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OGH vom 14.06.2016, 3Ob90/16f

OGH vom 14.06.2016, 3Ob90/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Dorda Brugger Jordis Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei E***** AG, *****, vertreten durch Benn Ibler Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei A*****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 32.470.975 USD sA und Feststellung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 26/16h 118, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Rekursgericht bestätigte die (teilweise) Zurückweisung der Klage durch das Erstgericht mit der Begründung, die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche unterlägen der im Treuhandvertrag enthaltenen Schiedsvereinbarung.

Die Klägerin zeigt in ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf.

Rechtliche Beurteilung

1. Der gerügte Verstoß gegen § 182a ZPO liegt nicht vor.

1.1. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS Justiz RS0037300). Dieser in § 182a ZPO verankerte Grundsatz gilt auch für das Rechtsmittelgericht (1 Ob 183/09g; 3 Ob 202/10t uva).

1.2. Hat der B eklagte eine Anspruchsgrundlage offensichtlich übersehen, muss das Gericht die Möglichkeit eines Zuspruchs auf Basis dieser Anspruchsgrundlage mit den Parteien erörtern (7 Ob 125/07v = RIS Justiz RS0037300 [T43]). Das gilt sinngemäß auch, wenn der Beklagte seinen Prozessstandpunkt, es fehle eine Prozessvoraussetzung, mit zwei oder mehr unterschiedlichen Einwendungen begründet und der Kläger erkennbar einen selbständigen Einwand übersehen und daher dazu auch kein Vorbringen erstattet hat.

1.3. Die Unterlassung der Erörterung eines bisher unbeachtet gebliebenen rechtlichen Gesichtspunkts stellt jedoch nur dann einen Verfahrensmangel dar, wenn dadurch einer Partei die Möglichkeit genommen wurde, zur bisher unbeachtet gebliebenen Rechtslage entsprechendes Tatsachenvorbringen zu erstatten. (RIS Justiz RS0037300 [T44]; 3 Ob 202/10t mwN).

1.4. Die Beklagte hat – wie der Revisionsrekurs selbst festhält – den Einwand der sachlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts (vgl RIS Justiz RS0039844; Rechberger/Melis in Rechberger 4 § 584 ZPO Rz 1 mwN) nicht nur auf die Schiedsklausel im Pfandvertrag, sondern ausdrücklich auch auf die im Treuhandvertrag vereinbarte Schiedsklausel gestützt. Die Klägerin bestritt dieses Vorbringen unter Hinweis darauf, dass sie ihr Klagebegehren primär auf den Kontoführungsvertrag stütze, der keine Schiedsklausel enthalte. Die Klägerin hat somit das Vorbringen der Beklagten zu der im Treuhandvertrag enthaltenen Schiedsklausel gerade nicht übersehen.

1.5. Dass das Rekursgericht eine andere Rechtsansicht als das Erstgericht (das seiner Beurteilung die im Pfandvertrag getroffene Schiedsvereinbarung zugrunde legte) vertrat, begründet keinen Verfahrensmangel: Das Verbot der Überraschungsentscheidung bedeutet nämlich nicht, dass Gerichte ihre Rechtsansicht kundtun müssten (RIS Justiz RS0122749; 4 Ob 254/14b).

1.6. Die Klägerin hätte daher ihr (erst) im Revisionsrekurs erstattetes Vorbringen zur behaupteten Formunwirksamkeit der – maßgebenden – Schieds-vereinbarung und dazu, dass es sich bei dem Treuhandvertrag um einen Formularvertrag handle, der der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliege, in erster Instanz erstatten müssen. Wegen des im Rechtsmittelverfahren geltenden Neuerungsverbots ist dieses Vorbringen unbeachtlich.

2. Auch die behauptete Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch das Rekursgericht liegt nicht vor.

Dazu macht die Klägerin geltend, das Rekursgericht habe aus den von den Parteien vorgelegten Urkunden ergänzende Feststellungen getroffen. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs erfordert jedoch die Berücksichtigung des Inhalts einer in den Feststellungen der Vorinstanzen – wenn auch ohne wörtliche Wiedergabe – enthaltenen Urkunde, deren Echtheit zugestanden wurde, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung nicht die amtswegige Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung (RIS Justiz RS0121557); daher ist eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, selbst der Entscheidung des Revisionsgerichts ohne weiteres zugrunde zu legen (RIS Justiz RS0121557 [T3]). Die wörtliche Wiedergabe des seinem Inhalt nach zwischen den Parteien nicht strittigen Treuhandvertrags durch das Rekursgericht ist somit nicht zu beanstanden.

3. Den Einwand der „Undurchführbarkeit“ der Schiedsvereinbarung (vgl 3 Ob 191/11a = RIS Justiz RS0127277) begründete die Klägerin in erster Instanz damit, sie sei verarmt und könne sich ein Schiedsverfahren nicht leisten. Dazu hat das Erstgericht die Negativfeststellung getroffen, es könne nicht festgestellt werden, ob die Klägerin in der Lage ist, die Kosten eines Schiedsverfahrens zu tragen und/oder ob für derartige Kosten von dritter Seite aufgekommen werden würde.

Ausgehend von dieser Negativfeststellung stellt sich auch nicht die im Revisionsrekurs als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob die fehlende Möglichkeit der Finanzierung eines Schiedsverfahrens die „Undurchführbarkeit“ der Schiedsvereinbarung zur Folge hat.

Der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, das Rekursgericht habe die Beweisrüge der Klägerin in ihrem Rekurs zur zitierten Negativfeststellung nicht ordnungsgemäß erledigt, ist schon deshalb unbegründet, weil das Erstgericht die Feststellung auch aufgrund unmittelbarer Beweisaufnahme (Einvernahme eines Zeugen) traf. Daher konnte diese Beweiswürdigung des Erstgerichts im Rekursverfahren gar nicht angefochten werden (1 Ob 6/01s SZ 74/200 verst Senat; RIS Justiz RS0044018 [T5, T 6]).

4. Schließlich wirft auch die Auslegung der im Treuhandvertrag enthaltenen Schiedsvereinbarung keine erhebliche Rechtsfrage auf.

4.1. Welche Streitigkeiten von einer Schiedsvereinbarung umfasst sind, ist aufgrund ihres – nach dem Parteiwillen auszulegenden – Inhalts zu ermitteln (RIS Justiz RS0018023). Wird kein übereinstimmender Parteiwille festgestellt, ist der Text einer vernünftigen und den Zweck der Vereinbarung begünstigenden Auslegung zu unterziehen (RIS Justiz RS0044997 [T1, T 2]; 1 Ob 225/13i).

4.2. Das Ergebnis der Auslegung einer Schiedsgerichtsvereinbarung ist grundsätzlich einzelfallbezogen und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage, sofern nicht ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS Justiz RS0018023 [T6, T 11]; RS0045045 [T7] mwN; 2 Ob 29/07i; 1 Ob 225/13i).

4.3. Ein unvertretbares Auslegungsergebnis zeigt der Revisionsrekurs jedoch nicht auf.

Der Treuhandvertrag enthält eine Schiedsvereinbarung, wonach sämtliche aus der Treuhandvereinbarung oder im Zusammenhang mit derselben resultierende Streitigkeiten dem Schiedsgericht vorbehalten werden.

Zutreffend verwies das Rekursgericht zunächst auf die Kernaufgabe der Beklagten, die darin lag, die Treuhandschaft für die Emission von Depotanteilscheinen zu übernehmen, die eine bestimmte Anzahl an Aktien eines ausländischen Unternehmens (hier: der Klägerin) repräsentieren und mit dem Ziel ausgegeben wurden, dass die Depotanteilscheine anstelle der Aktien an Börsen außerhalb des Heimatmarkts handelbar gemacht werden können. Die Beklagte traf die Verpflichtung, die von Investoren erzielten Kaufpreise für die Depotanteilscheine auf einem Treuhandkonto zu verwahren. In dem dem Kontoführungsvertrag zwischen den Streitteilen zugrunde liegenden Kontoeröffnungsantrag wurde auf das Projekt der Emission von Depotanteilscheinen als Zweck der Kontoeröffnung hingewiesen.

Die Beurteilung des Rekursgerichts, das von der Klägerin im Verfahren erhobene Zahlungsbegehren stehe in einem (unmittelbaren) Zusammenhang mit der zwischen den Streitteilen geschlossenen Treuhandvereinbarung und sei daher nicht isoliert nur als Anspruch auf Auszahlung eines Kontoguthabens zu verstehen, ist, wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin gerade einen Anspruch auf Auszahlung der für die Depotanteilscheine erzielten Kaufpreise geltend macht, jedenfalls vertretbar.

Das gilt auch für die Beurteilung der ausreichenden Bestimmtheit der Schiedsvereinbarung: Die Schiedsvereinbarung bezieht sich gerade nicht auf „alle denkbaren Streitigkeiten“ zwischen den Streitteilen. Vielmehr erfordert der zwar weit gefasste, aber deutliche Wortlaut der Schiedsklausel eine im Zusammenhang mit der Treuhandvereinbarung stehende Meinungsverschiedenheit.

Zutreffend hat das Rekursgericht auch darauf verwiesen, dass es den Parteien gestattet ist, für bereits bestehende Vertragsverhältnisse nachträglich eine Schiedsklausel zu vereinbaren. Der Umstand, dass der zeitlich vor dem Treuhandvertrag geschlossene Kontoführungsvertrag keine Schiedsklausel enthält, begründet daher entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung keine Unvertretbarkeit des vom Rekursgericht erzielten Auslegungsergebnisses.

5. Es mag zutreffen, dass der Kläger der Einrede der Unzuständigkeit des staatlichen Gerichts wegen der Schiedsvereinbarung unter bestimmten Umständen entgegenhalten kann, dass die Berufung auf diese Vereinbarung rechtsmissbräuchlich erfolgt, etwa dann, wenn sich der Beklagte bereits im vorprozessualen Schriftverkehr oder im Verfahren vor dem Schiedsgericht selbst zu einem früheren Zeitpunkt auf die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte berufen hat ( Rechberger in Liebscher/Oberhammer/ Rechberger , Schiedsverfahrensrecht I [2012] Rz 6/24).

Die auf den Umständen des Einzelfalls (vgl RIS Justiz RS0110900) beruhende Beurteilung des Rekursgerichts, Rechtsmissbrauch liege nicht vor, ist aber jedenfalls vertretbar: Die Beklagte hat nicht etwa – worauf das Rekursgericht zutreffend verwies – im vorprozessualen Schriftverkehr mit Nachdruck die Zuständigkeit des ordentlichen Gerichts behauptet und die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in Abrede gestellt. Sie hat lediglich in einem vorprozessualen Schreiben, das sich auf das strittige Zustandekommen der Verträge nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten bezog, darauf hingewiesen, dass die Verträge solange als zivilrechtlich bindend zustande gekommen anzusehen seien, bis allenfalls ein österreichisches Gericht mit Wirkung für die Beklagte das Gegenteil rechtskräftig festgestellt habe.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00090.16F.0614.000