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OGH vom 28.06.2017, 1Ob98/17v

OGH vom 28.06.2017, 1Ob98/17v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. HoferZeniRennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** M*****, vertreten durch Dr. Otmar Wacek, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Michael Tinzl und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, und den Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei DI G***** L*****, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 34.430 EUR sA und Feststellung, über die Revision des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 7/17h81, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 32 C 869/14p71, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.253,88 EUR (darin 208,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die beklagte Bauherrin bestellte weder einen Projektleiter noch einen Baustellenkoordinator, obwohl auf ihrer Baustelle Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig waren. Der Kläger, ein Leitmonteur bzw Vorarbeiter der mit der Neugestaltung der Fassade des Firmengebäudes beauftragten Unternehmerin, stieg ohne Verwendung eines Sicherheitsgeschirrs oder Fallschutzgeräts auf ein Glasdach. Als dieses durchbrach, stürzte er ca zwei Meter in die Tiefe. Für die Folgen der daraus resultierenden Verletzung begehrt er von der Beklagten Schadenersatz und die Feststellung ihrer Haftung.

Auf Basis der umfassenden Feststellungen zur Örtlichkeit und zum Unfallhergang, insbesondere dazu, dass das zwischen 1997 und 1999 eingebaute EinscheibenSicherheitsglas (ESG) dem damaligen Stand der Technik entsprach, eine zwingende Verwendung von Verbundsicherheitsglas (VSG) erst seit dem Jahr 2006 vorgesehen ist, das Glasdach gegen Durchbrechen weder gesichert oder abgesperrt worden war und der Kläger es unterlassen hatte, sich von der Tragfähigkeit des Glasdachs zu überzeugen, wiewohl er dann, wenn er genau hingesehen hätte, erkannt hätte, dass es sich – nicht wie von ihm angenommen um VSG, sondern – um ESG handelte, ging das Erstgericht von einer gleichteiligen Gewichtung des Verschuldens der Beklagten und des Mitverschuldens des Klägers aus. Es verpflichtete die Beklagte zum Ersatz der Hälfte des der Höhe nach als berechtigt erkannten Schmerzengeldes und stellte fest, die Beklagte hafte dem Kläger zu 50 % für alle zukünftigen Schäden. Sie trage wegen der Unterlassung der Bestellung eines Koordinators nach dem BauKG die Verantwortung für die diesem vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Für Letzteres berief es sich darauf, dass zur Frage, ob der Sturz eines Arbeiters, der bei Montagearbeiten an einer Geschäftsfassade auf ein nicht tragfähiges Glasvordach steige, im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Verletzung der den Bauherrn nach dem BauKG treffenden Pflicht zur Bestellung eines Baustellenkoordinators stehe, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Allein das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einer bestimmten Fallgestaltung begründet aber für sich noch nicht eine erhebliche Rechtsfrage (RISJustiz RS0042656; RS0102181). Lässt sich – wie im vorliegenden Fall – die vom Revisionswerber für erheblich erachtete Rechtsfrage durch Anwendung der bestehenden Rechtsprechung und anhand des Gesetzes, das selbst eine klare und eindeutige Regelung trifft (vgl 8 ObA 27/07i = RISJustiz RS0042742 [T13] mwN; RS0118640), lösen, ist die Revision entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig und zurückzuweisen. Dies bedarf nur einer kurzen Begründung (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Steht – wie im vorliegenden Fall – fest, dass dann, wenn ein Baustellenkoordinator bestellt worden wäre, Gefahren im Zusammenhang mit dem Glasdach aufgefallen, dieses geprüft und Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa die Absicherung mit Kanthölzern oder Schalttafeln festgelegt worden wäre bzw alternativ ein Betretungsverbot für die Glasdachkonstruktion vorzusehen gewesen wäre, kann nicht zweifelhaft sein, dass der eingetretene Gesundheitsschaden im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der Verletzung der Pflichten nach dem Bundesgesetz über die Koordination bei Bauarbeiten (Bauarbeitenkoordinationsgesetz BauKG; BGBl I 1999/37 idgF) steht. § 1 Abs 1 BauKG legt selbst die Zielsetzung des Gesetzes offen: Es soll Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer auf Baustellen durch die Koordinierung bei der Vorbereitung und Durchführung von Bauarbeiten gewährleisten (2 Ob 240/12a = ZVB 2013/117, 389 [Oppel] mwN; 9 Ob 35/15k; 1 Ob 174/16v; die Materialien sprechen gar von einer Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes: ErläutRV 1462 BlgNR XX. GP 8). Das benannte Schutzgut „Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer“ wird auch in anderen Normen des BauKG wiederholt (§ 7 [mehrfach], § 8 Abs 2; so schon 1 Ob 174/16v). Es ist das BauKG daher als Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer iSd § 1311 ABGB anzusehen und verdrängt als lex specialis die früher auf die Fürsorgepflicht des Werkbestellers gemäß § 1169 ABGB gestützte Koordinationspflicht des Bauherrn (RISJustiz RS0123294). Bestellt der Bauherr keinen Baustellenkoordinator, trägt er nach ständiger Rechtsprechung selbst die Verantwortung für die diesem vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben (RISJustiz RS0015253).

Für den Revisionswerber ist daher mit dem bloßen Verweis auf die Zulassungsbegründung des Berufungsgerichts nichts gewonnen. Auch wenn er ausführt, es ginge abstrakter formuliert um die Frage, ob eine Haftung nach dem BauKG bestehen könne, wenn es trotz einer aufeinanderfolgenden Anwesenheit von Arbeitnehmern auf einer Baustelle zu keiner Gefahrenerhöhung komme und es sich um eine „offensichtliche Gefahr“ handle, es ginge also „um den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem Nichtbestellen eines Baustellenkoordinators und eines eingetretenen Unfalls aufgrund offensichtlicher Gefahren“, gelingt es ihm nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuwerfen. Angesichts der Feststellungen, dass die Art des Glases (erst) bei genauem Hinsehen vom Kläger erkannt worden wäre, kann von einer offenkundigen Gefahr nicht gesprochen werden. Auch steht gar nicht fest, dass es trotz aufeinanderfolgender Anwesenheit von Arbeitnehmern mehrerer Arbeitgeber auf der Baustelle zu keiner Gefahrenerhöhung gekommen war. Unabhängig davon stellt das BauKG (bloß) darauf ab, dass (gleichzeitig oder aufeinanderfolgend) Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber auf einer Baustelle tätig sind (§ 3 Abs 1 BauKG). Einen Vergleich zwischen einer (fiktiven) Situation, wenn alle auf der Baustelle tätigen Arbeitnehmer zu einem Unternehmen gehörten, und jener, wie sie dann besteht, wenn die Arbeitnehmer verschiedenen Unternehmen (Arbeitgebern) zuzuordnen sind, und eine allein durch diesen Umstand (konkret vorliegende) Gefahrenerhöhung fordert das Gesetz nicht.

Im letzten Teil der Revision versucht der Nebenintervenient die von den Vorinstanzen vorgenommene Verschuldensteilung anzugreifen. Aus dem von ihm unterstellten Alleinverschulden will er ableiten, dass deswegen, weil sich bei einem solchen alleinverschuldeten Unfall der Schutzzweck des BauKG nicht verwirklicht habe, die Nichtbestellung eines Baustellenkoordinators auch nicht haftungsbegründend sein könne. Damit geht er erneut an den Feststellungen und dem Schutzzweck des Gesetzes vorbei.

Die unter Anwendung der richtig dargestellten Grundsätze und ohne dass ein wesentlicher Verstoß gegen maßgebliche Abgrenzungskriterien vorläge, erfolgte Beurteilung des Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen ihrer Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RISJustiz RS0087606).

Die Revision ist daher als nicht zulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Da der unterlegene Nebenintervenient nicht zum Kostenersatz herangezogen werden kann (RISJustiz RS0035816), ist die Beklagte, der die Disposition über die Revision des Nebenintervenienten offengestanden wäre, zum Kostenersatz verpflichtet (RISJustiz RS0036057).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00098.17V.0628.000
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