OGH vom 19.03.2014, 7Ob32/14b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners W***** P*****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz-Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, *****, (Bewohnervertreterin Mag. U***** B*****), dieser vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der Einrichtungsleiterin Dr. B***** H*****, vertreten durch Dr. Heinrich Fassl, Rechtsanwalt in Wien, wegen freiheitsbeschränkender Maßnahmen, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 217/13g 34, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom , GZ 40 HA 2/12s 16, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 62 Abs 1 AußStrG ist gegen einen im Rahmen des Rekursverfahrens ergangenen Beschluss der Revisionsrekurs nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage zeigt der außerordentliche Revisionsrekurs der Einrichtungsleiterin nicht auf.
Sie beruft sich darauf, dass die Vorinstanzen von der ständigen Rechtsprechung abgewichen seien, wonach „unvermeidbare bewegungsdämpfende Nebenwirkungen“, die sich bei einer in Verfolgung anderer therapeutischer Ziele durchgeführten Medikamentenverabreichung ergeben, keine Freiheitsbeschränkung darstellen. Die Gabe der Medikamente Risperdal, Dominal und Temesta sei „ lege artis “ erfolgt, um einen akuten psychisch krankheitswertigen Zustand zu behandeln und könne daher „schon begrifflich“ keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des HeimAufG sein. Da der Kranke an einem solchen Zustand gelitten habe, sei die Ansicht des Erst- und des Rekursgerichts, dass eine Freiheitsbeschränkung vorliege, weil die Medikamente nach den Feststellungen eine „gewünschte sedierende Wirkung“ gehabt hätten, die nicht eine bloße Nebenwirkung der Medikation gewesen sei, „unrichtig“. Eine Meldungsverpflichtung bezüglich dieser Medikation habe gar nicht bestanden und sei daher auch nicht verletzt worden.
Dem ist zu erwidern:
In der Entscheidung 7 Ob 62/12m, auf die sich die Revisionsrekurswerberin beruft, wurde festgehalten, dass es nicht entscheidend sein kann, ob eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit durch physische Zwangsmaßnahmen wie Einsperren oder Festbinden des Patienten oder durch pharmakologische Beeinflussung erfolgt, die eine massive Beschränkung der Bewegungsfreiheit bezweckt; haben doch auch stark sedierende Mittel zur Folge, dass der Patient nicht mehr in der Lage ist, sich nach seinem freien Willen örtlich zu verändern (RIS-Justiz RS0106974). Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel ist zu bejahen, wenn die Behandlung wie hier unmittelbar die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele ergeben können (RIS-Justiz RS0121227; 7 Ob 142/11z; 7 Ob 62/12m; 7 Ob 193/13b uva).
Hier wurden die Medikamente wie auch die Revisionsrekurswerberin selbst aufzeigt verabreicht, um eine („gewünschte“) sedierende Wirkung zu erzielen, weil es beim Kranken zur Ausbildung eines akuten Delirs gekommen war: Bei völliger Desorientierung (ungewohnte Umgebung) zeigte er ein schwerwiegend herausforderndes und aggressives Verhalten mit abwehrenden Bewegungen und einer damit einhergehenden Selbst- und Fremdgefährdung.
Wie in der Vorentscheidung (7 Ob 62/12m mit Hinweis auf RIS-Justiz RS0123875) steht der therapeutische Zweck der Anwendung auch im vorliegenden Fall eindeutig fest. Dies wird auch in den Rechtsmittelausführungen durch den Hinweis auf die Feststellung, wonach die Behandlung insoweit „ lege artis “ erfolgt sei, bekräftigt. Da somit die eingetretene (zugestandene) Sedierung bezweckt war, hält sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass (auch hier) eine Freiheitsbeschränkung nach § 3 Abs 1 HeimAufG vorliegt, im Rahmen der Judikatur und begegnet keinen Bedenken. Eine erhebliche Rechtsfrage wird nicht geltend gemacht.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen, was gemäß § 71 Abs 3 AußStrG keiner weiteren Begründung bedarf.