Schranken der Rechtsausübung geht es letztlich darum, die zwischen den Parteien bestehenden Interessenlagen zu würdigen und die im Hinblick darauf angemessenen Rechtsfolgen in Abweichung von den Regelungsmustern der einschlägigen speziellen Rechtsnormen zu finden (RIS-Justiz RS0016478).

Außerhalb des Anfechtungsrechts von KO/AO besteht kein allgemeiner Rechtssatz, der die Rechtsbeständigkeit von Vereinbarungen betrifft, die der Gleichbehandlung der Gläubiger zuwiderlaufen, und daher auch keine allgemeine gesetzliche Pflicht, auf eine gleichmäßige Befriedigung aller Mitgläubiger Bedacht zu nehmen. Die bevorzugte Behandlung eines Gläubigers stellt deshalb ohne den Hinzutritt weiterer Umstände keinen Verstoß gegen die guten Sitten dar (RIS-Justiz RS0018000).

3.3. Die Interessenlage der Parteien des Bestandvertrags bei Abschluss der Auflösungsvereinbarung Anfang Dezember 2009 lässt sich dahin umschreiben, dass die Gemeinschuldnerin versuchte, für die Auflösung dieses bis 2017 befristeten Vertrags, den sie nicht mehr ordnungsgemäß erfüllte (Bestandzinsrückstand von 120.000 EUR), und die Aufgabe der Rechte daraus, (dennoch) eine hohe Abschlagszahlung zu lukrieren. Aus der Bereitschaft der Beklagten, für die Beendigung eines Bestandvertrags mit einem säumigen Bestandnehmer, eine beträchtliche Abschlagszahlung zu leisten, ist auch auf der Seite der Beklagten ein gesteigertes Interesse am Ende des Mietverhältnisses erkennbar. Davon, dass die primäre Motivation der Beklagten für die Bereitschaft zur Leistung der letztendlich vereinbarten hohen Abschlagszahlung in der Sicherstellung des Freiwerdens des Bestandobjekts zum vereinbarten Zeitpunkt bestand, also dem Auflösungszeitpunkt besondere (wirtschaftliche) Bedeutung für die Beklagte zukam, kann aber nicht ausgegangen werden. Die erkennbar darauf abzielende, in der Revision aufgestellte Behauptung des Klägers, die Beklagte habe von der Gemeinschuldnerin Planungssicherheit für einen kurz nach der Rückstellung des Bestandobjekts begonnenen Um- und Zubau gefordert, muss als unzulässige Neuerung unbeachtet bleiben: Ein ausschließliches oder überwiegendes Gewicht der zeitlichen Komponente der Auflösungsvereinbarung für die Beklagte hat der Kläger in erster Instanz gar nicht dargestellt. Beweisergebnisse vermögen aber Prozessbehauptungen nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0038037). Weiters erkennbar ist aber ein wohlwollender Umgang der bereits säumigen Beklagten mit der Gemeinschuldnerin im Hinblick auf den möglichen Abschluss eines weiteren Bestandvertrags für ein anderes Einkaufszentrum.

Schon das allgemeine, nie ganz ausschließbare Insolvenzrisiko lässt eine Auseinandersetzung der Beklagten mit diesem Thema und der in diesem Zusammenhang bestehenden Rechtslage ungeachtet ihrer Behauptung, sie habe von einer schlechten finanziellen Situation der Gemeinschuldnerin nichts gewusst nachvollziehbar erscheinen.

Nach § 23 Abs 1 KO werden Bestandverträge durch die Konkurseröffnung grundsätzlich nicht berührt, das Bestandverhältnis setzt sich unverändert mit der Konkursmasse fort. Hat der Gemeinschuldner eine Sache in Bestand genommen, kann allerdings sowohl der Masseverwalter als auch der Bestandgeber den Vertrag unter Einhaltung der gesetzlichen oder der vereinbarten kürzeren Frist kündigen (RIS-Justiz RS0020908). Es entspricht allerdings der ständigen Rechtsprechung, dass dann, wenn der Bestandschutz nach dem MRG aufrecht ist, § 23 KO allein keinen wichtigen Kündigungsgrund iSd § 30 Abs 1 MRG darstellt (RIS-Justiz RS0064123 [T3]).

Jedenfalls stellt für den Fall der Konkurseröffnung die Kündigung des Bestandvertrags durch den Masseverwalter eine realistische Möglichkeit (neben anderen, die nicht zur Auflösung des Mietvertrags führen) dar. Das gilt im besonderen Maß im vorliegenden Fall, in dem (nach der Ediktsdatei) die Schließung zahlreicher Unternehmensbereiche (Filialen) bereits am Tag nach der Konkurseröffnung und die Masseunzulänglichkeit sowie die Schließung des Unternehmens schon am bekannt gemacht wurden; eine Unternehmensfortführung war daher von vornherein wenig wahrscheinlich. Bei einer solchen Kündigung durch den Masseverwalter mag es zwar zu einer gegenüber der Auflösungsvereinbarung verspäteten Beendigung des Bestandvertrags kommen, dem steht aber der Entfall einer Abschlagszahlung gewichtig gegenüber. Das Abstellen auf die Fälligkeit der Teilbeträge (die für den ersten im Wesentlichen mit dem Abschluss der Vereinbarung zusammenfiel und für den zweiten nur wenige Wochen später eintrat) wahrt auch einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Einigung, dem Eintritt des relevanten Umstands (Konkurseröffnung/-reife) und der daran anknüpfenden Rechtsfolge (Entfall der Abfindung), sodass in sachgerechter Weise rasch Klarheit hergestellt ist.

Bei diesen Prämissen kann im in der Befreiungsklausel zu erblickenden Wunsch der Beklagten, die Vertragslage für eine bestimmte Konstellation der dieser entsprechenden Gesetzeslage anzupassen, weder ein unsachliches Vorgehen und schon gar nicht die Absicht erkannt werden, die Gläubiger der Gemeinschuldnerin zu schädigen. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass sich die Befreiungsklausel nachteilig für die Gläubiger der Gemeinschuldnerin auswirkt, weil sie nicht den Entfall eines Anspruchs vorsieht, auf den die Gemeinschuldnerin auch ohne die Auflösungsvereinbarung einen Rechtsanspruch hätte; vielmehr hat sie die Aufgabe eines nur vertraglich eingeräumten Anspruchs zum Inhalt, den die Gemeinschuldnerin niemals erhalten hätte, wenn sie diese Einschränkung nicht akzeptiert hätte.

3.4. Die gebotene Gesamtbetrachtung darf auch nicht außer Acht lassen, dass die getroffene Vereinbarung trotz des Eintritts der Befreiungsklausel Vorteile für die Gemeinschuldnerin/die Masse bringt. Diese bestehen im von der Befreiungsklausel unberührt bleibenden Verzicht der Beklagten auf eine im Dezember 2009 offene Forderung aus dem aufrechten Bestandvertrag von 120.000 EUR und auf Ansprüche aus dem Titel der Zurücklassung von Einrichtungen oder Investitionen, die im Verfahren zwar nicht beziffert wurden, sicher aber nicht zu vernachlässigen sind. Auch wenn es sich dabei nur um Konkursforderungen handelt (RIS-Justiz RS0064127; RS0065003), bedeutet ein Verzicht der Beklagten darauf eine Entlastung der Masse.

Damit ist aber das Argument des Klägers entkräftet, die Sittenwidrigkeit bestehe schon darin, dass die Gemeinschuldnerin vollständig erfüllt habe, dennoch aber die vereinbarte Gegenleistung nicht erhalten solle.

3.5. Zusammengefasst kann daher in der Beurteilung der Vorinstanzen, die Befreiungsklausel stelle eine im Rahmen der herrschenden Privatautonomie zulässige und sachgerechte Einschränkung der Leistungspflicht der Beklagten dar, die nicht gegen die guten Sitten verstoße, keine unvertretbare Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls erblickt werden.

4. Wer die Leistung eines Dritten verspricht, verpflichtet den Dritten nicht, wenn er keine Vollmacht hat oder im eigenen Namen kontrahiert; insoweit ist das Versprechen als Vertrag zu Lasten Dritter unwirksam ( Apathy/Riedler in Schwimann 3 § 880a ABGB Rz 1). Einer Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit dem Berufungsvorbringen des Klägers, die Befreiungsklausel sei in der wirtschaftlichen Auswirkung ein Vertrag zu Lasten Dritter und daher für die Gläubiger der Gemeinschuldnerin unwirksam, bedurfte es schon aus rechtlichen Gründen nicht; denn die streitgegenständliche Vereinbarung beinhaltet keine Verpflichtung eines Dritten zu einer Leistung.

5. Der Frage, ob eine Klage schlüssig ist, kommt im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (RIS-Justiz RS0116144; RS0042828; RS0037780). Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Vorbringen der Beklagten lasse die notwendige Konkretisierung der im Wesentlichen nur nach Paragraphen geltend gemachten Anfechtungstatbestände vermissen, bedeutet keine im Rahmen eines außerordentlichen Rechtsmittels aufzugreifende Fehlbeurteilung, weil dies der Judikatur entspricht (RIS-Justiz RS0064655; RS0037891; RS0064598). Einen Mangel des Berufungsverfahrens dahin, das Berufungsgericht habe gegen §§ 182, 182a ZPO verstoßen, macht die Revision gar nicht geltend, weshalb sich eine solche Prüfung erübrigt.

Es fehlt im Übrigen auch jegliches Vorbringen zur Zulässigkeit einer Teilanfechtung (RIS Justiz RS0123338).