OGH 20.01.2004, 4Ob9/04h
Rechtssatz
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Norm | UWG §1 D1a |
RS0118419 | Mit der Aufmachung einer Werbesendung als "Telegramm" wird versucht, die Aufmerksamkeit des Publikums durch dessen Täuschung zu erregen; eine solche Vorgangsweise verletzt den Offenkundigkeitsgrundsatz. |
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Griß und Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Dr. Jensik als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Bundesarbeitskammer, Wien 4, Prinz Eugen-Straße 20-22, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer, Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei I***** GmbH, früher I***** AG, nunmehr P*****gmbH in Liquidation, *****, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 36.000 EUR; Revisionsrekursinteresse 18.000 EUR), über den Revisionsrekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 1 R 143/03m-9, mit dem die einstweilige Verfügung des Handelsgerichts Wien vom , GZ 19 Cg 67/03d-4, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen; die Beklagte hat die Kosten ihres Revisionsrekurses endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Beklagte veranstaltet Gewinnspiele, an denen sich Adressaten ihrer Zuschriften gegen Zahlung von 50 EUR beteiligen können. Die Beklagte verwendet dafür Kuverts in gelber oder weißer Farbe, die die Aufschrift "Telegramm" tragen. In den Kuverts befindet sich ein Schriftstück, das einem Telegramm gleicht, mit "Telegramm" überschrieben ist und das den Vermerk "bestätigte Telegramm-Aufgabe" trägt. Als Absender scheint auf den Kuverts "Jürgen Maul, Rechtsanwalt in Frankfurt, im Auftrag von Friedrich Mueller, Postfach 333, A-1011 Wien" auf.
Auf dem ebenfalls mitübersandten Erlagschein werden "EVD AG" und "Friedrich Mueller" genannt, auf dem "Auszug mit Namen bisheriger Gewinner" wird in Kleindruck seitlich mit "Aktiengesellschaft, Wien, FN 1824235m, Handelsgericht Wien" auf die Beklagte hingewiesen.
Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, es im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen,
a) Schriftstücke an Verbraucher zu senden, die den Eindruck einer Telegrammsendung erwecken, etwa durch Versendung gelber Kuverts mit der blickfangartig hervorgehobenen Aufschrift "Telegramm", sofern diese Sendungen lediglich Werbeschreiben über Teilnahmemöglichkeiten an einem von ihr veranstalteten Gewinnspiel darstellen;
b) Verbrauchern Bestellunterlagen im Versandhandel zu senden, denen die Firma und/oder ladungsfähige Anschrift der Beklagten nicht klar und verständlich zu entnehmen ist.
Mit der Aufmachung ihrer Briefsendungen als Telegramm handle die Beklagte sittenwidrig. Sie täusche unter Verletzung des Offenkundigkeitsgrundsatzes den Empfänger bewusst über den Inhalt der Werbesendung und versetze ihn in einen Spannungszustand, der das noch zumutbare Maß an Belästigung, das mit Werbung verbunden sei, überschreite. Die fehlenden Angabe von Firma und ladungsfähiger Anschrift verstoße gegen § 5c Abs 1 Z 1 und Abs 2 KSchG und damit auch gegen § 1 UWG.
Die Beklagte beantragt, den Sicherungsantrag abzuweisen. Jeder durchschnittlich kritische verständige Verbraucher erkenne, dass es sich um eine Werbesendung handle. Die Zusendungen ähnelten weder im Format noch in der Aufmachung echten Telegrammen. Sie könnten den Empfänger daher auch nicht in einen "unzumutbaren Spannungszustand" versetzen. § 5c Abs 1 KSchG sei bei richtlinienkonformer Auslegung bereits dann entsprochen, wenn die vom Unternehmer gemachten Angaben dessen Identität klarstellten. Das sei hier der Fall.
Das Erstgericht erließ die einstweilige Verfügung. Mit der Aufmachung ihrer Werbesendungen als Telegramm erwecke die Beklagte bei den angesprochenen Verkehrskreisen den irreführenden Eindruck einer dringenden und ernsthaften Gewinnverständigung. Dies sei sittenwidrig. § 5c Abs 1 Z 1 und Abs 2 KSchG sehe die Angabe von Firma und ladungsfähiger Anschrift ausdrücklich vor. Damit werde Art 4 Abs 1 der FernabsatzRL nicht überschritten. Darin werde die nähere Regelung, welche Angaben für die Feststellung der Identität des Lieferanten notwendig sind, dem nationalen Gesetzgeber überlassen.
Das Rekursgericht bestätigte die - nur in ihrer Entscheidung über Punkt a) des Begehrens angefochtene - einstweilige Verfügung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Aufmachung von Werbesendungen als Telegramm verletze den Offenkundigkeitsgrundsatz. Der Empfänger werde die Sendung nicht unbesehen wegwerfen, sondern er werde durch die Täuschung der Beklagten gezwungen, sich ihr auszusetzen. Damit werde das mit Werbung an sich verbundene zumutbare Maß der Belästigung überschritten. Auch der mündige und verständige Verbraucher rechne nicht damit, mit einem "Telegramm" zur Teilnahme an einem Gewinnspiel aufgefordert zu werden.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluss gerichtete Revisionsrekurs der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Zulässigkeit von als Telegramm getarnten Werbesendungen fehlt; der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.
Die Beklagte macht geltend, dass ihre Werbemaßnahme nicht sittenwidrig sei. Sie dringe weder in die Privatsphäre des Empfängers ein, noch würden Kosten überwälzt, noch werde der Empfänger über die Herkunft der Werbesendungen getäuscht, noch werde der Offenkundigkeitsgrundsatz verletzt. Letztlich gehe es nur um eine originelle Gestaltung.
Die Beklagte lässt damit außer Acht, dass die - offenkundig beabsichtigte - Wirkung der von ihr als "originell" bezeichneten Gestaltung in der Täuschung des Empfängers besteht. Dem Empfänger wird vorgespiegelt, eine besonders wichtige, weil offenbar sehr dringende Mitteilung erhalten zu haben, und er wird dadurch veranlasst, die Werbesendung zur Kenntnis zu nehmen, statt sie ungelesen wegzuwerfen.
Die gleiche - verpönte - Wirkung wird auch erreicht, wenn Werbesendungen als amtliche Mitteilung (4 Ob 60/97w = ÖBl 1998, 11 - Zuweisungs-Bescheinigung) oder als Privatpost (4 Ob 59/00f = ÖBl 2000, 214 - Black Jack) getarnt werden. In all diesen Fällen wird versucht, die Aufmerksamkeit des Publikums durch dessen Täuschung zu herbeizuführen; eine solche Vorgangsweise verletzt den Offenkundigkeitsgrundsatz und verstößt damit gegen die guten Sitten im Sinne des § 1 UWG.
Der Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO; jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2004:0040OB00009.04H.0120.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
NAAAD-69251