OGH vom 23.05.2001, 7Ob96/00v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Hoch als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am geborenen Sandra Ö*****, wegen Ersatz von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs der Republik Österreich, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 91/00a-159, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom , GZ 6 P 1038/95m-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am geborenen vormaligen Minderjährigen wurden mit Beschluss vom (ON 98) Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Titelhöhe von monatlich S 3.200 für die Zeit vom bis gewährt. Am stellte der Vater den Antrag, seine Unterhaltsverpflichtung ab auf monatlich S 1.800 herabzusetzen (ON 112). Nachdem das Amt für Jugend und Familie für den 10. Bezirk als Unterhaltssachwalter sein Einverständnis zu diesem Herabsetzungsbegehren erklärt hatte (ON 114) wurde die Unterhaltsverpflichtung des Vaters mit dem auf die "Einigung der Parteien" gegründeten Beschluss vom (ON 115) antragsgemäß auf monatlich S 1.800 ab herabgesetzt. Die Herabsetzung des bewilligten Unterhaltsvorschusses ist erst über einen am eingelangten Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien (ON 120) mit Beschluss vom (ON 121) für die Zeit vom bis auf monatlich S
1.800 unter Hinweis auf die Entscheidung ON 115 erfolgt.
Das Erstgericht hat den Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom (ON 125), das Kind, den gesetzlichen Vertreter, die Pflegeperson und den Unterhaltsschuldner nach den §§ 22, 23 UVG 1985 zum Rückersatz der in der Zeit vom bis zu Unrecht gewährten Unterhaltsvorschüsse von insgesamt restlichen S 11.293 (nämlich des Betrages von S 16.800 abzüglich der im Antrag angeführten Rückzahlung des "Jugendamtes" von S 5.507) zu verpflichten, abgewiesen. Es legte seiner Entscheidung bezüglich des Kindes zugrunde, dass die Vorschüsse für die vormals Minderjährige verbraucht worden seien.
Das vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien angerufene Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.
Die Tatsache des Verbrauches der zu Unrecht ausbezahlten Unterhaltsvorschüsse sei nicht in Zweifel gezogen worden. Nach einigen höchstgerichtlichen Entscheidungen sei zwar die Haftungsbefreiung des Kindes nach § 22 UVG auf den redlichen Verbrauch der Vorschüsse abzustellen (ÖA 1985, 83; ÖA 1986, 112; ÖA 1987, 141). Das Rekursgericht schließe sich aber der in der Judikatur zweiter Instanz weitgehend vertretenen Ansicht (EFSlg 72.659, 75.802, 78.948, 87.811) an, wonach der Verbrauch der Unterhaltsvorschüsse für das Kind dieses schlechthin von der Rückzahlungsverpflichtung nach § 22 UVG befreie. Diesbezüglich sei der Argumentation Neumayrs (in Schwimann ABGB2 Rz 12 ff zu § 22 UVG) zu folgen, wonach die Bestimmung des § 22 UVG ein eigenes Haftungskonzept aufbaue, das gegenüber den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen teils weiter, teils enger sei. In jedem Fall stehe der Schutz des Unterhaltes des mj. Kindes im Vordergrund. Der Haftungsmaßstab der von vornherein nur subsidiär verpflichtbaren weiteren Haftungsträgern sei auf grobes Verschulden eingeschränkt. Im Vergleich zur Haftung des Kindes bestünde ein rechtlicher Wertungswiderspruch, würde das Kind über den Umweg der Zurechnung des Verhaltens Dritter, die im Rahmen des § 22 UVG selbst nur eingeschränkt aus dem Titel des Schadenersatzes hafteten, im umfangmäßig breiten Rahmen aus einer Kondiktion zum Rückersatz herangezogen werden können. Das Kriterium der Redlichkeit habe für die Rückersatzpflicht des Kindes nach § 22 UVG keine Bedeutung. Zwar möge das Ergebnis für den Fall unbefriedigend sein, wenn die von der Antragstellung des Bundes umfassten Unterhaltsvorschüsse in Kenntnis der bereits erfolgten Herabsetzung der väterlichen Unterhaltspflicht verbraucht worden sein sollten, doch sei die Änderung unbefriedigender Normen nicht Sache der Rechtsprechung sondern des Gesetzgebers.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil das Rekursgericht von der Judikatur des Obersten Gerichtshofes abgewichen und der eingehenden Argumentation von Neumayr gefolgt sei, zu welcher der Oberste Gerichtshof in seinen Entscheidungen noch nicht Stellung bezogen habe.
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Vorweg ist festzuhalten, dass sich sowohl die Ausführungen des Rekurses (ON 156) als auch des Revisionsrekurses (ON 161) ausschließlich mit der Frage der Redlichkeit der ehemals Minderjährigen beim Verbrauch der zuviel bezahlten Vorschüsse sowie mit deren Rückersatzpflicht befassen. Hinsichtlich der weiteren subsidiär Rückzahlungsverpflichteten fehlen sowohl Rekursanträge als auch Rechtsmittelausführungen, weshalb hier lediglich die Frage zu prüfen war, ob die ehemals Minderjährige zum Rückersatz des Übergenusses verpflichtet werden kann.
Zutreffend hat zunächst das Rekursgericht darauf verwiesen, dass der Oberste Gerichtshof in seiner älteren Rechtsprechung (ÖA 1985, 83; ÖA 1986, 112; ÖA 1987, 147) die Auffassung vertreten hat, eine Rückforderung von zu Unrecht bezogenen Unterhaltsvorschüssen sei nur bei redlichem Verbrauch durch das Kind ausgeschlossen.
Diese Rechtsprechung ist in der Lehre auf Kritik gestoßen. Knoll (UVG in ÖA Rz 4 zu § 22 UVG) führt aus, dass die Haftung des Kindes im Wesentlichen, nicht jedoch in allen Belangen eine Kondiktionshaftung darstelle, die der Unterhaltskondiktion nachgebildet sei. Nach dem Gesetzeswortlaut werde schlicht auf den Verbrauch durch das Kind als haftungsausschließendem Umstand abgestellt.
Dieses Argument wurde bereits in der Entscheidung SZ 64/26 als beachtlich angesehen, weil trotz der Erwähnung der Entscheidungen SZ 13/262 und EvBl 1965/2 in der RV zum UVG (5 Blg NR 14.GP in Strauß-Brosch, Unterhaltsvorschussgesetz 91 ff) der Haftungsausschluss des Kindes nach dem Gesetz auf den Verbrauch der Vorschüsse für seinen Unterhalt abstelle und "Redlichkeit" also nicht gefordert werde. Überwiegende Gründe sprächen für die Ansicht, dass der Ausspruch, das Kind könne wegen Verbrauches der Vorschüsse für den Unterhalt nicht zum Ersatz herangezogen werden, eine Heranziehung der Mutter und des gesetzlichen Vertreters nicht ausschließe. Auch Neumayr (in Schwimann ABGB2 Rz 12 zu § 22 UVG ff) vertritt die vom Rekursgericht geteilte Ansicht, dass § 22 UVG ein eigenes Haftungskonzept aufbaue, das gegenüber den bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen teils weiter, teils enger sei. Wie aus § 22 Abs 2 leg cit hervorgehe, stehe in jedem Fall der Schutz des Unterhaltes des mj. Kindes im Vordergrund. Dieses habe nach der Konzeption des UVG und des ABGB keinen Einfluss auf die Mittelverwendung und sei auch nicht in den Kreis der Mitteilungspflichtigen einbezogen. Daneben sei der Haftungsmaßstab der von vornherein nur subsidiär verpflichtbaren weiteren Haftungsträgern auf grobes Verschulden eingeschränkt. Im Vergleich zur Haftung des Kindes bestünde ein beträchtlicher Wertungswiderspruch, würde das Kind über den Umweg der Zurechnung des Verhaltens Dritter, die im Rahmen des § 22 selbst nur eingeschränkt aus dem Titel des Schadenersatzes hafteten, in umfangmäßig breitem Rahmen aus einer Kondiktion zum Rückersatz herangezogen werden können. Das Kriterium der Redlichkeit habe für die Rückersatzpflicht des Kindes nach § 22 UVG daher keine Bedeutung. Auch Haselberger (in UVG Anm 4 zu § 22) referiert die Rechtsmeinung Knolls und Neumayrs, wonach dann, wenn der gute oder böse Glaube der (ohnehin selbst) subsidiär rückersatzpflichtigen Personen dem Kinde zugerechnet werde, ohne Wertungswiderspruch für eine weitere Haftung der genannten Personen nichts mehr übrig bleibe. Er schlägt vor, für die Befreiung des Kindes vom Rückersatz auf subjektive Elemente zu verzichten, aber den Übergenuss am Titel bzw dem materiellen Unterhaltsanspruch zu messen, also beispielsweise auch das Kind zum Rückersatz heranzuziehen, wenn aus dem Übergenuss Luxusaufwendungen bestritten worden seien, die das genannte Maß auffallend überschritten hätten.
Auch der erkennende Senat schließt sich der überzeugenden Argumentation Neumayrs und Knolls an, weil es tatsächlich einen Wertungswiderspruch darstellen würde, wenn das Kind über den Umweg der Zurechnung des Verhaltens Dritter, die selbst nur eingeschränkt aus dem Titel des Schadenersatzes haften, im Rahmen einer Kondiktion zum Rückersatz herangezogen werden können. Die oben dargestellte (ältere) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes muss als überholt angesehen werden. Sie wurde nach der Kritik in der als beachtenswert erkannten Lehre (SZ 64/26) auch nicht mehr aufrecht erhalten, weshalb es der Befassung eines verstärkten Senates nicht bedurfte.
Dem Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen.