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OGH vom 29.08.2007, 7Ob75/07s

OGH vom 29.08.2007, 7Ob75/07s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers minderjähriger Marcel M*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge, Bezirke 12, 13 und 23, 1230 Wien, Rößlergasse 15, dieses vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall Rechtsanwälte OEG in Wien, gegen die Antragsgegnerin Verlassenschaft nach dem am ***** geborenen und am ***** verstorbenen Alpheus O*****, vertreten durch den Verlassenschaftskurator Mag. Oliver Wojnar, Rechtsanwalt, 1020 Wien, Praterstraße 68, wegen Feststellung der Vaterschaft, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 639/06p-22, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Liesing vom , GZ 11 FAM 12/05b-16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichtes wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Der Antragsteller wurde am geboren. Seine am geborene Mutter unterhielt mit dem verstorbenen Alpheus O*****, den sie Anfang 2003 kennengelernt hatte, eine Beziehung und hatte mit diesem in der empfängniskritischen Zeit ( bis ) bis kurz vor dessen Ableben am Geschlechtsverkehr. Sie hatte während der empfängniskritischen Zeit mit keinem anderen Mann sexuelle Kontakte. Alpheus O***** war nigerianischer Staatsbürger. Er war zuletzt ohne festen Wohnsitz. Das Aussehen des Minderjährigen deutet darauf hin, dass ein Elternteil afrikanischer Abstammung ist. Da die Mutter über die Möglichkeit der Einbringung eines Antrages auf Feststellung der Vaterschaft nicht informiert war, wurde der Antrag erst nach entsprechender Aufklärung durch das Jugendamt gestellt.

Der Antragsteller begehrt die Feststellung gemäß § 163 ABGB, dass der Verstorbene sein Vater sei. Er stamme vom Verstorbenen ab. Der Verstorbene habe seiner Mutter in der empfängniskritischen Zeit beigewohnt.

Die Antragsgegnerin beantragt die Antragsabweisung. Der Verstorbene habe in der empfängniskritischen Zeit der Mutter nicht beigewohnt. Die vereinfachte Vaterschaftsfeststellung nach § 163 Abs 2 erster Satz ABGB sei nicht zulässig, da der Antrag mehr als zwei Jahre nach dem Tod des Putativvaters gestellt worden sei und dieser den Gegenbeweis nicht mehr erbringen könne. Die Beweislast sei auf den Antragsteller übergegangen.

Das Erstgericht stellte fest, dass Alpheus O***** der Vater des Antragstellers sei. Die Feststellung der Vaterschaft im Wege der Zeugungsvermutung sei als zweiter hilfsweiser Weg gedacht, wenn - aus welchen Gründen auch immer - eine genetische Abstammungsfeststellung nicht möglich sei. Es sei im Verfahren versucht worden, anhand des bei der Gerichtsmedizin aufgrund der durchgeführten Obduktion noch erliegenden Gewebematerials ein DNA-Profil zu erstellen. Dies sei jedoch aufgrund des degradierenden Effektes von Formalin auf die DNA nicht mehr möglich. Die Feststellung der Vaterschaft nach § 163 Abs 2 ABGB sei auch nach Ablauf von zwei Jahren zulässig, weil der Antragsteller nachgewiesen habe, dass der Antragsgegner aufgrund dessen Ablebens nicht mehr „greifbar" sei.

Das Rekursgericht änderte den angefochtenen Beschluss ab und wies den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass der Gesetzgeber durch die Neuregelung des Vaterschaftsverfahrens durch das FamRÄG 2004 für die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft nach dem Tod des Vaters eine Sonderregelung aufgestellt habe, die an die Stelle des damit aufgehobenen § 730 Abs 2 ABGB trete. Der Antrag des Kindes auf Feststellung der Vaterschaft nach dem Tod des Mannes sei ohne zeitliche Schranken nur zulässig, wenn das Kind in der Lage sei, einen positiven Vaterschaftsbeweis zu führen. Der Beweis der Vaterschaft durch Beiwohnung innerhalb der Empfängniszeit sei aber auf zwei Jahre eingeschränkt worden, es sei denn, das Kind weise nach, dass es an der Führung des positiven Vaterschaftsbeweises durch Umstände gehindert worden sei, die der Sphäre des Verstorbenen zuzurechnen seien. Mitunter werde das Kind freilich gar nicht in der Lage sein, einen Antrag nach § 163 Abs 2 Satz 1 ABGB innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Putativvaters zu stellen, etwa weil die Mutter längere Zeit hindurch verschweige, wer der leibliche Vater des Kindes sei. Ob das Kind innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Putativvaters oder erst danach in der Lage sei, einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft zu stellen, hänge daher von reinen Zufälligkeiten ab, die sich auf die Rechte des Kindes sehr nachteilig auswirken könnten. Es sei daher höchst zweifelhaft, ob § 163 Abs 2 Satz 2 ABGB dem auch verfassungsrechtlich geforderten Sachlichkeitsgebot des Art 7 Abs 1 B-VG entspreche, weil das Kind nach dieser Bestimmung zur „juristischen Vaterlosigkeit" verurteilt werde, obwohl ihm der Beweis der Beiwohnung in der Empfängniszeit aufgrund der konkreten Beweislage durchaus gelingen könnte. Im vorliegenden Falle sei die Feststellung der Vaterschaft nach Ablauf von zwei Jahren nicht mehr möglich. Weder der Tod des Putativvaters noch der degradierende Effekt von Formalin auf seine DNA noch das über zwei Jahre nach dem Tod des Putativvaters andauernde Untätigsein der Mutter seien Gründe „auf Seiten des Mannes" im Sinne des § 163 Abs 2 letzter Halbsatz ABGB.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs in Ermangelung einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu § 163 Abs 2 ABGB sowie aufgrund der dargestellten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Regelung zulässig sei.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragsgegnerin beantragt, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Fest steht, dass die Mutter innerhalb des gesetzlichen Vermutungszeitraums nur mit dem Putativvater Geschlechtsverkehr hatte. Ob dies allein für die Feststellung der Vaterschaft (§ 163 Abs 1 ABGB, auf den sich der Antragsteller ebenfalls stützt) ausreicht, obwohl die Erläuternden Bemerkungen (siehe unten) auf die Notwendigkeit einer DNA-Untersuchung hinweisen, kann hier aus folgenden Erwägungen dahingestellt bleiben:

Die Regeln über die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft sind durch das FamErbRÄG 2004 grundlegend reformiert worden. Gemäß § 163 Abs 1 ABGB hat das Gericht als Vater den Mann festzustellen, von dem das Kind abstammt. Der Antrag kann vom Kind gegen den Mann oder von diesem gegen das Kind gestellt werden. Gemäß § 163 Abs 2 ABGB kann auf Antrag des Kindes der Mann als Vater festgestellt werden, welcher der Mutter innerhalb von nicht mehr als 300 und nicht weniger als 180 Tagen vor der Geburt beigewohnt hat, es sei denn, er weist nach, dass das Kind nicht von ihm abstammt. Eine solche Feststellung ist nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Tod des Mannes nicht mehr möglich, es sei denn, das Kind weist nach, dass ihm der Beweis nach Abs 1 aus Gründen auf Seiten des Mannes nicht gelingt. Ziel der Novelle ist nach den Gesetzesmaterialien (Erl RV 471 BlgNR 22. GP 1), unter anderem die Verbesserung des Systems des Abstammungsrechtes und im Erbrecht die ersatzlose Beseitigung der - vor allem Kinder diskriminierenden - erbrechtlichen Bestimmung des § 730 Abs 2 ABGB (nach dem die Abstammung zu Lebzeiten des Erblassers und der die Verwandtschaft vermittelnden Personen feststehen oder zumindest gerichtlich geltend gemacht sein muss). Nach § 163 Abs 2 ABGB (Erl, aaO, 22) sei die Feststellung der Vaterschaft im Wege der Zeugungsvermutung nur als zweiter (hilfsweiser) Weg gedacht, wenn - aus welchen Gründen auch immer - eine genetische Abstammungsfeststellung nicht möglich sei, etwa weil der mutmaßliche Vater sich einer Abstammungsuntersuchung entziehe.

Die in den Erläuterungen angesprochene Subsidiarität der Feststellungsvermutung lässt sich aus dem Gesetzestext allerdings nicht ableiten. So meint auch Schwimann in NZ 2005/17, dass das Kind die Wahl zwischen Feststellung durch positiven Vaterschaftsbeweis und Vaterschaftsvermutung habe. Auch Fischer-Czermak führt in JBl 2005, 2, aus, dass die Absicht des Gesetzgebers im Gesetzestext keinen deutlichen Ausdruck finde und dass beide Fälle offenbar gleichwertig nebeneinander stünden. Sie meint aber, dass sich aus der „Anleitungspflicht" des § 163 Abs 1 ABGB - wonach das Gericht den Mann als Vater festzustellen hat, von dem das Kind abstammt - und aus der Formulierung, dass die Vaterschaft durch Zeugungsvermutung festgestellt werden „kann", ergebe, dass der Richter auch dann, wenn der Vater den Ausschlussbeweis nicht antrete, von sich aus eine Abstammungsuntersuchung anordnen könne, wenn das möglich und zur Feststellung des Sachverhaltes notwendig sei.

Aus dem Gesetzestext ist nicht abzuleiten, dass die Feststellung aufgrund der Zeugungsvermutung nur subsidiär in dem Fall erfolgen darf, wenn erwiesen ist, dass die Feststellung durch positiven Vaterschaftsbeweis nicht möglich ist. Dies würde außerdem bewirken, dass dem Kind als Antragsvoraussetzung für die Feststellung der Vaterschaft durch Zeugungsvermutung der Beweis auferlegt wäre, dass eine genetische Abstammungsfeststellung wegen Fehlens von geeignetem DNA-Material nicht möglich sei. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber das Kind damit belasten wollte. Die Novelle sollte eine Verbesserung des Abstammungsrechtes bewirken und keine Schlechterstellung des Kindes. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass dem Kind die Feststellung der Vaterschaft durch positiven Vaterschaftsbeweis und durch Zeugungsvermutung wahlweise offen steht. Im zweiten Fall trifft aber den Vater die Beweislast, dass das Kind nicht von ihm stammt, womit ohnedies der Versuch der Abklärung der Vaterschaft mit einem modernen DNA-Gutachten - wie vom Gesetzgeber beabsichtigt - gesichert ist. Der Antragsteller kann daher den Antrag auf Feststellung der Vaterschaft durch Zeugungsvermutung stellen.

§ 163 Abs 2 zweiter Satz regelt die Feststellung der Abstammung des Kindes von einem bereits verstorbenen Mann. Der Gesetzgeber geht nach den Erläuterungen (aaO, 22) davon aus, dass in der Regel auch nach dem Tod des mutmaßlichen Vaters diesem zuordenbare DNA-Spuren verfügbar sein werden und daher die Feststellung der Vaterschaft (durch positiven Vaterschaftsbeweis) zeitlich unbegrenzt zulässig sein soll. Ein Antrag auf Feststellung der Vaterschaft durch Zeugungsvermutung solle aber nur innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Mannes gestellt werden können, da nach Ablauf einer größeren Zeitspanne der Nachweis der Beiwohnung und ein allfälliger Gegenbeweis nur noch schwer zu erbringen sei. Die Feststellung der Vaterschaft durch Nachweis der Beiwohnung solle jedoch in jenen Fällen unbeschränkt möglich sein, in denen das Kind beweise, dass ihm der positive Abstammungsbeweis aus Gründen „auf Seiten des Mannes", die also der „Sphäre des Mannes" zuzurechnen seien, nicht gelungen sei. Dabei sei insbesondere an die „flüchtigen Männer", die sich zu Lebzeiten dem Zugriff des Gerichtes entzogen hätten und die auch nach ihrem Tod nicht „greifbar" seien, aber auch an jene Fälle gedacht, in denen etwa Erben genetisches Material verschwinden ließen. Diese zeitliche Schranke stelle einen Ausgleich für den Entfall des § 730 Abs 2 ABGB dar und solle die rechtsmissbräuchliche Geltendmachung erbrechtlicher Ansprüche vorbeugen.

Nach Ansicht von Fischer-Cermak (aaO) gilt die Frist auch dann nicht, wenn sich ein von seiner möglichen Vaterschaft nichts ahnender Mann nach dem Tod einäschern lasse und kein genetisches Material zurücklasse, weil dies in seiner Sphäre liege. Schwimann (aaO) hält die Zweijahresfrist für wenig verständlich, weil sie weder den Beiwohnungsnachweis, geschweige denn den Beweis einer medizinischen Fortpflanzungshilfe ausschließe. Bernat in Schwimann in Praxiskommentar³, § 163 ABGB, Rz 5, hebt hervor, dass es daher von reinen Zufälligkeiten abhänge, die sich freilich auf die Rechte des Kindes sehr nachteilig auswirken könnten, ob das Kind innerhalb von zwei Jahren nach dem Tod des Putativvaters oder erst danach in der Lage sei, einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft zu stellen.

Weder aus den Erläuterungen noch aus dem Gesetzestext ergibt sich, dass die im § 163 Abs 2 zweiter Satz ABGB genannten Gründe „auf Seiten des Mannes" verschuldensabhängig sein müssten. Die Erläuterungen unterstützen vielmehr die gegenteilige Ansicht, verweisen sie doch auf Gründe, die „der Sphäre des Mannes zuzurechnen" seien, also nur seinem „Bereich" zugehören. Die beispielhafte Aufzählung von Fällen, in denen der Mann selbst oder seine Verwandten sich der positiven Vaterschaftsfeststellung entziehen, kann dies nicht entkräften. Sie ist nicht taxativ. Kommt es aber auf ein Verschulden das Mannes nicht an, so ist lediglich darauf zu achten, in welcher Sphäre sich die Unmöglichkeit der positiven Vaterschaftsfeststellung verwirklicht hat. Wenn das genetische Material des Vaters - so wie hier - nicht verwertet werden kann, so liegt dieses Hindernis in der Sphäre des Mannes, in seinem Bereich. Es ist dem Gesetzgeber nicht zu unterstellen, dass er Kinder, die ohne darauf Einfluss zu haben die Zweijahresfrist versäumen und die positive Vaterschaftsfeststellung mangels genetischer Grundlagen nicht mehr anstrengen können, benachteiligen wollte.

Da hier geeignetes Erbmaterial des Putativvaters nicht mehr zur Verfügung steht und dies seiner Sphäre zuzurechnen ist, ist das Kind zur Antragstellung der Feststellung der Vaterschaft durch Zeugungsvermutung auch nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Tod des Erblassers berechtigt. Der Beweis, dass Alpheus O***** nicht der Vater des Antragstellers ist, ist der Antragsgegnerin nicht gelungen. Es ist daher der erstinstanzliche Beschluss wiederherzustellen.