OGH vom 03.07.2013, 7Ob29/13k

OGH vom 03.07.2013, 7Ob29/13k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. P***** L***** Rechtsanwalt GmbH, *****, vertreten durch Mag. Philipp J. Graf und Dr. Isabelle Dessulemoustier-Bovekercke-Ofner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Emberger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 106.185,19 EUR, über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 240/12v 10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentlichen Revisionen beider Parteien sprechen keine über die Umstände des Einzelfalls hinaus erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO an und sind daher unzulässig.

Die Zulassungsbeschwerde der Klägerin macht geltend, das Berufungsgericht weiche von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, wenn es die (Honorar-)Vereinbarung zwischen dem Rechtsanwalt und der beklagten Versicherung ergänzend auslege, weil „primär“ die dispositive Regelung des § 1020 ABGB anzuwenden gewesen wäre und eine ergänzende Vertragsauslegung nur hilfsweise vorzunehmen sei.

Entgegen den Ausführungen der Klägerin (als Rechtsnachfolgerin des Rechtsanwalts) beruft sich die bekämpfte Entscheidung ohnehin auf ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach dispositives Recht einer ergänzenden Vertragsauslegung zwar grundsätzlich vorgeht, dies aber dann nicht gilt, wenn die Parteien die Anwendung vorhandenen Dispositivrechts jedenfalls nicht gewollt, dennoch aber selbst keine Regelung getroffen haben, oder wenn die vorhandene gesetzliche Regelung sich für den konkreten Fall als unangemessen, nicht sachgerecht oder unbillig erweist (RIS-Justiz RS0017890). Letzteres wäre bei einer (von der Klägerin gewünschten) Anwendung des § 1020 ABGB hier der Fall. Da diese nicht sachgerechte Regelung nicht herangezogen werden könne (vgl 3 Ob 202/11v), sei eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen, die sich am hypothetischen Willen der Vertragsparteien und daran, welche Regelungen vernünftige und redliche Parteien getroffen hätten, zu orientieren habe.

Diese Beurteilung ist zumindest vertretbar.

Wie der Oberste Gerichtshof in der bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung (3 Ob 202/11v) zum Ausdruck gebracht hat, ist eine als planwidrig erkannte Vertragslücke (zwar) prinzipiell unter Heranziehung des dispositiven Rechts zu schließen (RIS-Justiz RS0017829 [T1]); nicht jedoch dann und das zieht die Klägerin auch gar nicht in Zweifel , wenn die Parteien die Anwendung des vorhandenen Dispositivrechts jedenfalls nicht wollten (dennoch aber selbst keine Regelung trafen), oder wenn sich die vorhandene gesetzliche Regelung für den konkreten Fall als unangemessen, nicht sachgerecht, unbillig etc erweist und daher vom Ergebnis her nicht befriedigt (RIS-Justiz RS0017890; 2 Ob 203/08d; Rummel in Rummel ³ § 914 ABGB Rz 9; Bollenberger in KBB³ § 914 ABGB Rz 2).

Im Übrigen ist sowohl die Frage, wie ein Vertrag auszulegen ist, als auch jene, ob und wie eine ergänzende Vertragsauslegung wegen einer Vertragslücke zu erfolgen hat, eine solche des Einzelfalls (4 Ob 183/12h mit Hinweis auf RIS-Justiz RS0042936 [T41]); also keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, es sei denn, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhte auf einer Verkennung der Rechtslage oder einer Fehlbeurteilung, sodass die Revision aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit für zulässig zu erachten wäre (RIS-Justiz RS0113785 ua). Dies gilt also auch für eine ergänzende Vertragsauslegung (7 Ob 251/09a mwN), als deren Mittel der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Verkehrsauffassung in Betracht kommen, wobei unter diesen Aspekten keine feste Rangfolge besteht, sondern unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten die Lücke so zu schließen ist, wie es der Gesamtregelung des Vertrags, gemessen an der Parteienabsicht, am besten entspricht (RIS Justiz RS0017832; 10 Ob 41/12w).

Da die Beurteilung des Berufungsgerichts diesen Grundsätzen entspricht, ist die außerordentliche Revision der Klägerin mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Zulassungsbeschwerde der Beklagten hält zunächst fest, das Berufungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass § 1020 ABGB auf den klägerischen Honoraranspruch nicht anzuwenden sei. Andernfalls käme es zu einer exorbitanten Erhöhung des rein erfolgsabhängig vereinbarten Honorars (das noch dazu sofort fällig wäre) und entgegen der vertraglichen Regelung zu vollem Barauslagenersatz. Die Beklagte wendet sich insoweit gegen das Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung, als das Berufungsgericht von einer Fälligkeit der Klageforderung mit Vertragsbeendigung ausging und für die Ermittlung der klägerischen Leistungen und des Honoraranspruchs der Klägerin, das (komplexe) Procedere (Berufungsurteil S 15 ff) einzuhalten sei; sowie dagegen, dass der Ersatz der Kopierkosten basierend auf § 12 Abs 1 RAO in der Berufungsentscheidung als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt wurde. Dazu macht die Beklagte geltend, dass die von ihr im Hinblick auf das elektronische System ADVOCAT bestrittene Notwendigkeit solcher Kopien eine den Grund des Anspruchs betreffende Fragestellung sei.

Vorweg ist auch der Beklagten zu erwidern, dass die Frage, wie ein Vertrag (ergänzend) auszulegen ist, eine nicht revisible Einzelfallbeurteilung darstellt, es sei denn, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhte auf einer Verkennung der Rechtslage oder einer aus Gründen der Einzelfallgerechtigkeit zu korrigierenden Fehlbeurteilung (10 Ob 41/12w; RIS-Justiz RS0113785 ua). Wie bereits zur außerordentlichen Revision der Klägerin festgehalten wurde, kann davon was die Ergebnisse der ergänzenden Vertragsauslegung betrifft aber keine Rede sein.

Hinsichtlich der (bestrittenen) Notwendigkeit der Herstellung von Kopien gehen die Rechtsmittelausführungen der Beklagten ins Leere: Hat doch das Berufungsgericht diese Frage noch gar nicht beantwortet , sondern ausgeführt, dass der Kläger den geforderten Ersatz von Kosten der Kopien (grundsätzlich) auf § 12 Abs 1 RAO stützen könne (sodass auch dieser Anspruch dem Grunde nach bestehe), dass jedoch „zur Ermittlung der Höhe jede einzelne Kopie dahingegend überprüft werden müsste, ob sie zur Feststellung bzw zum Nachweis der Vertretungskosten der Klägerin notwendig war“.

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).