OGH vom 27.02.2019, 7Ob26/19b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. G***** E*****, vertreten durch Dr. Norbert Nowak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** AG, ***** vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 6.342.73 EUR sA, infolge der ordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 60 R 98/18v-12, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 18 C 109/18p-8, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren 7 Ob 26/19b wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen vom des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien (GZ 13 C 738/17z12 [13 C 8/18y, 13 C 21/18k und 13 C 2/18s]), Rechtssache C479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua, unterbrochen.
Nach Ergehen dieser Vorabentscheidung wird das Verfahren von Amts wegen fortgesetzt.
Text
Begründung:
Der Kläger unterfertigte am bei der Beklagten einen Antrag auf Abschluss eines fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrags mit der Laufzeit bis . In den „Erläuterungen“ (Stand März 2007) zum Antrag finden sich folgende Hinweise:
„Möglichkeiten zum Rücktritt des Versicherungsnehmers vom Versicherungsvertrag sind in folgenden Gesetzen geregelt:
[…]
§ 165a
Es besteht ein Rücktrittsrecht von 30 Tagen ab Zustandekommen des Vertrages
[…]
Bitte beachten Sie, dass alle Rücktrittsrechte der Schriftform bedürfen und e-mails nicht als schriftliche Kündigung gelten.“
Im Jahr 2016 kündigte der Kläger den Vertrag und erhielt von der Beklagten den Rückkaufswert nach § 176 VersVG ausgezahlt. Am erklärte der Kläger unter Berufung auf § 165a VersVG den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Die Beklagte wies die Rücktrittserklärung zurück.
Der Kläger begehrt die von ihm gezahlten Prämien zuzüglich Zinsen und abzüglich des Rückkaufswerts samt Zinsen und abzüglich eines Entgelts für den Risikoschutz. Ihm stehe zu, zeitlich unbefristet, auch nach Kündigung, zurückzutreten, weil er unrichtig über das – richtigerweise binnen 30 Tagen ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags und formfrei zustehende – Rücktrittsrecht nach § 165a VersVG belehrt worden sei.
Die Beklagte wandte ein, die Belehrung sei zutreffend sowie gesetzes- und richtlinienkonform vor Abschluss des Versicherungsvertrags erfolgt. Die 30tägige Rücktrittsfrist des § 165a VersVG sei abgelaufen, das Rücktrittsrecht sei verjährt und werde rechtsmissbräuchlich geltend gemacht. Im Falle des Rücktritts stünde nur der Rückkaufswert nach § 176 VersVG zu. Keinesfalls stehe dem Kläger die Rückzahlung der Versicherungssteuer und die Risikokosten für den gewährten Versicherungsschutz oder eine pauschale 4 %ige Verzinsung der Prämien zu; mehr als drei Jahre rückwirkend wären Bereicherungszinsen zudem verjährt.
Das Erstgericht wies das Begehren in Ansehung der im Klagebegehren enthaltenen Versicherungssteuer ab (was unangefochten blieb) und gab im Übrigen dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im gänzlich klagsabweisenden Sinne ab. Es ließ die ordentliche Revision zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklungsproblematik von Lebensversicherungsverträgen zu.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt die Zurück-, hilfsweise die Abweisung der Revision.
Rechtliche Beurteilung
Das Revisionsverfahren ist zu unterbrechen:
In seinem Vorabentscheidungsersuchen vom , GZ 13 C 738/17z12, legte das Bezirksgericht für Handelssachen Wien zu mehreren zum Teil vergleichbaren Sachverhalten dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor (Rechtssache C479/18, UNIQA Österreich Versicherungen ua):
„1. Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 185 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen einer fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss – die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts nicht zu laufen beginnt, wenn das Versicherungsunternehmen in der Belehrung angibt, dass die Ausübung des Rücktritts in schriftlicher Form zu erfolgen hat, obwohl der Rücktritt nach nationalem Recht formfrei möglich ist?
2. (für den Fall der Bejahung der ersten Frage):
Ist Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG in Verbindung mit Art. 31 der Richtlinie 92/96/EWG dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach im Falle einer unterlassenen oder fehlerhaften Belehrung über das Rücktrittsrecht vor Vertragsabschluss die Frist für die Ausübung des Rücktrittsrechts zu jenem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem der Versicherungsnehmer – auf welchem Weg auch immer – von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat?
3. Ist Art. 35 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG dahin auszulegen, dass – im Falle fehlender nationaler Regelungen über die Wirkungen
4. (für den Fall der Bejahung der ersten und/oder der Verneinung der dritten Frage):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach dem Versicherungsnehmer im Falle der Ausübung seines Rücktrittsrechts der Rückkaufswert (der nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik berechnete Zeitwert der Versicherung) zu erstatten ist?
5. (für den Fall, dass die vierte Frage zu behandeln war und bejaht wurde):
Sind Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG bzw. Art. 35 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/EG bzw. Art. 186 Abs. 1 der Richtlinie 2009/138/EG dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach im Falle der Ausübung des Rücktrittsrechts der Anspruch auf eine pauschale Verzinsung der rückerstatteten Prämien wegen Verjährung auf jenen Anteil beschränkt werden kann, der den Zeitraum der letzten drei Jahre vor Klagserhebung umfasst?“
Die Beantwortung dieser Fragen ist auch für das vorliegende Verfahren maßgeblich. Da der Oberste Gerichtshof auch in Rechtssachen, in denen er nicht unmittelbar Anlassfallgericht ist, von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen und diese auch für andere als die unmittelbaren Anlassfälle anzuwenden hat, ist das vorliegende Verfahren aus prozessökonomischen Gründen zu unterbrechen (RISJustiz RS0110583 mwN).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0070OB00026.19B.0227.000 |
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