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OGH vom 27.02.2002, 7Ob31/02p

OGH vom 27.02.2002, 7Ob31/02p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter, in der Pflegschaftssache der minderjährigen Lisa S*****, geboren am , und Alina S*****, geboren am , beide (derzeit) wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs der mütterlichen Tante Maria P*****, ***** vertreten durch Dr. Ernst Brunner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Obsorgeübertragung gegen den Beschluss des Landesgerichtes Eisenstadt als Rekursgericht vom , GZ 20 R 180/01x-139, womit infolge Rekurses der Maria P*****,***** der Beschluss des Bezirksgerichtes Eisenstadt vom , GZ P 45/01g-126, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird als unzulässig zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Gemäß § 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung eines Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken. Diese lassen sich hier wie folgt zusammenfassen:

Die beiden am und geborenen Mädchen sind außereheliche Töchter ihrer Eltern. Die Mutter ist am an einem Krebsleiden verstorben; die Eltern hatten sich bereits 1998 getrennt. Der Vater lebt mit seiner neuen Lebensgefährtin und deren zwölfjährigen Tochter in einer 110 m2 großen Mietwohnung in Wien und ist als EDV-Berater tätig. Nach Aufhebung der Lebensgemeinschaft zwischen den Kindeseltern war die Mutter zu ihrer Schwester (und nunmehrigen Rechtsmittelwerberin) Maria P***** (Tante der Kinder) nach S***** im Burgenland gezogen, wo die Kinder zunächst etwa zehn Monate den Kindergarten besuchten. Nach einer vorübergehenden Besserung im gesundheitlichen Zustand der Mutter zog diese mit ihren Kindern in eine Wohnung in Wien, ehe es zu einem neuerlichen Rückfall mit Krankenhausaufenthalt und schließlich zum Ableben der Mutter kam. Schon während dieser Zeit wurden die Kinder über Wunsch der Mutter von ihrer Schwester versorgt, und zwar vorerst noch in der Wiener Wohnung, nach dem Tod (und seither ständig) in S*****. Es war der "Herzenswunsch" der Mutter, den sie auch gegenüber dem Pflegschaftsrichter und in einem Testament deponierte, dass ihre Kinder bei der Schwester im Burgenland aufwachsen sollten. Die Mädchen haben zur Tante und ihrem Mann eine gute Beziehung, es besteht ein intakter Freundeskreis im Ort und besuchen sie dort auch Kindergarten bzw Schule, wo sie sich wohlfühlen. Sie haben einen regelmäßigen Kontakt zum Vater, an dem sie ebenfalls hängen; auch in seiner Umgebung (Wohnung in Wien mit neuer Familie) fühlen sich die Mädchen wohl und sind zufrieden.

Mit Beschluss vom (ON 31) war zunächst die Bezirkshauptmannschaft Eisenstadt-Umgebung als Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 187 iVm § 213 ABGB zum Vormund der Kinder bestellt worden, weil diese auf Grund des Todes ihrer allein obsorgeberechtigten Mutter keinen gesetzlichen Vertreter hatten.

Im Zuge des insgesamt bereits mehrjährigen Pflegschaftsverfahrens haben sich sowohl der Psychologische Dienst des Amtes der Burgenländischen Landesregierung (ON 61) als auch die gerichtlich bestellte Sachverständige (ON 110) dafür ausgesprochen, trotz grundsätzlich gleichwertiger erzieherischer Eignung auch der Tante letztlich dem Vater die Obsorge für die Kinder zu übertragen. Im Rahmen des gegenständlichen Revisionsrekursverfahrens sind nur mehr die wechselseitigen Anträge auf Obsorgezuteilung - ausgenommen die mit rechtskräftigem Beschluss vom (ON 99) einem von der Mutter testamentarisch namhaft gemachten Notar gemäß § 196 Abs 1 ABGB zugewiesene Vermögenssachwalterschaft (auch im Zusammenhang mit dem offenbar noch nicht abgeschlossenen Verlassenschaftsverfahren) - zwischen dem Vater und der genannten Schwester der verstorbenen Mutter strittig. Weitergehende Anträge ua auf Übertragung der Obsorge (eventualiter) an den mütterlichen Großvater sowie auf Bewilligung der Annahme an Kindesstatt beider Kinder durch deren Tante und deren Ehemann wurden bereits von den Vorinstanzen rechtskräftig abgewiesen. Das Erstgericht übertrug die Obsorge dem Vater (auf die weiteren zuvor genannten Entscheidungsteile ist mangels Anfechtung nicht weiter einzugehen). Es beurteilte den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, dass zwar davon ausgegangen werden müsse, dass grundsätzlich beide Anspruch erhebenden Teile in gleicher Weise für die Übernahme der Obsorge geeignet seien und das Kindeswohl auf keiner der beiden Seiten gefährdet erscheine, jedoch im Sinne des § 145 ABGB in Abwägung aller Umstände dem Vater der Vorrang bei dieser Entscheidung zukomme. Anhaltspunkte dafür, dass es ihm hiebei nur "um das (von der Mutter geerbte) Vermögen der Minderjährigen" gehe, lägen nicht vor - ganz abgesehen von der weiterhin aufrechten Vermögenssachwalterschaft und der damit verbundenen Überwachung durch das Pflegschaftsgericht. Auch der Umstand, dass in seinem Haushalt inzwischen eine neue Lebensgefährtin samt deren Tochter lebe, könne nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden. Der mehrfach geäußerte gegenteilige Wunsch der verstorbenen Mutter resultiere (offenkundig) aus ihrer persönlichen Enttäuschung mit ihrem vormaligen Lebensgefährten. Beide psychologischen Sachverständigen hätten ihn für diese Aufgabe durchaus fähig und willens eingestuft.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Tante der Kinder nicht Folge, sondern bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es verwarf diverse als Mangelhaftigkeit gerügte Unvollständigkeiten in der Sachverhaltsermittlung und schloss sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an, wonach - sofern das Kindeswohl sowohl beim (überlebenden) Elternteil als auch bei allen anderen in § 145 Abs 1 ABGB genannten Personen in gleicher Weise gewährleistet sei - doch dem außerehelichen Vater der Vorrang sowohl vor Großeltern als auch vor Pflegeeltern zukomme, sofern nicht das Kindeswohl anderes gebiete. Dies habe auch der Oberste Gerichtshof in jüngster Zeit schon mehrfach so ausgesprochen. Zwischen geschiedenen (und hernach getrennt lebenden) Ehegatten und vormaligen später getrennten Lebensgefährten sei hiebei kein rechtlich relevanter Unterschied zu machen. Dass der letzte Wille der Mutter für die Obsorgebestimmung allein maßgeblich sei, sei im Gesetz nicht vorgesehen. Das langwierige und ausführlich geführte Beweisverfahren habe keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Vater zur Übernahme der Pflege und Erziehung der Kinder ungeeignet wäre. Die immerhin schon sieben bzw zehn Jahre alten Kinder hätten selbst auch keine eindeutige Präferenz zu ihrer Tante erklärt. Auch der Grundsatz der Betreuungskontinuität spreche im vorliegenden Fall nicht gegen den Obsorgewechsel auf den Vater.

Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für zulässig erklärt, weil die bisherige Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu ehelichen Elternteilen nach Scheidung ihrer Ehe ergangen sei; zu der - vom Rekursgericht bejahten - analogen Anwendung dieser Grundsätze auf Fälle, in denen außereheliche Kindeseltern zunächst im gemeinsamen Haushalt gelebt und dann ihre Lebensgemeinschaft aufgelöst haben, worauf zu einem späteren Zeitpunkt der bis dahin allein obsorgeberechtigte außereheliche Elternteil stirbt, liege hingegen - soweit ersichtlich - eine konkrete Judikatur des Höchstgerichtes nicht vor.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revisionsrekurs der mütterlichen Schwester (und Tante der Kinder) mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss im Sinne einer Übertragung der Obsorge an sie (und ihren Gatten) abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs erweist sich als unzulässig; an den gegenteiligen Ausspruch des Rekursgerichtes ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 16 Abs 3 AußStrG).

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, dass die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, welchem Elternteil bei Gegenüberstellung der Pesönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände die Obsorge für ein minderjähriges Kind übertragen werden soll, nach ständiger Rechtsprechung stets eine solche des Einzelfalles ist, der keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann (1 Ob 1531/96; 8 Ob 179/99b; 9 Ob 43/99k; 7 Ob 114/01t uva). Nichts anderes hat grundsätzlich auch für die Beurteilung der Eignung eines sonstigen Angehörigen als potentiellem Obsorgeträger in den Fällen des § 145 ABGB (hier schon idF des KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135) bei Tod des obsorgeberechtigten Elternteils - welche Bestimmung gemäß § 166 ABGB auch für die Obsorge unehelicher Kinder gilt - zu gelten, weil auch diese immer nur auf Grund einer singulären familiären Situation unter Bedachtnahme auf die jeweils einzelfallbezogene (Gesamt-)Situation beurteilt und entschieden werden kann.

Davon ausgehend, entspricht die Entscheidung des Rekursgerichtes - das sich ausführlich und wohlüberlegt mit allen Für und Wider des Milieuwechsels vom Haushalt bei Tante und Onkel in jenen des leiblichen Vaters auseinandergesetzt und diese abgewogen hat - auch sonst der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Speziell aus dem § 145 ABGB (alte wie neue Fassung) geht die Absicht des Gesetzgebers hervor, dass bei der Entscheidung über die Obsorge der nähere Grad der Blutsverwandtschaft maßgeblich ist (RIS-Justiz RS0107739;

RS0047970; RS0014474, jeweils mwN; 6 Ob 170/97m ebenfalls im Falle eines Widerstreites zwischen Tante und Lebensgefährten der Mutter);

das Verlangen des außerehelichen Vaters auf Übertragung der Obsorge nach dem Tod der zunächst allein obsorgeberechtigten Mutter darf nur dann verweigert werden, wenn darin ein Missbrauch des Erziehungsrechtes läge, oder aus sonstigen schwerwiegenden Gründen seine Eignung verneint werden müsste (RIS-Justiz RS0047970). Dass solche Gründe auf den Vater in der vorliegenden Pflegschaftssache nicht zutreffen, ergibt sich aus den einleitend wiedergegebenen und von den Vorinstanzen mit großem Verfahrensaufwand erhobenen Sachverhaltsfeststellungen. Bereits in der Entscheidung 6 Ob 148/01k hat der Oberste Gerichtshof diese Grundsätze auch bei einem außerehelichen Vater (dort im Konfliktsfall zu den ebenfalls die Obsorge anstrebenden mütterlichen Großeltern) wiederholt - sodass auch von einem, wie vom Rekursgericht in der Zulassungsbegründung ausgeführten, Fehlen einer Rechtsprechung zum Tod des bis dahin allein obsorgeberechtigten Elternteils keine Rede sein kann -, und der Oberste Gerichtshof es auch nicht (wiederum im Sinne einer ständigen Rechtsprechung: RIS-Justiz RS0047984 mwN) als hinderlich erachtet, dass der Vater berufstätig ist. Dass mit diesem Wechsel eine unter Umständen vorübergehende Belastung der Kinder mit in Kauf genommen werden muss, bildet ebenfalls keinen Hindernisgrund, weil ja beim Vater die Gewähr für eine ordnungsgemäße Erziehung gesichert ist (RIS-Justiz RS0047933; RS0047765). Dass der Vater im Sommer 2000 die Kinder für elf Tage länger als ihm beschlussmäßig zustehend bei sich behalten hat, kann ihm nicht als rechtsmissbräuchliches Ansichbringen mit Rückschluss auf seine mangelnde Eignung als erziehender Elternteil ausgelegt werden (RIS-Justiz RS0048809). In diesem Sinne darf auch der Grundsatz der Kontinuität nicht um seiner selbst Willlen derart in den Vordergrund gerückt werden, dass dem primär zur Obsorge berufenen leiblichen Vater seine Elternrechte gleichsam auf Dauer versagt würden (vgl RIS-Justiz RS0047928).

Da sich das Rekursgericht an alle diese - auch, wie gezeigt, judikaturmäßig gedeckten - Vorgaben und Grundsätze gehalten hat, ist der dagegen ankämpfende Revisionsrekurs mangels Vorliegens eine erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.