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OGH vom 14.12.2000, 7Ob79/00v

OGH vom 14.12.2000, 7Ob79/00v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Erwin Gstirner, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei G***** Versicherungs-AG, ***** vertreten durch Dr. Stefan Herdey und Dr. Roland Gsellmann, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 401.605,07 und Feststellung (Feststellungsinteresse S 60.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 198/99a-13, mit dem das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 22 Cg 63/99k-9, bestätigt wurde, zu Recht erkannt.

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 20.610,-- (darin S 3.435,-- USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Luise W***** vermietete das im Erdgeschoss ihres Hauses in M*****, gelegene Geschäftslokal an Klaus P***** zum Zweck des Betriebes einer Textilwaren-Erzeugung bzw -verkaufes. Sie überband ihm im Mietvertrag die Verpflichtung zur Schneeräumung auf dem Gehsteig vor dem Haus, der dem öffentlichen Verkehr diente und nicht mitvermietet war. Am stürzte Christine O***** - ohne Zusammenhang mit einem Besuch des Geschäftslokales des Klaus P***** - auf diesem nicht vom Schnee geräumten Gehsteig und verletzte sich schwer. Luise W***** und Klaus P***** haften auf Grund des (in einem Vorprozess ergangenen) rechtskräftigen Urteils des Landesgerichts Leoben vom , 3 Cg *****, zur ungeteilten Hand der Christine O***** für alle durch diesen Sturz verursachten Schäden. Klaus P***** wurde mit in Rechtskraft erwachsenem Strafurteil des Bezirksgerichtes Murau vom zu GZ U ***** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und 4 erster Fall StGB zu einer bedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt.

Das klagende Versicherungsunternehmen, bei dem Luise W***** ihr Haus haftpflichtversichert hat, wobei Klaus P***** als Mitversicherter vom Versicherungsschutz umfasst war, bezahlte im Juni 1998 den bisherigen Gesamtschaden der Verletzten im Betrag von S 803.210,13.

Klaus P***** hatte seinen im gemieteten Geschäftslokal geführten Betrieb im Unfallszeitpunkt beim beklagten Versicherungsunternehmen nach den AHVB und EHVB 1986 im Rahmen einer Betriebshaftpflichtversicherung unter anderem gegen Schadenersatzverpflichtungen "aus der Innehabung von Grundstücken, Gebäuden oder Räumlichkeiten, die ausschließlich für den versicherten Betrieb oder Beruf und/oder ausschließlich für Wohnzwecke des Versicherungsnehmers benützt werden (Abschnitt B, Z 5 EHVB findet Anwendung)" versichert (EHVB 1986 Abschnitt A, Punkt 1.2.3).

Abschnitt B der Ergänzenden Regelung für spezielle Betriebs- und Nichtbetriebsrisken enthält folgende Vorbemerkung:

Deckung reiner Vermögensschäden

Falls in den nachstehenden Bestimmungen die Deckung reiner Vermögensschäden vorgesehen ist, so gilt folgendes:

Reine Vermögensschäden sind Schäden, die weder auf einen Personennoch Sachschaden zurückzuführen sind.

Abweichend von Art 1 AHVB ist Versicherungsfall der Verstoß (Handlung oder Unterlassung), aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten. ...

Abschnitt B Z 5.1.1 und 2 der EHVB lautet:

Die Versicherung erstreckt sich nach Maßgabe des Deckungsumfanges der AHVB auf Schadenersatzverpflichtungen

1.1 aus der Innehabung, Verwaltung, Beaufsichtigung, Versorgung, Reinhaltung, Beleuchtung und Pflege der versicherten Liegenschaft einschließlich der in oder auf ihr befindlichen Bauwerke und Einrichtungen wie zB Aufzüge, Heizungs- und Klimaanlagen, Schwimmbecken, Kinderspielplätze und Gartenanlagen ...

2. Mitversichert nach Maßgabe des Pkt. 1. sind Schadenersatzverpflichtungen

2.1 des Hauseigentümers und -besitzers;

2.2 des Hausverwalters und des Hausbesorgers;

2.3 jener Personen, die im Auftrag des Versicherungsnehmers für ihn handeln, sofern diese Tätigkeit nicht in Ausübung ihres Berufes oder Gewerbes erfolgt ...

Die klagende Haushaftpflichtversicherung begehrt von der beklagten Betriebshaftpflichtversicherung die Zahlung der Hälfte der von ihr geleisteten Aufwendungen aus Anlass des gegenständlichen Unfalles sowie dieser gegenüber die Feststellung, dass die beklagte Partei der klagenden Partei gegenüber für alle zukünftigen Schadenersatzleistungen, die an Christine O***** auf Grund des Schadensfalles vom im Rahmen des Feststellungsbegehrens laut Urteil des Landesgerichtes Leoben, 3 Cg *****, zu erbringen sind, zu 50 % ersatzpflichtig sei. Sie brachte vor, dass für den Schadensfall eine Doppelversicherung iSd § 59 VersVG bestanden habe, weshalb die klagende Partei je zur Hälfte zur Schadensdeckung verpflichtet seien.

Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, dass in der Haftpflichtversicherung der beklagten Partei nur solche Schadenersatzverpflichtungen versichert seien, die aus der Innehabung von Räumlichkeiten stammten, die ausschließlich für den versicherten Betrieb benützt werden. Der Gehsteig vor dem Haus sei nicht bei der beklagten Partei, sondern bei der klagenden Partei versichert. Es läge somit keine Doppelversicherung iSd § 59 VersVG vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Bei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Versicherungsvertrages sei von einem Verständnis auszugehen, welches bei einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer vorauszusetzen sei, und dass nach diesem Verständnis Klaus P***** den Gehsteigabschnitt, auf dem sich der Unfall ereignete, nicht im Sinne des Abschnittes A Punkt 1.2.3 der EHVB innegehabt habe. Die beklagte Partei hafte daher nicht für den Schaden der Christine O*****. Es liege daher keine Doppelversicherung vor, sodass auch ein Regressanspruch gemäß § 59 Abs 2 VersVG ausscheide.

Das Berufungsgericht bestätigte mit der angefochtenen Entscheidung dieses Urteil und erklärte, dass die Erhebung der ordentlichen Revision unzulässig sei. § 93 Abs 1 StVO statuiere die öffentlich-rechtliche Pflicht des Liegenschaftseigentümers, in bestimmtem Umfang für die Schneeräumung bzw Gehsteigreinigung zu sorgen. Diese Verpflichtung treffe nach dem Gesetz ausschließlich den Liegenschaftseigentümer und nicht (auch) den Mieter, unabhängig davon, ob der Mieter die gesamte Liegenschaft oder auch nur einen Teil davon in Bestand genommen hat. Der Liegenschaftseigentümer könne gemäß § 93 Abs 5 StVO seine öffentlich-rechtliche Verpflichtung durch Rechtsgeschäft auf einen Dritten übertragen, der dann an seine Stelle als Verpflichteter trete. Wenn er seine Verpflichtung einem Mieter übertrage, werde dadurch aber die Mietereigenschaft keineswegs Voraussetzung für die Übernahme dieser Verpflichtung, weil er auch mit einem beliebigen Anderen eine Vereinbarung gemäß § 93 Abs 5 StVO hätte schließen können.

Im vorliegenden Fall habe Klaus P***** zwar auf Grund seines Mietvertrages Teile der Liegenschaft A*****-Straße ***** ausschließlich für den versicherten Betrieb genutzt und diese Liegenschaftsteile damit innegehabt, seine Innehabung habe jedoch eben noch keine Übertragung der Schneeräumverpflichtung bewirkt. Eine solche Übertragung sei vielmehr erst durch die Vereinbarung zwischen ihm und seiner Vermieterin W***** gemäß § 93 Abs 5 StVO, die zwar im Rahmen des Mietvertrages geschlossen worden, jedoch nicht zwingend damit verknüpft gewesen sei. Die Schadenersatzverpflichtung des Klaus P***** resultiere daher lediglich aus dem Rechtsgeschäft gemäß § 93 Abs 5 StVO, mit der er die öffentlich-rechtliche Verpflichtung der Grundeigentümerin übernommen habe, und sei in keinem Zusammenhang mit seiner Innehabung von Teilen der Liegenschaft für den versicherten Betrieb gestanden. Sie finde daher auch keine Deckung in dem laut Abschnitt A Punkt 1.2.3 der EHVB versicherten Risiko. Ein dem Abschnitt B Pkt 5.1.1 der EVHB 1986 zuzuordnender Versicherungsfall liege nicht vor, weil die Schadenersatzverpflichtung des Klaus P***** nur aus seiner rechtsgeschäftlichen Übernahme der Schneeräumverpflichtung resultiere. Die Schadenersatzverpflichtung der Hauseigentümerin Luise W*****, die gemäß Abschnitt B Punkt 5.2.1 EVHB 1986 mitversichert sein könnte, sei hingegen primär aus dem Liegenschaftseigentum W***** und - nach der rechtsgeschäftlichen Übertragung ihrer Räumpflicht - aus ihrem Verschulden (sie wusste, dass P***** außerhalb seiner Geschäftszeiten nicht räumte, und unternahm trotz des Schneefalls selbst nichts), abzuleiten. Einer der in der wiedergegebenen Auflistung angeführten Grundlagen für eine Schadenersatzverpflichtung sei hier also nicht gegeben. Mangels einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO sei die ordentliche Revision nicht zuzulassen gewesen.

Die Revision der klagenden Partei ist entgegen den Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil zur gegenständlichen Abgrenzungsfrage noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ergangen ist, sie ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach der bisherigen österreichischen Rechtsprechung besteht der Zweck der Betriebshaftpflichtversicherung darin, alle Haftpflichtgefahren, die aus dem betreffenden Betrieb erwachsen können, unter Versicherungsschutz zu stellen. Das Betriebshaftpflichtrisiko ist daher nicht nur auf typische Betriebsgefahren beschränkt, grundsätzlich ist jede Tätigkeit der Betriebshaftpflichtversicherung zuzurechnen, die für den Betrieb erfolgt oder in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Betrieb steht (vgl VersR 1992, 1378 mwN). Mehrfach wurde dazu ausgesprochen, dass ein Abgrenzungskriterium hiefür der Umfang der dem Versicherungsnehmer erteilten Gewerbeberechtigung sei (zuletzt 7 Ob 5/93 mwN). Nach der Lehre muss das betriebshaftpflichtige Verhalten nicht branchenüblich sein, um vom Deckungsbereich der Betriebshaftpflichtversicherung erfasst werden zu können. Maßgeblich ist, ob das Gesamtverhalten dem Zweck nach einen Zusammenhang mit dem betrieblichen Risiko aufweist. Auch schadet es nicht, wenn mit einer einheitlichen, nicht teilbaren Handlung nebenbei auch private Interessen verfolgt werden. Im Grunde rein privates Verhalten, zB Nahrungsaufnahme während der Arbeitspause, fällt dann in die versicherte Betriebssphäre, wenn es der Erhaltung oder Wiederherstellung der Arbeitskraft dient. Soweit das versicherte Risiko nicht durch den Versicherungsvertrag inklusive Erläuterungen positiv beschrieben wird, sind sämtliche Gefahren der betrieblichen Tätigkeit gedeckt (vgl BK Baumann § 151 VersVG Rn 24 mwN). Nach Späthe (Haftpflichtversicherung BetrH Rn 8) fallen Risken dann nicht unter den Versicherungsschutz der Betriebshaftpflichtversicherung, wenn sie nicht zum im Versicherungsschein umschriebenen Betriebs- bzw Tätigkeitsbild passen. Nach Voit in Prölss-Martin VVG26 § 151 Anm 2 sind in der Betriebshaftpflichtversicherung die Gefahren versichert, die in der Privathaftpflichtversicherung vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind. Bloße Gefälligkeitshandlungen ohne Beziehung zur betrieblichen Tätigkeit fielen nicht in den Bereich der Betriebshaftpflichtversicherung. Er stimmt allerdings der deutschen Rechtsprechung zu, dass, wenn keine klare Risikobeschränkung aus dem Versicherungsvertrag ersichtlich ist, großzügig Deckung in der Betriebshaftpflichtversicherung gewährt wird und zwar auch dann, wenn keine typische Betriebsgefahr vorlag und die den Versicherungsfall auslösende Handlung zum Teil auch privaten Zwecken diente; auch Handlungen, die dem Betriebszweck nur mittelbar fördern oder fördern sollen, sind seiner Ansicht nach in der Betriebshaftpflichtversicherung gedeckt (vgl Anm 5 und 7 aaO mwN). Voit schränkt allerdings dies dahin wieder ein, dass im Rahmen der Abgrenzung der Bereiche der Betriebs- und Privathaftpflichtversicherung es darauf ankomme, ob bei wertender Betrachtungsweise der innere Zusammenhang mit der betrieblichen Beschäftigung im Vordergrund steht.

Der vorliegende Versicherungsvertrag enthält keine klare Risikobeschränkung. Wie die Vorinstanzen zutreffend erkannt haben, handelt es sich bei der Gehsteigräumungsverpflichtung des Hauseigentümers nach § 93 StVO um eine öffentlich-rechtliche, die allerdings vom Grundeigentümer dritten Personen übertragen werden darf. Der Gehsteig, auf dem sich der gegenständliche Unfall ereignet hatte, gehörte nicht zur Betriebsanlage des Versicherungsnehmers der beklagten Partei, eine Haftung des Betriebsinhabers hinsichtlich von Unfällen auf Flächen, die außerhalb seines Geschäftsbetriebes sich ereignen, wäre nur im Rahmen der culpa in contrahendo denkbar, und zwar bei Unfällen im Zusammenhang mit dem Betreten oder Verlassen des Lokals, aber auch bei Unfällen, die sich beim Betrachten der Auslagen durch Kunden ereignen. Während Unfälle der ersteren Art zu einer Schneeräumung der Eingänge verpflichten, wäre ein Unfall der zweitgeschilderten Art auch durch eine Absperrung bzw durch einen Hinweis, dass hier Rutschgefahr bestehe, zu verhindern. Die Übernahme einer generellen Gehsteigreinigungsverpflichtung durch den Betriebsinhaber steht daher bei wertender Betrachtungsweise in keinem Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit, sie stellt auch keine bloße Gefälligkeitshandlung dar, weil ihre Vornahme erzwingbar und ihre Vernachlässigung strafbar ist. Der vorliegende Unfall hat sich in keinem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Versicherungsnehmers der beklagten Partei ereignet, Christine O***** wollte nur den Gehsteig benützen, um ein anderes Ziel zu erreichen. Wenn auch nicht verkannt werden soll, dass ein ungehinderter Zugang zum Lokal über den straßenseitig gelegenen Gehsteig im Winter für den Kunden unbedingt erforderlich ist und ein solcher nur über einen gereinigten Gehsteig gewährleistet ist, vermeint der erkennende Senat, dass es sich bei der Übernahme der gesamten Gehsteigreinigung vor dem Gebäudekomplex durch den Versicherungsnehmer der beklagten Partei nicht um eine im Zusammenhang mit seinem Textileinzelhandel stehende Verpflichtung, sondern um eine zusätzliche als Privatperson eingegangene Verpflichtung handelte. Da sohin für das von der Klägerin versicherte Haftpflichtrisiko keine Doppelversicherung mit der Betriebshaftpflichtversicherung besteht, war das Klagebegehren abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.