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OGH vom 27.09.2017, 7Ob77/17z

OGH vom 27.09.2017, 7Ob77/17z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** Gebietskrankenkasse, *****, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner und Dr. Robert Pirker, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei G*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Univ.-Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 93.386,19 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 19/17w-14, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1. Die Leistungspflicht des Sozialversicherungsträgers gründet im öffentlichen Recht (2 Ob 6/13s). Der Forderungsübergang auf diesen nach § 332 ASVG findet bereits mit dem schädigenden Ereignis statt (RIS-Justiz RS0045190; RS0116986; RS0113644; RS0034634). Für den Sozialversicherungsträger beginnt daher die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB erst dann zu laufen, wenn er selbst Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hat oder erlangen hätte können (2 Ob 238/02t; RIS-Justiz

RS0116986; RS0034514 [T15, T 16]). Anders als etwa in Fällen einer Legalzession nach § 1358 ABGB und § 67 VersVG (vgl RIS-Justiz RS0034514 [T9, T 10, T 12, T 13, T 14], RS0032304, RS0080594) kommt es für den Verjährungsbeginn darauf an, wann der Sozialversicherungsträger selbst bzw sein zuständiger Ressortleiter Kenntnis vom Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat oder hätte erlangen können (vgl 6 Ob 313/05f).

1.2. Bei einer juristischen Person ist nicht nur das Wissen gemäß § 1489 ABGB ihrer zur Vertretung in dem betreffenden Bereich berufenen Organmitglieder vom anspruchsbegründenden Sachverhalt maßgeblich (RIS-Justiz RS0009172), sondern auch das Wissen solcher Personen, denen in der betreffenden Angelegenheit Vertretungskompetenz zukommt – wie etwa Prokuristen, Handlungsbevollmächtigte oder Rechtsvertreter –, soweit es sich auf das im konkreten Fall diesem Bevollmächtigten übertragene Aufgabengebiet erstreckt und sie mit der speziellen Sache auch tatsächlich befasst waren (RIS-Justiz RS0009172 [T6, T 9, T 10, T 19]; vgl RS0034422). Wissensvertreter ist, wer vom Geschäftsherrn damit betraut worden ist, Tatsachen, deren Kenntnis von Rechtserheblichkeit ist, entgegenzunehmen oder anzuzeigen (RIS-Justiz RS0065360). Bei der Wissenszurechnung wird allgemein als Voraussetzung verlangt, dass sich das Wissen auf den übertragenen Aufgabenbereich erstreckt und der Gehilfe tatsächlich mit der betreffenden Angelegenheit befasst ist, und es wird darauf abgestellt, ob die Hilfsperson mit dem Willen des Geschäftsherrn tätig geworden ist und diese bei Durchführung der Agenden von ihrem Wissen Gebrauch hätte machen können (7 Ob 92/16d = RIS-Justiz RS0114717 [T3] = RS0034422 [T2]). Soweit es auf das Wissen des Geschäftsherrn ankommt, wird diesem das Wissen des Wissensvertreters als eigenes zugerechnet und es treten daher die an sein Wissen geknüpften Rechtsfolgen zum Nachteil des Geschäftsherrn ein. Dem liegt der allgemeine Gedanke zugrunde, dass der Einsatz von Gehilfen, also die „Rollenspaltung“, nicht zum Nachteil Dritter gehen darf, weil ansonsten der Einsatz eines Gehilfen eine Verschlechterung der vom Gesetzgeber im Sinne eines Interessensausgleichs vorgesehenen Rechtsposition Dritter mit sich brächte, weshalb der Geschäftsherr so zu behandeln ist, als wäre er selbst tätig geworden (5 Ob 290/07v = RIS-Justiz RS0065360 [T11, T 12]; vgl RS0016312).

1.3. Die Ansicht der Vorinstanzen, dass ein Sozialversicherter keine Hilfsperson der gesetzlichen Krankenversicherung – und diese nicht Geschäftsherr der Krankenversicherten – im dargelegten Sinne ist, und dass daher eine Wissenszurechnung nicht stattfindet, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Die Revisionswerberin zeigt auch nicht auf, wie ihre gegenteilige Ansicht mit der zu 1.1. dargestellten Rechtsprechung vereinbar sein sollte, zumal nicht einmal im Gesetz ausdrücklich vorgesehene Informationspflichten (etwa die gegenseitige Verwaltungshilfe der Versicherungsträger nach § 321 ASVG) den Zweck haben, einen Schädiger zu entlasten (vgl 6 Ob 313/05f).

2.1. Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0034459). Maßgeblich ist, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruchs maßgebenden Tatbestände bekannt gewesen sind (vgl RIS-Justiz RS0034547 [insb T 7]). Der Geschädigte darf sich allerdings nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält (RIS-Justiz RS0065360). Wenn der Geschädigte (Legalzessionar) die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre (RIS-Justiz RS0034327; vgl RS0034335). Die Erkundigungsobliegenheit darf aber nicht überspannt werden (RIS-Justiz

RS0034327 [T6]); sie setzt deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente voraus, aus denen der Anspruchsberechtigte schließen kann, dass Verhaltenspflichten nicht eingehalten wurden (RIS-Justiz RS0034327 [T42]). Wer die Verjährungseinrede erhebt – hier die beklagte Krankenhausträgerin –, trägt die Behauptungs- und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände (RIS-Justiz RS0034456 [T4], den Beginn der Verjährungsfrist und die relevante Kenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt (RIS-Justiz RS0034326 [T9]); dies gilt auch dann, wenn sich ein Beklagter darauf beruft, der Geschädigte hätte Erkundigungsobliegenheiten verletzt (vgl RIS-Justiz RS0034456 [T5]). Bei der Frage des Ausmaßes der Erkundigungspflicht des Geschädigten (Legalzessionars) über den die Verjährungsfrist auslösenden Sachverhalt kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an (RIS-Justiz RS0113916; RS0034335 [T5];

RS0034327 [T3, T 45]).

2.2. Im vorliegenden Fall erachteten die Vorinstanzen die bei der Klägerin eingerichtete automatisierte diagnosebezogene Unfallerhebung, bei der aus ICD-10-Diagnosen solche herausgefiltert werden, die einen Verdacht auf Fremdverschulden indizieren, vor dem Hintergrund als ausreichend, dass kein System existiert, mit dem ärztliche Kunstfehler herausgefiltert werden könnten, wenn – wie hier – in den übermittelten Diagnosedaten keine Hinweise darauf enthalten sind. Als der Klägerin unzumutbare Überspannung der Erkundigungsobliegenheit sahen es die Vorinstanzen an, auch ohne einen solchen konkreten Hinweis – und damit praktisch nahezu in jedem Abrechnungsfall – Erhebungen dahin führen zu müssen, ob Krankenkassenleistungen möglicherweise durch Fremdverschulden, insbesondere durch einen ärztlichen Behandlungsfehler, verursacht wurden.

Diese Ansicht ist im Einzelfall nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung, zumal hier – die weiteren Erkundigungspflichten erst begründende – deutliche Anhaltspunkte für einen Schadenseintritt im Sinn konkreter Verdachtsmomente eines Drittverschuldens vorerst nicht gegeben waren.

2.3. 8 Ob 126/11d ist nicht einschlägig, weil dort gerade kein Anspruch geltend gemacht wurde, der wie im Fall des § 332 ASVG direkt beim Sozialversicherungsträger entsteht, sondern ein solcher, der bis zur Anzeige des Rechtsträgers an den Dritten als Forderung des Geschädigten aufrecht bleibt (vgl RIS-Justiz RS0063113).

3. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00077.17Z.0927.000
Schlagworte:
1 Generalabonnement,12 Sozialrechtssachen

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