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OGH vom 09.08.2011, 4Ob82/11d

OGH vom 09.08.2011, 4Ob82/11d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** A*****, vertreten durch Suppan Spiegl Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Zöchbauer Frauenberger Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 34.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 2.200 EUR), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 4 R 319/10a 11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 11 Cg 166/10i 7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem vom Revisionsverfahren betroffenen Teil dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts insgesamt wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.153,70 EUR (darin 780,95 EUR USt und 2.468 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist ein bei der Sicherheitsdirektion Niederösterreich, Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, tätiger Beamter. Die Beklagte ist Medieninhaberin des periodischen Printmediums „Ö*****“, das täglich im gesamten Bundesgebiet erscheint. In der Niederösterreich Ausgabe von „Ö*****“ erschien am ein Bericht über einen von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt beauftragten Einsatz des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Räumen des ORF. Dieser Bericht war mit einem Foto illustriert, das den Kläger von der Seite mit abgewandtem Gesicht zeigte. Im rechten unteren Eck des Fotos befindet sich der Text: „Die Verfassungsschützer ziehen vom ORF ab.“ Der Name des Klägers wurde im Bericht nicht genannt. Der Kläger hat dieser Lichtbildveröffentlichung nicht zugestimmt.

Der Kläger beantragt, der Beklagten aufzutragen, die Veröffentlichung und/oder Verbreitung von Personenbildnissen des Klägers ohne dessen Zustimmung im Zusammenhang mit der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit unter deren Preisgabe zu unterlassen; er begehrte weiters, ihn zu ermächtigen, das klagsstattgebende Urteil in einer Ausgabe der Zeitung der Beklagten, hilfsweise einer Niederösterreich-Ausgabe dieser Zeitung, hilfsweise in einem Medium auf angemessene Art und Umfang, jeweils ohne Angabe seines Namens und ohne Beifügung seines Personenbildnisses, zu veröffentlichen. Das beanstandete Foto sei nicht im Zuge des Einsatzes gemacht worden, sondern erst, als sich der Kläger bereits vom Einsatzort entfernt habe. Sein Aussehen sei einem weit über den unmittelbar befassten Personenkreis hinausgehenden Leserpublikum kenntlich gemacht worden, ohne dass das Bildnis Informationswert besitze. Wesentliche Grundlagen für seine Tätigkeit seien seine Anonymität und die Möglichkeit, geheim aufzutreten und nicht erkannt zu werden. Nach der Bildnisveröffentlichung sei er zumindest für eine nicht unmaßgebliche Zeit nicht mehr für geheime oder anonyme Einsätze geeignet, weshalb er in seinem Interesse an der erfolgreichen Berufsausübung und an seinem beruflichen Fortkommen innerhalb der Polizei erheblich beeinträchtigt sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Kläger sei auf dem Lichtbild gar nicht erkennbar, zumal er infolge des kleinformatigen Fotos auch nicht scharf abgebildet sei. Die Beklagte habe wahrheitsgetreu über den nicht geheimen Polizeieinsatz berichtet. Durch die Bildberichterstattung werde nur die ohnehin öffentlich wahrnehmbare Tatsache dargestellt, dass der Kläger seinen Dienst verrichtet habe. Ob und gegebenenfalls bei welchen Aktionen der Kläger auch verdeckt ermittle, sei der Beklagten nicht bekannt; darüber Recherchen anzustellen, sei ihr auch nicht zuzumuten. Nachteilige Auswirkungen auf sein Berufsleben habe der Kläger, der nach wie vor Beamter der Sicherheitsdirektion Niederösterreich sei und dessen Dienstzuteilung sich nicht geändert habe, nicht zu befürchten. Eine Verletzung des § 78 UrhG liege daher nicht vor. Die Berichterstattung sei auch nicht unter §§ 6 ff MedienG zu subsumieren. Werde die Beklagte an der Berichterstattung über die versuchte polizeiliche Beschlagnahme einer Videoaufzeichnung gehindert, an welcher wie hier ein massives öffentliches Interesse bestehe, oder müsse sie gänzlich auf die Veröffentlichung von Lichtbildern über polizeiliche Amtshandlungen verzichten, komme dies einer Beschränkung der Garantien des Art 10 MRK gleich.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Zwingende Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 78 UrhG sei die Erkennbarkeit des Abgebildeten. Dafür reiche es aus, dass die abgebildete Person von solchen Lesern erkannt werde, die sie schon öfter gesehen hätten, wie Angehörige, Bekannte und Personen aus der näheren oder weiteren Nachbarschaft. Es reiche somit aus, dass der Abgebildete auch (nur) von einem flüchtigen Beobachter aus seinem Bekanntenkreis erkannt werden könne, wenn zumindest eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem seinerzeitigen und dem derzeitigen Aussehen des Abgebildeten bestehe. Dieser Grundsatz sei im vorliegenden Fall einzuschränken, da der Kläger als Interessenverletzung geltend gemacht habe, dass er nicht mehr zu verdeckten Ermittlungen eingesetzt werden könne. In einem solchen Fall sei nur maßgeblich, ob er von den Personen erkannt werden könne, auf die sich seine Ermittlungshandlungen beziehen könnten, weshalb es bloß auf die Erkennbarkeit für Fremde ankomme. Das veröffentlichte Foto zeige den Kläger mit abgewendetem Gesicht; seine Gesichtszüge seien nicht zur Gänze zu erkennen, sondern nur Teile davon, insbesondere Teile der Nase sowie das linke Ohr von hinten. Auf diesem Foto sei der Kläger nicht einmal für seinen engsten Freundeskreis erkennbar. Keinesfalls sei eine Wiedererkennbarkeit des Klägers für Menschen gegeben, welchen er bei Amtshandlungen gegenüber trete. Das Klagebegehren sei deshalb abzuweisen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil dahin ab, dass es dem Unterlassungsbegehren zur Gänze und dem Veröffentlichungsbegehren im Umfang der Niederösterreich Ausgabe der Zeitung der Beklagten stattgab; das Veröffentlichungsmehrbegehren wies es unbekämpft ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Kläger, dessen Tätigkeit als „Verfassungsschützer“ aufgrund des Bildtextes offengelegt werde, könne im Rahmen verdeckter Ermittlungen von observierten Personen gerade noch (wieder )erkannt werden, und zwar aufgrund seiner Statur, seines Profils, seines Haarschnitts und der ersichtlichen Teile seines Gesichts. Es sei nicht ausgeschlossen, dass Personen, die im zeitlichen Zusammenhang des Erscheinungsdatums observiert worden seien, oder mit denen der Kläger bei verdeckten Ermittlungen bereits sonst Kontakt gehabt habe oder haben werde, Rückschlüsse auf den Kläger ziehen und diesen und damit seine ausgeübte Funktion wiedererkennen könnten. Der Kläger hätte auch dann ein berechtigtes Interesse daran, dass sein Lichtbild nicht veröffentlicht werde, wenn es sich im konkreten Fall um gar keine verdeckte Ermittlung gehandelt hätte. Der Veröffentlichung entgegenstehende überwiegende Interessen der Beklagten bestünden nicht. Selbst bei einem zuzubilligenden öffentlichen Interesse an der Berichterstattung über die versuchte Beschlagnahme von Videobändern hätte der Kläger auf dem Foto leicht unkenntlich gemacht werden können. Ob die Bildnisveröffentlichung Wertungen des Mediengesetzes nicht entgegenstehe, sei nicht erheblich, weil berechtigte Interessen nach § 78 UrhG auch ohne gleichzeitigen Verstoß gegen das Mediengesetz vorliegen könnten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, es sei zu bezweifeln, ob der Kläger auf dem Lichtbild überhaupt erkennbar sei. Diese Frage ist entscheidungserheblich: Berechtigte Interessen iSv § 78 UrhG können nur verletzt sein, wenn der Abgebildete für Personen, die ihn schon öfter gesehen haben, erkennbar ist (4 Ob 52/11t mwN); sie ist auch revisibel.

1.1. Zur Unterscheidung zwischen Tat- und Rechtsfrage enthält das Gesetz selbst keine Abgrenzungsregel. Im Allgemeinen ist als Lösung der Tatfrage die Beschaffung der konkreten Unterlagen für die Feststellung eines tatsächlichen Geschehens und diese Feststellung selbst anzusehen, während die Lösung der Rechtsfrage in der Anwendung der generellen Norm auf den konkreten Einzelfall besteht (1 Ob 155/04g mwN).

1.2. Tatfragen sind einem Beweis zugänglich, etwa durch Aussagen über sinnliche Wahrnehmungen von Tatsachen als konkrete, nach Raum und Zeit bestimmte Ereignisse und Zustände der Außenwelt oder des menschlichen Seelenlebens (vgl Rosenberg , Beweislast 50). Wertungen oder Schlussfolgerungen bauen hingegen zwar auf Tatsachen als deren tatsächliche Prämissen auf, sind selbst aber grundsätzlich nicht Gegenstand eines Beweisverfahrens und betreffen damit keine Tat , sondern revisible Rechtsfragen (vgl RIS Justiz RS0097540). So ist etwa die Beurteilung der Verwechslungsfähigkeit von Marken eine Rechtsfrage (vgl RIS Justiz RS0112739, RS0111880).

1.3. Die Beurteilung, ob ein auf einem Lichtbild Abgebildeter für Personen, die ihn schon öfter gesehen haben, erkennbar ist oder nicht, betrifft keine Tatfrage. Zwar baut diese Beurteilung auf dem festgestellten Sachverhalt auf, welches Lichtbild mit welcher Abbildung in welcher Größe veröffentlicht worden ist, zieht aber aus diesen Feststellungen bewertende Schlussfolgerungen und ist damit als Frage der rechtlichen Beurteilung revisibel. Der erkennende Senat ist deshalb an die Beurteilung der Erkennbarkeit einer Person auf einem Lichtbild durch das Berufungsgericht nicht gebunden.

1.4. Die voranstehenden Erwägungen lassen sich in folgender Weise zusammenfassen: Die Beurteilung, ob ein auf einem Lichtbild Abgebildeter für Personen, die ihn schon öfter gesehen haben, erkennbar ist oder nicht, ist eine revisible Rechtsfrage; sie hat regelmäßig keine erhebliche Bedeutung, wenn nicht wie im vorliegenden Fall eine auffallende Fehlbeurteilung zu korrigieren ist.

2. Ein Bildnis iSd § 78 UrhG liegt nicht nur vor, wenn die Gesichtszüge des Abgebildeten erkennbar sind. Es genügt, dass die abgebildete Person aufgrund bestimmter begleitender Umstände und Erscheinungsmerkmale (etwa Statur, Frisur) oder durch den Rahmen, in den das Bild gestellt wird, hinreichend erkennbar ist (Nachweise zur Rsp bei A. Kodek in Kucsko , urheber.recht 1060). Die Identität der abgebildeten Person kann sich demnach auch aus anderen charakteristischen Merkmalen als den Gesichtszügen oder aus dem Begleittext ergeben (vgl zuletzt 4 Ob 52/11t mwN).

3. Das Lichtbild, auf das der Kläger seine Ansprüche stützt, zeigt ihn in unauffälliger salopper Alltagskleidung mit von der Kamera weiter als das Halbprofil abgewandtem Gesicht (Größe 9 x 8 mm), von dem nur das linke Ohr und die Nasenspitze, nicht hingegen der Mund sichtbar ist. Weder das Kinn noch die Frisur sind auffällig; zur Individualisierung beitragende sonstige Umstände (besondere Statur, Bart, Brille oä) sind nicht vorhanden. Der Name des Klägers ist im Begleittext nicht genannt. Unter diesen Umständen reicht die auf den Kläger gemünzte Bezeichnung als „Verfassungsschützer“ im Bildtext nicht aus, ihn für seinen Bekanntenkreis oder Personen, mit denen er beruflich in Kontakt gekommen ist oder noch kommen könnte, aufgrund dieses Lichtbilds identifizierbar zu machen.

4. Mangels Erkennbarkeit des Klägers scheidet eine Beeinträchtigung seiner berechtigten Interessen von vornherein aus. Der Revision ist Folge zu geben und das abweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

5. Damit kommt es auf die weitere im Rechtsmittel aufgeworfene Frage nicht an, ob ein berechtigtes Interesse an einer Urteilsveröffentlichung auch dann besteht, wenn diese „ohne Angabe des Namens des Klägers und ohne Beifügung des Personenbildnisses des Klägers“ zu erfolgen hat.

6. Die Kostenentscheidung ist in den § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet.