OGH vom 19.12.1990, 3Ob610/90
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** L*** Aktiengesellschaft, Am Hof 2, 1010 Wien, vertreten durch Dr. Wilhelm Grünauer ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Rosemarie S***, Angestellte, Diabelligasse 3-9/5/2, 1130 Wien, vertreten durch Dr. Manfred Merlicek, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 165.077,05 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 57/90-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 28 Cg 204/88-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei S 165.077,05 samt 11,75 % Zinsen seit dem zu bezahlen, abgewiesen wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 60.204,60 (darin S 7.001,10 Umsatzsteuer und S 18.198,- Barauslagen) bestimmten Kosten dieses Rechtsstreites binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte eröffnete am gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann das Gemeinschaftskonto Nr 216-100-519 bei der klagenden Bank und erhielt aus Anlaß ihrer Unterschriftsleistung die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditunternehmungen (AGBKr) ausgefolgt. Mit der Unterfertigung des Kontoeröffnungsblattes nahmen die Ehegatten zur Kenntnis, daß Verfügungen über das auf "Herrn Wolfgang S*** oder Frau Rosmarie S***" lautende Konto und zwar über das jeweilige Guthaben sowie die Aufnahme von Verpflichtungen zu Lasten dieses gemeinschaftlichen Kontos unter gesamtschuldnerischer Haftung durch selbständige Zeichnung jedes Kontoinhabers erfolgen können.
Die Bank schickte unter der Kontobezeichnung "Herrn Wolfgang S*** oder Frau Rosmarie S***" in der Folge regelmäßig Kontoauszüge und Vierteljahresabschlüsse an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten. Die Beklagte erhob nie Einwendungen. Am stellte die klagende Bank an "Wolfgang S*** oder Rosmarie S***" einen Barkredit von S 600.000,- zur Verfügung, der über das Gemeinschaftskonto "abgewickelt" wurde. Diesen Kredit nahm der Ehemann der Beklagten allein in Anspruch, akzeptierte einen Blankowechsel und verpflichtete sich zur Besicherung dieses Kredites durch Pfandrechtsbestellung an seinen 150/3084 Anteilen der Liegenschaft EZ 265 KG Sulz.
Der Barkredit, der bis zum zurückgeführt sein sollte, wurde am bis zum prolongiert. Im Mai 1984 teilte der Vorstand der Zweigstelle der klagenden Bank in Mauer der Beklagten mit, daß sie für die Verbindlichkeiten aus diesem Kredit hafte. Die Beklagte war überrascht. Am hafteten auf dem Konto S 616.888,45 aus.
Im Jahr 1984 waren auch Unstimmigkeiten in der Ehe der Beklagten aufgetreten. Die Zeichnungsberechtigung auf das Gemeinschaftskonto wurde dahin geändert, daß ab dem Kollektivzeichnung vereinbart wurde.
Im Jahr 1984 zog die Beklagte mit dem Sohn von Sulz weg, wohin die Post der Ehegatten ging. Sie mußte erkennen, daß die Geschäfte ihres Mannes mit seinem Handelsunternehmen nicht gut gehen könnten. Die Ehe wurde im Jahr 1986 geschieden. Zum hafteten auf dem gemeinschaftlichen Konto S 165.077,08 aus.
Die Zahlung dieses Betrages samt 11,75 % Zinsen verlangt die Bank mit der Behauptung, sie habe der Beklagten auf dem Konto auf ihr Ersuchen Kredit gewährt, der in dieser Höhe aushafte. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Sie habe nie um Kredit ersucht und auch keinen Kredit erhalten. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs zusammengefaßten Feststellungen und meinte rechtlich, daß die Beklagte auf Grund des Kontoeröffnungsvertrages und der Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus dem über das Konto abgewickelten Kreditverhältnis zur ungeteilten Hand mit ihrem geschiedenen Mann auch ohne ihre Zustimmung zur Kreditaufnahme hafte, weil ihr als Gesamtschuldnerin aus dem Oder-Konto jede Kontobelastung zum Nachteil gereiche. Die Vereinbarung sei nicht sittenwidrig.
Das Berufungsgericht bestätigte mit dem Ausspruch, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es übernahm die erstrichterlichen Feststellungen und teilte im Ergebnis auch die rechtliche Beurteilung: Da die Inhaber des gemeinschaftlichen Kontos bestimmt hätten, daß jeder Kontoinhaber allein verfügungsberechtigt sein solle, und durch Unterfertigung des Kontoeröffnungsblattes mit der Bank vereinbarten, daß Verpflichtungen zu Lasten des gemeinschaftlichen Kontos unter ihrer gesamtschuldnerischen Haftung je selbständig durch einen Kontoinhaber allein erfolgen können, habe die Beklagte für die auf dem Konto durch die Verfügung ihres Ehegatten entstandenen Verbindlichkeiten einzustehen. Der Kontoeröffnungsvertrag sei nicht sittenwidrig, weil er die Beklagte nicht unangemessen benachteilige. Da auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der österreichischen Kreditunternehmungen Vertragsinhalt waren, habe die Beklagte nach deren Punkt 10 durch Unterlassung rechtzeitiger Reklamation gegen die ihr übersandten Auszüge dem jeweils festgestellten Saldo zugestimmt.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.
Es geht hier nicht darum, ob eine sich aus dem vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes ( = § 38 KSchG) zustande gekommenen Kontoführungsvertrag vom und aus den "Allgemeinen Geschäftsbedingungen" ergebende gesamtschuldnerische Haftung der mehreren Inhaber des "Oder-" Kontos, also eines Gemeinschaftskontos, über das jeder Kontoinhaber allein verfügungsberechtigt ist (Iro in Avancini - Iro - Koziol, Bankvertragsrecht I Rz 4/85), sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB sein kann. Da der Kontoführungsvertrag schon am geschlossen wurde, kommt eine unmittelbare Anwendung der erst durch das KSchG geschaffenen Vorschriften des § 864 a ABGB (§ 33 Z 1 KSchG) und § 879 Abs 3 ABGB (§ 33 Z 4 KSchG) nach § 39 Abs 1 KSchG nicht in Betracht (SZ 57/66). Denn auch wenn die gesamtschuldnerische Haftung der mehreren Kontoinhaber der Bank gegenüber an sich unbedenklich ist, hat die klagende Bank aus dem Vertrag und den zugrunde gelegten AGBKr den Haftungsumfang zu weit angenommen. Mit ihr haben die Vorinstanzen rechtsirrig eine unbeschränkte (Mit-)Haftung jedes einzelnen Kontoinhabers aus Verfügungen des anderen zugrunde gelegt und damit der Vertragsgestaltung eine Bedeutung beigemessen, die nicht nur ungewöhnlich und der Beklagten höchst nachteilig wäre, sondern mit der sie auch nicht zu rechnen brauchte.
An sich zutreffend hat schon das Erstgericht das Wesen des "Oder-Kontos" dahin umschrieben, daß jeder Kontoinhaber im eigenen Namen über das gesamte Guthaben allein verfügen kann, also ein Fall der vertraglich vereinbarten Gesamtgläubigerschaft vorliegt. Nach P 3 Abs 2 AGBKr ist jeder Kontoinhaber allein verfügungsberechtigt, es sei denn, daß die Kontoinhaber ausdrücklich etwas anderes bestimmt haben oder ein Kontoinhaber der Einzelverfügungsberechtigung ausdrücklich widerspricht. In der Regel liegt also ein solches "Oder-Konto" vor. Die Einzelverfügungsberechtigung erstreckt sich aber nur auf die jeweiligen Forderungen gegen die Bank und nicht auf das Kontovertragsverhältnis (Gamerith in Rummel, ABGB2, Rz 4 zu § 892; Iro aaO Rz 4/86; Mayrhofer - Ehrenzweig, Schuldrecht AT 92 bei FN 4). Wird die Einordnung des Gemeinschaftskontos nach P 3 Abs 2 AGBKr unter die eher seltenen Fälle der Gesamtgläubigerschaft (Koziol - Welser8 I 289; ÖBA 1988/71) richtig gewürdigt, so versteht sich von selbst, daß in erster Linie jeder der mehreren Inhaber eines Gemeinschafts-("Oder"-) Kontos zwar so lange mit Verfügungen eines anderen Kontomitinhabers über das Guthaben rechnen muß, bis er der Befugnis zur Einzelverfügung widerspricht, denn danach können nur alle Kontoinhaber zusammen über das Konto verfügen ("Und-Konto"; Mayrhofer - Ehrenzweig aaO, 92; Schinnerer - Avancini, Bankverträge3 I 34). Die Aufnahme oder Ausnutzung eines Kredites kann dagegen nicht ohne weiteres durch einen Kontomitinhaber allein erfolgen (Iro aaO Rz 4/89). Selbst wenn bei der Kontoeröffnung vereinbart war, daß die "Aufnahme von Verpflichtungen" zu Lasten dieses gemeinschaftlichen Kontos unter der gesamtschuldnerischen Haftung durch Einzelverfügung jedes Kontomitinhabers erfolgen kann, ist nicht, wie Iro zu meinen scheint, jede Belastung zulässig, mit der der andere nicht zu rechnen braucht. Eine so weitgehende Auslieferung an die Verfügungsmacht des Kontomitinhabers kann nach redlicher Verkehrsauffassung der Beklagten nicht unterstellt werden. Die unter anderem zur Einsparung von Vollmachten gewählte Gestaltung als Gesamtforderung, als deren Unterfall das Gemeinschaftskonto anzusehen ist (Mayrhofer - Ehrenzweig aaO 92 FN 4), darf nicht in unbilliger und gegen die guten Sitten verstoßender Weise dazu benützt werden, daß jeder Verfügungsberechtigte zu Lasten des anderen auch eine in keiner Weise betragsbeschränkte Belastung des anderen herbeizuführen berechtigt sei. Die Kontomitinhaber haften zwar kraft Vereinbarung für Verbindlichkeiten aus dem Konto als Solidarschuldner (P 3 Abs 1 AGBKr anstelle von Art 8 Nr 1 EVHGB) und haben daher für die Forderungen der Bank aus dem Konto (zB Spesen, Zinsen, Kreditprovision) als Gesamtschuldner einzustehen, nicht aber für Schulden eines der übrigen Kontomitinhaber (Iro aaO Rz 4/95). Daß die Beklagte mit ihrem geschiedenen Mann für dessen Kreditverbindlichkeit deshalb haftet, weil der von ihm allein ohne Einverständnis der Beklagten in Anspruch genommene Kredit "über das Gemeinschaftskonto abgewickelt" wurde, trifft nicht zu. Mit dem Kontoeröffnungsvertrag und der Unterfertigung des Kontoeröffnungsantrages am wurde zwar die Einzelverfügung eines jeden der beiden Mitinhaber des "Oder-Kontos" Nr 216-100-519 vereinbart, die bis zum Widerspruch am aufrecht blieb; das Einverständnis zur Aufnahme von Verpflichtungen zu Lasten dieses Kontos ist aber auf einen nur mit Zustimmung der Beklagten zustande kommenden Haftungsrahmen zu beschränken: Daraus abzuleiten, der Kontomitinhaber könne zu Lasten der Beklagten allein und ohne deren Mitwirkung eine Belastung ohne jede Beschränkung vornehmen, widerspricht allen Grundsätzen vertraglicher Mitschuldbegründung oder Bürgschaftsbesicherung (vgl Gamerith in Rummel, ABGB, Rz 3 zu § 1353; ÖBA 1990/203). Die Rückführung der in einem Formular der Bank enthaltenen Vereinbarung über die Zulässigkeit einer Kontobelastung - um eine solche handelt es sich ungeachtet des dann verfügbaren "Guthabens", wenn der Kredit so abgewickelt wurde, daß eine Überziehung um S 600.000,- zugelassen wurde - auf die redlichen Verkehrssitten folgt aus den §§ 914, 915 Satz 2 und 978 ABGB:
Die Vertragserklärung der Beklagten ist demnach darauf einzuschränken, daß sie der Kontobelastung mit den gewöhnlich vorkommenden Verfügungen etwa auch im Rahmen einer auch mit ihr vereinbarten oder verkehrsüblichen Kontoüberziehung oder eines für das Konto zur Verfügung gestellten Kreditrahmens zustimmt und für solche Verbindlichkeiten solidar haftet. Daß ein Überziehungsrahmen mit der Beklagten vereinbart wurde oder verkehrsüblich war, hat die klagende Bank nicht behauptet. Sie nimmt die Beklagte überhaupt aus einem ihr gewährten Kredit in Anspruch, obwohl sie den Kredit allein dem damaligen Ehegatten der Beklagten einräumte und meinte, sie könne eine gesamtschuldnerische Mithaftung der Beklagten dadurch herbeiführen, daß sie dieses Kreditverhältnis "über das Gemeinschaftskonto abwickelte". Daß die Beklagte jemals ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hätte, daß dem Konto der gewährte Kredit gutgeschrieben und durch Verfügung des allein als Kreditnehmer aufgetretenen Mannes das Konto in eine Überziehung von mehr als S 600.000,- geführt wurde, hat die klagende Bank ebenfalls nicht behauptet und bewiesen. Die Beklagte war vielmehr "überrascht", als sie im Mai 1984 die Ansicht der klagenden Bank erfuhr, daß sie für die Verbindlichkeiten aus dem ihrem Mann gewährten Kredit (mit-)hafte. Sie hat auch sogleich durch den Widerspruch gegen die Einzelverfügungsberechtigung über das Konto reagiert.
Ebensowenig ist hervorgekommen, daß die Gelder etwa der Beklagten zugekommen sind oder von ihr abgehoben wurden. Für die klagende Bank ist zuletzt auch nichts daraus zu gewinnen, daß Reklamationen der den Kontomitinhabern mit der gemeinsamen Anrede der Kontobezeichnung "Herrn Wolfgang S*** oder Frau Rosmarie S***" übermittelten Kontoauszüge und Vierteljahresabschlüsse unterblieben. Zwar bestimmt P 10 der AGBKr, daß Reklamationen gegen Auszüge über Verrechnungsperioden und gegen Rechnungsabschlüsse und die darin festgestellten Salden der Kreditunternehmung schriftlich zugehen und binnen vier Wochen nach Zugang des betreffenden Schriftstückes an die Kreditunternehmung abgesandt werden und daß Reklamationen gegen sonstige Abrechnungen und Anzeigen unverzüglich erhoben werden müssen. Durch Unterlassung rechtzeitiger Reklamation erklärt der Kunde seine Zustimmung. Daß gegen die Bestimmung P 10 AGBKr jedenfalls bei Zustandekommen des Kontoführungsvertrages vor Inkrafttreten des KSchG vom Gesichtspunkt der Inhaltskontrolle keine Bedenken bestehen, hat der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen (EvBl 1979/45; SZ 57/66), aber auch die Bedeutung der Unterlassung der Reklamation auf die Genehmigung der richtigen Verbuchung abgewickelter Geldbewegungen beschränkt (so schon 5 Ob 505/80 vom ). Daraus, daß die Beklagte auf die Kontoauszüge nicht reagierte, kann nicht darauf geschlossen werden, sie habe der Kreditaufnahme und der Abwicklung über das Gemeinschaftskonto zugestimmt. Im Schweigen des Kunden kann nach herrschender Ansicht nicht die Genehmigung der in Anzeigen oder Abrechnungen bezogenen Geschäftsfälle erblickt werden, die auf keinem gültigen Auftrag des Kunden beruhen (Iro aaO Rz 4/139 mwN in FN 188; Canaris, Bankvertragsrecht Rz 2641 f; JBl 1990, 173 = ÖBA 1990/203; ÖBA 1990/246). Es schadet der Beklagten daher nicht, daß sie den ihr und ihrem Mann zugegangenen Auszügen kein weiteres Augenmerk schenkte und bei der Bank nicht reklamierte, weil aus dem Schweigen allein keine schlüssige Einwilligung zur Mithaftung für den allein auf Antrag ihres Mannes gewährten Kredites abgeleitet werden darf. Die Buchungen selbst hat die Beklagte nicht in Zweifel gezogen, die Abwicklung des Kredites über das Gemeinschaftskonto erfolgte jedoch unberechtigt.
Daraus folgt im Ergebnis, daß der Beklagten wirksam ein Kredit nicht gewährt wurde und sie auch nicht aus dem Kontoführungsvertrag als Solidarschuldnerin zur Rückzahlung des ihrem geschiedenen Ehegatten ausbezahlten Kredites herangezogen werden kann. Die Urteile der Vorinstanzen sind daher in die Abweisung des unberechtigt erhobenen Klagebegehrens abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 ZPO und auf § 50 ZPO.