OGH vom 23.09.1999, 2Ob93/98k

OGH vom 23.09.1999, 2Ob93/98k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Gerstenecker und Dr. Baumann als weitere Richter im Verfahren gegen Mag. Martin Z*****, vertreten durch Dr. Gerhard Thaler und Mag. Josef Kunzemann, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Winkelschreiberei infolge Revisionsrekurses des Beschuldigten gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom , GZ 3 R 198/97g-17, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom , GZ 11 C 86/97-13, aufgehoben wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes in Punkt 1 wiederhergestellt wird. Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Text

Begründung:

Mit einer am beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrten die dort vier klagenden Parteien von der beklagten Partei die Rückzahlung einer anläßlich eines Bestandvertrages erlegten Kaution von S 20.000,-- sA. Bei Einbringung der Klage und im weiteren Verfahren bis zum Vollmachtswechsel (ON 9) wurden die Kläger von Mag. Martin Z*****, einem Angestellten des Mieterschutzverbandes Österreichs vertreten, wobei dieser am einen vorbereiteten Schriftsatz einbrachte. Mit Schriftsatz vom (ON 6) stellte die beklagte Partei unter anderen den Antrag, gegen Mag. Martin Z***** ein Verfahren wegen Verdachtes der Winkelschreiberei einzuleiten, ihn gemäß § 29 Abs 3 ZPO von der weiteren Vertretung im Verfahren auszuschließen und den Schriftsatz als unzulässig zurückzuweisen. Sie brachte dazu vor, daß es den Funktionären des Mieterschutzverbandes ausschließlich im Verfahren in Außerstreitsachen gestattet sei, die sonst den beruflichen Parteienvertretern vorbehaltenen Vertretungsakte zu setzen. Aus dieser ausdrücklichen Regelung sei zu schließen, daß die Vertretung von Parteien im streitigen Verfahren durch Funktionäre des Mieterschutzverbandes unzulässig sei.

Der Beschuldigte äußerte sich dahingehend, daß bei ihm kein Fall von Winkelschreiberei vorliege. Der Mieterschutzverband verfolge ausschließlich gemeinnützige Zwecke und sei nicht auf Gewinn ausgerichtet. Vertretungen im streitigen Verfahren fänden nur ausnahmsweise statt. Da für derartige Vertretungen zudem kein Entgelt entrichtet werde, sei die für den Tatbestand der Winkelschreiberei erforderliche gewinnsüchtige Absicht völlig auszuschließen.

Das Erstgericht stellte zu Punkt 1 das gegen Mag. Martin Z***** eingeleitete Verfahren wegen Verdachtes der Winkelschreiberei gemäß § 1 JMV vom 8. 6. 1857 RGBl 114 (Art IV EGZPO ein) und wies die Anträge der beklagten Partei auf Ausschluß des Mag. Z***** von der weiteren Vertretung und Zurückweisung des Schriftsatzes ab. Es ging von nachstehendem Sachverhalt aus:

Der Mieterschutzverband Österreichs, Landesorganisation Tirol, ist ein Verein mit Sitz in Innsbruck und erstreckt seine Tätigkeit auf den Bereich Tirol. Die Statuten dieses Vereines lauten unter anderem wie folgt:

§ 3

Der Verein ist nicht auf Gewinn ausgerichtet. Er verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der Bundesabgabenordnung. Der Mieterschutzverband ist ein überparteilicher Verein mit der Aufgabe, eine allgemeine Verbesserung der Wohn- und Mietverhältnisse, sowie die entsprechenden Gesetze herbeizuführen. Er vertritt die Interessen der Wohnungssuchenden, Mieter, Siedler und Pächter im allgemeinen sowie seiner Mitglieder im besonderen. Der Verein vertritt auch die Interessen all jener Wohnungseigentümer, die ihre Eigentumswohnung zur Befriedigung ihres eigenen Wohnungsbedarfes oder für nahe Angehörige benutzen.

Zu diesem Zweck veranstaltet der Verein öffentliche Versammlungen, Enqueten, Veranstaltungen, Diskussionen, gibt Druckschriften heraus, gewährt seinen Mitgliedern unentgeltliche Rechtsberatung und Unterstützung. Die Unterstützung wird durch Vorsprachen bei Behörden und sonstigen Stellen für die Interessen der Mieter, Siedler, Pächter und Wohnungseigentümer geleistet.

Der Verein unterstützt alle Bestrebungen zur Schaffung von Wohnraum, insbesondere durch Förderung und Bildung von gemeinnützigen Genossenschaften und Gesellschaften.

§ 4

Anspruch auf Rechtsberatung hat in der Regel nur ein Mitglied, welches die Mitgliedsbeiträge rechtzeitig geleistet hat. Die Vertretung bei allen in Frage kommenden Verwaltungsbehörden, Gerichten und sonstigen Stellen erfolgt durch Funktionäre und Angestelle (Juristen und Fachreferenten) des Vereines. Über die Gewährung auf unentgeltliche Rechtsberatung sowie etwaige Unterstützung entscheiden der Vorstand oder eine von diesem eingesetzte Person, in der Regel der geschäftsführende Landessekretär, von Fall zu Fall.

§ 5

Die erforderlichen materiellen Mittel des Vereines sollen aufgebracht werden:

a) durch Mitgliedsbeiträge

b) durch Einnahmen aus Spenden, Vermächtnissen und sonstigen Zuwendungen.

Die Mittel des Vereines sollen nur für die in der Satzung angeführten Zwecke verwendet werden. Die Mitglieder des Vereines erhalten keine Zuwendungen aus Mitteln des Verbandes und es wird keine Person durch dem Verein zweckfremde Verwaltungsausgaben oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt.

Über die Verwendung der Vereinsmittel entscheidet der Vorstand des Hauptvereines; über die Einnahmen, die im Gebiet einer Landesorganisation durch Mitgliedsbeiträge und Spenden und zufällige Einnahmen (Vermächtnissen oder sonstige Zuwendungen) erzielt werden, soll die Landesorganisation nach ihrem Willen verfügen können.

§ 6

Die Mitglieder dieses Vereines gliedern sich in ordentliche, außerordentliche und Ehrenmitglieder.

Ordentliches Mitglied des Vereines kann jede eigenberechtigte physische Person werden, die in einem Miet-, Pacht- oder Untermietverhältnis als Bestandnehmer steht oder ein solches anstrebt. Ebenso können Siedler und Wohnungseigentümer ordentliche Mitglieder werden. Ordentliche Mitglieder sind jene, die sich voll an der Vereinsarbeit beteiligen. Außerordentliches Mitglied kann jede eigenberechtigte physische Person werden. Außerordentliche Mitglieder sind solche, die die Vereinstätigkeit vor allem durch Zahlung eines erhöhten bzw außerordentlichen Mitgliedsbeitrages fördern.

§ 10

Die Organe des Vereines sind:

die Hauptversammlung (Landeskonferenz)

der Vorstand

der Rechnungsprüfer

der Geschäftsführende Landessekretär

die Kontrolle

Der Landessekretär des Vereines, Dr. Karl S***** ist seit Juli 1993 als Angestellter beim Mieterschutzverband Österreichs, Landesleitung Tirol, tätig. Ursprünglich war er einziger Angestellter mit der Wahrnehmung des gesamten Aufgabenbereiches des Mieterschutzverbandes Österreichs im Bereich Tirol befaßt, unter anderem auch mit der gesamten Büroorganisation, da der Verein über keine Sekretärin verfügt. Der gesamte Arbeitsumfang umfaßt im wesentlichen drei Bereiche, und zwar erstens die Büroorganisation mit Schreibarbeiten, Einkauf von Büroartikel Führung des Kartei- und Mahnwesen sowie Wahrnehmung der Vereinsorganisation (Einberufung, Vorbereitung und Abhaltung von Vorstandsitzungen), zweitens Werbungstätigkeiten für den Verein (insbesondere Vorbereitung und Organisation von diversen Spendenaktionen) und drittens die Tätigkeit im gesamten rechtlichen Bereich. Dieser spaltet sich in Beratungs- und Vertretungsaufgaben. Im Rahmen der Beratungstätigkeit werden von den Angestellten des Mieterschutzsverbandes drei Sprechtage in der Woche abgehalten, wobei ca. 15 Rechtssuchende pro Sprechtag erscheinen, sohin ca. 200 pro Monat. Im Jahr 1997 wurde von den Angestellten des Mieterschutzverbandes Österreich ca. 900 Beratungen durchgeführt.

Die Vertretungstätigkeit wiederum spaltet sich in gerichtliche und außergerichtliche Agenden. Die außergerichtliche Tätigkeit umfaßt derzeit ca. 230 Akten davon sind 60 Akten gerichtsanhängig. Von letzteren betreffen wiederum nur ca. 10 % eine Vertretungstätigkeit im Rahmen von streitigen Zivilverfahren, bei denen keine relative Anwaltspflicht besteht (Streitwert höchstens S 30.000,--). Der restliche Anteil von ca. 90 % bezieht sich auf außerstreitige Verfahren nach § 37 MRG. Mag. Martin Z***** wurde vor einiger Zeit vom Mieterschutzverband Österreichs angestellt. Der überwiegende Teil seiner Tätigkeiten umfaßt die Beratung von Mitgliedern bei Sprechstunden bzw über fernmündliche Anfrage, die Abwicklung der außergerichtlichen Korrespondenz sowie die gesamte Büroarbeit. Im Rahmen seiner Einstellung wurde ausdrücklich darüber gesprochen, daß jegliche etwaige Vertretung der Mitglieder in streitigen Verfahren durch ihn persönlich und freiwillig, allenfalls aus sozialen Aspekten heraus, erfolge, nicht durch den Verband selbst. Bei der Einstellung von Mag. Martin Z***** durch den Vorstand des Mieterschutzverbandes Österreichs, Landesleitung Tirol, wurde auch dessen soziale und mieterfreundliche Grundeinstellung mitberücksichtigt.

Die Vertretung der Mitglieder im streitigen Verfahren ist vom Dienstvertrag des Landessekretärs bzw des Mag. Martin Z***** nicht umfaßt. Von beiden werden Vertretungen im streitigen Verfahren nur sporadisch in eigenem Namen übernommen, insbesondere auch im Hinblick auf soziale Aspekte betreffend die Mitglieder. Weder Mag. Martin Z***** noch Dr. Karl S***** erhalten für die Vertretung von Mitgliedern in streitigen Verfahren ein zusätzliches Entgelt, es sind dabei nur die entstandenen Barauslagen, wie etwa Gerichtskosten und Fahrtgeld zu ersetzen. Auch bei Mag. Martin Z***** ist der Anteil seiner Tätigkeit betreffend Vertretung in streitigen Verfahren äußerst gering; so vertritt er derzeit etwa 25 Mitglieder im außerstreitigen Verfahren und nur ca. 3 in streitigen Rechtssachen. Er bezieht einen Angestelltenlohn von monatlich netto S 10.240,--.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß Winkelschreibereien auch von Funktionären eines Rechtschutzvereines begangen werden können, dessen Aufgabe nach den Statuten unter anderem die Rechtsvertretung der Mitglieder sei. Der Funktionär eines Rechtschutzvereines begehe dann keine Winkelschreiberei wenn die gewinnsüchtige Absicht deshalb ausgeschlossen sei, weil von den Parteien nur solche Beträge eingeholt würden, die die wirklichen Kosten der Tätigkeit (einschließlich angemessener Regiespesen) deckten und daher auch die Entlohnung des (noch von anderweitigen statutenmäßigen Tätigkeiten in Anspruch genommenen) Funktionärs derart geringfügig sei, daß von einem wirklichen Entgelt für die Verfassung von Urkunden und die sonstige Rechtsvertretung nicht gesprochen werden könne. Das Verhältnis der Tätigkeiten der vorerwähnten beiden Vereinsangestellten für streitige Rechtssachen im Vergleich zu ihren übrigen Arbeitsbereichen sei äußerst gering; es erfolge dafür keine Entlohnung im eigentlichen Sinn; die Tätigkeiten erfolgten im wesentlichen freiwillig aus sozialen Aspekten. Aus diesen Gründen liege sowohl bei Mag. Martin Z***** als auch bei Dr. Karl S***** keinerlei gewinnsüchtige Absicht vor, weshalb der Tatbestand der Winkelschreiberei nicht gegeben sei. Der Hinweis der beklagten Partei auf die Sonderregelung des § 37 Abs 3 Z 11 MRG habe nicht zwingend zur Folge, daß in jedem Fall bei Vertretung in streitigen Verfahren der Tatbestand der Winkelschreiberei verwirklicht wäre. Es sei vielmehr weiterhin im Detail zu prüfen, welche Tätigkeiten von den Vereinsangestellten im einzelnen entfaltet würden, ob hierfür ein Entgelt entrichtet werde und ob sohin insgesamt eine gewinnsüchtige Absicht bestehe. Dies sei hier zu verneinen.

Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Tiroler Rechtsanwaltskammer Folge und hob den erstgerichtlichen Beschluß zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung durch das Erstgericht auf. Es sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Einen von der beklagten Partei erhobenen Rekurs wies es - unangefochten - zurück.

Es vertrat zusammenfassend die Rechtsmeinung, daß die Vertretungstätigkeit des Mag. Z***** im streitigen Verfahren im engen Zusammenhang mit seiner Tätigkeit beim Mieterschutzverband Österreichs zu sehen sei und ohne diesen Zusammenhang praktisch nicht denkbar wäre. Dies ergebe sich einerseits daraus, daß offenkundig nur Mitglieder des Mieterschutzverbandes "privat" vertreten würden und andererseits daraus, daß die konkrete Tätigkeit im streitigen Verfahren ohne das Angestelltenverhältnis nicht denkbar sei. Ein eindeutig Indiz sei auch die verwendete Stampiglie. Nach den festgestellten Statuten sei unter anderem auch die Vertretung bei allen in Frage kommenden Verwaltungsbehörden, Gerichten und sonstigen Stellen durch Funktionären und Angestelle Aufgabe des Vereins. Damit ergebe sich die Gewerbsmäßigkeit (gewinnsüchtige Absicht) schon rein aus der Tatsache, daß ein Vereinsangestellter gemäß den Statuten seines Verbandes einschreite, der die unentgeltliche Vertretung seiner Mitglieder - auch bei Gericht - zum Vereinszweck erhoben habe. Das Tätigwerden in der (von der Privatperson) untrennbaren Eigenschaft als bestellter und bezahlter Vereinsangestellter lasse ohne Rücksicht auf die Häufigkeit des Einschreitens bereits den Schluß auf die Absicht zu, sich einen ständigen Erwerb zu verschaffen (JBl 1958, 628). Unter Bezug auf die Untrennbarkeit zwischen der Vertretungstätigkeit und der Eigenschaft als Angestellter des Mieterschutzverbandes Österreichs könne auch nicht übersehen werden, daß der Vertretung von Mitgliedern des Mieterschutzverbandes Österreichs insgesamt eine entgeltliche Gegenleistung in Form der Mitgliedsbeiträge gegenüberstehe. Wenn Mitglieder eines Vereins Anspruch auf kostenlose Rechtsvertretung hätten, dafür Mitgliedsbeiträge einzahlten und dann tatsächlich kostenlos verträten, könne nicht mehr von Unentgeltlichkeit gesprochen werden. Diese vorstehenden Überlegungen blieben auch dann aufrecht, wenn man berücksichtige, daß Mag. Z***** seine Vertretungstätigkeit vorwiegend aus sozialen Motiven durchgeführt habe. Die soziale Motivation könne nichts daran ändern, daß er seine Vertretungstätigkeit im streitigen Verfahren nicht als reine Privatperson, sondern untrennbar verbunden mit seiner Eigenschaft als Angestellter des Mieterschutzverbandes für Mitglieder dieses Vereines durchgeführt habe und daß damit einerseits Gewerbsmäßigkeit und im Hinblick auf die Mitgliedsbeiträge auch Entgeltlichkeit anzunehmen sei. Über Mag. Martin Z***** sei daher gemäß § 3 der Winkelschreibereiverordnung eine entsprechende Strafe zu verhängen. Die Sache sei aber noch nicht spruchreif, weil Erhebungen und Feststellungen zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen fehlten. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil neuere einheitliche Rechtsprechung zur Problematik der vordergründig kostenlosen Vertretung durch Angestellte des österreichweit tätigen Mieterschutzverbandes über die Bedeutung eines Einzelfalls hinausreiche und weil dazu auch eine gesicherte neue Rechtsprechung nicht bekannt sei.

Der dagegen vom Beschuldigten erhobene Revisionsrekurs ist aus den dargelegten Gründen des Rekursgerichtes zulässig und auch berechtigt.

Der Revisonsrekurswerber macht zusammengefaßt geltend, daß die Haupttätigkeiten von Angestellten des Mieterschutzverbandes aus außergerichtlichen Interventionen, aus Rechtsberatung und aus der Vertretung im gerichtlichen Außerstreitverfahren bestünde. Lediglich in untergeordnetem Rahmen werde auch eine Vertretung im streitigen Verfahren, in denen weder relativer noch absoluter Anwaltszwang bestehe, übernommen, wobei die Angestellten im eigenen Namen einschritten und hiefür kein Geld erhielten, sondern die Aufträge vorwiegend aus sozialen Gründen im Rahmen unentgeltlicher Mehrarbeit übernähmen. Ein Vereinsmitglied habe auch keinen Anspruch auf Vertretung in streitigen Verfahren. Durch Bezahlung einer Mitgliedsgebühr werde die Tätigkeit des Vereins auch noch nicht zu einer gewerbsmäßigen.

Rechtliche Beurteilung

Dazu hat der erkennende Senat erwogen.

Nach § 1 lit b der Winkelschreibereiverordnung RGBl Nr 114/1857 (in der Folge JMV) ist als Winkelschreiber anzusehen, wer, ohne von der zuständigen Behörde dazu berechtigt zu sein, es zu seinem Geschäftsbetriebe macht, Rechtsurkunden oder gerichtliche Eingaben in und außer Streitsachen, wenn auch das Einschreiben eines Rechtsfreundes bei den selben gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, für Parteien zu verfassen oder als Bevollmächtigter derselben bei Gericht einzuschreiten, es möge der Bezug eines Entgeltes hiebei erwiesen sein oder die gewinnsüchtige Absicht auch nur aus der Menge der verfaßten Rechtsurkunden oder Eingaben, aus häufigem Einschreiten in der Eigenschaft eines Bevollmächtigten, aus der Beibringung verstellter Zessionen oder aus anderen Umständen mit Grund zu folgern sein.

Fasching (Kommentar II 11. ff [14]) fordert aufgrund der Merkmale "Geschäftsbetrieb" und "gewinnsüchtige Absicht" für die Strafbarkeit der Winkelschreiberei nach dem § 1 lit b JMV (die Absicht auf) "dauernde Tätigkeit und Entgeltlichkeit". Entgelt könne jede Art vermögenswert sein, so seien Angestellte einer Mietervereinigung oder eines Kreditorenverbandes, die planmäßig vor Gericht als Parteienvertreter aufträten, als Winkelschreiber anzusehen, auch wenn sie nicht von den Parteien, sondern vom Rechtschutzverband ihre fixe monatliche Entlohnung bezögen, deren Höhe vom Umfang ihrer Vertretungstätigkeit unabhängig sei. Nur dann, wenn tatsächlich die Regien selbst, also die Barauslagen in Rechnung gestellt würden, könne von einem "Entgelt" im Sinne der Winkelschreibereiverordnung nicht gesprochen werden, das müsse aber dann ausgeschlossen werden, wenn der Winkelschreiber als Angestellter als Rechtschutzverbandes aus dessen zum Zwecke der Parteienvertretung eingerichteten Tätigkeit sein hauptsächliches Einkommen beziehe und wenn diese Anstellung zum Zwecke der Parteienvertretung geschaffen worden sei.

Zur Frage, ob Angestellte eines Rechtschutzvereines als Winkelschreiber anzusehen sind, hat der Oberste Gerichtshof in jüngster Zeit nicht Stellung genommen.

In der Entscheidung SZ 12/16 wurde der Obmann eines Vereines, der alle übrigen Vereinsfunktionäre geflissentlich von den Vereinsgeschäften fern hielt und einen Verein nur zu dem Zwecke gründete, um unter dem Scheine der Ausübung einer Vereinsfunktion geschäftsbetriebsmäßig Eingaben für Parteien verfassen zu können und hiefür Entgelt zu beziehen, als Winkelschreiber angesehen.

In der in dem ZBl 1932/90 veröffentlichten Entscheidung wurde zur Frage der Strafbarkeit von Funktionären von Rechtschutzvereinen wegen Winkelschreiberei ausgeführt, daß dort, wo der wegen Winkelschreiberei angezeigte Vereinsfunktionär die Vereinsgründung schon in der Absicht vorgenommen habe, die von den Parteien gezahlten Beträge sich zuzuwenden also nur unter dem Scheine der Ausübung der Vereinstätigkeit in Wahrheit Winkelschreiberei betreibe, ein strafbares Delikt vorliege. Die gewinnsüchtige Absicht müsse aber dort ausgeschlossen werden, wo von den Parteien nur Beträge eingehoben würden, welche die wirklichen Kosten der Tätigkeit deckten, wozu auch angemessene Regiespesen gerechnet werden könnten und wo entsprechend auch die allfällige Entlohnung des Vereinsorganes gerade für die den Verdacht der Winkelschreiberei erweckende Tätigkeit derart geringfügig sei, daß von einem wirklichen Entgelt für die Verfassung von Urkunden, Eingaben oder Rechtsvertretung als von Gewinn oder Vorteil des Handelnden nicht gesprochen werden könne.

In der im EvBl 1955/71 veröffentlichten Entscheidung wurde dem Inhaber eines Inkassobüros, der zahlreiche Mahnklagen gegen Entgelt eingebracht hatte, ebenfalls als Winkelschreiber angesehen.

Schließlich wurde in der Entscheidung JBl 1958, 628 zur Winkelschreiberei eines Sekretärs des Mieterschutzverbandes ausgeführt, daß sich die Gewerbsmäßigkeit (gewinnsüchtige Absicht) rein aus der Tatsache, ergebe, daß ein Vereinssekretär gemäß Statuten des Verbandes einschreite, der die unentgeltliche Vertretung seiner Mitglieder - auch bei Gericht - zum Vereinszweck erhoben habe.

Bei neuerlicher Prüfung des Sachverhaltes läßt sich in den JBl 1958, 628 ausgesprochene Rechtsansicht nicht mehr aufrecht erhalten.

Auszugehen ist davon, daß der Mieterschutzverband entsprechend seinen Satzungen nicht auf Gewinn ausgerichtet ist und den Zweck verfolgt, eine allgemeine Verbesserung der Wohn- und Mietverhältnisse sowie der entsprechenden Gesetze herbeizuführen. Er vertritt die Interessen der Wohnungssuchenden, Mieter, Siedler und Pächter im allgemeinen sowie seiner Mitglieder im besonderen. Zu diesem Zweck gewährt er seinen Mitgliedern unentgeltliche Rechtsberatung und Unterstützung, wobei die Unterstützung durch Vorsprache bei Behörden und sonstigen Stellen für die Interessen der Mieter, Siedler, Pächter und Wohnungseigentümer geleistet wird. Anspruch auf Rechtsberatung hat in der Regel nur ein Mitglied, das die Mitgliedsbeiträge rechtzeitig geleistet hat. Die Vertretung bei allen in Frage kommenden Verwaltungsbehörden, Gerichten und sonstigen Stellen erfolgt durch Funktionäre und Angestellte des Vereines.

Dem Rekursgericht ist zwar zuzugeben, daß der Mieterschutzverband unter anderem die Aufgabe hat, Mitgliedern bei allen in Frage kommenden Verwaltungsbehörden, Gerichten und sonstigen Stellen zu vertreten. Daß eine derartige in den Satzungen vorgesehene - zulässige - Vertretung von Mitgliedern einer Mietervereinigung grundsätzlich nicht als Winkelschreiberei anzusehen ist, entspricht der herrschenden Anschauung und dem Gesetz. Gemäß § 37 Abs 3 Z 11 MRG sind zur Vertretung der Parteien in erster und zweiter Instanz (im Außerstreitverfahren) auch die Funktionäre und Angestellten derjenigen Vereine befugt, zu deren satzungsmäßigen Zwecken der Schutz und die Vertretung der Interessen der Vermieter (Hausbesitzer) oder der Mieter gehört und die sich mit der Beratung ihrer Mitglieder in Mietangelegenheiten im mehr als zwei Bundesländern regelmäßig befassen.

Zu letzterer Bestimmung haben die erläuternden Bemerkungen zur Urfassung des MRG (§ 35 Abs 2 Z 6) ausgeführt, daß dadurch einer seit Jahrzehnten geübten Praxis Rechnung getragen werden solle, die sich im wesentlichen bewährt habe (425 Blg NR 15. GP 43). Damit sind Angestellte von Vereinigungen, die sich die Vertretung von Mietern in mehr als zwei Bundesländern - wie gerichtsbekannt hier - zur Aufgabe gemacht haben, jedenfalls zur Vertretung ihrer Mitglieder im Außerstreitverfahren berechtigt.

Zu verweisen ist noch, daß § 8 RAO durch das Rechtsanwaltsprüfungsgesetz (RAPG) 1985 ebenfalls eine Änderung erfahren hat. § 8 RAO enthielt bis dahin nur die Bestimmung, daß sich "das Vertretungsrecht eines Rechtsanwalts auf alle Gerichte und Behörden der Republik Österreichs erstreckt unter Befugnis zur berufsmäßigen Parteienvertretung in allen gerichtlichen und außergerichtlichen, in allen öffentlichen und Privatangelegenheiten umfaßt". Mit dem RAPG wurden § 8 RAO zwei weitere Absätze hinzugefügt. Im § 8 Abs 2 RAO wurde ausdrücklich den Rechtsanwälten die Befugnis zur umfassenden berufsmäßigen Parteienvertretung im Sinn des Abs 1 vorbehalten. Gemäß § 8 Abs 3 RAO bleiben aber von diesem Vorbehalt jedenfalls auch die Parteienvertretungen aufgrund sonstiger gesetzlicher Bestimmungen, der Wirkungsbereich von gesetzlichen Interessensvertretungen und von freiwilligen kollektivvertraglichen Berufsvereinigungen der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, die Auskunftserteilung oder Beistandsleistung durch Personen oder Vereinigungen, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar dem Ziel wirtschaftlicher Vorteile dieser Personenvereinigung dienen, sowie Befugnisse, die in den Berechtigungsumfang von gebundenen oder konzessionierten Gewerben oder Handwerken fallen, unberührt. Damit wurde der Kreis der berufsfremden Personen, die nur zu einer sachlich begrenzten Parteienvertretung, nicht aber zur umfassenden Vertretung in allen in § 8 Abs 1 RAO Angelegenheiten berechtigt sind, umschrieben. § 8 Abs 3 RAO hindert nicht die Auskunftserteilung, also auch nicht den juristischen Rat oder die juristische Beistandsleistung Dritten gegenüber durch Personen oder Vereinigungen, soweit sie nicht unmittelbar oder mittelbar dem Ziel wirtschaftlicher Vorteile dieser Personen oder Vereinigungen dienen. Gedacht war hier in erster Linie an Konsumentenschutzvereine, Mietervereinigungen oder Kraftfahrorganisationen, die auf ihren Gebieten unter anderem auch rechtsberatende Tätigkeiten entfalteten (Tades Bemerkungen zum Rechtsanwaltsprüfungsgesetz, AnwBl 1985, 619 ff [624]). Auch aus dieser Bestimmung erhellt, daß die rechtsberatende Tätigkeit, wie sie vom Mieterschutzverband Österreichs ausgeübt wird, nicht den Rechtsanwälten vorbehalten ist, weil diese Tätigkeit nicht primär dazu dient, der betreffenden Person oder Personenvereinigung einen nützlichen Vorteil zu verschaffen. Nach den Statuten ist der Mieterschutzverband nicht auf Gewinn gerichtet.

Ob die durch die dargestellten Gesetzesänderungen eine regelmäßige Vertretung von Parteien in jenen (streitigen) Rechtssachen, in denen eine Vertretung durch Anwälte nicht geboten ist, zulässig ist, kann aber hier dahingestellt bleiben. Für die Anwendung der gerichtlichen Maßnahmen gegen Winkelschreiber reicht zwar der Anscheinsbeweis hin. Die einzelne Handlung muß einerseits im Rahmen einer planmäßigen Dauertätigkeit gesetzt und diese Dauertätigkeit auf geldwerte Vorteile ausgerichtet sein; in der zweitgenannten Hinsicht reicht zwar der Beweis einer entsprechenden Häufigkeit rechtsfreundlichen Einschreitens hin; dieser Beweis kann aber schon dadurch erschüttert werden, daß als Motiv für die planmäßige Dauertätigkeit ein nicht auf die Erzielung geldwerter Vorteile gerichtetes Streben ebenso naheliege, etwa ein rein karitativer, idealistischer, für bestimmte Ansichten werbender Zweck (EvBl 1987/206). Auch wenn die Tätigkeit für die Mitglieder eines Vereins erbracht wird, zu dessen statutenmäßigen Aufgaben die - erlaubte - Vertretung der Vereinsmitglieder gehört, kann das dadurch indizierte Motiv, (auch) durch eine regelmäßige unerlaubte Vertretungstätigkeit geldwerte Vorteil zu erzielen, widerlegt werden. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen hat der Beschuldigte Vertretungen von Mitgliedern des Verbandes in streitigen Rechtssachen nur in Ausnahmsfällen, aus sozialen Erwägungen und bloß gegen den Ersatz von Barauslagen übernommen. Seine Tätigkeit war unter diesen Umständen daher nicht auf die Erzielung geldwerter Vorteile gerichtet, weshalb das in der JMV geforderte Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit und der gewinnsüchtigen Absicht nicht verwirklicht ist. Die Entscheidung des Erstgerichtes war daher wiederherzustellen.

Ein Kostenersatz findet nicht statt. Das Verfahren wegen Winkelschreiberei ist ein dem Außerstreitverfahren angenähertes amtswegiges Verfahren, das Kostenersatz nur bei ausdrücklicher Anordnung vorsieht. Da hier eine Kostenersatzverpflichtung anordnende Bestimmung nicht vorhanden ist, war spruchgemäß zu entscheiden.