OGH 27.01.2021, 7Ob8/21h
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** GmbH & CoKG, *****, vertreten durch MMag. Dr. Christian Waldhart, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei J***** K*****, vertreten durch Dr. Herbert Matzunski, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 116/20b-50, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1. Eine Aktenwidrigkeit liegt nur dann vor, wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstücks unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RS0043347). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor:
[2] 1.2. Die fraglichen 51 Lichtbilder, die der Beklagtenvertreter dem Sachverständigen zur Verfügung gestellt hat, haben – unstrittig – keine Aufnahme in den Gerichtsakt gefunden, sondern sind beim Sachverständigen verblieben. Der Standpunkt des Berufungsgerichts, diese Lichtbilder seien nicht Bestandteil des Gerichtsakts, ist daher nicht aktenwidrig, sondern richtig und begründet auch keine unrichtige rechtliche Beurteilung. Im Übrigen fehlen Ausführungen des Beklagten zur Entscheidungswesentlichkeit, insbesondere dazu, welche von der Klägerin zu vertretenden Mängel des Bestandobjekts sich aus diesen Lichtbildern gegebenenfalls – konkret – hätten ableiten lassen.
[3] 2.1. Der Beklagte hat dem Sachverständigen keinen Zutritt zum Bestandobjekt gewährt. Das Erstgericht hat aus näher ausgeführten Gründen keinen neuerlichen Auftrag zur Befundaufnahme erteilt. Diese Vorgangsweise begründete – entgegen der Ansicht des Beklagten – keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, könnte aber – allenfalls – einen Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens begründen, den hier das Berufungsgericht aus rechtlichen Erwägungen nicht beurteilt hat. Der vom Beklagten daraus (inhaltlich erkennbar ebenfalls) abgeleiteten Mangel des zweitinstanzlichen Verfahrens (vgl dazu etwa 2 Ob 26/06x) wird nicht den von der Rechtsprechung dazu entwickelten Anforderungen entsprechend ausgeführt:
[4] 2.2. Nach der vom Beklagten obstruierten Befundaufnahme hat das Erstgericht diese Frage bei der mündlichen Streitverhandlung am erörtert. Der Beklagtenvertreter hat dabei ausdrücklich die neuerliche Befundaufnahme samt Beiziehung beider Parteien und deren Vertreter beantragt. Vom Erstgericht dazu befragt erklärte der Beklagte, dass er eine Befundaufnahme im Bestandobjekt im Beisein der Parteien und deren Vertreter jedenfalls ablehne und nur den Sachverständigen „vielleicht“ einlassen werde. Weder in der Berufung noch in der Revision wird – ausgehend von dieser Haltung des Beklagten, der die Befundaufnahme (allein durch den Sachverständigen) gleichsam in sein Belieben stellte – konkret ausgeführt, welche weiteren – erfolgversprechenden – Aufträge das Erstgericht hätte erteilen sollen.
[5] 2.3. Im Übrigen wird wiederum die Wesentlichkeit eines allfälligen Verfahrensmangels nicht ausreichend bestimmt aufgezeigt. Es fehlte bereits in der Berufung und auch in der Revision eine konkrete Darstellung, welche der angeblichen, zahlreich geltend gemachten und allenfalls von der Klägerin zu vertretenden Mängel zum Zeitpunkt einer (vielleicht) möglichen Befundaufnahme erweislich gewesen wären.
[6] 3.1. Letztlich meint der Beklagte, es fehle Judikatur des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob und wann bei psychisch beeinträchtigten Personen ein grobes Verschulden an der Herbeiführung eines Mietzinsrückstands anzunehmen sei. Auch damit zeigt der Beklagte keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf:
[7] 3.2. Der Beklagte erkennt selbst – zutreffend –, dass dem Rechtsanwender bei Beurteilung eines bestimmten Verhaltens als grobes Verschulden an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (RS0042773) und diese Frage typischerweise von den Umständen des Einzelfalls abhängt (RS0042773 [T1]). Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kann daher die Zulässigkeit der Revision nur dann begründet werden, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RS0042773 [T3]).
[8] 3.3. Der Beklagte hat selbst – wiederum zutreffend – auf die Entscheidung 1 Ob 174/14s verwiesen, wonach eine Erkrankung (dort: Alkoholabhängigkeit) nicht schlechthin grobes Verschulden ausschließt. Hier äußert sich die psychische Beeinträchtigung des Klägers praktisch insbesondere dadurch, dass er den Klagevertreter mit Telefonanrufen verfolgt, wofür er auch rechtskräftig verurteilt wurde, insoweit offenbar auch Schuldfähigkeit vorlag. Im Übrigen war das Zahlungsverhalten des Beklagten, der nach den – bindenden – erstgerichtlichen Festellungen nicht mehr im Bestandobjekt wohnen will, (ua) dadurch gekennzeichnet, dass „er sich das dadurch ersparte Geld ansparen will, um auf dem privaten Wohnsektor eine Wohnung anmieten zu können, und um eine entsprechende Kaution zur Verfügung zu stellen“. Wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage ein grobes Verschulden des Beklagten annahm, ist der dabei einzuräumende Ermessensspielraum jedenfalls nicht überschritten.
[9] 4. Im Ergebnis zeigt der Beklagte somit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision ist daher nicht zulässig und folglich zurückzuweisen. Eine weitergehende Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00008.21H.0127.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
HAAAD-70127