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OGH vom 01.09.2021, 3Ob86/21z (3Ob107/21p)

OGH vom 01.09.2021, 3Ob86/21z (3Ob107/21p)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des C*****, geboren ***** 1980, *****, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Erwachsenenvertreterin Mag. Katharina Erlacher, Rechtsanwältin in Innsbruck, gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 55 R 11/21b-53, und vom , GZ 55 R 15/21s-60, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs gegen den Beschluss vom wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Der Revisionsrekurs gegen den Beschluss vom wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom bestellte das Erstgericht für den Betroffenen, der infolge eines Atem- und Herzstillstands Anfang des Jahres 2020 eine schwere Hirnschädigung erlitt und seither nicht mehr ansprechbar ist (Wachkoma), eine Erwachsenenvertreterin (Rechtsanwältin) gemäß § 271 ABGB.

[2] Der Betroffene, der an starken Spastiken in den Händen leidet und für dessen Behandlung die Ärzte eine Operation (Einpflanzung einer Schmerzmittel-Pumpe) zur Verringerung der Lähmung sowie der Schmerzen empfehlen, kann weder eine ärztliche Aufklärung verstehen, noch eine Entscheidung über diesen Eingriff treffen.

[3] Die Vorinstanzen erweiterten den von der bestellten Erwachsenenvertreterin wahrzunehmenden Wirkungskreis „vorläufig“ um die Entscheidung über den konkret in Aussicht genommenen operativen Eingriff (Einpflanzung einer Schmerzmittel-Pumpe) einschließlich der Vertretung bei den damit verbundenen Behandlungsverträgen (Beschluss des Rekursgerichts vom ). Den Antrag der Erwachsenenvertreterin, für die Vertretung in medizinischen Angelegenheiten für einen näher bezeichneten Zeitraum (vorläufig) einen anderen Erwachsenenvertreter zu bestellen, wiesen sie ab (Beschluss des Rekursgerichts vom ).

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Erwachsenenvertreterin gegen die Erweiterung des Wirkungskreises ist mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig. Der außerordentliche Revisionsrekurs der Erwachsenenvertreterin gegen die Abweisung ihres Antrags auf Umbestellung für den Bereich der medizinischen Angelegenheiten ist mangels Beschwer als unzulässig zurückzuweisen.

[5] 1. Zur Erweiterung des Wirkungsbereichs:

[6] 1.1 Dass die Erweiterung des Wirkungsbereichs im Lichte des § 253 Abs 1 ABGB nicht erforderlich wäre, wird im Rechtsmittel nicht geltend gemacht. Auch sonstige Gründe, die gegen die mit dem angefochtenen Beschluss erkannte Erweiterung des Aufgabenbereichs im Bezug auf die – nach der Aktenlage immer dringender werdende – konkrete Operation sprechen würden, nennt das Rechtsmittel nicht.

[7] 1.2 Bei der Auswahl und Bestellung des Erwachsenenvertreters ist nach § 273 Abs 1 ABGB auf die Bedürfnisse der volljährigen Person und deren Wünsche, die Eignung des Erwachsenenvertreters und auf die zu besorgenden Angelegenheiten Bedacht zu nehmen. Rechtsanwälte müssen nach § 275 ABGB gerichtliche Erwachsenenvertretungen grundsätzlich übernehmen, sofern nicht ein in dieser Bestimmung genannter Ablehnungsgrund vorliegt (vgl RS0123440). Ob Argumente des Rechtsanwalts, welche seiner Ansicht nach die Übernahme der konkreten Erwachsenenvertretung unzumutbar machen, im Einzelfall gerechtfertigt sind, wirft grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage nach § 62 Abs 1 AußStrG auf (RS0123440 [T9]).

[8] 1.3 Soweit die Erwachsenenvertreterin dahin argumentiert, dass ihr die entsprechende medizinische Ausbildung fehle, um die Fachfragen zu beantworten, übersieht sie, dass darin nicht ihre zentrale Aufgabe als Erwachsenenvertreterin besteht. Es ist für einen einzelnen, konkret in Aussicht genommenen Eingriff die ärztliche Aufklärung entgegen zu nehmen, die Entscheidung über diesen Eingriff unter Bedachtnahme auf § 253 Abs 1 ABGB zu treffen und die Vertretung bei den damit verbundenen Behandlungsverträgen wahrzunehmen. Wenn das Rekursgericht keine Gründe dafür erkannte, dass die bestellte Erwachsenenvertreterin dazu nicht in der Lage wäre, liegt darin keine im – hier sehr spezifischen – Einzelfall aufzugreifende Überschreitung des den Vorinstanzen dabei einzuräumenden Ermessensspielraums.

[9] 2. Zur beantragten Umbestellung für medizinische Angelegenheiten:

[10] 2.1 Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer – ein Anfechtungsinteresse – voraus (RS0006880 [T24, T 26]; RS0043815). Die Beschwer als Zulässigkeitsvoraussetzung muss nicht nur zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels gegeben sein, sondern auch noch bis zur Entscheidung darüber fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel von Amts wegen als unzulässig zurückzuweisen (RS0041770).

[11] 2.2 Mit dem angefochtenen Beschluss bestätigte das Rekursgericht die Abweisung des Antrags der Erwachsenenvertreterin, für die Vertretung des Betroffenen „in medizinischen Angelegenheiten vorläufig zumindest für die Zeit bis einen anderen Erwachsenenvertreter zu bestellen“, und des Antrags, „für die Vertretung des Betroffenen in medizinischen Angelegenheiten einen anderen Erwachsenenvertreter zu bestellen“.

[12] 2.3 Ein rechtliches Interesse der Revisionsrekurswerberin an einer Entscheidung über die ersatzweise Bestellung eines anderen Erwachsenenvertreters für den – bereits verstrichenen – Zeitraum Dezember 2020 bis ist nicht mehr gegeben, weil diese nur noch theoretische Bedeutung hätte (vgl RS0002495). Auch ein rechtlich anzuerkennendes Bedürfnis an der Überprüfung der Entscheidung über die Bestellung eines anderen Erwachsenenvertreters für den Aufgabenbereich der (generellen) Vertretung des Betroffenen „in medizinischen Angelegenheiten“ ist zu verneinen, weil eine derartige Erweiterung des Wirkungsbereichs nach der zuvor wiedergegebenen Entscheidung des Rekursgerichts vom nicht vorliegt. Diese umfasste lediglich den schon beschriebenen, einzelnen operativen Eingriff.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0030OB00086.21Z.0901.000

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