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OGH vom 27.05.2020, 7Ob83/20m

OGH vom 27.05.2020, 7Ob83/20m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** S*****, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei F***** AG, *****, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 24.634,55 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 129 R 91/18b-17, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 59 Cg 6/18z-9, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.568,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger schloss mit dem beklagten Versicherer einen Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung ab mit einer Laufzeit von 20 Jahren. Über sein Rücktrittsrecht wurde der Kläger im fünfseitigen Versicherungsantrag so belehrt, dass auf der letzten zweispaltig bedruckten Seite mit dem Titel „Schlußerklärungen bezüglich des Abschlusses dieser beantragten Versicherung“ unter der fettgedruckten Zwischenüberschrift „RÜCKTRITTSRECHT LAUT § 5B, § 38 UND § 165A VERSICHERUNGSVERTRAGSGESETZ BZW. § 3 UND § 3A KONSUMENTENSCHUTZGESETZ“ jeweils einzeln die genannten gesetzlichen Bestimmungen nach Anführung des fett gedruckten Paragraphen – meist wörtlich zwischen Anführungszeichen – wiedergegeben wurden. Auch § 165a VersVG idF BGBl I 1997/6 wurde in dieser Form wörtlich – nach ebenso wörtlichen Zitaten des § 5b VersVG idF BGBl I 1997/6 und § 38 VersVG idF BGBl 1994/509 und vor einer Zusammenfassung von § 3 KSchG idF BGBl I 2002/111 – abgedruckt.

Der Kläger zahlte insgesamt 72.660 EUR brutto (69.865,38 EUR ohne Versicherungssteuer) an Versicherungsprämien. Er trat am vom Vertrag zurück. Die Beklagte zahlte den Rückkaufswert von 69.062,22 EUR aus.

Rechtliche Beurteilung

1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (vgl RS0112921, RS0112769). Eine im Zeitpunkt der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene erhebliche Rechtsfrage fällt weg, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bereits vorher geklärt wurde (RS0112921 [T5]).

Die entscheidungswesentlichen Rechtsfragen zum Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG sind hier durch Entscheidungen des Fachsenats bereits beantwortet und daher nicht (mehr) als erheblich einzustufen. Das Rechtsmittel ist daher ungeachtet der Zulassung der ordentlichen Revision durch das – die Klage zur Gänze abweisende – Berufungsgericht zurückzuweisen, wobei sich die Entscheidung auf die Darlegung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 510 Abs 3 ZPO).

2.1. Hier entspricht die Belehrung über das Rücktrittsrecht inhaltlich dem § 165a Abs 1 VersVG in der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geltenden Fassung.

Der Fachsenat hat bereits ausgesprochen (7 Ob 78/19z), dass § 165a VersVG idF BGBl I 1997/6 die unionsrechtlichen Vorgaben des Art 15 Abs 1 Zweite Lebensversicherungsrichtlinie idF der Dritten Richtlinie Lebensversicherung umsetzte, die keine Anforderungen an die Form der Rücktrittserklärung und die Belehrung über das Rücktrittsrecht, insbesondere über die Inkenntnissetzung des Versicherungsnehmers vom Vertragsabschluss, vorsahen, sondern die näheren Modalitäten ausdrücklich dem jeweiligen Mitgliedstaat überließen; weiters hat der Fachsenat dort bereits ausgesprochen, dass der Versicherungsnehmer durch die Wiedergabe des Gesetzestextes ausreichend über sein Rücktrittsrecht informiert wurde.

Die Belehrung ist im Übrigen auch nicht intransparent. Die einzelnen gesetzlichen Rücktrittsrechte werden klar, deutlich voneinander getrennt und inhaltlich richtig wiedergegeben.

2.2. Die Rechtsansicht des Klägers, es sei darüber hinaus die Schriftlichkeit aller Erklärungen, somit auch des Rücktritts, vereinbart worden, kann ungeprüft bleiben, weil eine derartige Vereinbarung keinen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens hat.

Mit Bezug auf die Beantwortung der Vorlagefrage 1 durch den EuGH hat der Senat zu 7 Ob 3/20x, 7 Ob 4/20v und 7 Ob 16/20h ausgeführt, dass aus einer weiteren zwar fehlerhaften Belehrung, es sei für die Ausübung des Rücktrittsrechts nach § 165a Abs 1 VersVG die Schriftform erforderlich, keine relevante Erschwernis dieses Rücktrittsrechts folgt. Auf die Einhaltung der Schriftform konnte sich die Beklagte zufolge § 178 VersVG in allen bis zum Zeitpunkt des Rücktritts geltenden Fassungen nicht berufen, sodass ein allfälliger Rücktritt der Klägerin in jeder beliebigen Form wirksam gewesen wäre. Die Schriftform steht im gegebenen Kontext nicht mit europarechtlichen Vorgaben im Widerspruch, ist eine im Alltag für eine Vielzahl von (rechtsgeschäftlichen) Erklärungen auch bei Privaten (Verbrauchern) geradezu typische und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für ihre Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen. Sie dient im vorliegenden Zusammenhang dem Schutz des Versicherungsnehmers bei der Wahrnehmung eines Nachweises eines erhobenen Rücktritts.

2.3. Der Weg zum Postkasten/Postamt, die – überschaubaren – Porto/Aufzahlungskosten für ein Einschreiben sowie eine – vernachlässigbare – Verkürzung der Frist durch den Postlauf aufgrund des allgemein anzuwendenden Grundsatzes der Zugangserfordernis für alle empfangsbedürftigen Willenserklärungen (§ 862a ABGB) sind in Relation zur Formfreiheit keine in diesem Sinn relevanten Hürden. Wenn die Klägerin meint, für die Einhaltung der Schriftform werde ein Computer und ein Drucker benötigt, wodurch Gruppen von Versicherungsnehmern („wie Bauarbeiter“) benachteiligt seien, übersieht sie die Möglichkeit, dass ein Rücktrittsschreiben auch einfach und ohne technischen Aufwand handschriftlich verfasst werden kann. „Schriftlichkeit“ erfährt in § 886 ABGB eine Legaldefinition, die auch dem Verständnis des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers entspricht (vgl 7 Ob 76/20g, 7 Ob 79/20y).

2.4. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, durch die fehlerhafte Belehrung in Bezug auf die Schriftform, werde keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts nach § 165a VersVG bewirkt und der Rücktritt der Klägerin vom Versicherungsvertrag sei daher verfristet, entspricht der dargelegten Judikatur, und ist nicht korrekturbedürftig.

3. Weitere Fragen nach den Rechtsfolgen eines berechtigt erklärten Rücktritts stellen sich nicht.

4. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00083.20M.0527.000

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