OGH vom 12.10.2011, 7Ob75/11x

OGH vom 12.10.2011, 7Ob75/11x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Dr. Walter Reichholf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 308/10h 18, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 22 Cg 91/09i 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte bietet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Reisegutscheine zum Kauf an. Diese enthalten den vorformulierten Text:

„ EINLÖSBAR BIS … Erstattung/Umtausch gem. den gültigen Tarifen .“

Der Endzeitpunkt ist ein Jahr nach dem Ausstellungsdatum.

Die Tarifbestimmungen finden sich auf der Website der Beklagten. Sie sind nach mehreren Mausklicks aufrufbar und lauten im Punkt V.4. unter der Überschrift „Umtausch/Erstattung“ wie folgt:

„ 4.1. Frist

Ein Umtausch bzw eine Erstattung ist innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Ablauf der Geltungsdauer möglich.

4.2. Umtausch

Es ist einmalig ein kostenloser Umtausch eines abgelaufenen Gutscheins in einen neuen, wieder ein Jahr gültigen Gutschein desselben Wertes möglich, …

4.3. Erstattung

Die abgelaufenen Gutscheine können gegen Abzug von EUR 15 pro Gutschein erstattet werden. “

Bereits rechtskräftig und nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Verbot an die Beklagte, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt, und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern im Zusammenhang mit von ihr ausgegebenen Reisegutscheinen folgende Klauseln (oder sinngleiche Klauseln) zu verwenden oder sich darauf zu berufen:

„1.) EINLÖSBAR BIS … (angegebenes Datum ein Jahr später als das Ausstellungsdatum des Gutscheins) …

Erstattung/Umtausch gem. den gültigen Tarifen.

2.) 4.3. Erstattung

Die abgelaufenen Gutscheine können gegen Abzug von EUR 15 pro Gutschein erstattet werden.“

Weiters wurde der Klägerin die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung erteilt.

Darüber hinaus bezog sich das Klagebegehren auch auf folgende, den Gegenstand des Revisionsverfahrens bildende Klausel:

„4.1. Frist

Ein Umtausch bzw eine Erstattung ist innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Ablauf der Geltungsdauer möglich.“

Die Klausel sei nach Ansicht der Klägerin gemäß § 879 Abs 3 ABGB sittenwidrig, weil sie die Geltendmachung von Ansprüchen des Konsumenten ohne sachlichen Grund übermäßig erschwere. Die Beklagte sei durch die Ausgabe von Reisegutscheinen im Vergleich zu einem „normalen“ Beförderungsvertrag besser gestellt, weil sie eine Vorauszahlung erhalte und erst wesentlich später die eigene Leistung erbringen müsse. Im Hinblick auf die allgemeine Verjährungsbestimmung des ABGB von 30 Jahren sei es sachlich nicht gerechtfertigt, dass die Verpflichtung der Beklagten zur Erbringung von Beförderungsleistungen nach Ablauf von vier Jahren (Gültigkeitsdauer von einem Jahr zuzüglich Nachfrist für einen Umtausch von weiteren drei Jahren) erlöschen solle. Es sei der Beklagten, die sich durch das Gutscheinsystem einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffe, zumutbar, dieses Gutscheinsystem so einzurichten, dass auch im Fall technischer Neuerungen im Bereich des Abrechnungssystems „alte Gutscheine“ weiterhin auf (zumindest einigen) Geräten überprüft und so eingelöst werden könnten. Das Argument des „technischen Wandels“ könne nicht als Legitimation für die Verkürzung gesetzlicher Verjährungsfristen herangezogen werden. Die Beklagte müsse keine kundenbezogenen Abrechnungen von Guthaben vornehmen und blockiere damit ihr System nicht. Beweisschwierigkeiten stellten sich genauso wenig wie bei anderen Forderungen, die urkundlich durch eine Bestätigung des Schuldners dokumentiert seien. Die Gutscheine würden nicht für einen konkreten Bedarf erworben, sondern zum Zweck des Beschenkens. Der Beschenkte könne den Gutschein nur „bei Gelegenheit“ einlösen. Ein rascher Konsum werde daher meist nicht stattfinden.

Die Beklagte wendet dazu ein, dass beim Unternehmen der Beklagten technische Veränderungen innerhalb von 30 Jahren sehr wahrscheinlich seien und daher die Einlösung von Gutscheinen nach diesem Zeitraum mit Schwierigkeiten verbunden sei (wie zB Überprüfung der Echtheit, Zuordnung zum System oder schlichtweg Unwissenheit der Angestellten). Eine Einschränkung der Verjährungsfrist auf vier Jahre sei nicht benachteiligend, weil in diesem Zeitraum die Übersicht über die Gutscheine gewahrt bleibe. Den Kunden der Beklagten blieben insgesamt fünf Jahre ab Erwerb zur Verfügung, die Leistung entweder zu konsumieren oder Rückersatz zu verlangen. Für die Kunden sei klar ersichtlich, wann die Frist beginne und wann sie ende. Die Beklagte habe Interesse an der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten und auch daran, das Geschäft in einem überschaubaren Zeitraum abwickeln zu können.

Das Erstgericht wies diesen Teil des Klagebegehrens ab. Die technischen Veränderungen in einem Zeitraum von 30 Jahren sowie die daraus folgenden Schwierigkeiten etwa bei der Überprüfung der Echtheit und der Zuordnung im System oder die Unwissenheit der Angestellten sei bei Einlösung eines Gutscheins nach 30 Jahren sehr wahrscheinlich. Eine Einschränkung der Verjährungsfrist auf vier Jahre sei sachlich gerechtfertigt, weil in diesem Zeitraum die Übersicht über die Gutscheine gewahrt bleibe. Die Klausel verstoße nicht gegen § 879 Abs 3 ABGB.

Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil. Als ein tauglicher Rechtfertigungsgrund für die Verkürzung der Verjährungsfrist gelte die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten. Je kürzer die Verfallsfrist sein solle, umso triftiger müsse der Rechtfertigungsgrund sein. Es sei eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Die Beklagte habe ein Interesse an der Verkürzung der Frist, wie dies bereits das Erstgericht dargelegt habe. Ein Grund, weshalb der Kunde für die Disposition über sein Guthaben mehrere Jahre benötigen solle, sei nicht ersichtlich. Letztlich blieben den Kunden der Beklagten sogar fünf Jahre ab Erwerb zur Verfügung, um die Leistung entweder zu konsumieren oder Rückersatz zu erlangen (ein Jahr ursprüngliche Gültigkeitsdauer zuzüglich ein Jahr Gültigkeitsdauer ab Umtausch zuzüglich drei Jahre Erstattungsfrist ab Ablauf des umgetauschten Reisegutscheins). Der Kunde sei auch von Anfang an über das Ende der Frist informiert. Dieses gehe aus dem Reisegutschein in aller Deutlichkeit hervor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil sich der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht mit der zu beurteilenden Klausel auseinandergesetzt habe und davon eine größere Anzahl von Verbrauchern betroffen sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Grundsätzlich endet das Recht, mit einem Gutschein aus dem Warensortiment des Ausstellers Waren zu beziehen innerhalb von 30 Jahren ( Eccher , Zur Rechtsnatur des Gutscheins in ÖJZ 1974, 337 [342]; Binder in Schwimann 3 , § 904 ABGB Rz 63). Die Vereinbarung einer kürzeren als der gesetzlichen Verjährungsfrist wird in ständiger Rechtsprechung für zulässig erachtet (RIS Justiz RS0034782, RS0034404). Uneingeschränkt zulässig soll aber die Fristverkürzung nur dann sein, wenn sie zwischen zumindest annähernd gleich starken Vertragspartnern individuell vereinbart wurde. Ist die Verkürzung einer Verjährungsfrist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten, so unterliegt sie der Inhaltskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB (2 Ob 50/05z, 4 Ob 279/04i, 9 Ob 40/06g). Verfallsklauseln sind dann sittenwidrig, wenn sie die Geltendmachung von Ansprüchen ohne sachlichen Grund übermäßig erschweren (RIS Justiz RS0016688). Je kürzer die Verfallsfrist sein soll, desto triftiger muss der Rechtfertigungsgrund sein (2 Ob 50/05z, 4 Ob 227/06w, 9 Ob 40/06g). Jedenfalls ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich (4 Ob 227/06w, 1 Ob 1/00d, 4 Ob 279/04i, 9 Ob 40/06g).

Zu kollektiv und auch einzelvertraglichen arbeitsrechtlichen Ansprüchen wird in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass eine vereinbarte Fallfrist in der Dauer von drei Monaten als übliche Frist und somit nicht als übermäßige Erschwerung der Rechtsverfolgung anzusehen ist (RIS Justiz RS0016688 [T4, T 10, T 15, T 19, T 22, T 28, T 30 T 34]). Verfallsklauseln haben den Zweck, den Beweisnotstand zu begegnen, in welchem sich der Arbeitgeber bei späterer Geltendmachung befinden würde (RIS Justiz RS0034417).

Nach Rechtsprechung und Lehre ist generell darauf abzustellen, ob die Verkürzung zu einer weitgehenden Verhinderung oder erheblichen Behinderung der Durchsetzung berechtigter Ansprüche führt, was immer dann der Fall ist, wenn die Zeit zur Prüfung der Sach und Rechtslage unangemessen verkürzt wird oder wenn die verbleibende Frist die Zeit nicht abdeckt, in der Mängel gewöhnlicherweise auftreten. Zu berücksichtigen ist, welche Zeit üblicherweise erforderlich ist, um bestimmte Ansprüche geltend machen zu können. Benachteiligungen eines Vertragspartners können durch ein besonderes Interesse der Verwenderseite an einer Verkürzung aufgewogen werden, etwa wenn die Zeit zur Entdeckung der Mängel beim entsprechenden Vertragstyp generell nicht erforderlich ist (4 Ob 279/04i mwN).

Im vorliegenden Fall beträgt die Geltungsdauer der von der Beklagten ausgestellten Reisegutscheine (zunächst) ein Jahr ab Ausstellungsdatum. Ab Ablauf der Gültigkeit ist innerhalb von drei Jahren ein Umtausch oder eine Erstattung des Geldbetrags möglich. Erfolgt ein Umtausch in einen neuen Gutschein, was einmalig möglich ist, so ist dieser ein weiteres Jahr gültig. Das bedeutet, dass für die Abrufung der Leistung der Beklagten eine Frist von insgesamt fünf Jahren zur Verfügung steht (ein Jahr Einlösungsfrist für den Gutschein, Lösen eines neuen Gutscheins innerhalb von drei Jahren nach Ablauf der Geltungsdauer und Umtausch in einem neuen Gutschein, der wieder ein Jahr Gültigkeit hat). Die Erstattung des Geldbetrags kann innerhalb der an die Laufzeit des Gutscheins anschließenden dreijährigen Frist erfolgen.

Der Beklagten ist zuzugestehen, dass sie als Massenverkehrsunternehmen ein Interesse daran hat, innerhalb eines überblickbaren Zeitraums Klarheit über die von ihr zu erbringenden Leistungen zu erlangen. Weiters dient bei einem Massenverkehrsunternehmen die Verkürzung der Frist auch der Vorbeugung von Beweisnotständen und der Abwehr der zweifellos bestehenden Fälschungsgefahr.

Der Gutscheininhaber ist nach der Klausel nicht gehalten, den Gutschein bei sonstigem Verfall einzulösen, er kann sich auch den Bargeldbetrag auszahlen lassen. Der Verbraucher ist daher, um seine Rechte zu wahren, nicht ausschließlich darauf angewiesen, die Leistungen der Beklagten in Anspruch zu nehmen. Im Hinblick darauf, dass das gesamte Beförderungsprogramm der Beklagten (nicht nur ein beschränktes, etwa saisonabhängiges Sortiment) für die Dauer von fünf Jahren zur Verfügung steht, ist davon auszugehen, dass es dem Verbraucher selbst bei unvorhergesehenen Hindernissen möglich sein muss, die Leistung dem Gutschein entsprechend innerhalb dieses Zeitrahmens abzurufen oder eine Rückerstattung zu fordern. Er ist über die Fristen ausreichend informiert. Auch wenn man dem Verbraucher ein Interesse daran zubilligt, die Leistungen der Beklagten aufgrund des Gutscheins erst nach einem möglichst langen Zeitraum in Anspruch nehmen zu können, so ist es ihm bei gebotener Interessenabwägung unter den gegebenen Umständen doch zumutbar, seine Ansprüche innerhalb der vereinbarten, verkürzten Verjährungsfrist geltend zu machen. Da die Klausel nicht gröblich benachteiligend ist, ist der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.