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OGH vom 25.04.1963, 6Ob83/63

OGH vom 25.04.1963, 6Ob83/63

Norm

ABGB § 364a;

Kopf

SZ 36/67

Spruch

Auch Beeinträchtigungen, die durch eine behördlich genehmigte einmalige Unternehmung verursacht werden, verpflichten zum Ersatz des Schadens i. S. des § 364a ABGB., sofern sie nur das Maß des Gewöhnlichen überschreiten.

Entscheidung vom , 6 Ob 83/63.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Die je zur Hälfte im Eigentum der beiden klagenden Parteien stehende Liegenschaft mit dem darauf erbauten Haus befindet sich mit der Längsseite an der Landesstraße 50 und mit der Stirnseite an der Landesstraße 1207. Im Sommer 1961 wurde die Landesstraße 1207 ausgebaut. Das beklagte Bundesland beauftragte hiemit die Firma X-Ges. m. b. H., die sich unter anderem der beklagten Partei gegenüber vertraglich zum Ersatz allfälliger, durch die Bauführung entstandener Schäden verpflichtete.

Nach Aufbringung einer Frostschutzschicht auf dem Straßenkörper mußte diese Schicht verdichtet werden, was die Baufirma nicht mit einer Straßenwalze, sondern mit einer Vibrationsmaschine durchführte. Durch deren Einsatz im Bereich des Hauses der Kläger erfolgte eine derartige Erschütterung des Gebäudes, daß die Zweitklägerin den Einsturz befürchtete. Sie verständigte sogleich den Gemeindesekretär, der die Meldung an den Bürgermeister weitergab. Schließlich wurde die Landesbauabteilung durch die Gemeinde verständigt. Ein Inspektor der Straßenverwaltung, der die örtliche Bauaufsicht zu führen hatte, begab sich sofort an die Baustelle und stellte am Hause der Kläger fest, daß es durch den Einsatz der Vibrationsmaschine Sprünge erlitten hatte. Er nahm auch selbst die Erschütterungen des Hauses durch das Arbeiten dieser Maschine wahr. Er erklärte der Zweitklägerin, er bringe ihrer Beschwerde Verständnis entgegen, könne jedoch der Baufirma den Einsatz der Vibrationsmaschine nicht verbieten, er werde sehen, was für die Kläger getan werden könne. Schließlich nahm er mit der Baufirma Verbindung auf und sagte dann dem Straßenwärter, daß die Baufirma Bescheid wisse und es ihre Sache sei, wie sie verdichte. Trotz der Intervention des Inspektors wurden die Arbeiten mit der Vibrationsmaschine fortgesetzt und nicht eine Straßenwalze herangezogen. Die Maschine war im Bereich des Hauses etwa durch 14 Tage eingesetzt, wobei an vier oder fünf Tagen stundenweise mit ihr gearbeitet wurde. Durch die von ihr ausgehenden Erschütterungen entstanden am Haus der Kläger zahlreiche Risse und Schäden, deren Behebung einen Kostenaufwand von 12.625 S erfordert.

Der Erstrichter beurteilte diesen Sachverhalt rechtlich nach § 364a ABGB.; die Erschütterungen durch den Straßenbau auf dem benachbarten verbauten Grundstück der Kläger haben seiner Ansicht nach zweifellos das gewöhnliche Ausmaß überschritten und die ortsübliche Benützung wesentlich beeinträchtigt. Da die Beeinträchtigung durch das behördlich genehmigte Straßenbauvorhaben verursacht worden sei, können die Kläger aber nur gemäß § 364a ABGB. den Ersatz des zugefügten Schadens verlangen. Unter die genannten Bestimmungen fallen auch alle Beeinträchtigungen, die durch eine behördlich genehmigte einmalige Unternehmung verursacht worden seien. Der Einwand, daß sich die beklagte Partei keiner untüchtigen Person bedient habe, gehe ins Leere, weil es sich nicht um den Ersatz eines Schadens aus einer schuldhaften Handlung und nicht um einen Fall des § 1315 ABGB., sondern um einen aus dem Gesetz entspringenden Ausgleichsanspruch handle, nämlich den Gegenwert für die dem Anrainer auferlegte Eigentumsbeschränkung. Deshalb gab der Erstrichter dem Schadenersatzbegehren der klagenden Parteien auf Zahlung eines Betrages von 12.625 S samt Anhang statt.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Beide Vorinstanzen haben den festgestellten Sachverhalt nach § 364 a ABGB. beurteilt; die beklagte Partei bekämpft dies zunächst damit, daß sie insbesondere auf Grund der von ihr zitierten Bestimmungen des n. ö. Landesstraßengesetzes (LGBl. f. NÖ. Nr. 100/1956 in der Fassung des LGBl. f. NÖ. Nr. 299/1958) dartun will, dem Lande als Gründeigentümer stehe am Straßengrunde keinerlei private Verfügungsgewalt zu. Hiezu hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 3 Ob 628/51 = SZ. XXIV 312 ausgesprochen, und er hält daran fest, daß zwar alle Anordnungen einer Gebietskörperschaft, die im Rahmen der ihr obliegenden Verpflichtung für die Erhaltung einer Straße getroffen werden, als Akte der Hoheitsverwaltung gelten müssen; sobald aber die Gebietskörperschaft - sei es durch ihre eigenen Angestellten oder Arbeiter, sei es wie im vorliegenden Falle durch eine Bauunternehmung - die notwendigen Arbeiten durchführen läßt, tritt sie nicht mehr als Träger der Hoheitsverwaltung, sondern als Bauherr auf und haftet als solcher dem Grundnachbarn ebenso wie den Straßenbenützern gegenüber nach den Grundsätzen des Zivilrechtes. Deshalb haben die Untergerichte ohne Rechtsirrtum die Anwendung des § 364a ABGB. auch gegenüber der beklagten Gebietskörperschaft nicht ausgeschlossen.

Die beklagte Partei will aber auch noch dartun, daß § 364a ABGB. deshalb auf keinen Fall zur Anwendung kommen könne, weil es sich bei dem Bau einer Straße nicht um eine behördlich genehmigte Anlage handeln könne; es würde zu einer verkehrten Rechtsanschauung führen, wenn man argumentieren würde, daß die private Straßenbaufirma eine behördlich genehmigte Anlage betreibe, die sich auf der Straße befinde, oder daß eine Straße an und für sich eine behördlich genehmigte Anlage darstelle, deren Betrieb der privaten Straßenbaufirma überlassen würde. Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, daß weder die private Baufirma eine öffentliche Anlage betrieben hat noch daß der Betrieb der Straße als einer behördlich genehmigten Anlage einer privaten Baufirma überlassen wurde, sondern daß vielmehr die beklagte Gebietskörperschaft durch die von ihr beauftragte Baufirma Straßenarbeiten durchführen ließ. Wenn das Berufungsgericht hiezu ausführt, es sei den Klägern "sowohl deswegen, weil sie weder über den Einsatz der Vibrationsmaschine unterrichtet sein mußten, als auch deshalb, weil sie nicht mit einer Gefährdung durch den Einsatz von Baumaschinen rechnen mußten, und schließlich auch deshalb, weil sie keine Handhabe hatten, die baubehördlich genehmigten Straßenarbeiten zu verbieten", nicht möglich gewesen, eine vorbeugende Negatorienklage einzubringen, so ist dem beizustimmen. Gerade deshalb darf den klagenden Parteien aber die Möglichkeit eines Schadenersatzanspruches im Gründe des § 364a ABGB. nicht genommen werden. Der Oberste Gerichtshof hat bereits zu 2 Ob 363/51 (auch zu 2 Ob 160/56 = EvBl. 1957 Nr. 19) ausgesprochen und hält daran fest, daß nach dem Sinn der Vorschrift des § 364a ABGB. darunter auch alle Beeinträchtigungen fallen, die durch eine behördlich genehmigte einmalige Unternehmung verursacht werden, sofern sie nur das Maß des Gewöhnlichen überschreiten, was hier außer Frage steht.

Rechtsirrig ist die in der Revision vorgetragene Ansicht, daß die beklagte Partei für den den klagenden Parteien erwachsenden Schaden nur haftbar gemacht werden könnte, wenn ihr nachgewiesen werden könnte, daß sie die schädigenden Immissionen geduldet hätte, obwohl sie gewußt hätte, daß die von ihr beauftragte Baufirma eine Maschine verwenden werde, von der gefährliche Erschütterungen ausgehen; denn nach der herrschenden Lehre und Rechtsprechung (Klang in Klang[2] II S. 176 unten zu § 364a ABGB.; vgl. die in der Manzschen Ausgabe des ABGB. von Kapfer[26] zu § 364a ABGB. unter Nr. 6 zit. Entscheidungen, insbesondere 2 Ob 160/56 = EvBl. 1957 Nr. 19 u. a.) ist der sich aus § 364a ABGB. ergebende Ersatzanspruch kein Anspruch auf Ersatz eines Schadens aus einer schuldhaften Handlung, sondern ein aus dem Gesetz entspringender Ausgleichsanspruch, der Gegenwert für die dem Anrainer auferlegte Eigentumsbeschränkung.

Insofern die Revision wiederholt darauf hinweist, daß es einer Gebietskörperschaft völlig unzumutbar wäre, bei den an private Firmen vergebenen Instandhaltungsarbeiten des ungeheuer großen Straßennetzes einen Überwachungsdienst durch graduierte Techniker einzurichten und aufrechtzuerhalten, so könnte auch durch diese Argumentation die Anwendung der in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen nicht verhindert werden. 1m übrigen hat sich die beklagte Gebietskörperschaft ohnehin von der Baufirma, der sie die Arbeiten übertragen hatte, die Klag- und Schadloshaltung zusichern lassen.

Es wäre entgegen der von der Revisionswerberin vertretenen Ansicht schließlich höchst unbillig, die Kläger als Grundnachbarn auf eine Klage gegen die Baufirma zu beschränken, mit der sie in keinerlei vertraglichen Beziehungen stehen, sodaß sie sich im Falle eines Verschuldens eines Gehilfen dieser Firma nur auf § 1315 ABGB. stützen könnten, also gegenüber der Baufirma nur sehr beschränkte Möglichkeiten zur Durchsetzung eines Ersatzanspruches hätten. Gegenüber dem ex delicto persönlich haftenden Gehilfen, der regelmäßig vermögenslos sein dürfte, würde eine Klagsführung aber meistens wohl nur überflüssige Kosten verursachen.

Aus den angeführten Erwägungen haben die Vorinstanzen im gegenständlichen Fall mit Recht die Haftung der beklagten Partei aus dem Gründe des § 364a ABGB. bejaht. Die Höhe des von den Untergerichten zugesprochenen Betrages wurde im Revisionsverfahren nicht mehr ausdrücklich bekämpft und ist auch durch das Gutachten des in erster Instanz beigezogenen Sachverständigen gedeckt.