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OGH vom 29.05.2008, 2Ob93/08b

OGH vom 29.05.2008, 2Ob93/08b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Edwin A. Payr, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. K***** OEG, *****, 2. Michael K*****, 3. Johann S*****, alle vertreten durch Dr. Gert Weiler, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen 1.960,97 EUR sA über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom , GZ 17 R 8/08h-18, womit die Berufung der beklagten Parteien gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom (verkündet am ), GZ 25 C 2621/06s-14, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

In der Verhandlung vom verkündete der Erstrichter in Anwesenheit der Parteienvertreter das klagsstattgebende Urteil. Eine Berufungsanmeldung erfolgte in dieser Verhandlung nicht. Am verfügte der Erstrichter die Zustellung der Protokollsabschrift dieser Verhandlung an die Parteienvertreter. Das an den Beklagtenvertreter adressierte Kuvert samt Protokollsabschrift kam mit dem Vermerk „Urlaubsfach bis " an das Erstgericht zurück. Mit Datum fertigte der Erstrichter das in der Verhandlung vom verkündete Urteil schriftlich mit voller Begründung (also nicht in gekürzter Form gemäß § 417a ZPO) aus. Dem Beklagtenvertreter wurde diese Urteilsausfertigung am und die Protokollsabschrift der Verhandlung vom am zugestellt. Am gab der Beklagtenvertreter die Berufung zur Post. Die Gleichschrift der Berufung wurde dem Klagevertreter am zugestellt; dieser überreichte am beim Erstgericht die Berufungsbeantwortung.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurück, die Zustellung der Protokollsabschrift an den Beklagtenvertreter am (Zustellversuch) sei aufgrund des Hinweises „Urlaubsfach bis " nicht erfolgt. Der Oberste Gerichtshof habe zu 9 Ob 296/00w und Bkv 11/99 klargestellt, dass sowohl die Kanzlei als auch die „Zweigniederlassungen" eines Rechtsanwalts als Abgabestelle regelmäßig für Zustellungen zur Verfügung stehen müssten. Bei einer Zustellung in der Kanzlei hindere eine Abwesenheit des Parteienvertreters (Urlaub, Spitalsaufenthalt etc) die Wirksamkeit der Zustellung nicht und schiebe den Zustelltag auch nicht hinaus. Den Rechtsanwalt träfen als Organ der Rechtspflege besondere Verhaltensnormen, die eine Zustellung nicht verhindern dürften, sondern jederzeit möglich machen sollten. Die Frist zur Berufungsanmeldung habe daher am begonnen und am geendet. Die außerhalb dieser Frist zur Post gegebene Berufung sei daher als unzulässig zurückzuweisen gewesen. Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Zustellung des Protokolls vom an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (RIS-Justiz RS0042770, RS0098745) und auch berechtigt. Dabei ist das Rekursverfahren nach ständiger Rechtsprechung einseitig (RIS-Justiz RS0098745 [T8, T 12]; RS0043760).

Die Rekurswerber weisen zutreffend darauf hin, dass am eine rechtswirksame Zustellung der Protokollsabschrift an den Beklagtenvertreter nicht erfolgte: Weder wurde die Sendung in der Kanzlei des Beklagtenvertreters an einen dort anwesenden Angestellten gemäß § 13 Abs 4 Satz 1 ZustG übergeben, noch erfolgte eine Hinterlegung gemäß § 17 ZustG. Jene Entscheidungen, auf die sich das Berufungsgericht stützt, betrafen dagegen Fälle, in denen eine wirksame Zustellung erfolgt war (15 Os 6/88 und 14 Os 74/92: Übergabe an eine Angestellte bzw Sekretärin des Rechtsanwalts mit Rückschein; 9 Ob 296/00w: Hinterlegung nach § 8 ZustG).

§ 13 Abs 4 Satz 1 ZustG kann einen gültigen Zustellvorgang nicht ersetzen. Die Bestimmung bewirkt lediglich, dass Angestellte des Parteienvertreters keine Ersatzempfänger sind, sondern berechtigt sind, auch Sendungen zu übernehmen, bezüglich deren die eigenhändige Zustellung (§ 21 ZustG) angeordnet ist (RIS-Justiz RS0083851 = 5 Ob 547/91). Auch § 7a Abs 4 RAO normiert lediglich, dass sowohl die Kanzlei als auch die Niederlassungen Abgabestellen im Sinn des § 13 Abs 4 ZustG sind. Eine Zustellfiktion oder eine von den Zustellvorschriften des ZustG abweichende Möglichkeit der Zustellung sieht auch diese Bestimmung nicht vor. Zutreffend ist lediglich, dass aus § 7a Abs 4 RAO gefolgert wird, dass die Kanzlei und Niederlassungen eines Rechtsanwalts als Abgabestellen für eingeschriebene Briefe und Rückscheinsendungen aller Art regelmäßig zur Verfügung stehen müssen (RIS-Justiz RS0112905) und dass eine - wie offensichtlich auch im vorliegenden Fall vorliegende - Verletzung dieses Gebots zu disziplinärer Verantwortung führen kann (Stumvoll in Fasching/Konecny2, Anhang § 87 ZPO, § 13 ZustG Rz 31 mwN). Die erstmals wirksame Zustellung der Protokollsabschrift erfolgte daher erst am .

Die Berufung der Beklagten wurde daher innerhalb der vierwöchigen Frist gemäß § 464 Abs 1 und 2 ZPO und somit rechtzeitig zur Post gegeben. Da die den Parteienvertretern zugestellten Urteilsausfertigungen ersichtlich solche mit voller Begründung und nicht bloß in gekürzter Form gemäß § 417a ZPO waren, bedurfte es nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht mehr einer gesonderten Anmeldung der Berufung gemäß § 461 Abs 2 ZPO (RIS-Justiz RS0117659).

Die Zurückweisung durch das Berufungsgericht erfolgte daher zu Unrecht, weshalb der angefochtene Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung aufzutragen war. Die von den Rekurswerbern begehrte Zurückverweisung an das Erstgericht zur Zustellung des Protokolls der Verhandlung vom kommt nicht in Betracht, weil es bereits zugestellt wurde. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.