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OGH vom 22.01.1986, 3Ob609/85

OGH vom 22.01.1986, 3Ob609/85

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Kinzel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Mag. Engelmaier als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma A ZEHRER'S B OHG, 9020 Klagenfurt, Alter Platz 6, vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag, Dr. Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Firma C D KG, 8010 Graz, Albrechtgasse 6, vertreten durch Dr. Helmut Destaller, Dr. Gerald Mader, Rechtsanwälte in Graz, wegen 729.153,60 S s.A. infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom , GZ 1 R 297/85-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom , GZ 7 C 78/84-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 18.843,90 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.494,90 S Umsatzsteuer und 2.400,-- S Barauslagen) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei hat der beklagten Partei Geschäftsräumlichkeiten im Haus Klagenfurt, Alter Platz 6, vermietet. Ursprünglich war ein Mietzins von monatlich wertgesicherten 16.500 S vereinbart. Als Ergebnis des Verfahrens 7 C 867/80 neu 7 C 404/81 des Bezirksgerichtes Klagenfurt, in welchem die beklagte Partei vor allem geltend gemacht hatte, daß der Bestandgegenstand kleiner als vereinbart sei, was sich durch ein Sachverständigengutachten als teilweise richtig herausstellte, wurde der Mietzins auf 16.000 S monatlich reduziert. Für die Zeit von Mai 1982 bis März 1985 besteht, ausgehend von diesem Mietzins und der nicht strittigen Wertsicherungsberechnung ein Mietzinsrückstand von 729.153,60 S.

Die klagende Partei begehrte diesen Betrag samt 12 % Staffelzinsen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete folgendes ein:

Der Mietvertrag sei nicht wirksam zustandegekommen, weil die von der klagenden Partei zugesagte und ausdrücklich zur Bedingung des Vertrages erhobene Voraussetzung nicht eingetreten sei, daß sich der Mietgegenstand in einem neu zu errichtenden Altstadt- und Shopping-Center mit etwa 10 Geschäften, einem Cafe, verschiedenen Dienstleistungsbetrieben und Büros befinde. Tatsächlich sei aber das geplante Einkaufszentrum nicht entstanden, es sei auch nie zur Eröffnung des Cafes gekommen, die Benützung der Mieträume sei daher nicht als Detailgeschäft, sondern nur als Lagerraum möglich gewesen. Auf Grund dieser Umstände sei die beklagte Partei auch ungeachtet der vereinbarten 10-jährigen Vertragsdauer zur vorzeitigen Vertragsaufhebung berechtigt und habe diese zum ausgesprochen und das Lokal auch geräumt. Aber auch schon für die Zeit vor dieser Räumung stehe der Beklagten eine starke Herabsetzung des Mietzinses zu, weil der Mietgegenstand nicht zum bedungenen Gebrauch geeignet gewesen sei. Aufrechnungsweise wendete die beklagte Partei eine Gegenforderung von 831.382,41 S an geleisteten Investitionen ein. Diese Auslagen habe die beklagte Partei nur im Hinblick auf die Zusagen der klagenden Partei getätigt. Das Erstgericht gab der Klage statt.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes. Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgenden Tatsachenfeststellungen aus:

Mit Vertrag vom vermietete die klagende Partei der beklagten Partei die strittigen Geschäftsräume im ersten Stock des Hauses Klagenfurt, Alter Platz 6, um einen Mietzins von wertgesicherten 16.500 S exklusive Betriebskosten. In einem Nachtrag zum Mietvertrag wurde eine unkündbare Mietdauer von 10 Jahren vereinbart. Gemäß Punkt V des Mietvertrages war bezüglich von Änderungen am Mietgegenstand vereinbart, daß diese nur mit schriftlicher Zustimmung der klagenden Partei erfolgen dürften. Entfernbare Änderungen seien nach dem Ende des Mietvertrages zu entfernen, andere gingen entschädigungslos in das Eigentum der klagenden Partei über. Gemäß Punkt IX des Mietvertrages war vereinbart, daß eine Verrechnung des Bestandzinses mit anderen Forderungen nicht zulässig sei und Änderungen des Vertrages oder zusätzliche Abmachungen nur gültig seien, wenn sie in Schriftform erfolgten.

Die klagende Partei plante die Errichtung eines Einkaufszentrums mit Boutiquen, Büroräumen und einem Cafe im 1.Stock und veröffentlichte diesbezüglich auch Inserate. Im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der beklagten Partei waren bis auf einen Raum, der als Espresso vorgesehen war, alle Räume vermietet. Von den insgesamt 12 Objekten waren 1982 nur noch 9 und 1983 nur noch 8 und 1984 nur noch 6 Objekte vermietet bzw. in Benützung verschiedener Firmen und Personen.

Zwischen den Streitteilen wurde aber nie eine Vereinbarung in der Richtung geschlossen, daß die beklagte Partei nur unter der Bedingung mietet oder Mieterin bleiben muß, daß das geplante Einkaufszentrum auch tatsächlich zustandekommt.

Auf Grund dieses Sachverhaltes nahm das Erstgericht auf der Seite der beklagten Partei einen unbeachtlichen Motivirrtum an, eine Bedingung sei hingegen nicht vereinbart worden, zumal dies gemäß Punkt IX des Mietvertrages nur in schriftlicher Form möglich gewesen wäre. Eine Irreführung sei nicht erwiesen. Die Investitionen könnten gemäß Punkt V des Mietvertrages nicht begehrt werden, abgesehen davon, daß auch gemäß Punkt IX ein Aufrechnungsverbot vereinbart worden sei.

Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht und führte ergänzend aus, daß die Nichtunterfertigung des schriftlichen Mietvertrages durch die beklagte Partei nicht von Bedeutung sei, weil die beklagte Partei selbst im Vorprozeß den Mietvertrag anerkannt habe. Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage komme nicht zum Tragen, weil nicht ein objektiv und typisch immer als Geschäftsgrundlage zugrundegelegter Umstand weggefallen sei, sondern lediglich die gerade für die beklagte Partei maßgebenden Motive fehlgegangen seien. Ob sich am fraglichen Standort wirklich ein florierendes Einkaufszentrum entwickeln werde oder nicht, sei daher Risiko der beklagten Partei gewesen. Die Vernehmung weiterer Zeugen bzw. der als Zeugin vernommenen Komplementärin der beklagten Partei als Partei vor dem erkennenden Gericht sei nicht nötig gewesen, weil schon die übrigen Beweise hinreichenden Aufschluß gegeben hätten. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der beklagten Partei wegen der Anfechtungsgründe nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, es aufzuheben oder im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern.

Die klagende Partei beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

1.) Zum Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO:

Soweit sich die beklagte Partei in der Revision auf Verfahrensmängel erster Instanz beruft, hält der erkennende Senat an der weitaus überwiegenden und vor allem in letzter Zeit immer gleichbleibenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fest, daß Mängel, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneint hat, im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden können (zB MietSlg.34.772, 35.800 u.v.a.). Die von der Revision zitierte Entscheidung JBl 1962, 388, ist nicht gegenteilig, weil es dort um einen Vaterschaftsprozeß ging, in dem wegen des Untersuchungsgrundsatzes andere Maßstäbe gelten. Richtig ist allerdings, daß vereinzelt gegenteilig entschieden wurde (zB JBl1960,564) und daß im Schrifttum die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch immer wieder abgelehnt wird (zuletzt etwa Fasching Handbuch, Rz 1909). Wenn aber nach dem Aufbau der österreichischen Zivilprozeßordnung sogar eine in erster Instanz unterlaufene Nichtigkeit, die vom Berufungsgericht verneint wurde, in dritter Instanz nicht mehr aufgegriffen werden kann (vgl.etwa hier durchaus nicht ablehnend Fasching, Handbuch Rz 1905 mit dem Hinweis auf die Rechtsmittelbeschränkung des § 519 ZPO), dann muß dies auch für einen minder wichtigen Verfahrensverstoß gelten. Soweit die beklagte Partei rügt, daß das Berufungsgericht zur Gegenforderung nicht Stellung genommen habe, sei auf die Ausführungen zum Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 4 ZPO verwiesen.

2.) Zum Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 4 ZPO:

In ihrer Rechtsrüge führt die beklagte Partei im wesentlichen aus, daß auf den Inhalt des schriftlichen Mietvertrages nicht abgestellt werden könne, weil dieser nicht unterfertigt worden sei. Es müsse daher von den mündlich getroffenen Vereinbarungen ausgegangen werden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, es komme vor allem auf den schriftlichen Vertrag an, sei daher rechtsirrig und könne nicht als Begründung für die Unterlassung und Vernehmung von Zeugen über den Inhalt der mündlichen Absprachen dienen. Auch auf einen Motivirrtum könne sich die beklagte Partei berufen, weil dieser von der klagenden Partei veranlaßt worden sei. Die beklagte Partei sei aber an den geschlossenen Vertrag auch deshalb nicht gebunden, weil eine typische Geschäftsgrundlage, nämlich die "gute Lage" des gemieteten Lokals nachträglich weggefallen sei. Vor allem der Wegfall des geplanten Cafehausbetriebes sei hier entscheidend.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Daß der schriftliche Mietvertrag nicht den wirklichen Inhalt der getroffenen Vereinbarungen wiedergebe, hat die beklagte Partei in erster Instanz nie behauptet. Sie hat überdies die Echtheit des Mietvertrages Beilage A ausdrücklich zugestanden (S.75 d.A.). Die vorgelegte Kopie des Mietvertrages vom , Blg.A, trägt übrigens die Unterschrift "Schramke-Mothwurf" (das ist die gleiche Unterschrift, mit der von der beklagten Partei im Verfahren 7 C 404/81 die Vollmacht gefertigt wurde), während die in 7 C 404/81 vorgelegte Kopie desselben Mietvertrages mit dem Datum von der klagenden Partei gefertigt ist, und auch in ihrem Schreiben vom , Blg. I, beruft sich die beklagte Partei auf einen zustandegekommenen schriftlichen Mietvertrag ("außerhalb der schriftlichen Bestimmungen des Mietvertrages....." "Als der Mietvertrag von unserer Firma bereits unterschrieben war...."). Das Berufungsgericht ging daher mit Recht davon aus, daß der vorgelegte Mietvertrag die Grundlage für das zwischen den Streitteilen bestehende Mietverhältnis bildet. Darüber hinaus haben aber die Vorinstanzen ohnedies festgestellt, daß es auch keine mündlichen Zusatzvereinbarungen gab, insbesondere nicht in der Richtung, daß die Streitteile einen ganz bestimmten Bewegungsgrund im Sinne des § 901 ABGB ausdrücklich zur Bedingung gemacht hätten oder daß hinsichtlich des in den Besprechungen allerdings erwähnten Einkaufszentrums ganz bestimmte Erwartungen tatsächlich erfüllt würden.

Richtig ist aber, daß die klagende Partei in den Vertragsverhandlungen von einem geplanten Einkaufszentrum sprach, das dann in den Folgejahren aber immer mehr zusammenschrumpfte. Zutreffend haben aber die Vorinstanzen darin nicht die Zusicherung einer schon vorhandenen konkreten Beschaffenheit des Mietgegentandes ("günstige Lage") erblickt, sondern die Formulierung einer Erwartung für die Zukunft, die beide Teile hegten und wohl auch hegen durften. Ein solcher "Irrtum über Zukünftiges" ist in aller Regel nicht als Geschäftsirrtum im engeren Sinn, sondern als unbeachtlicher Motivirrtum einzustufen (Rummel in Rummel Rz 9 zu § 871 ABGB), wenn man überhaupt hier von einem Irrtum sprechen kann. Die Parteien haben ja nicht geirrt, sie haben sich nur verkalkuliert. Sie wußten, daß jede Gründung eines neuen, noch nicht eingeführten Einkaufszentrums ein Risiko darstellt, von der man im Vorhinein nur hoffen kann, aber nicht mit ganz bestimmten Entwicklungen, etwa der hier zu erwartenden Umsatzmöglichkeiten udgl. rechnen kann. Dieser "Bewegungsgrund" oder "Endzweck" des Vertragsabschlusses käme gemäß der Vorschrift des § 901 ABGB nur dann zum Tragen, wenn er ausdrücklich zur Bedingung gemacht worden wäre, was nicht erwiesen ist, oder wenn nach der Lehre von der sogenannten Geschäftsgrundlage davon ausgegangen werden müßte, daß eine für Mietverträge der vorliegenden Art typische Voraussetzung, die jedermann mit einem solchen Geschäft verbindet, wegfällt (MietSlg.29.102, 31.103 u.a.).

Auf eine Änderung der in dieser Weise als dauernd vorausgesetzten Sachlage kann sich eine Partei aber nicht berufen, wenn mit der Möglichkeit einer solchen Änderung gerechnet werden mußte (JBl 1954,396, MietSlg. 22.542, JBl 1979, 651). Schließt die Partei ungeachtet der Möglichkeit einer solchen Änderung vorbehaltlos ein Geschäft, so trägt sie das Risiko des Wegfalles einer solchen Geschäftsgrundlage (Gschnitzer in Klang 2 IV/1, 339, Rummel in Rummel, Rz 4 zu § 901 ABGB, Entscheidungen wie MietSlg.23.077, 25.078, 29.102). Wie schon oben zum Motivirrtum gesagt wurde, handelt es sich im vorliegenden Fall jedenfalls um eine in diesem Sinn durchaus voraussehbare Entwicklung. Auch zu einer (einseitigen) vorzeitigen Auflösung des Mietvertrages aus wichtigen Gründen (sog. außerordentliche Kündigung) war die beklagte Partei aus denselben Gründen nicht berechtigt, weil dieses Recht nicht zusteht, wenn mit dem Eintritt eines solchen bestimmten Grundes (hier der schlechte Geschäftsgang infolge der getäuschten Erwartungen über die Entwicklung eines Einkaufszentrums) schon bei Abschluß des Dauerschuldverhältnisses gerechnet werden mußte (Koziol-Welser 7 I, 180, Entscheidungen wie MietSlg. 31.222, 33.196 u.a.).

Die Vorinstanzen sind daher ohne Rechtsirrtum von der weiteren Wirksamkeit des zwischen den Streitteilen abgeschlossenen Mietvertrages ausgegangen und die Klagsforderung besteht also zu Recht.

Die Gegenforderung, die die beklagte Partei im Berufungsverfahren immerhin insofern behandelte, als sie in S. 9 ihrer Berufungsschrift von Feststellungsmängeln im Zusammenhang mit der Höhe der behaupteten Investitionen der beklagten Partei sprach, besteht aber bei dieser Sachlage nicht zu Recht. Aus dem Mietvertrag selbst kann dieser Ersatzanspruch nicht abgeleitet werden, es könnte sich höchstens darum handeln, und so hat die beklagte Partei ja ihre Gegenforderung auch aufgebaut, daß die beklagte Partei durch schädigende Handlungen der klagenden Partei zu bestimmten, dann zwecklos werdenden Auslagen veranlaßt worden sei. Da aber nicht festgestellt wurde, daß die klagende Partei irgendwelche Zusagen machte, die ihrem eigenen Wissensstand widersprochen hätten, fehlt es auch an der Basis für einen derartigen Schadenersatzanspruch. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 41 ZPO.