OGH vom 17.06.2014, 1Ob98/14i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen L***** S*****, über den Revisionsrekurs der väterlichen Großmutter Dr. A***** S***** und ihres Ehegatten Univ. Prof. Dr. J***** M*****, vertreten durch Dr. Adrian Hollaender, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 676/13g 155, mit dem die Rekurse der väterlichen Großmutter und ihres Ehegatten gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 8 Ps 117/12t 140, teils zurückgewiesen und ihnen teils nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Der Antrag des Vaters auf Zuspruch der Kosten seiner Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Obsorge für den am geborenen Minderjährigen steht seiner Mutter alleine zu. Die Eltern leben seit April oder Mai 2011 wieder als Lebensgefährten gemeinsam mit dem Minderjährigen zusammen.
Das Erstgericht wies zahlreiche Anträge der väterlichen Großmutter und ihres Ehegatten (Stiefgroßvaters) ab, insbesondere jene auf Einräumung eines Kontaktrechts sowie der gemeinsamen Obsorge.
Das Rekursgericht wies soweit in dritter Instanz noch relevant die Rekurse der Antragsteller zurück, soweit sie die Entscheidungen über die Obsorge bekämpften. Nur in diesem Umfang ließ es den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zu den Fragen der Rechtsmittellegitimation eines Großelternteils nach § 181 Abs 2 ABGB und einer gemeinsamen Obsorge eines leiblichen Großelternteils mit einem Stiefgroßelternteil seit Inkrafttreten des KindNamRÄG 2013 fehle. Im Übrigen gab es den Rekursen nicht Folge und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der väterlichen Großmutter und des Stiefgroßvaters ist nicht zulässig, weil er keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG aufzeigt.
1. Wie schon das Rekursgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die hier relevanten neuen Regelungen des Kindschafts und Namensrechtsänderungsgesetzes (KindNamRÄG) 2013 nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (3 Ob 38/13d; 6 Ob 41/13t; 1 Ob 126/13f ua; RIS Justiz RS0128634) auch in Verfahren über das Kontaktrecht und die Obsorge anzuwenden, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits anhängig waren.
2. Nach § 181 Abs 1 Satz 1 ABGB nF, hat das Gericht, von wem immer es angerufen wird, die zur Sicherung des Wohls des Kindes nötigen Verfügungen zu treffen, wenn die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl des minderjährigen Kindes gefährden. Solche Verfügungen können nach § 181 Abs 2 ABGB von einem Elternteil, etwa wenn die Eltern in einer wichtigen Angelegenheit des Kindes kein Einvernehmen erzielen, den sonstigen Verwandten in gerader aufsteigender Linie etwa Großeltern und Urgroßeltern , den Pflegeeltern (einem Pflegeelternteil), dem Jugendwohlfahrtsträger und dem mündigen Minderjährigen, von diesem jedoch nur in Angelegenheiten seiner Pflege und Erziehung, beantragt werden. Andere Personen können solche Verfügungen nur anregen.
2.1. Der Ehemann der väterlichen Großmutter (Stiefgroßvater) zählt nicht zu dem in § 181 Abs 2 erster Satz ABGB umschriebenen Kreis antragsberechtigter Personen. Er ist weder mit dem Minderjährigen noch dessen Eltern in gerader aufsteigender Linie verwandt. Seine (allfällige) Rechtsstellung als Pflegevater hätte er bereits vor Einleitung des Verfahrens mit dem Ende der Betreuung des Minderjährigen im Jahr 2010 verloren, weil ab diesem Zeitpunkt die faktischen Tatbestandsvoraussetzungen für die Pflegeelternschaft nach § 184 ABGB nF nicht mehr erfüllt waren (zum gleichlautenden § 186 ABGB aF 3 Ob 165/11b; 8 Ob 62/12v = SZ 2012/67, je mwN). Der Oberste Gerichtshof hat zu § 176 Abs 1 erster Satz ABGB, der wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 181 Abs 1 erster Satz leg cit idF des KindNamRÄG 2013, ausgesprochen, dass das Anrufen des Pflegschaftsgerichts „durch wen immer“ für den Einschreiter alleine weder Parteistellung noch Rechtsmittellegitimation schaffe, es sei denn, er habe Rechte aufgrund des Gesetzes (RIS Justiz RS0045931; RS0006545). Im Sinn dieser, auch für die neue Rechtslage nach dem KindNamRÄG 2013 maßgeblichen Judikatur wäre der Stiefgroßvater des Minderjährigen tatsächlich nicht Partei des Obsorgeverfahrens; die väterliche Großmutter nach § 181 Abs 2 erster Satz ABGB entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts allerdings schon.
2.2. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsmittellegitimation der väterlichen Großmutter und des Stiefgroßvaters im Obsorgeverfahren erübrigt sich jedoch. Das Rekursgericht hat sich nämlich ungeachtet der Zurückweisung ihrer Rekurse inhaltlich mit den vom Erstgericht abgewiesenen Anträgen auf Entziehung der Obsorge der Mutter und Einräumung der gemeinsamen Obsorge an beide Rechtsmittelwerber auseinandergesetzt und dabei die Voraussetzungen für die beantragte Änderung verneint.
2.3. Seine (zutreffende) Rechtsansicht, dass die von der väterlichen Großmutter und ihrem Ehemann begehrte gemeinsame Obsorge (auch) in der durch das KindNamRÄG 2013 geschaffenen Gesetzeslage keine Deckung findet, ziehen die Revisionsrekurswerber gar nicht konkret in Zweifel. Das Rekursgericht hat zudem in Übereinstimmung mit dem Erstgericht die Voraussetzungen für eine Gefährdung des Kindeswohls durch das Verhalten der Eltern verneint. Seine, von den Umständen des Einzelfalls abhängige, Beurteilung erweist sich angesichts der Feststellungen über die gute Betreuungs und Wohnsituation, die Kooperationsbereitschaft beider Eltern und der sehr innigen und liebevollen Eltern Kind Beziehung als vertretbar. Gegen die beantragte Übertragung der Obsorge spricht auch der relativ lange Zeitraum, der seit den letzten Kontakten des 2009 geborenen Minderjährigen zu seiner väterlichen Großmutter (am ) und zu deren Ehemann (zuletzt im Dezember 2010) verstrichen ist.
3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist das Verhältnis zwischen den Eltern einerseits und der väterlichen Großmutter sowie deren Ehemann andererseits sehr konfliktreich und durch massive gegenseitige Vorwürfe (auch strafrechtlicher Natur) gekennzeichnet. Aufgrund der Konfliktsituation war das Besuchsrecht der väterlichen Großmutter mit Beschluss vom (rechtskräftig) ausgesetzt worden. An dieser Situation hat sich nach den Feststellungen der Vorinstanzen nichts geändert. Danach ist nach wie vor aufgrund der belasteten Beziehung und der scheinbar unüberbrückbaren Konflikte derzeit nicht davon auszugehen, dass eine Kontaktregelung in einer zum Wohl des Kindes geeigneten Weise durchführbar wäre. Es spricht nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl RIS Justiz RS0048004; RS0048003 [T4]) gegen einen Kontakt von Minderjährigen zu den Großeltern, wenn dieser die Familienbeziehung innerhalb der Kernfamilie stören oder einen Loyalitätskonflikt bedeuten könnte. Dass das Rekursgericht diese Gefahren als verwirklicht ansah, ist in diesem konkreten Einzelfall kein unvertretbares Ergebnis.
4. Aus diesen Erwägungen ist der Revisionsrekurs der väterlichen Großmutter und des Stiefgroßvaters zurückzuweisen.
5. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
6. § 107 Abs 5 AußStrG schließt einen Kostenersatz in Verfahren über die Obsorge und persönliche Kontakte aus. Dem Vater steht deshalb kein Ersatz der Kosten seiner Rechtsmittelbeantwortung zu.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0010OB00098.14I.0617.000