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OGH 30.01.2002, 3Ob8/02a

OGH 30.01.2002, 3Ob8/02a

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Markus B*****, geboren am *****, aus Anlass des ordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Martin B*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 490/01v-65, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 10 P 1352/95d-60, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) an den Verfassungsgerichtshof den Antrag, den § 12a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 idF BGBl 1977/646 seinem ganzen Inhalt nach als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit der Fortführung des Revisionsrekursverfahrens wird gemäß § 62 Abs 3 VfGG bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung:

Der Revisionsrekurswerber ist der eheliche Vater des am ***** geborenen Markus. Er ist ferner für seine Tochter Lisa, geboren am ***** sorgepflichtig. Markus ist Schüler und wird im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter betreut. Die Geldunterhaltspflicht des Vaters für Markus wurde mit Beschluss vom auf 4.500 S (= 327,03 Euro) monatlich erhöht. Damals erzielte der Vater ein durchschnittliches Nettoeinkommen von rund 29.000 S (= 2.107,51 Euro) monatlich. Am beantragte die Mutter namens des Minderjährigen die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 6.200 S (= 450,57 Euro) monatlich ab und behauptete, das durchschnittliche Nettoeinkommen des Vaters habe sich auf etwa 33.000 S (= 2.398,20 Euro) monatlich erhöht. Markus werde im neuen Schuljahr in eine private Hauptschule wechseln. Die Schulkosten (inkl. Halbinternat) betrügen dann etwa 4.300 S (= 312,59 Euro) monatlich. Eine Allergieerkrankung des Kindes verursache überdies durch die Krankenkasse nicht gedeckte Behandlungskosten in der Größenordnung von 1.500 bis 2.000 S (= 109,01 Euro bis 145,4 Euro) monatlich.

Der Vater brachte am zu Gerichtsprotokoll vor, er erziele nunmehr ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 29.797 S (= 2.165,43 Euro). Er willigte in die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 5.400 S (= 392,43 Euro) monatlich ab ein.

Am erklärte sich die Mutter namens ihres Sohnes mit einer Erhöhung des vom Vater zu zahlenden Geldunterhalts auf 5.400 S (= 392,43 Euro) monatlich einverstanden.

Mit Beschluss vom verpflichtete das Erstgericht den Vater, für Markus einen Geldunterhalt von 5.400 S (= 392,43 Euro) monatlich ab zu zahlen..

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht: Der Rekurs des Vaters, in dem die Herabsetzung seiner Geldunterhaltspflicht auf 4.670 S (= 339,38 Euro) monatlich ab angestrebt werde, sei ungeachtet der Einwilligung des Vaters in die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 5.400 S (= 392,43 Euro) monatlich ab zulässig. Der Vater stütze sich auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , B 1285/00. Damit mache er - im Sinne der Entscheidung 8 Ob 596/93 (= EFSlg 71.470) - eine maßgebende Änderung der Rechtslage geltend, die in ihren Auswirkungen einer Gesetzesänderung gleichzuhalten sei. Das Modell des Verfassungsgerichtshofs für den Abzug eines Teils der Familienbeihilfe vom jeweiligen Geldunterhaltsanspruch würde sich auf die Leistungspflicht des Vaters auswirken. Dessen Erwägungen sei jedoch nicht beizutreten. Die Aufteilbarkeit staatlicher Beihilfen im elterlichen Verhältnis im Weg über das Unterhaltsrecht sei zweifelhaft. Wegen der erforderlichen Gleichbehandlung aller Unterhaltsberechtigten sei bedenklich, eine staatliche Transferleistung je nach "Höhe des Unterhaltsanspruchs zu überwälzen". Die Lösung eines steuerlichen Problems "mit Mitteln des Unterhaltsrechts" hätte "verfahrensökonomisch äußerst negative Auswirkungen". Das Berechnungsmodell des Verfassungsgerichtshofs setze die Kenntnis des jeweiligen Durchschnittssteuersatzes voraus. Dieser sei nach der Steuerbemessungsgrundlage zu ermitteln. Die Steuerbemessungsgrundlage unterscheide sich jedoch von der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Es wäre daher - allenfalls sogar durch die Einholung von Sachverständigengutachten - zu klären, "ob die Abweichung des Durchschnittssteuersatzes von jenem, den der Verfassungsgerichtshof (mit 40 %) als maximal angenommen" habe, "so groß" sei, "dass dies bei der Berechnung des Abzugsbetrags ins Gewicht" falle. Ein verfassungskonformer Ausgleich zwischen den Eltern könne daher besser durch das Steuerrecht, die Gewährung staatlicher Transferleistungen oder auch durch "die Anordnung einer pauschalierenden Anrechnung im Rahmen des § 12a FLAG" erzielt werden. Die teleologische Reduktion letzterer Norm, wie sie dem erörterten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zugrunde liege, sei "auch verfassungsrechtlich höchst bedenklich", spreche doch der Wille des Gesetzgebers eindeutig gegen eine solche Gesetzesauslegung. Das werde durch die Entwicklung des § 12a FLAG und die Gesetzesmaterialien belegt. Sei daher "der - verfassungswidrige - Wille des einfachen Bundesgesetzgebers ... klar", so erscheine "eine verfassungskonforme Auslegung durch teleologische Reduktion einigermaßen problematisch", könne doch der Verfassungsgerichtshof verfassungswidrige Gesetze nur aufheben, aber nicht "unter dem Titel einer verfassungskonformen Interpretation umdeuten". Die Vorgangsweise des Verfassungsgerichtshofs sei im Ergebnis einer Gesetzesänderung gleichzuhalten und bedeute "im Extremfall", dass Gesetze nur mehr dann als verfassungswidrig aufzuheben seien, "wenn ihre Anwendung auf keinen einzigen Fall sachgerecht wäre". Die teleologische Reduktion eines Gesetzes gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers überschreite "eindeutig die Befugnisse des Verfassungsgerichtshofs". Die Zivilgerichte seien an Ausführungen in der Begründung einer Entscheidung nicht gebunden. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es zur Auswirkung der steuerlichen Belastung des Geldunterhaltsschuldners auf die Unterhaltsbemessung an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs mangle.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat erwogen:

1. Der Oberste Gerichtshof stellte bereits in dem zu 6 Ob 243/01f anhängigen Revisionsrekursverfahren den Antrag, den § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 (offenkundig seinem ganzen Inhalt nach) als verfassungswidrig aufzuheben. Er erläuterte dort, dass sich das vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Zl. B 1285/00, entwickelte, die Familienbeihilfe betreffende Anrechnungsmodell bereits bei einer Unterhaltsverpflichtung von 40.000 S jährlich und einem Einkommen des geldunterhaltspflichtigen Elternteils von unter 200.000 S jährlich auswirke. Demnach solle die Reduktion der Unterhaltsverpflichtung schon durchschnittliche Einkommen als Unterhaltsbemessungsgrundlage erfassen.

Bei Vollziehung des privatrechtlichen Unterhaltsrechts durch die ordentlichen Gerichte sei die Möglichkeit der Übernahme der vom Verfassungsgerichtshof begründeten teleologischen Reduktion des § 12a FLAG nach den für die Gesetzesauslegung im Zivilrecht maßgebenden Grundsätzen zu beurteilen. Die Familienbeihilfe sei nach der auf § 2 Abs 2 erster Satz FLAG 1967 idF BGBl I 1998/79 und § 12a FLAG idF BGBl 1977/646 beruhenden ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ihrem Wesen nach Betreuungshilfe, die die Pflege und Erziehung des Kindes als Zuschuss erleichtern und die mit der Betreuung verbundenen Mehrbelastungen zumindest teilweise ausgleichen solle. Diese Sozialbeihilfe des öffentlichen Rechts sei eine besondere Form der Drittzuwendung. Der Staat verfolge damit einen doppelten Zweck. Der Mindestunterhalt des Kindes solle bei gleichzeitiger teilweiser Entlastung der Eltern von der Unterhaltspflicht gewährleistet sein. In den Gesetzesmaterialien zu § 12a FLAG idF BGBl 1977/646 werde verdeutlicht, dass die Familienbeihilfe - anders als nach der Fassung des § 12a FLAG vor dieser Novelle - zur Gänze dem Haushalt zufließen solle, in dem das Kind betreut werde. Sie diene daher nicht der Entlastung desjenigen, der gegenüber dem Kind eine Unterhaltspflicht zu erfüllen habe, dessen Haushalt es aber nicht teile. Die Familienbeihilfe sei somit kein Einkommen, das den Unterhaltsanspruch des Kindes nach § 140 Abs 3 ABGB - etwa infolge eines herabgesetzten Bedarfs - verringern könnte. Nach dem Zweck der Neufassung des § 12a FLAG durch die Novelle BGBl 1977/646 solle also die Familienbeihilfe ungeschmälert jenem Haushalt zukommen, in dem das Kind betreut werde. In der Regierungsvorlage (RV, 636 BlgNR 14. GP, 11) werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vorteil des Kinderabsetzbetrags für den Elternteil, der ein nicht zu seinem Haushalt gehöriges Kind alimentiere, für das er auch nicht die Familienbeihilfe beziehe, - abweichend von der alten Rechtslage - verloren gehe. Dieser Vorteil komme jedoch in Gestalt der höheren Familienbeihilfe unmittelbar dem anderen Elternteil zugute, der die Betreuungslast im Rahmen seines Haushalts trage. Infolge dieses eindeutigen Willens des historischen Gesetzgebers sei die Familienbeihilfe in der Rechtsprechung stets als Betreuungshilfe angesehen worden, die die Pflege und Erziehung des Kindes erleichtern und die mit seiner Betreuung verbundenen Mehrbelastungen ausgleichen solle. Daran sei an sich festzuhalten, weil es an den Voraussetzungen für die vom Verfassungsgerichtshof angeregte Rechtsfortbildung mangle. Eine teleologische Reduktion des normativen Gehalts des § 12a FLAG auf einen Anwendungsbereich, innerhalb dessen die Familienbeihilfe nicht als Ausgleich für eine überhöhte Steuerbelastung benötigt werde, sei zivilrechtlich nicht geboten. Die teleologische Reduktion verschaffe der "ratio legis" nicht gegen einen engen, sondern gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut Geltung. Die (verdeckte) Lücke bestehe also im Fehlen einer nach dem Sinn des Gesetzes notwendigen Ausnahme. Die Voraussetzung einer solchen Reduktion sei stets der Nachweis, dass eine abstrakt umschriebene Fallgruppe von den Grundwerten oder Zwecken des Gesetzes - entgegen seinem Wortlaut - gar nicht getroffen werde, weil sie sich von den "eigentlich gemeinten" Fallgruppen soweit unterscheide, dass ihre Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre. Eine teleologische Reduktion erfordere also den klaren Nachweis jenes Gesetzeszwecks, an dem sich die (den Gesetzeswortlaut letztlich) korrigierende Auslegung orientieren solle. Vom bereits dargelegten eindeutigen Willen des historischen Gesetzgebers dürfe nur dann abgegangen werden, wenn sich seither die für die Erlassung des Gesetzes maßgebenden sozialen und wirtschaftlichen Gegebenheiten geändert hätten oder der seinerzeitige Wille mit den im positiven Recht bereits bekundeten Absichten des gegenwärtigen Gesetzgebers unvereinbar wäre. Keine dieser Voraussetzungen sei erfüllt. Schon der Gesetzgeber des Jahres 1977 sei sich der wirtschaftlichen Situation getrennt lebender Elternteile bewusst gewesen und habe die Familienbeihilfe gerade deshalb jenem Haushalt ungeschmälert zugeordnet, in dem die Betreuungslast für das Kind getragen werde. Dass die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs den Absichten des gegenwärtigen Gesetzgebers entsprächen und bereits Niederschlag im positiven Recht gefunden hätten, sei nicht erkennbar. Zorn (SWK 2001, 799) erläutere in Erörterung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom , Zl. B 1285/00, den Gedanken, dass die Familienbeihilfe nicht nur eine Art sozialer Förderung bzw Betreuungshilfe sei, sondern darüber hinaus auch Geldunterhaltslasten abgelten solle, was sich aus dem Ansteigen der Familienbeihilfe mit steigendem Alter des Kindes trotz einer umgekehrt proportionalen Entwicklung der Betreuungslast ergebe. Demnach sei - nach diesem Autor - spätestens seit der Erhöhung der Familienbeihilfe durch das Budgetbegleitgesetz 1998 nicht mehr zweifelhaft, dass der Gesetzgeber die Familienbeihilfe - zumindest soweit dies bei höherem Einkommen erforderlich sei - auch als Steuerrefundierung bzw Negativsteuer ansehe. Nach der in der Entscheidung 6 Ob 243/01f dargelegten Ansicht des Obersten Gerichtshofs wird jedoch mit dieser Argumentation nicht nachgewiesen, dass der Wille des gegenwärtigen Gesetzgebers den Überlegungen des Verfassungsgerichtshofs entspreche, habe doch der Gesetzgeber auch anlässlich der Erhöhung der erörterten Transferleistung durch das Budgetbegleitgesetz 1998 den § 12a FLAG nicht geändert. Damit sei aber auch der "Telos" für die angestrebte teleologische Reduktion nicht erkennbar. Der Regierungsvorlage zum Budgetbegleitgesetz 1998 sei vielmehr zu entnehmen, dass auch der gegenwärtige Gesetzgeber die mangelnde Entlastung des haushaltsfremden, geldunterhaltspflichtigen Elternteils bewusst in Kauf genommen habe (RV, 1099 BlgNR 20. GP, 16): Bei getrennt lebenden Ehegatten (bzw Eltern) sei es - so die Regierungsvorlage - "Sache privater Lebensgestaltung", dass ein Elternteil außerhalb des Kindeshaushalts lebe. Der Gesetzesentwurf gehe davon aus, dass die durch ein Kind verursachten Unterhaltslasten durch die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen adäquat abgegolten würden. Dass die zur Abgeltung der Unterhaltslasten ausreichend vorgesehenen Transferleistungen nur deshalb nicht wirkten, weil ein Elternteil außerhalb des Kindeshaushalts lebe, sei eine Folge der privaten Lebensgestaltung. Die dann fehlende (ausreichende) Abgeltung der Unterhaltslasten müsse steuerlich nicht anderweitig abgedeckt werden. Der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs sei vor allem aber auch deshalb nicht beizutreten, weil die danach aus dem Anwendungsbereich des § 12a FLAG herausfallende Gruppe die Mehrheit aller Geldunterhaltspflichtigen umfasse und damit nicht nur "verdeckte" Ausnahmefälle betreffe, auf die eine sonst grundsätzlich anzuwendende Regelung ausnahmsweise nicht passe. Somit würde im Wege einer teleologischen Reduktion nicht eine fehlende Ausnahmevorschrift ersetzt, sondern dem § 12a FLAG sein Hauptanwendungsbereich genommen. Die Korrektur einer als unbefriedigend empfundenen gesetzlichen Regelung sei nach herrschender Meinung nicht Sache der Rechtsprechung, sondern Aufgabe des Gesetzgebers. Die vom Verfassungsgerichtshof verfochtene verfassungskonforme Auslegung des § 12a FLAG im Wege einer teleologischen Reduktion scheitere also daran, dass eine solche Maßnahme dem dem Wortlaut entsprechenden klaren Willen des Gesetzgebers zuwiderliefe und so einen unhaltbaren Eingriff in die Kompetenz des Gesetzgebers verwirklichte.

2. Der erkennende Senat tritt den unter 1. referierten Erwägungen des 6. Senats bei. Der § 12a FLAG ist auch im vorliegenden Fall bei der Entscheidung über den ordentlichen Revisionsrekurs des geldunterhaltspflichtigen Vaters anzuwenden. Gegen eine solche Anwendung bestehen nunmehr - anders als in früheren Verfahren (1 Ob 218/00s; JBl 1995, 372) - aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken.

Wie bereits dargelegt wurde, divergiert die Praxis des Obersten Gerichtshofs und des Verfassungsgerichtshofs in der Beurteilung der Möglichkeit einer teleologischen Reduktion des § 12a FLAG im Interesse einer steuerlichen Entlastung von Unterhaltszahlungen durch die Kürzung des privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs eines Kindes im Wege einer teilweisen Anrechnung der Familienbeihilfe. Diese Divergenz wurde durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , Zl. B 1285/00, offenkundig. Es ist nicht Aufgabe des Oberste Gerichtshofs, über das in diesem Erkenntnis erzielte Ergebnis einer erforderlichen größeren steuerlichen Entlastung bestimmter Geldunterhaltslasten im Lichte verfassungsrechtlicher Kriterien zu rechten, ist doch der Verfassungsgerichtshof das von der Verfassungsordnung berufene Organ zur Kontrolle der Übereinstimmung des einfachen Gesetzesrechts mit der Verfassungsrechtslage. Der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, die erforderliche steuerliche Entlastung bestimmter Geldunterhaltsschuldner nicht unmittelbar im Steuerrecht zu verwirklichen, sondern mittelbar auf dem Weg über eine Kürzung des privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs des Kindes durch eine teilweise Anrechung der Familienbeihilfe zu erreichen, ist allerdings, wie schon begründet wurde, nicht beizutreten. Vor diesem Hintergrund kann aber das nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , Zl. B 1285/00, verfassungsrechtlich offenkundig gebotene Ergebnis, die Verfassungsmäßigkeit des Systems der Besteuerung bestimmter Geldunterhaltspflichtiger auf dem Umweg über die Lösung einer zivilrechtlichen Vorfrage abseits des Steuerrechts zu bejahen, nur durch eine - letztlich dem Gesetzgeber vorbehaltene - Reform des § 12a FLAG erreicht werden. Dieser Befund erzwingt Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 12a FLAG in seiner geltenden Fassung, weil eine der Ansicht des Verfassungsgerichtshofs entsprechende teleologische Reduktion dieser Norm zur steuerlichen Entlastung bestimmter Geldunterhaltspflichtiger - allein auf Kosten ihrer Kinder durch die Kürzung deren privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs - nicht in Betracht kommt. Damit verhindert aber der § 12a FLAG in der geltenden Fassung die verfassungsrechtlich gebotene, vom Gesetzgeber angestrebte und durch eine teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe auf den privatrechtlichen Unterhaltsanspruch des Kindes auch erzielbare steuerliche Entlastung einer großen Gruppe an geldunterhaltspflichtigen Elternteilen. Nach dieser Rechtslage erscheint der Geldunterhaltsschuldner im Verhältnis zu Personen mit gleichem Einkommen ohne Geldunterhaltspflichten, gegenüber Unterhaltspflichtigen, deren Haushalt das unterhaltsberechtigte Kind angehört, aber auch gegenüber jenem Elternteil ungerechtfertigt beanchteiligt, in dessen Haushalt das Kind betreut wird (Art 7 Abs 1 B-VG). Die Ungleichbehandlung gegenüber dem haushaltsführenden Elternteil liegt darin, dass die Transferleistungen, die der Gesetzgeber zur Erleichterung der Kinderlast vorgesehen hat (Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag) nach der derzeitigen einfachgesetzlichen Rechtslage nur dem haushaltsführenden Elternteil zufließen, während der geldunterhaltspflichtige Elternteil bloß den seine Unterhaltslast nicht adäquat abgeltenden Unterhaltsabsetzbetrag beanspruchen kann.

Der Verfassungsgerichtshof hat über bestimmt umschriebene Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes nur einmal zu entscheiden. Nach Abweisung eines Normenprüfantrags ist daher wegen deren Rechtskraft eine abermalige Befassung des Verfassungsgerichtshofs nur dann zulässig, wenn nunmehr Bedenken geltend gemacht werden, über die vom Verfassungsgerichtshof noch nicht abgesprochen wurde. Der Verfassungsgerichtshof entschied im Erkenntnis vom , Zl. B 1285/00, weder über einen auf § 12a FLAG bezogenen Gesetzesprüfungsantrag, noch unterzog er diese Bestimmung einer amtswegigen Gesetzesprüfung. Das zitierte Erkenntnis steht demnach einer materiellen Entscheidung über den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag nicht entgegen (6 Ob 243/01f).

Der erkennende Senat hat im Anlassfall einen Sachverhalt zu beurteilen, für den die Auslegung der angefochtenen Norm wegen der Einkommensverhältnisse des Vaters und der Höhe des zuerkannten Unterhaltsbetrags präjudiziell ist. Auf diesen Sachverhalt träfen auch die Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs über die gebotene Kürzung des privatrechtlichen Unterhaltsanspruchs auf dem Weg über eine teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe nach dem Erkenntnis vom , Zl. B 1285/00, zu. Auf dieser Grundlage wird die Aufhebung des § 12a FLAG seinem ganzen Inhalt nach als verfassungswidrig beantragt.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Markus B*****, geboren am , infolge Revisionsrekurses des Vaters Martin B*****, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 490/01v-65, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom , GZ 10 P 1352/95d-60, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Revisionsrekurswerber ist der eheliche Vater des am geborenen Markus. Er ist ferner für seine Tochter Lisa, geboren am sorgepflichtig. Markus ist Schüler und wird im Haushalt der obsorgeberechtigten Mutter betreut. Die Geldunterhaltspflicht des Vaters für Markus wurde mit Beschluss vom auf 4.500

S (= 327,03 EUR) monatlich erhöht. Damals erzielte der Vater ein

durchschnittliches Nettoeinkommen von rund 29.000 S (= 2.107,51 EUR)

monatlich. Am beantragte die Mutter namens des Minderjährigen die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 6.200 S (= 450,57 EUR) monatlich ab und behauptete, das durchschnittliche Nettoeinkommen des Vaters habe sich auf etwa 33.000 S (= 2.398,20 EUR) monatlich erhöht. Markus werde im neuen Schuljahr in eine private Hauptschule wechseln. Die Schulkosten (inkl. Halbinternat) betrügen dann etwa 4.300 S (= 312,59 EUR) monatlich. Eine Allergieerkrankung des Kindes verursache überdies durch die Krankenkasse nicht gedeckte Behandlungskosten in der Größenordnung von 1.500 S bis 2.000 S (= 109,01 EUR bis 145,4 EUR) monatlich. Der Vater brachte am zu Gerichtsprotokoll vor, er erziele nunmehr ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 29.797 S (= 2.165,43 EUR). Er willigte in die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 5.400 S (= 392,43 EUR) monatlich ab ein. Am erklärte sich die Mutter namens ihres Sohnes mit einer Erhöhung des vom Vater zu zahlenden Geldunterhalts auf 5.400 S (= 392,43 EUR) monatlich einverstanden.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater, für Markus einen Geldunterhalt von 5.400 S (= 392,43 EUR) monatlich ab zu zahlen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es erwog in rechtlicher Hinsicht: Der Rekurs des Vaters, in dem die Herabsetzung seiner Geldunterhaltspflicht auf 4.670 S (= 339,38 EUR) monatlich ab angestrebt werde, sei ungeachtet der Einwilligung des Vaters in die Erhöhung des Geldunterhalts für Markus auf 5.400 S (= 392,43 EUR) monatlich ab zulässig. Der Vater stütze sich auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom , Zl. B 1285/00. Damit mache er - iSd E 8 Ob 596/93 (= EFSlg

71.470) - eine maßgebende Änderung der Rechtslage geltend, die in ihren Auswirkungen einer Gesetzesänderung gleichzuhalten sei. Das Modell des VfGH für den Abzug eines Teils der Familienbeihilfe vom jeweiligen Geldunterhaltsanspruch würde sich auf die Leistungspflicht des Vaters auswirken. Dessen Erwägungen sei jedoch nicht beizutreten. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es zur Auswirkung der steuerlichen Belastung des Geldunterhaltsschuldners auf die Unterhaltsbemessung an einer Rsp des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und - im Rahmen des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsbegehrens - berechtigt, soweit somit eine Anrechnung der staatlichen Transferleistungen begehrt wird.

1. Familienbeihilfe und Steuerentlastung

Der Oberste Gerichtshof hat aus Anlass eines Revisionsrekurses gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 B-VG) beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) beantragt, § 12a FLAG 1967 idF BGBl 1977/646 als verfassungswidrig aufzuheben. Mit Erkenntnis vom , Zl. G 7/02 ua (kundgemacht in BGBl I 152/2002 am ), hob der VfGH in § 12a FLAG die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig auf und sprach aus, dass die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden sei und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit treten. Der VfGH bekräftigte seine schon im Erkenntnis vom , Zl. B 1285/00, vertretene Auffassung, dass nicht nur die Absetzbeträge (Unterhaltsabsetzbetrag [§ 33 Abs 4 Z 3 lit b EStG] und Kinderabsetzbetrag [§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG]), sondern auch die Familienbeihilfe - die damit nicht (nur) der Abgeltung von Betreuungsleistungen dient - die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bewirken soll. Mit der Aufhebung der genannten Wortfolge in § 12a FLAG wurde aber nicht nur eine die Anrechenbarkeit der Familienbeihilfe hindernde Norm beseitigt, sondern der VfGH sprach auch aus, wie § 140 ABGB verfassungskonform auszulegen sei. Danach ist der nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten - wie bisher - zu bemessende Geldunterhalt im Interesse der gebotenen steuerlichen Entlastung von Unterhaltsschuldnern - bei getrennter Haushaltsführung um jenen Teil des Kinderabsetzbetrags und der Familienbeihilfe zu kürzen, der die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bezweckt (3 Ob 141/02k; 4 Ob 46/02x; 4 Ob 52/02d ua).

2. Kürzung des festgestellten Geldunterhaltsanspruchs zufolge der steuerlichen Entlastung

Nach dem Berechnungsmodell des VfGH erfasst die gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen die Hälfte des bemessenen Geldunterhalts um höchstens 40 %. Nach § 33 Abs 1 EStG beträgt die Einkommensteuer ab für die ersten 3.640 EUR (in den Veranlagungsjahren 2000 und 2001 für die ersten 50.000 S) 0 %, für die nächsten 3.630 EUR (2000 und 2001: für die nächsten 50.000 S) 21 %, für die nächsten 14.530 EUR 31 % (2000 und 2001: für die nächsten 200.000 S), für die nächsten 29.070 EUR (2000 und 2001: für die nächsten 400.000 S) 41 % und für alle weiteren Beträge des steuerpflichtigen Einkommens 50 %. Diese Steuersätze sind um etwa 20 % zu reduzieren, daher ist der Grenzsteuersatz von 50 % auf 40 %, der Steuersatz von 41 % auf 33 % und der von 31 % auf 25 % zu kürzen. Beim Steuersatz von 21 % kommt die Notwendigkeit einer steuerlichen Entlastung über den Unterhaltsabsetzbetrag hinaus, den der steuerpflichtige Geldunterhaltsschuldner erhält, praktisch nicht in Betracht. Die in concreto anzuwendenden Steuersätze bestimmen sich nach dem für deren Ermittlung maßgebenden Jahreseinkommen unter Ausklammerung der Sonderzahlungen (13. und 14. Monatsbezug, § 2 Abs 2 und § 41 Abs 4 EStG). Der Kindesunterhalt ist jeweils aus den höchsten Einkommensteilen des Unterhaltspflichtigen zu decken. Vom halben Unterhaltsbetrag ist jene prozentuelle Quote zu ermitteln, die dem jeweils anzuwendenden reduzierten Steuersatz entspricht. Wenn der Unterhaltsbeitrag zur Gänze in dem mit dem höchsten Steuersatz zu versteuernden Einkommensteil Deckung findet, ergibt sich nur eine Multiplikation (halber Unterhaltsbeitrag x reduziertem anzuwendenden Steuersatz). Wenn dies nicht der Fall, somit ein Teilbetrag (des halben Unterhaltsbeitrags) mit dem nächstniedrigeren Steuersatz zu versteuern ist, sind zwei Multiplikationen vorzunehmen (des jeweils abgesenkten Steuersatzes mit dem entsprechenden, in diese Steuerklasse fallenden Teilbetrag des halben Unterhaltsbeitrags) und die Ergebnisse sodann zu addieren. Von diesem rechnerischen Zwischenergebnis (Kürzungsbetrag) ist der der steuerlichen Entlastung dienende Unterhaltsabsetzbetrag, den der Steuerpflichtige erhält (monatlich für das 1. Kind 25,50 EUR [in den Jahren 2000 und 2001:

350 S], für das 2. Kind 38,20 EUR [2000 und 2001: 525 S] und für jedes weitere Kind jeweils 50,90 EUR [2000 und 2001: 700 S] - umgerechnet auf ein Jahr - abzuziehen, wird doch die steuerliche Entlastung auch durch den beim Geldunterhaltspflichtigen berücksichtigten Unterhaltsabsetzbetrag bewirkt. Nur soweit dieser nicht ausreicht, sind die dem das Kind betreuenden Elternteil zufließenden Transferleistungen - Kinderabsetzbetrag und Familienbeihilfe - heranzuziehen. Der ermittelte Kürzungsbetrag wird somit seinerseits um den Unterhaltsabsetzbetrag gekürzt, wodurch zwangsläufig die Kürzung geringer ausfällt. Nicht den vorliegenden Fall betreffend ist klarzustellen, dass es bei zwei oder mehreren unterhaltsberechtigten Kindern unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung geboten ist, von der Summe der Unterhaltsbeiträge die Summe der Unterhaltsabsatzbeträge abzuziehen. Dieser jährliche "Steuerentlastungsbetrag" kürzt den vom Geldunterhaltspflichtigen zu leistenden jährlichen Unterhaltsbetrag, der dann auf Monate umzurechnen ist. Nicht den vorliegenden Fall betreffend ist klarzustellen, dass bei zwei oder mehreren Kindern der Steuerentlastungsbetrag im Verhältnis ihrer Geldunterhaltsansprüche auf die Kinder zu verteilen ist.

In der Entscheidung 3 Ob 141/02k erläuterte der erkennende Senat diese Berechnungsweise der erforderlichen Ermittlung des Steuerentlastungsbetrags in einer modellartigen tabellarischen Demonstration in fünf (bei mehreren Kindern in sechs) Schritten. Darauf wird verwiesen.

3. Ergebnis für den Anlassfall

Im Anlassfall mangelt es an Feststellungen über das für die Berechnung des Kürzungsbetrags bedeutsame Einkommen des Vaters. Das Erstgericht wird daher das Verfahren durch Feststellung des als Berechnungsgrundlage maßgebenden Einkommens des Vaters ohne Sonderzahlungen zu ergänzen haben, um sodann dessen Steuerentlastung nach den voranstehend erläuterten Grundsätzen berechnen zu können. Demnach ist spruchgemäß zu entscheiden.

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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2002:0030OB00008.02A.0130.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAD-67422