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OGH vom 25.05.1994, 7Ob4/94

OGH vom 25.05.1994, 7Ob4/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sportverein H*****, vertreten durch Dr.Thomas Strizik und Dr. Günther Vasicek, Rechtsanwälte in Krems, wider die beklagte Partei***** Versicherung AG, *****vertreten durch DDr.Elisabeth Steiner und Dr.Daniela Witt-Dörring, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 240.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 148/93-40, womit das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 28 Cg 53/91-35, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.200,60 (darin S 1.700,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der klagende Sportverein hatte schon mit mehreren Versicherungsunternehmungen für seine Spieler Unfallversicherungsverträge abgeschlossen, als er am auch einen solchen Versicherungsantrag an die Beklagte für fünfzehn Spieler der Kampfmannschaft mit einer vereinbarten Versicherungssumme von 2,000.000 S für Invalidität stellte. In dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Antragsformular sind durch Ankreuzen von "Ja" und "Nein"-Kästchen Fragen zu beantworten unter anderem unter der Überschrift "Allgemeine Fragen zu den zu versichernden Personen, so ob auch bei anderen Versicherungsunternehmungen für die zu versichernden Personen eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen bzw abgelehnt wurde, ob von einem anderen Versicherungsunternehmen eine Gruppenunfallversicherung bereits abgelehnt bzw gekündigt worden ist und ob einzelne Personen bereits Unfälle erlitten haben. Diese Rubriken blieben bei der Unterfertigung des Antrages durch den Obmann des klagenden Vereins unausgefüllt, obwohl dieser gegenüber dem das Antragsformular ausfüllenden Mitarbeiter der klagenden Partei erwähnte, daß sehr wohl bei anderen Versicherungsunternehmungen derartige Unfallversicherungsverträge bestünden. Nach Beantwortung einer Rückfrage der beklagten Partei durch den klagenden Verein allein zur Frage, welche Mannschaft unter den Versicherungsschutz fallen sollte, wurde von ersterer am auf Grund des Antrages eine Versicherungspolizze ausgestellt. Inhalt des Versicherungsvertrages wurde unter anderem auch eine in einem Beiblatt unter "Gültige Bedingungen" angeführte sogenannte "Tarifklausel 109". Diese lautet (auszugsweise):

I.1. Die Versicherung umfaßt Unfälle, von welchen die versicherten Mitglieder bei der Teilnahme an Veranstaltungen des eigenen Vereines oder anderer gleichartiger Vereine betroffen werden.

2. Für Mitglieder von Sportvereinen erstreckt sich die Versicherung außerdem auf Unfälle bei der nicht berufsmäßigen und unentgeltlichen Ausübung des versicherten Sportes.

a.) allgemein nur auf den für die betreffende Sportausübung bestimmten Plätzen, ...

b.) ...

3. Unter die Versicherung fallen auch Unfälle der versicherten Mitglieder ....

4. Unfälle auf dem direkten Weg .......

Außer Streit steht, daß der ehemalige Spieler der klagenden Partei Reinhard S***** bei einem Fußballmatch eine Knieverletzung erlitten hat. Die dadurch verursachte Dauerschädigung entspricht einer Invalidität im Ausmaß von 12 %. Für den Fall einer Leistungspflicht der beklagten Partei aus dem Versicherungsvertrag ergibt sich daraus angesichts der vereinbarten Versicherungsbedingungen sowie der Versicherungssumme eine Versicherungsleistung in Höhe von S 240.000,--.

Der klagende Verein begehrt von der beklagten Versicherung auf Grund des Unfalles des Reinhard S*****, die Zahlung von S 240.000,--. Der Spieler habe den Fußballsport unentgeltlich ausgeübt. Der Obmann des Klägers habe alle Fragen des Mitarbeiters der Beklagten wahrheitsgemäß beantwortet.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung und brachte im wesentlichen vor, daß der verletzte Spieler entgeltlich tätig gewesen sei und deswegen infolge der Vereinbarung der "Tarifklausel 109" kein Versicherungsschutz bestehe. Im Versicherungsantrag sei das Bestehen weiterer Versicherungen verschwiegen worden, sodaß die Beklagte gemäß § 21 VersVG berechtigt sei, vom Vertrag zurückzutreten bzw den Vertrag gemäß § 22 VersVG wegen List anzufechten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es folgerte rechtlich, daß sich die Beklagte nach dem Inhalt ihres Rückfrageschreibens mit den weiteren im Versicherungsantrag erteilten Informationen, zu denen keine zusätzliche Auskunft verlangt worden sei, zufriedengegeben habe. Im Antrag sei der Umstand des Bestehens weiterer Unfallversicherungsverträge nicht dadurch verschwiegen worden, daß die entsprechende Rubrik vom Kläger nicht angekreuzt worden sei. Im übrigen bleibe die Leistungsverpflichtung auch nach einem Rücktritt nach Eintritt des Versicherungsfalles bestehen. Eine arglistige Täuschung über Gefahrenumstände im Sinne des § 22 VersVG liege nicht vor, weil das Bestehen mehrerer Versicherungsverträge zur Abdeckung desselben Risikos nicht als "Gefahrenumstand" angesehen werden könne.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und erklärte die Revision für zulässig. Es erachtete die bekämpfte Feststellung, daß S***** nur Barauslagen ersetzt erhalten und daher unentgeltlich gespielt habe, aus rechtlichen Gründen für unbeachtlich. Die Tarifklausel 109 enthalte keinen Hinweis auf eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf unentgeltliche Sportausübung, sie besage vielmehr, daß zusätzlich auch die unentgeltliche Sportausübung mitversichert sei. Selbst wenn es sich bei dem mit dem Obmann des klagenden Vereins verhandelnden Agenten nur um einen solchen ohne Abschlußvollmacht und nicht um einen Angestellten der beklagten Partei gehandelt haben sollte, habe die Beklagte dessen Kenntnis über das Bestehen von Vorversicherungen zu vertreten. Mangels einer entsprechenden Beschränkung der Vollmacht des Agenten seien auch mündliche Vereinbarungen mit diesem gültig. § 44 VersVG sei restriktiv auszulegen. Alles was der Agent bei der Tätigkeit, zu der er nach § 43 VersVG bevollmächtigt sei, zur Kenntnis nehme, sei damit auch der Versicherung zur Kenntnis gebracht worden, auch wenn der Agent diese Mitteilung nicht weitergeleitet habe. Eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Agenten müsse ein Dritter nur dann gegen sich gelten lassen, wenn er die Beschränkung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit kennen mußte. Auf eine derartige Vollmachtsbeschränkung habe sich die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht berufen. Außerdem sei der Hinweis im Text des Antragsformulares, wonach alle Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers schriftlich zu erfolgen hätten und daß der Versicherungsagent nicht bevollmächtigt ist, mündliche Erklärungen für den Versicherer entgegenzunehmen, nicht so hervorgehoben, daß er (bei üblicher Aufmerksamkeit) auffallen hätte müssen. Die unterlassene Beantwortung der Fragen nach Vorversicherungen sei nicht einer Verneinung gleichzuhalten. Bloß unpräzise, jedoch nicht unrichtige Angaben verletzten die Anzeigepflicht noch nicht. Überhaupt hätte die offen gelassene Frage die Beklagte nur zu einer Ergänzung veranlassen müssen, tatsächlich habe sie aber nur wegen eines anderen Punktes eine Ergänzung verlangt und nach dessen Beantwortung dem Versicherungsantrag zugestimmt. Ihre nunmehrige Berufung auf eine Verletzung der Anzeigeobliegenheit verstoße daher wider Treu und Glauben. Die Verpflichtung zur Anzeige mehrfacher Versicherungen diene nur der Beurteilung des Risikos des Versicherers.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Nach der nunmehr in der Bundesrepublik Deutschland herrschenden Praxis ist die Auslegung aller nicht im Verordnungsweg erlassenen Versicherungsbedingungen am Maßstab eines verständigen durchschnittlichen Versicherungsnehmers vorzunehmen, weshalb die Unklarheitsregel des § 5 (des deutschen) Allgemeinen Geschäftsbedingungsgesetzes (AGBG) anzuwenden sei, wenn die objektive Auslegung zu keinem Ergebnis führe (vgl Prölss-Martin VVG25, 32 ff). Eine derartige Auslegungsregel nähert sich weitgehend der Regelung der §§ 914 f ABGB. Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Allgemeine Versicherungsbedingungen müssen daher so ausgelegt werden, wie dies der durchschnittlich verständige Versicherungsnehmer verstehen mußte, wobei Unklarheiten zu Lasten des Versicherers gehen. Zu berücksichtigen ist in allen Fällen der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der allgemeinen Geschäftsbedingungen (Prölss-Martin aaO, EvBl 1982/94; Vers E 1472 ua, zuletzt VR 1991, 77).

Versicherungsbedingungen sind aus ihrem Zusammenhang heraus auszulegen (vgl Prölss-Martin a.a.O., 29). Die Tarifklausel 109 sieht, wie schon aus ihrer Überschrift hervorgeht, Sonderbedingungen für die Gruppenversicherungen von Vereinen vor. Punkt I.1. dieser Tarifklausel umschreibt wie eine Präambel den Versicherungsschutz für Vereine jeder Art für Unfälle bei "Vereinsveranstaltungen", ohne Unterschied, ob die Teilnahme daran entgeltlich oder unentgeltlich erfolgt. Er umfaßt daher auch Sportvereine, gilt aber nur für Vereinsveranstaltungen, während Punkt I.2 eine Regelung für Sportvereine für den Fall der sonstigen Sportausübung, also außerhalb von Vereinsveranstaltungen, enthält. Dies geht auch aus der Verwendung des Wortes "außerdem" hervor, weil hier eine Erweiterung gegenüber dem Punkt I.1 stattfindet. Für den "durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer" ergibt sich daher aus der Tarifklausel 109, daß Unfälle bei einem vom Verein veranstalteten Fußballspiel nach Punkt I.1 zu behandeln sind, während nach Punkt I.2 nur eine sonstige sportliche Betätigung unter bestimmten Bedingungen in den Versicherungsschutz einbezogen wird. Es mag sein, daß diese Auslegung nicht den Vorstellungen der beklagten Partei bei der Abfassung der erörterten Tarifklausel entspricht, doch gehen, wie bereits ausgeführt wurde, allfällige Unklarheiten derartiger Versicherungsbedingungen zu Lasten des Versicherers (§ 915 ABGB).

Da die Unfallversicherung keine Schadensversicherung im Sinne des VersVG ist, finden die nach dieser Norm allgemein für Schadensversicherungen geltenden Bestimmungen des zweiten Abschnittes keine Anwendung. Dementsprechend gelten auch die für Doppelversicherungen gegebenen gesetzlichen Vorschriften generell nicht für die Unfallversicherung. Vielmehr kann der Versicherungsnehmer mehrere Unfallsversicherungen nebeneinander abschließen. Wenn ein Schadensereignis eintritt, das den Voraussetzungen sämtlicher abgeschlossener Unfallversicherungen entspricht, kann der Versicherungsnehmer kumulativ aus jeder Versicherung Leistungen verlangen (Wussow/Pückhauer, Kommentar zu den AUB6 31). Die weiteren Ausführungen von Wussow/Pückhauer aaO in diesem Zusammenhang, es könne, wenn in einem Vertragsformular danach gefragt werde, ob andere Unfallversicherungen abgeschlossen sind, und der Versicherungsnehmer eine falsche Antwort gebe, dies den Versicherer zum Rücktritt oder zur Anfechtung nach den §§ 16 bis 22 VersVG und in diesem Umfang auch zu einem Leistungsverweigerungsrecht berechtigen, sind wohl dahin zu verstehen, daß ein Leistungsverweigerungsrecht (nur) in dem Rahmen besteht, in dem in einer Unfallversicherung auch eine Schadensversicherung eingeschlossen ist. Die hier geltend gemachte Entschädigung für Invalidität ist aber kein Anspruch aus einer Schadensversicherung. Überdies könnte es zu einem Leistungsverweigerungsrecht wegen Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten nach den §§ 16 ff VersVG nur dann kommen, wenn zwischen dem nicht oder falsch angezeigten Gefahrenumstand und dem Eintritt des Versicherungsfalles oder dem Umfang der Leistung des Versicherers ein Kausalzusammenhang besteht. Eine Doppelversicherung in der Unfallversicherung ist aber kein anzeigepflichtiger Gefahrenumstand.

Eine vertragliche Obliegenheit zur Anzeige einer Doppelversicherung ist den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen nicht zu entnehmen, die beklagte Partei hat sich auch nicht auf eine derartige Vereinbarung berufen. Ein vertragliches Verbot von Doppel-(Neben-)Versicherungen ist nicht gegeben.

Ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach den §§ 16 ff VersVG liegt aber, worauf bereits hingewiesen wurde, entgegen der Ansicht der beklagten Partei gar nicht vor. Die vorvertragliche Anzeigepflicht nach § 16 VersVG betrifft alle dem Versicherungsnehmer bekannten Umstände, "die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind", wobei "erheblich" alle jene Gefahrumstände sind, die geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu den vereinbarten Bedingungen abzuschließen, einen Einfluß auszuüben, und ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als erheblich gilt. Ein gefahrerheblicher Umstand ist in der Unterlassung der Anzeige einer Doppelversicherung nicht zu sehen, weil, wie bereits gesagt wurde, ein Kausalzusammenhang zwischen dem nicht angezeigten Umstand und dem Eintritt des Versicherungsfalles (dem Umfang der Leistung des Versicherers) nicht besteht (vgl § 21 VersVG und Prölss/Martin aaO 216); eine Anfechtung des Vertrages (§ 22 VersVG) wurde nicht behauptet.

Der Umstand also, daß die klagende Partei Fragen nach einer bestehenden Doppelversicherung (vgl die §§ 58 f VersVG) unbeantwortet gelassen hat, wirkt sich auch dann nicht zum Nachteil der klagenden Partei aus, wenn entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtes die dem Agenten gegenüber bloß mündlich bekanntgegebenen Doppelversicherungen als nicht der beklagten Partei zur Kenntnis gelangt anzusehen sind (§ 44 VersVG; VR 1987, 32; vgl auch VR 1989, 155 und SZ 61/177).

Dazu kommt, daß die beklagte Partei durch die Unterlassung einer Rückfrage wegen der Nichtbeantwortung der Frage hinsichtlich bestehender Doppel-(Neben-)Versicherungen - wiewohl sie zu einem anderen Punkt der Antragsfrage eine Rückfrage gestellt hat - ihr mangelndes Interesse an der Beantwortung dieser Frage hervorgekehrt hat und sich aus diesem Grund nicht auf die Verletzung der Anzeigepflicht berufen kann (VersR 1981, 568; Prölss/Martin aaO 204).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.