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OGH vom 27.04.2016, 7Ob32/16f

OGH vom 27.04.2016, 7Ob32/16f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. G***** G*****, 2. mj A***** G*****, vertreten durch die Großmutter M***** L*****, beide: *****, und 3. mj F***** G*****, vertreten durch den Vater G***** G***** (Erstkläger) und wohnhaft bei ihm, alle vertreten durch Wetzl Partner Rechtsanwälte GmbH in Steyr, gegen die beklagte Partei O*****AG, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard W. Huber LL.M., Rechtsanwälte in Linz, und den Nebenintervenienten Univ. Prof. Dr. O***** R*****, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, wegen 1. 24.773,24 EUR sA und Feststellung, 2. 4.333,33 EUR sA und Feststellung sowie 3. Feststellung, I. über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 3 R 157/15a 15, und II. über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 157/15a 15, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Dem Revisionsrekurs des Nebenintervenienten wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung betreffend den Nebenintervenienten (Punkt 4. des Ersturteils) wiederhergestellt und die Zurückweisung der Berufungsbeantwortung des Nebenintervenienten ersatzlos aufgehoben wird.

Die Revisionsrekursbeantwortung der Kläger wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, dem Nebenintervenienten binnen 14 Tagen die mit 5.717,12 EUR (darin enthalten 952,85 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen wie folgt zu ersetzen:

Erstkläger: 3.887,64 EUR (darin enthalten 647,94 EUR an USt)

Zweitkläger: 1.200,60 EUR (darin enthalten 200,10 EUR an USt)

Drittkläger: 628,88 EUR (darin enthalten 104,81 EUR an USt).

II. Die außerordentliche Revision der klagenden Parteien wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

I. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs des Nebenintervenienten:

Im Februar 2011 verstarb die Ehegattin des Erstklägers/Mutter des Zweit und Drittklägers an einem Gebärmutterhalskrebs. Ihr Gynäkologe führte im Zuge von Krebsvorsorgeuntersuchungen mehrere PAP Tests durch; die Präparate übersandte er an das Krankenhaus der Beklagten zur Befundung.

Noch zu Lebzeiten klagte die Verstorbene ihren Gynäkologen auf Schadenersatz wegen ärztlicher Fehlbehandlung. In diesem Verfahren wurde der Nebenintervenient zum Sachverständigen bestellt, dem die Präparate vom Krankenhaus der Beklagten zwecks Befundaufnahme übermittelt wurden. In seinem Gutachten kam er zu dem Schluss, dass die Befundung der Präparate im Krankenhaus der Beklagten teilweise fehlerhaft gewesen sei, weil die PAP Werte zu niedrig ausgemittelt worden seien. Der Vorprozess endete mit einem Zuspruch mit einer Haftungsteilung von 2 : 1 zu Lasten des Gynäkologen.

Den Begehren der Kläger liegt die Behauptung zugrunde, dass die Ärzte im Krankenhaus der Beklagten die Präparate falsch befundet hätten.

Die Beklagte bestritt eine fehlerhafte Befundung durch ihre Ärzte und verkündete dem Sachverständigen des Vorprozesses den Streit unter Verweis auf eine Regressnahme im Fall des Prozessverlusts. Seine Nachbefundungen seien falsch gewesen. Zudem habe er die Präparate nicht mehr an das Krankenhaus der Beklagten rückübermittelt, sodass eine nachprüfende Befundung unmöglich sei.

Der Nebenintervenient trat dem Verfahren auf Seiten der Beklagten bei. Sein Interventionsinteresse begründete er mit der von der Beklagten angekündigten Regressnahme.

Die Kläger sprachen sich gegen den Beitritt des Nebenintervenienten aus.

Das Erstgericht ließ die Nebenintervention zu. Eine Haftung der Beklagten sei ebenso wenig gänzlich ausgeschlossen wie die Berechtigung angekündigter Regressforderungen wegen des unklaren Verbleibs der Präparate.

Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung ab und wies den Beitritt des Nebenintervenienten auf Seiten der Beklagten zurück, hob den ihn betreffenden Ausspruch der Kostenersatzverpflichtung der Kläger im Urteil auf und wies dessen Berufungsbeantwortung zurück; es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs infolge eindeutiger Gesetzeslage nicht zu. Im Fall der Zulassung der Nebenintervention entstünde ein Spannungsverhältnis zur Judikatur hinsichtlich des Interventionsinteresses von Privatgutachtern in Verfahren, in denen ihre Privatgutachten vorgelegt würden. Zudem sei ein Sachverständiger nach § 355 ZPO iVm § 20 JN von der Ausübung der Sachverständigentätigkeit in jenen Rechtssachen ausgeschlossen, in denen er selbst Partei sei; das im Vorverfahren erstattete Gutachten des Nebenintervenienten habe zwar mittelbar in das Beweisverfahren Eingang gefunden, trotzdem komme eine Nebenintervention nach den vorzitierten Bestimmungen nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Nebenintervenienten erhobene, von den Klägern nach Freistellung verspätet beantwortete außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.

1.1. Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Person obsiegt, kann dieser Partei gemäß § 17 Abs 1 ZPO im Rechtsstreit beitreten. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RIS Justiz RS0035724). Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (RIS Justiz RS0035638). Die Nebenintervention ist zurückzuweisen, wenn schon aus den vorgebrachten Tatsachen kein rechtliches Interesse zu erkennen ist (RIS Justiz RS0035638 [T6]). In diesem Sinn hat der Beitretende sein rechtliches Interesse gemäß § 18 Abs 1 ZPO zu spezifizieren, insbesondere auch dahingehend, dass es am Obsiegen derjenigen Prozesspartei besteht, auf deren Seite der Nebenintervenient beitritt (3 Ob 211/10s). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RIS Justiz RS0035724 [T3]). Das rechtliche Interesse muss konkret sein und kann besonders im Fall drohender Regressnahme in einem Folgeverfahren bei Prozessverlust der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen sein (RIS Justiz RS0106173 [T2]). Es reicht aus, wenn der zu befürchtende Rückgriff plausibel, wenngleich nicht in allen Einzelheiten dargestellt wird (RIS Justiz RS0106173 [T7]). Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess sind vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret darzustellen (RIS Justiz RS0106173 [T5]).

1.2. Hier hat die Beklagte im Rahmen der Streitverkündung eine Regressnahme beim Nebenintervenienten im Fall des Prozessverlusts unter Verweis auf eine fehlerhafte Befundung der Präparate im Vorverfahren sowie auf die Nichtrückübermittlung der Präparate und die drohenden Beweisprobleme konkret angekündigt. Dieses Vorbringen, auf das sich auch der Nebenintervenient stützt, reicht aus, um den angedrohten und befürchteten Regress gegen den Nebenintervenienten plausibel zu machen.

2. Das Rekursgericht geht bei seiner Argumentation davon aus, dass eine Verfahrenspartei von der Ausübung der Sachverständigentätigkeit ausgeschlossen sei (vgl § 355 Abs 1 ZPO iVm § 20 Abs 1 Z 1 JN). Es übergeht dabei allerdings, dass hier ein Beitritt eines Sachverständigen zu beurteilen ist, der im Vorprozess als solcher gerichtlich bestellt wurde und demnach nicht im hier anhängigen Verfahren. Daher ist der Argumentation, dass es nicht zulässig sei, gleichzeitig Partei und Sachverständiger in einem Verfahren zu sein, der Boden entzogen.

3. Die Entscheidung des Erstgerichts, dass die Nebenintervention zulässig ist, war daher unter gleichzeitiger Beseitigung der mit der Zurückweisung der Nebenintervention verbundenen Verfügungen des Rekursgerichts wiederherzustellen.

4. Den Klägern wurde die Einbringung einer Revisionsrekursbeantwortung mit dem bei deren Rechtsvertreterin am eingelangten Beschluss freigestellt. Die Rechtsmittelbeantwortungsfrist von 14 Tagen (§ 521 Abs 1 ZPO) endete daher am . Die Kläger brachten ihre Revisionsrekursbeantwortung am und damit verspätet ein, weshalb sie zurückzuweisen war.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet auf §§ 50, 41 ZPO. Für die Rechtsmittelbeantwortung im zweitinstanzlichen Verfahren gebührt mangels Verrichtung einer Berufungsverhandlung nur der dreifache Einheitssatz (§ 23 Abs 9 RATG). Im Revisionsrekursverfahren über die Zulassung der Nebenintervention fällt keine Pauschalgebühr an.

II. Zur außerordentlichen Revision der Kläger:

Die von den Klägern erhobene außerordentliche Revision ist mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Kläger stützen sich auf eine Bindung an die Feststellungen im Vorprozess, an dem die Verstorbene und die Beklagte als Nebenintervenientin auf Seiten des dort beklagten Gynäkologen beteiligt waren.

1.1. Nach ständiger Rechtsprechung erstrecken sich die Wirkungen eines materiell rechtskräftigen zivilgerichtlichen Urteils soweit auf den einfachen Nebenintervenienten und denjenigen, der sich am Verfahren trotz Streitverkündung nicht beteiligte, als diese Personen als Parteien eines als Regressprozess geführten Folgeprozesses keine rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einreden erheben dürfen, die mit den notwendigen Elementen der Entscheidung des Vorprozesses in Widerspruch stehen. In diesem Rahmen sind sie daher an die ihre Rechtsposition belastenden Tatsachenfeststellungen im Urteil des Vorprozesses gebunden, sofern ihnen in jenem Verfahren soweit unbeschränktes rechtliches Gehör zustand (RIS Justiz RS0107338).

1.2. Die Kläger waren am Vorprozess nicht beteiligt. Dieser wurde auf Klagsseite (zuletzt) von der Verlassenschaft der Verstorbenen geführt, deren Aktiva dem Erstkläger gemäß § 155 AußStrG an Zahlungs statt überlassen wurden, weshalb dieser nur im Umfang der überlassenen Aktiva Einzelrechtsnachfolger wurde (RIS Justiz RS0007692). Die Kläger machen hier eigene Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Demgemäß liegt weder Parteienidentität noch ein Regressfall vor. Vor diesem Hintergrund hält sich die Verneinung der Bindungswirkung der Vorentscheidung für den hier anhängigen Prozess im Rahmen der zitierten Rechtsprechung.

2.1. Der Beweis des Bestehens einer Sorgfaltspflicht und deren Verletzung obliegt grundsätzlich dem Geschädigten selbst (RIS Justiz RS0023498 [T9]). Bei Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht greift jedoch in Bezug auf Umstände, die für den Schadenseintritt erheblich sein können, eine Beweislastumkehr Platz (RIS Justiz RS0026236).

Hier kann nach den Feststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihre ärztliche Dokumentationspflicht verletzt hat, weil entgegen der Revision nicht feststeht, dass die Präparate in der Sphäre der Beklagten abhanden kamen. Damit findet eine Beweislastumkehr nicht statt.

2.2. Ein Anscheinsbeweis ist nach ständiger Rechtsprechung nur in der Frage des grundsätzlich ebenfalls vom Geschädigten nachzuweisenden (RIS Justiz RS0022664 [T4]) Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens zulässig (RIS Justiz RS0023778).

Die Revisionsausführungen, dass aus der Befunderstellung und Begutachtung durch den Nebenintervenienten und die darauf gegründeten Feststellungen im Vorverfahren der Anschein einer fehlerhaften Befundung durch die Beklagte entstehe, beziehen sich auf den von den geschädigten Klägern zu erbringenden Nachweis einer Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beklagte, wofür der Anscheinsbeweis jedoch nicht zulässig ist. Das Berufungsgericht hat daher im Einklang mit der Judikatur die Befunderstellung und Begutachtung durch den Nebenintervenienten nur im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt; deren Überprüfung ist allerdings dem Obersten Gerichtshof entzogen (RIS Justiz RS0042903 [T1, T 2, T 10], RS0069246 [T1, T 2]).

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00032.16F.0427.000