OGH vom 11.06.2018, 4Ob80/18w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und Hon.-Prof. Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Patentanwalt DI Dr. Beetz und DI Dr. Ehrendorfer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** AG, *****, Deutschland, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei S***** Handels GmbH, *****, vertreten durch Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 45.000 EUR), Beseitigung (Streitwert 8.000 EUR), Urteilsveröffentlichung (Streitwert 4.000 EUR), Auskunft (Streitwert 4.000 EUR), Rechnungslegung und Zahlung (Streitwert 9.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 133 R 96/17s-62, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
1. Die Klägerin ist Inhaberin des in Österreich aufrechten Europäischen Patents EP 1 890 583 B1 mit der Bezeichnung „Vorrichtung zum Trockenschleudern eines Wischkopfes“. Das Klagspatent beschreibt die Aufgabe der Erfindung dahin, dass eine Vorrichtung zum Trocknen von Wischtüchern angegeben werden soll, die bei einfacher Handhabung ein gutes Trocknungsergebnis erzielt und eine einfache Dosierung des Trocknungsgrades erlaubt. Das Merkmal M1.8 sieht dazu vor, dass die Antriebskraft zum Trockenschleudern vom Wischgerät – mit drehbarem Wischkopf über eine Drillstange – auf die Schleudervorrichtung übertragen wird.
Die Klägerin wirft der Beklagten vor, das Patent verletzt zu haben und begehrt unter anderem, ihr zu untersagen, in Österreich patentverletzende Produkte, insbesondere ein Reinigungssystem mit einer Vorrichtung zum Trocknen von Wischtüchern und einem Wischgerät, in Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken einzuführen, zu besitzen oder feilzuhalten.
Die Beklagte bestreitet den Eingriff in das Klagspatent nicht, behauptet aber dessen Nichtigkeit.
Das Erstgericht gab dem Unterlassungsbegehren (hinsichtlich des Anspruchs 5 in Verbindung mit Anspruch 1 Variante 1 und hinsichtlich der abhängigen Unteransprüche 2 bis 4 und 13 bis 16) sowie davon ausgehend dem Beseitigungs-, dem Auskunfts- und dem Rechnungslegungsbegehren statt; das Veröffentlichungs-begehren wies es ab; die Entscheidung über das Zahlungsbegehren behielt es dem Endurteil vor. Es bejahte eine unmittelbare Patentverletzung, weil das Produkt der Beklagten in den Anspruch 5 in Verbindung mit Anspruch 1 Variante 1 und die abhängigen Unteransprüche 2 bis 4 und 13 bis 16 eingreife; hinsichtlich des Unteranspruchs 15 liege ein äquivalenter Eingriff vor. Die Nichtigkeit des Klagspatents sei nicht wahrscheinlich und daher als Vorfrage zu verneinen. Das Unterlassungsgebot sei demnach berechtigt.
Das Berufungsgericht bestätigte das – im Berufungsverfahren noch relevante – Unterlassungsgebot in Form einer Maßgabenbestätigung. Die Verletzung des Klagspatents durch das Produkt der Beklagten sei nicht strittig. Der Nichtigkeitseinwand der Beklagten sei nicht berechtigt. Das Erstgericht habe die Entgegenhaltungen der Beklagten ausführlich und richtig gewürdigt. Keine der vorgehaltenen Druckschriften offenbare eine Vorrichtung, die dem Merkmal M1.8 des Klagspatents entspreche, wonach die Antriebsenergie vom Wischmop auf die Schleudervorrichtung übertragen werde. Die ordentliche Revision sei mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
2. Mit ihren Ausführungen in der außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf.
3. Die geltend gemachten Mängel des Berufungsverfahrens liegen – wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat – nicht vor.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass ein Tatsachengeständnis, dessen Unrichtigkeit aufgrund der bisherigen Beweisergebnisse eindeutig erwiesen ist, das Gericht nicht bindet (RIS-Justiz RS0040085). Zudem liegt kein relevanter, das heißt die erschöpfende Erörterung der Sache hindernder Mangel des Verfahrens vor, wenn das Gericht trotz zugestandener Tatsache trotzdem Beweise aufnimmt und Feststellungen trifft, die mit dem Geständnis unvereinbar sind. In einem solchen Fall sind der Entscheidung die getroffenen Feststellungen zugrunde zu legen (RIS-Justiz RS0039949 [T7]; RS0040110 [T5]; 1 Ob 80/17x). Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Die Beklagte bestreitet nicht, dass sich ihre Beweisrüge mit dem den Feststellungen zugrunde gelegten Sachverständigengutachten nicht auseinandergesetzt hat.
Nach der Begründungserleichterung des § 500a ZPO kann sich das Berufungsgericht, wenn es die Rechtsmittelausführungen für nicht stichhaltig, die damit bekämpften Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils hingegen für zutreffend erachtet, unter Hinweis auf deren Richtigkeit mit einer kurzen Begründung seiner Beurteilung begnügen. Ob den Anforderungen des § 500a ZPO genügt wurde, ist eine Frage des Einzelfalls, die vom Obersten Gerichtshof im Allgemeinen nicht aufgegriffen werden kann (8 Ob 128/12z; 8 Ob 26/14b). Einen überschießenden Gebrauch dieser Begründungserleichterung vermag die Beklagte nicht aufzuzeigen. Davon abgesehen hat das Berufungsgericht zu den wesentlichen Argumenten in der Berufung, insbesondere zu den von der Beklagten ins Treffen geführten Vorveröffentlichungen in den Beilagen ./7, ./8, ./11 und ./24, eine eigene Beurteilung vorgenommen.
Soweit die Beklagte neuerlich behauptet, das Berufungsgericht lasse für die erfinderische Tätigkeit des Klagspatents das Wort „bestimmungsgemäß“ („bei bestimmungsgemäßem Trockenschleudern“) genügen, zumal der Rest des Merkmals M1.8 im Stand der Technik bekannt gewesen sei, weicht sie von den Feststellungen ab. Danach war die antriebslose Schleudervorrichtung in einem Behälter für einen angetriebenen Wischkopf, also die Übertragung der Antriebskraft vom Wischgerät auf die Schleudervorrichtung, im Prioritätszeitpunkt nicht bekannt.
4.1 In rechtlicher Hinsicht wiederholt die Beklagte ihre Nichtigkeitseinwände gegen das Klagspatent.
Die Vorinstanzen haben die Gültigkeit des Klagspatents – im Verletzungsstreit als Vorfrage (4 Ob 41/15f) – vertretbar bejaht.
4.2 Ein Patent ist für nichtig zu erklären, wenn der Anspruch nicht patentierbar war. Eine Erfindung gilt nach dem zu § 1 Abs 1 PatG sinngleichen Art 56 EPÜ als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn der Fachmann aufgrund des Standes der Technik zu ihr hätte gelangen können, sondern erst dann, wenn er sie aufgrund eines hinreichenden Anlasses in Erwartung einer Verbesserung oder eines Vorteils auch tatsächlich vorgeschlagen hätte (RIS-Justiz RS0071157; 4 Ob 17/15a mwN). Dieser (vom Europäischen Patentamt als „could/would-approach“) bezeichnete Ansatz kann insbesondere anhand des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes geprüft werden, der sich in folgende drei Phasen gliedert:
1. Ermittlung des nächstliegenden Standes der Technik,
2. Bestimmung der zu lösenden objektiven technischen Aufgabe und
3. Prüfung der Frage, ob die beanspruchte Erfindung angesichts des nächstliegenden Standes der Technik und der objektiven technischen Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre (4 Ob 17/15a mwN).
Ob eine Erfindung nach diesen Grundsätzen auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist grundsätzlich eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0123155 [T3 und T 4]). Sie ist aber in erster Linie von Tatfragen abhängig, nämlich insoweit, als es auf das Fachwissen ankommt, über das der Durchschnittsfachmann auf dem betreffenden Gebiet (hier Maschinenbau) verfügt (RIS-Justiz RS0071399).
4.3 Die Vorinstanzen sind von diesen Rechtsgrundsätzen nicht abgewichen.
4.4 Der Nichtigkeitseinwand 1 der Beklagten besteht darin, dass die Kombination einer aktiv angetriebenen Schleudervorrichtung mit einem Wischgerät mit einem aktiv angetriebenen Wischkopf (also zwei gesonderte aktive Antriebe) in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 5 in Verbindung mit Anspruch 1 Variante 1 des Klagspatents führe.
Bei einer Kombinationserfindung ist entscheidend, ob der Stand der Technik dem Fachmann Anregungen oder Hinweise gerade für das Zusammenwirken aller Merkmale (Lösungsmittel) unter Berücksichtigung ihrer Funktionen innerhalb der beanspruchten Gesamtkombination gegeben hat oder nicht (vgl RIS-Justiz RS0071157).
Nach den Feststellungen bestand für den Fachmann aufgrund der – näher beschriebenen – technischen Schwierigkeiten keine Veranlassung, die Vorrichtungsgattungen „aktiv angetriebene Schleuder-vorrichtung“ sowie „aktiv angetriebener Wischkopf“ miteinander zu kombinieren. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine Kombination der vorveröffentlichten Konstruktionen für die in Betracht zu ziehende Fachperson nicht naheliegend gewesen sei, erweist sich damit als nicht korrekturbedürftig. Hinzu kommt, dass durch den Stand der Technik bisher nicht verwirklichte Vorteile der Annahme einer erfinderischen Tätigkeit nicht entgegenstehen, wenn die neue Lehre zu einer vorteilhaften Kombination bereits bekannter Maßnahmen führt (vgl BGH X ZR 29/93 = GRUR 1996, 757).
4.5 Der Nichtigkeitseinwand 2 der Beklagten bezieht sich darauf, dass der Gegenstand des Anspruchs 5 in Verbindung mit Anspruch 1 ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik nach den Offenbarungen in Beilage ./6 und Beilage ./11 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, weil die Verlagerung des Antriebs von der Schleudervorrichtung in das Wischgerät naheliegend sei.
Die Vorinstanzen haben sich auch mit den hier neuerlich ins Treffen geführten Entgegenhaltungen der Beklagten ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen, in Beilage ./11 werde eine Vorrichtung beschrieben, bei der die Schleudervorrichtung durch einen Motor angetrieben und die benötigte Energie nicht aus dem Wischkopf bezogen werde, und die Vorteilhaftigkeit des Klagspatents sei im Vergleich zu Beilage ./11 darin zu sehen, dass keine gesonderte Energiezufuhr zum Antrieb der Trockenschleuderung benötigt werde, sind nicht unvertretbar. Nach der Offenbarung in Beilage ./6 erfolgt das Trockenschleudern mittels einer aktiv angetriebenen Schleudervorrichtung und nicht über das Wischgerät. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass (unter anderem auch) dieses Dokument einen Gegenstand beschreibe, der im Hinblick auf strukturelle Eigenschaften und Funktion noch weiter als die Beilage ./7, ./8, ./11 und ./24 vom Klagspatent entfernt sei, erweist sich ebenfalls als nicht korrekturbedürftig.
5.1 Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des BGH zu X ZR 7/00 (GRUR 2004/47) im Zusammenhang mit einer Auswahlerfindung ist nicht einschlägig. Im Anlassfall liegt keine Auswahlerfindung vor, weil im Stand der Technik keine Lösung bekannt war, bei der die Schleudervorrichtung ohne hohen Kraftaufwand durch die Bewegungsenergie des Wischkopfs angetrieben werden konnte (vgl dazu OPM Op 7/06 = PBl 2008, 111; OPM Op 3/11).
5.2 Zur Dosierung des Trocknungsgrades bei Verwendung eines Brummkreisels oder eines Spindelantriebs hat die Beklagte selbst ausgeführt, dass dieser Umstand durch die Anzahl der Hubbewegungen offenbart sei. Im Übrigen ist es ausreichend, wenn sich die für den Fachmann notwendigen Informationen zur Ausführung der Erfindung implizit aus der Anmeldungsoffenbarung ergeben (4 Ob 17/15a). Eine „Schritt für Schritt-Gebrauchsanweisung“ ist dafür nicht erforderlich.
5.3 Das Argument der Beklagten, für das „Naheliegen“ reiche es aus, wenn einzelne vorbekannte Wischvorrichtungen mit aktiv angetriebenem Wischkopf geeignet seien, die vorbekannte Schleudervorrichtung in Rotation zu versetzen, ist nicht stichhaltig. Die in der außerordentlichen Revision dazu zitierte Feststellung bezieht sich auf die Kombination von aktiv angetriebenem Wischkopf und separat aktiv angetriebener Schleudervorrichtung. Daraus besteht die Erfindung gerade nicht. Vielmehr sieht sie eine Vorrichtung vor, bei der nur der Wischkopf aktiv angetrieben und dessen Energie auf die Schleudervorrichtung übertragen wird.
5.4 Richtig ist, dass das Klagspatent weder eine einhändige Bedienung noch ein Weiterrotieren der Schleudervorrichtung verlangt. Daraus ist für die Beklagte allerdings nichts zu gewinnen: Das von ihr herangezogene Produkt „Ultramat“ kann nur durch hohen Kraftaufwand auf die beschriebene Weise angetrieben werden; dieser Nachteil wird beim Klagspatent vermieden.
6. Insgesamt gelingt es der Beklagten nicht, mit ihren Ausführungen eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen. Die außerordentliche Revision war daher zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00080.18W.0611.000 |
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