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OGH vom 09.03.1989, 7Ob5/89

OGH vom 09.03.1989, 7Ob5/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anton R***, Inhaber des Photographie-Studios "C*** & D***", Seewalchen/Attersee, Hauptstraße 14, vertreten durch Dr.Winfried Sattlegger und Dr.Klaus Dorninger, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei O*** W*** V***, Linz,

Gruberstraße 32, vertreten durch Dr.Walter Rinner, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 125.102 s.A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 78/88-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom , GZ 9 Cg 307/86-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Untergerichte werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrt die Zahlung von S 125.102,- s.A. zur Deckung eines Schadens, der ihm durch einen Einbruchsdiebstahl in sein Fotografiestudio am entstanden sei. Am habe der Kläger einen Antrag auf Abschluß einer Bündelversicherung zur Abdeckung von Feuer-, Leitungswasser- und Einbruchsschäden gestellt. Am gleichen Tag sei ihm von dem hiezu befugten Vertreter der beklagten Partei, Mag.Werner S***, eine unbefristete vorläufige Deckungszusage erteilt worden. Am habe der Kläger den Antrag im Beisein des Josef SIX, eines Mitarbeiters der beklagten Partei, unterfertigt. Zufolge des Postlaufes sei der Antrag erst am bei der beklagten Partei eingelangt. Bereits am habe beim Kläger ein Einbruch stattgefunden, durch den dem Kläger ein Schaden in der Höhe des Klagebetrages entstanden sei. Der Kläger habe den Schaden sofort der zuständigen Gendarmeriedienststelle und der beklagten Partei gemeldet. In Kenntnis des Schadenfalls habe die beklagte Partei am die Polizze ausgestellt, die der Kläger am erhalten habe. Erst an diesem Tage sei die vorläufige Deckung erloschen. In der Versicherungspolizze sei antragsgemäß der Versicherungsbeginn mit festgelegt worden. Die Prämienzahlung hätte mittels Bankeinzuges erfolgen sollen. Dies sei infolge von Organisationsmängeln der beklagten Partei unterblieben. Der Kläger habe die Erstprämie letztlich mittels Banküberweisung am eingezahlt. Die beklagte Partei habe die Zahlung angenommen, sodaß die Säumnis des Klägers als nachgesehen zu betrachten sei.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Am sei der Versicherungsantrag vom Vertreter der beklagten Partei beim Kläger ausgefüllt, vom Kläger jedoch nicht unterschrieben worden. Mag.Werner S*** habe dem Kläger eine vorläufige Deckung bis , 12 Uhr, unter der Bedingung zugesagt, daß der Versicherungsantrag bis zu diesem Zeitpunkt abgegeben werde, und habe das Antragsformular beim Kläger zurückgelassen. Mag.Werner S*** habe nur eine Vermittlungsvollmacht. Er sei nicht berechtigt gewesen, eine vorläufige Deckung ohne Genehmigung der beklagten Partei zuzusagen. Der Antrag sei erst am bei der beklagten Partei eingelangt. Eine vorläufige Deckung habe zum Zeitpunkt des Schadenfalles daher nicht mehr bestanden. Die Schadenmeldung des Klägers sei erst am bei der beklagten Partei eingegangen. Die beklagte Partei habe bei Vertragsabschluß keine Kenntnis vom Schadenfall gehabt. Trotz Mahnung habe der Kläger die spätestens am fällige Erstprämie erst am bezahlt. Nach der Bestimmung des Artikels 4 Absatz 2 ABS bestehe keine Deckung, weil der Kläger die Erstprämie nicht unverzüglich eingezahlt habe. Darüber hinaus sei die beklagte Partei gemäß § 2 VersVG leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Eintritt des Versicherungsfalls bei Vertragsabschluß gekannt habe. Das Erstgericht wies die Klage ab und traf folgende Feststellungen:

Am kamen Mag.Werner S*** und Josef SIX, Angestellte der beklagten Partei, zum Kläger. Grund des Besuches war der Abschluß einer Bündelversicherung (Feuer-, Leitungswasser- und Einbruchsversicherung) für das Fotographiestudio des Klägers in Seewalchen am Attersee. Mag.Werner S*** nahm alle Angaben des Klägers auf. Man einigte sich grundsätzlich auf den Abschluß der Versicherung, jedoch war die Höhe der Versicherungssumme auch nach Beendigung des Gespräches noch nicht fixiert. Grund hiefür war, daß der Kläger noch weiteres Fotogerät anschaffen wollte, wodurch sich die Versicherungssumme erhöht hätte. Ob der Kläger den Versicherungsantrag noch am unterfertigt hat, konnte nicht festgestellt werden.

Der zum Abschluß von Versicherungsverträgen bevollmächtigte Mag.Werner S*** sicherte dem Kläger vorläufige Deckung zu. Der Versicherungsantrag wurde von Mag.S*** noch am unterfertigt. Eine Befristung der vorläufigen Deckung wurde dem Kläger ebensowenig mitgeteilt wie der Umstand, daß diese Deckungszusage der internen Genehmigung der beklagten Partei bedürfe und eine solche Genehmigung auch von der Zusage abweichen könnte. Nach Beendigung des Gespräches blieb der Versicherungsantrag beim Kläger. Es wurde vereinbart, daß Josef SIX den Antrag abholen - wobei nicht genau festgelegt wurde, wann dies erfolgen sollte - und den Antrag umgehend an die Versicherungsanstalt weiterleiten werde.

Mag.Werner S*** kehrte nach dem Gespräch mit dem Kläger nach Linz zurück und ließ sich die von ihm dem Kläger gegenüber erklärte vorläufige Deckung durch Dr.K*** intern genehmigen. Hiebei wurde eine Besprechungsnotiz angefertigt, in der jedoch vermerkt wurde, daß eine vorläufige Deckung nur bis zum , 24 Uhr, bestehe.

Am wurde der vom Kläger unterschriebene Versicherungsantrag von Josef SIX beim Kläger abgeholt und an die beklagte Partei weitergeleitet, bei der der Antrag am einlangte.

Am wurde der Kläger durch einen Einbruch in sein Fotostudio geschädigt.

Am wurde die Polizze von der beklagten Partei ausgefertigt und dem Kläger übersandt. Der Kläger beglich die Erstprämie erst am , also 1 1/2 Monate nach deren mit eingetretenen Fälligkeit.

Im Antragsformular erfolgte in der Spalte "Bankinkasso" keine Eintragung. Es war daher für die beklagte Partei unmöglich, den fälligen Geldbetrag mittels Abbuchungsauftrages einzuziehen, weil sie weder die Bank noch die Bankkontonummer des Klägers kannte. Vor der Unterschriftsleiste befindet sich im Antragsformular folgender Vermerk: "Der Umfang der Vollmacht jedes Vertreters - er hat nur Vermittlungsvollmacht - ist in seinem Vertreterausweis erschöpfend beschrieben. Weitere Vollmachten besitzt kein Vertreter, insbesondere ist kein Vertreter zu mündlichen Zusagen berechtigt."

Im Antragsformular wurde auch ausdrücklich vermerkt, daß die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der beklagten Partei dem Antrag zugrundeliegen.

Artikel 4 Absatz 2 der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung (ABS) lautet:

"Der Versicherungsschutz beginnt mit der Einlösung der Polizze, jedoch nicht vor dem darin festgesetzten Zeitpunkt. Wird die erste Prämie erst nach diesem Zeitpunkt eingefordert, alsdann aber ohne Verzug bezahlt, beginnt der Versicherungsschutz zu dem in der Polizze festgesetzten Zeitpunkt."

Artikel 16 der ABS lautet:

"Sämtliche Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers müssen schriftlich, Kündigungen mittels eingeschriebenen Briefes erfolgen. Hinsichtlich der Schadenanzeigen gelten die Bestimmungen über die Obliegenheiten des Versicherungsnehmers im Schadenfall in den Allgmeinen Versicherungsbedingungen der betreffenden Sachversicherungssparte."

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, Mag.S*** sei zur Zusage einer vorläufigen Deckung nicht berechtigt gewesen. Dieser Mangel sei durch die Genehmigung des leitenden Angestellten der beklagten Partei Dr.Roland K*** auch nur in beschränktem Umfang geheilt worden, doch müsse der Kläger diese Beschränkung aus dem Grunde des § 1029 ABGB nicht gegen sich gelten lassen. Das Verhalten des Mag.S*** und des Josef SIX habe im Kläger das Vertrauen darauf erwecken müssen, daß Mag.S*** zur Zusage einer vorläufigen Deckung berechtigt sei. Die beklagte Partei hafte daher für diese Zusage. Diese Haftung könne durch den Vermerk im Antragsformular nicht ausgeschlossen werden. Dennoch aber könne dem Klagebegehren nicht stattgegeben werden, weil der Kläger die erste Prämie nicht unverzüglich im Sinne des Artikels 4 Absatz 2 ABS nach ihrer Einforderung bezahlt habe. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 zulässig sei. Wie sich aus § 43 VersVG ergebe, seien die Vertreter der beklagten Partei, die nur Vermittlungsvollmacht gehabt hätten, nicht berechtigt gewesen, eine Deckungszusage zu erteilen. Da auch im Versicherungsantrag deutlich hervorgehoben werde, daß die Vertreter der beklagten Partei zu mündlichen Zusagen nicht berechtigt seien, habe der Kläger nicht auf die Gültigkeit einer ihm mündlich zugesagten vorläufigen Deckung vertrauen können. Eine Anscheinsvollmacht des Mag.S*** liege nicht vor, weil die beklagte Partei selbst keinen Anschein einer Bevollmächtigung ihres Vertreters zur Abgabe einer unbefristeten Zusage einer vorläufigen Deckung erweckt habe. Die Anführung eines zurückliegenden Zeitpunktes als Versicherungsbeginn im Versicherungsschein bedeute im Zweifel den Abschluß einer Rückwärtsversicherung. Im vorliegende Fall komme hinzu, daß die ABS eine erweiterte Einlösungsklausel enthielten (Artikel 4 Absatz 2), die als Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung anzusehen sei. Für die vor Vertragsabschluß eingetretenen Versicherungsfälle gelte bei der Rückwärtsversicherung die Einlösungsklausel des § 38 Abs 2 VersVG nicht, weil sie voraussetze, daß die Prämie im Zeitpunkt des Versicherungsfalles schon geschuldet sei. Der Versicherer werde mit der Einlösung der Polizze rückwirkend für Versicherungsfälle deckungspflichtig, die zwischen dem vereinbarten Haftungsbeginn und dem Verzug des Versicherungsnehmers mit der Zahlung der ersten Prämie eingetreten seien, weil ein später eintretender Verzug des Versicherungsnehmers mit der Zahlung der Prämie die auf Grund des Vertrages bereits einmal eingetretene Deckungspflicht nicht rückwirkend beseitigen könne. Im vorliegenden Fall hätten die Parteien allerdings vereinbart, daß bei Einforderung der Prämie nach dem Versicherungsbeginn der Versicherungsschutz erst beginne, wenn die Prämie ohne Verzug bezahlt werde (Artikel 4 Absatz 2 ABS). Soweit § 38 VersVG nicht gelte, könne in dieser erweiterten Einlösungsklausel ein Verstoß gegen die halbzwingende Bestimmung des § 38 VersVG nicht erblickt werden. Überdies ergebe sich aus ihr nur, daß eine gleich rasche Bezahlung der Erstprämie gefordert werde, wie sie auch ohne Vereinbarung einer Rückwärtsversicherung vorgeschrieben sei. Diese rasche Zahlungspflicht zur Vermeidung der Rechtsfolge des § 38 Abs 2 VersVG könne aber nur für Versicherungsfälle nach Eintritt des Verzugs des Versicherungsnehmers mit der Zahlung der Erstprämie Bedeutung haben. Da der Versicherungsfall hier schon vor Abschluß des Versicherungsvertrages eingetreten sei, komme dem Zeitpunkt der Zahlung der Erstprämie keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Der Kläger habe vom Schadenfall noch am , spätestens am Kenntnis erlangt: Zu diesem Zeitpunkt sei der Versicherungsantrag zufolge Abholung durch den Versicherungsvertreter Josef SIX am bereits der beklagten Partei zugegangen gewesen. Nach den Ausführungen der beklagten Partei in der Berufungsbeantwortung habe der Kläger noch am die beklagte Partei bzw. Mag.Werner S*** über den Versicherungsfall informiert. Damit sei eine beiderseitige Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalles vor Ausstellung der Polizze am zugestanden. Nach der Rechtsprechung sei der Versicherer leistungsfrei, wenn beide Vertragspartner zwischen Antragstellung und Antragsannahme Kenntnis vom Versicherungsfall erlangen. Die dieser Judikatur zugrundeliegende Bestimmung des § 2 Abs 2 VersVG über die Leistungsfreiheit sei absolut zwingend. Zwar könne der Versicherer auf seine nach § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG eingetretene Leistungsfreiheit nachträglich wirksam verzichten: Das Unterlassen des Rücktritts der beklagten Partei vom Versicherungsvertrag nach § 38 Abs 1 VersVG sei jedoch nicht als ein solcher Verzicht zu werten. Die Revision sei im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes VersR 1982, 841, zuzulassen gewesen, in der u.a. der Standpunkt vertreten worden sei, daß dann, wenn bei Abschluß einer Rückwärtsversicherung beide Vertragspartner wissen, daß ein Versicherungsfall bereits eingetreten sei, darin ein Abbedingen des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG liege. Der Oberste Gerichtshof habe sich mit dieser Ansicht, die Zustimmung in der deutschen Lehre gefunden habe, bisher nicht auseinandergesetzt. Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Burteilung und beantragt dessen Abänderung dahin, daß seinem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben. In seiner Revision wendet sich der Kläger dagegen, daß die Bestimmung des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG als absolut zwingend anzusehen sei. § 2 VersVG sei nur zum Nachteil des Versicherungsnehmers unabänderlich, sonst aber nachgiebiges Recht und daher abdingbar. Mit der Rückverlegung des Versicherungsbeginnes auf einen Zeitpunkt zwischen Antragstellung und Annahme werde zugleich auch § 2 Abs 2 VersVG abbedungen. § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG solle lediglich verhindern, daß ein Versicherungsnehmer einen ihm bereits bekannten Schaden durch Abschluß einer Rückwärtsversicherung auf den Versicherer abwälze.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Revisionsgericht teilt die Rechtsansicht der zweiten Instanz darüber, daß eine "Anscheinsvollmacht" des Vermittlungsvertreters der beklagten Partei Mag.Werner S***, dem Kläger eine unbefristete vorläufige Deckungszusage zu erteilen, nicht angenommen werden kann, weil die beklagte Partei nicht den Anschein einer entsprechenden Bevollmächtigung des Versicherungsvertreters erweckt hat (vgl. hiezu Prölss-Martin, VVG24, 42), sowie darüber, daß dem Zeitpunkt der Zahlung der Erstprämie im vorliegenden Fall aus den vom Berufungsgericht dargestellten Gründen keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt (vgl. die Entscheidung VersR 1987, 271, der ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt zugrundelag; ebenso die Entscheidung SZ 57/123 = 7 Ob 65/83, die von der beklagten Partei offensichtlich mißverstanden wird, u.a.). Die beklagte Partei ist mit ihren Ausführungen in der Revisionsbeantwortung, in denen sie weiterhin den Standpunkt vertritt, mangels unverzüglicher Zahlung der Erstprämie sei gemäß § 38 Abs 2 VersVG sowie Artikel 4 Absatz 2 ABS der Versicherungsschutz erst zum Zeitpunkt der Einzahlung der ersten Prämie eingetreten, auf die eben angeführten Entscheidungen, die der ständigen Rechtsprechung des Revisionsgerichtes entsprechen, zu verweisen.

Beizupflichten ist allerdings den Ausführungen des Klägers zur Frage, ob § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG abbedungen werden kann. Nach § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer beim Abschluß des Vertrages weiß, daß der Versicherungsfall schon eingetreten ist. Das Revisionsgericht hat in mehreren Entscheidungen die Ansicht vertreten, diese Bestimmung sei nach ihrem Wortlaut absolut zwingend (SZ 22/3, SZ 37/98, EvBl 1979/4). Es war jedoch gleichwohl der Auffassung, der Versicherer könne auf seine nach § 2 Abs 2 VersVG eingetretene Leistungsfreiheit hinterher wirksam verzichten. Weder aus dem Versicherungsvertragsgesetz, noch aus einer sonstigen Norm, auch nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder den guten Sitten lasse sich ableiten, daß es dem nach § 2 Abs 2 VersVG von seiner Verpflichtung zur Leistung freigewordenen Versicherer verwehrt wäre, sich zu dieser Leistung dennoch zu verpflichten (EvBl 1968/126 = SZ 40/87, EvBl 1979/4). In der bloßen Annahme der Erstprämie durch den Versicherer sei aber noch nicht ein nachträglicher Verzicht auf die Geltendmachung der nach § 2 Abs 2 VersVG eingetretenen Leistungsfreiheit zu erblicken (7 Ob 31/88).

Gegen den in den Entscheidungen SZ 22/3 und SZ 37/98 vertretenen Standpunkt, die Bestimmung des § 2 Abs 2 VersVG sei zwingend und der Versicherer auch dann leistungsfrei, wenn er bei Abschluß des Versicherungsvertrages vom Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis gehabt habe, hat bereits Lorenz-Liburnau in VersRdSch 1965, 70 ff, - im Gegensatz zu Wahle, der der Ansicht beipflichtete, es liege eine "absolut zwingende Bestimmung" vor (VersR 1966, 999) - Stellung genommen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelten ganz allgemein den Beginn der Haftung aus neu abgeschlossenen Versicherungsverträgen durch die sogenannte Einlösungsklausel, die etwa folgenden Wortlaut habe: "Die Haftung des Versicherers beginnt mit der Einlösung der Polizze, jedoch nicht vor dem in der Polizze bezeichneten Zeitpunkt". Neuere Allgemeine Versicherungsbedingungen wiesen durchwegs die sogenannte erweiterte Einlösungsklausel auf, die die soeben wiedergegebene Einlösungsklausel durch folgenden Satz ergänze: "Wird die erste Prämie erst nach diesem Zeitpunkt eingefordert, alsdann aber ohne Verzug bezahlt, so beginnt der Versicherungsschutz zu dem in der Polizze genannten Zeitpunkt". Durch die erweiterte Einlösungsklausel verpflichte sich der Versicherer für den Fall, daß unverzüglich nach Zustandekommen des Versicherungsvertrages - durch Verständigung des Antragstellers von der Annahme seines Antrages - die Prämienzahlung erfolge, das Risiko von dem in der Polizze angegeben Zeitpunkt an auch rückwirkend zu tragen. Die Leistungspflicht solle demnach auch bei Eintritt des Versicherungsfalles in dem dem Vertragsabschluß vorangegangenene Haftungszeitraum bestehen. Die erweiterte Einlösungsklausel führe dazu, daß die Versicherung in einem vor der Schließung des Vertrages liegenden Zeitraum beginne. Es liege insoweit eine sogenannte (unechte) Rückwärtsversicherung vor. Es sei nicht einzusehen, warum der Versicherer nicht auch im Voraus auf seine Leistungsfreiheit wegen Kenntnis des Versicherungsnehmers vom Eintritt des Schadenfalls während der Dauer der Rückwärtsversicherung verzichten können und demnach der Wortlaut des § 2 Abs 2 VersVG einen Verzicht des Versicherers auf Leistungsfreiheit als unabdingbar erscheinen lassen sollte. Keines der Merkmale, aus denen sich die Normkraft absolut zwingender Vorschriften ergeben könne - die sich "bald aus der Zugehörigkeit der Vorschrift zum öffentlichen Recht, bald aus ihrer Fassung, zumal aus der Nichtigkeitsdrohung oder der Ausstellung eines Gültigkeitserfordernisses, bald aus der offenbaren Sittenwidrigkeit einer Gegenabrede" ergebe - sei hier gegeben. Im Fall der unechten Rückwärtsversicherung entspreche der Verzicht den Bedürfnissen des redlichen Verkehrs.

Für die Abdingbarkeit des § 2 Abs 2 VersVG treten auch Bruck-Möller, Kommentar zum VersVG8 I, Anm. 43 zu § 2, ein und führen hiezu eine gleichartige Rechtsprechung des Deutschen Reichsgerichtes an. Es bestehen keine Bedenken dagegen, das Erfordernis der subjektiven Ungewißheit des Versicherungsnehmers dahin zu präszisieren, daß es im Zeitpunkt seiner Willenserklärung, also regelmäßig der Antragstellung, gegeben sein muß. Wisse allerdings der Versicherungsnehmer schon im Zeitpunkt der Antragstellung, daß und in welcher Höhe ein Schaden eingetreten sei, sei der Versicherungsvertrag als solcher ungültig.

Auch Prölss-Martin haben entgegen der genannten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes stets die Ansicht vertreten, § 2 Abs 2 VersVG könne abbedungen werden (wenn auch eine Abbedingung im Hinblick auf eine bei der Antragstellung schon vorhandene Kenntnis des Versicherungsnehmers den Vertrag seines Charakters als Versicherungsvertrag völlig entkleide und daher im Zweifel nicht gewollt sei), und auch ein nachträglicher "Verzicht" auf den Einwand aus § 2 Abs 2 VersVG sei möglich (Prölss-Martin, VersVG24, Anm. 5 zu § 2; i.gl.S. etwa bereits Prölss-Martin i VersVG19, Anm. 5 zu § 2).

Die Ansicht, der Versicherer könne auf seine nach § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG eingetretene Leistungsfreiheit nachträglich wirksam verzichten, wird sei längeren, wie bereits ausgeführt wurde, auch vom Revisionsgericht vertreten (EvBl 1968/126 = SZ 40/87, EvBl 1979/4).

Mit einer ausführlichen Begründung hat der (deutsche) Bundesgerichtshof in der Entscheidung BGHZ 84, 268 = VersR 1982, 841, neuerlich den Standpunkt vertreten, die Bestimmung des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG sei grundsätzlich im Rahmen allgemeiner Vertragsfreiheit abdingbar, und darüber hinaus ausgeführt, ein Abbedingen des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG liege darin, daß bei Abschluß einer Rückwärtsversicherung beide Vertragspartner wissen, daß ein Versicherungsfall bereits eingetreten ist.

Im gleichen Sinn führt Martin, Sachversicherungsrecht2, 799 f, unter Hinweis auf die genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus, es seien, werde vom Versicherungsnehmer als beantragter Versicherungsbeginn ein Datum gewählt, das vor dem formellen Versicherungsbeginn (Zeitpunkt, in dem durch Annahme eines darauf gerichteten Antrages ein Versicherungsvertrag mit beiderseitiger Bindungswirkung zustandekommt) liege, und der Antrag erst nach dem beantragten Beginnzeitpunkt angenommen, die Einlösungsklausel des § 38 Abs 2 VersVG sowie § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG stillschweigend abbedungen, soweit dies zulässig sei, nämlich für Schäden, die erst nach Absendung des Antrages eintreten, sowie im Bereich einer möglichen Haftung des Versicherers für Verschulden aus Vertragsabschluß wegen unterlassener Beratung des Antragstellers über die Notwendigkeit einer vorläufigen Deckung während der Bindungsfrist und während der für die Prämienzahlung benötigten Zeit. Wolle der Versicherer vor Prämienzahlung nicht haften, so dürfe er Anträge nicht annehmen, sondern müsse sie ablehnen, wenn ein so früher Versicherungsbeginn beantragt werde, daß mit rechtzeitiger Prämienzahlung bei normalem Lauf der Dinge nicht gerechnet werden könne. Doch sei (noch vor den Erwägungen des Bundesgerichtshofes in der Entscheidung VersR 1982, 841) § 38 Abs 2 VersVG bereits durch die sogenannte "erweiterte Einlösungsklausel" in Versicherungsscheinvordrucken ausgeschlossen worden, § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG (soweit der Ausschluß dieser Bestimmung durch die "erweiterte Einlösungsklausel" noch unklar gewesen sei) jedenfalls durch die sogenannte "verbesserte erweiterte Einlösungsklausel" ("Unter dieser Voraussetzung haftet der Versicherer auch für Versicherungsfälle, die nach dem festgesetzten Zeitpunkt, aber vor Annahme des Antrages eintreten. Ist jedoch dem Versicherungsnehmer bei Stellung des Antrages bekannt, daß der Versicherungsfall schon eingetreten ist, entfällt die Haftung").

Das Revisionsgericht schließt sich der von der deutschen Lehre und Rechtsprechung einhellig vertretenen Ansicht über die Abdingbarkeit des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG (i.gl.S. auch Maenner, VersR 1984, 717 ff; Bartsch, VersR 1987, 644, und Rohles, VersR 1986, 214 ff) an, da diese dem schutzwürdigen Interesse des Versicherungsnehmers entspricht, zumal dann, wenn eine längere Zeit bis zur Annahme des Versicherungsantrages durch den Versicherer verstreicht, und die Annahme des Charakters einer absolut zwingenden Vorschrift weder nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung (eine weitergehende Begründung wird weder in der Entscheidung SZ 22/3, noch auch in den dieser folgenden Entscheidungen angeführt), noch aus anderen Gründen (vgl. Lorenz-Liburnau a.a.O. 72f) gerechtfertigt erscheint.

Im vorliegenden Fall ist der Schaden des Klägers nach der Übergabe des Antrags an den Vertreter der beklagten Partei eingetreten. Die beklagte Partei hat von dem Schaden durch Entgegennahme der telefonischen Schadenanzeige des Klägers durch ihren Vertreter Mag.S*** (§ 43 Z 2 VersVG) noch vor der Annahme des Antrages Kenntnis erlangt. Die Bestimmung des § 2 Abs 2 Satz 2 VersVG erscheint damit stillschweigend abbedungen. Ausgehend von einer anderen Rechtsansicht, hat das Erstgericht ein Beweisverfahren zur Höhe des geltend gemachten Anspruches nicht durchgeführt und dementsprechend auch Feststellungen hiezu unterlassen. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren aus diesem Grund aufzuheben, und es war dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.