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OGH 04.06.2025, 5Ob67/10d

OGH 04.06.2025, 5Ob67/10d

Rechtssätze


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Norm
RS0035724
Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privatrechtlichen oder öffentlich - rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das rechtliche Interesse muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht.
Norm
RS0106173
Das rechtliche Interesse muss konkret sein; die bloße Möglichkeit, dass die Entscheidung die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berühren könnte, reicht nicht aus. Ein rechtliches Interesse hat zum Beispiel ein Solidarschuldner im Rechtsstreit des Gläubigers gegen den anderen Solidarschuldner, ein Bürge im Rechtsstreit des Hauptschuldners gegen den Gläubiger oder ein Wechselregresspflichtiger im Rechtsstreit gegen Aussteller, Wechselbürgen, Indossanten oder Ehrenzahler.
Norm
RS0035638
Bei der Beurteilung, ob die Nebenintervention zulässig ist, ist kein strenger Maßstab anzulegen. Es genügt, dass der Rechtsstreit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt.
Norm
RAO §9 Abs2
RS0114273
Keine Verschwiegenheitspflicht besteht, wo der Rechtsanwalt ihm Anvertrautes vorbringen muss, um seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchzusetzen.
Normen
RS0126074
Eine Bindungswirkung ist nur eine mögliche Folge einer Nebenintervention (oder ihrer Unterlassung), nicht aber Voraussetzung für ihre Zulässigkeit.
Normen
RS0125602
Ein „Seitenwechsel" des Nebenintervenienten durch Widerruf seines Beitritts auf Seiten einer Partei und Beitritt auf Seiten der anderen Prozesspartei ist zulässig. Der neuerliche Beitritt muss jedoch durch Zustellung eines Schriftsatzes erfolgen. Ein bloß mündlich erklärter Beitritt ist über Antrag einer Partei zurückzuweisen.
Normen
DSt 1990 §1 Abs1 B
RAO §9
RAO §10 Abs1
RS0123546
Für einen Rechtsanwalt, der gegen seinen eigenen Mandanten bei Gericht auftritt - wenn auch in einer Rechtssache, die mit der sonstigen Vertretung des Mandanten in keinem Zusammenhang steht -, besteht naturgemäß die Gefahr, nicht so frei und ungebunden entscheiden zu können, wie es § 9 RAO gegenüber dem (anderen) Mandanten erfordert.
Norm
RAO §9 Abs2
RS0116762
Die Verschwiegenheitsverpflichtung des Rechtsanwaltes gemäß § 9 Abs 2 RAO ist eine Norm, die eine unabdingbare Voraussetzung für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes darstellt, sie ist zentrales Element der Berufsausübung der Rechtsanwaltschaft. Jedermann muss darauf vertrauen können, dass er nicht gerade durch Betrauung eines Parteienvertreters Beweismittel gegen Vorwürfe welcher Art immer - seien sie rechtlicher oder ethischer Art - gegen sich selbst schafft. Die Verschwiegenheitspflicht bezieht sich insbesondere auch auf alle rechtswidrigen Handlungen des Klienten.
Normen
RS0126073
Wenn der frühere Rechtsvertreter einer Partei auf Seite ihres nunmehrigen Prozessgegners als Nebenintervenient beitritt, ist für die Frage seines rechtlichen Interesses nicht maßgeblich, ob der Beitritt eine Berufspflichtenverletzung im Sinne des § 9 RAO bildet, oder ob sich der Nebenintervenient durch sein prozessuales Einschreiten wegen eines Verstoßes gegen die auch vertragliche Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Verschwiegenheits‑ und Treuepflicht nach § 9 Abs 2 RAO einem Schadenersatzanspruch oder sogar einem Kollusionsvorwurf aussetzt. Das prozessuale Recht auch eines Beitritts auf der Gegenseite als Nebenintervenient nach § 17 Abs 1 ZPO wird durch die Bestimmungen der RAO ebenso wenig berührt wie durch vertragliche Verpflichtungen zur Gegenpartei.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Helmut W*****, vertreten durch Dr. Elisabeth Scheuba, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Bernhard N*****, vertreten durch Appiano & Kramer Rechtsanwälte GmbH in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei Prof. h.c. DDr. Gabriele H*****, vertreten durch Dr. Thomas Lederer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abtretung eines Nachlasses (Streitwert 100.879,13 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 11 R 164/09g-40, den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

B e g r ü n d u n g :

Rechtliche Beurteilung

Zunächst liegt die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens nicht vor. Die im außerordentlichen Revisionsrekurs geltend gemachten Umstände, nämlich die Frage, ob es der Nebenintervenientin frei stehe, auf welcher Seite sie dem Verfahren beitrete und ob die Verletzung einer Treuepflicht gegenüber dem Kläger dem rechtlichen Interesse der Nebenintervenientin entgegen stünde, gehören ausschließlich dem Bereich rechtlicher Beurteilung an. Dem Nebenintervenienten steht dabei unter Umständen auch das Recht zu, die Prozessseite während des Verfahrens zu wechseln (4 Ob 193/09z; RIS-Justiz RS0125602).

Relevante Verfahrensmängel werden daher nicht dargetan.

Soweit der Revisionsrekurswerber darauf beharrt, ein Verstoß der Nebenintervenientin gegen in § 9 RAO geregelte Verschwiegenheits- und Treuepflichten gegenüber dem Kläger mache eine Nebenintervention seiner früheren Rechtsvertreterin auf Seiten seines nunmehrigen Prozessgegners unmöglich, ist ihm Folgendes entgegenzuhalten:

Nur jede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch den Rechtsanwalt erfolgt in Ausübung seines Berufs. Daher ist ein Rechtsanwalt etwa bei der Geltendmachung von Honorarforderungen nicht in Ausübung seines Berufs als Rechtsanwalt und Parteienvertreter tätig, sondern handelt in „eigener Sache“, sodass ein in diesem Zusammenhang gesetztes Verhalten grundsätzlich nicht unter dem Aspekt der Verletzung von Berufspflichten zu sehen ist (vgl dazu ZfVB 1991/1885). Es besteht daher auch keine Verschwiegenheitspflicht dort, wo ein Rechtsanwalt seine eigenen Honorarforderungen gegen den Mandanten durchsetzen muss (vgl 10 Ob 91/00f = SZ 73/144 mwN; RIS-Justiz RS0114273). Diese Einschränkung für die Durchsetzung und auch die Abwehr von Ansprüchen aus dem Mandatsverhältnis (bzw die Verteidigung des Rechtsanwalts in eigener Sache) wurde in der zitierten Entscheidung mit dem Argument des rechtfertigenden Notstands und dem Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen begründet (10 Ob 91/00f mwN). Nichts anderes kann hier im Zusammenhang mit der Abwehr behaupteter schadenersatzmäßiger Regressansprüche des Klägers aus der seiner vormaligen Rechtsvertreterin und nunmehrigen streitverkündeten Nebenintervenientin vorgeworfenen Versäumung der Frist zur Erhebung einer Erbrechtsklage gelten.

Im vorliegenden Fall ist auch nicht maßgeblich, ob der Beitritt der früheren Rechtsvertreterin des Klägers als Nebenintervenientin auf Seite seines nunmehrigen Prozessgegners eine Berufspflichtenverletzung iSd § 9 RAO iVm § 2 RL-BA 1977 bildet, weil zur Entscheidung darüber nicht die ordentlichen Gerichte, sondern die zuständigen Disziplinarbehörden berufen sind (§§ 1, 5, 20 DSt). Ob sich die Nebenintervenientin durch ihr prozessuales Einschreiten wegen eines Verstoßes gegen die auch vertragliche (Mandatsvertrag: vgl § 1003 ABGB) Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Verschwiegenheits- und Treuepflicht nach § 9 Abs 2 RAO einem Schadenersatzanspruch oder sogar einem Kollusionsvorwurf aussetzt, kann für die Frage ihres rechtlichen Interesses ebensowenig maßgeblich sein, wie das im Fall einer Klagserhebung ganz allgemein zu prüfen wäre (vgl Deixler-Hübner, Die Nebenintervention, 101).

Das prozessuale Recht auch eines Beitritts auf der Gegenseite als Nebenintervenient nach § 17 Abs 1 ZPO (vgl nochmals 4 Ob 193/09z) wird also durch die Bestimmungen der RAO ebenso wenig berührt wie durch vertragliche Verpflichtungen zur Gegenpartei.

Den Ausführungen des Revisionsrekurses über die fehlende Bindungswirkung der Entscheidung im gegenständlichen Erbrechtsstreit (Erbschaftsklage) für einen folgenden Regressprozess zwischen dem Kläger und der Nebenintervenientin ist Folgendes zu entgegnen:

Der Umfang der Bindungswirkung einer Entscheidung gegenüber dem Nebenintervenienten ist durch höchstgerichtliche Rechtsprechung seit der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 2123/96d = SZ 70/60 hinlänglich geklärt (RIS-Justiz RS0107338). Eine Bindungswirkung ist nur eine mögliche Folge einer Nebenintervention (oder ihrer Unterlassung), nicht aber Voraussetzung für ihre Zulässigkeit. Ein Interventionsinteresse ist nämlich schon dann zu bejahen, wenn der Dritte durch den Ausgang des anhängigen Rechtsstreits in seiner Rechtssphäre berührt wird und sich daraus ein rechtlich begründeter Anlass ergibt, das Obsiegen einer der Parteien herbeizuführen (vgl RIS-Justiz RS0035638). Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient bereits dann, wenn die Entscheidung auch nur mittelbar auf seine privatrechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt. Das wird in der Regel dann bejaht, wenn das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert (10 Ob 2403/96x; 2 Ob 12/09t; RIS-Justiz RS0035724). Insbesondere im Fall drohender Regressnahme in einem Folgeprozess wird nach ständiger Rechtsprechung ein solches rechtliches Interesse bejaht (vgl RIS-Justiz RS0106173; 2 Ob 12/09t; 7 Ob 20/07b; 1 Ob 147/08m, jeweils mwN).

Hier wurden der Nebenintervenientin Schadenersatzansprüche wegen der Versäumung der Frist zur Erhebung einer Erbrechtsklage vom Kläger in Aussicht gestellt. Dass ein für den Kläger negativer Ausgang des gegenständlichen Erbschaftsstreits die Rechtslage der Nebenintervenientin insofern verbessert, als damit jedenfalls der dem Kläger im Folgeprozess obliegende Nachweis der Kausalität des Verhaltens der Nebenintervenientin für einen eingetretenen Schaden (vgl 9 Ob 37/05i; RIS-Justiz RS0106890 ua) erheblich erschwert wird, liegt auf der Hand.

In Übereinstimmung mit höchstgerichtlicher Rechtsprechung hat daher das Rekursgericht ein rechtliches Interesse der Nebenintervenientin (RIS-Justiz RS0035724, RS0035638) bejaht.

Dass darüber hinaus noch andere Ansprüche des Klägers gegen die Nebenintervenientin bestehen könnten, die nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind, gebietet keine andere Beurteilung.

Mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen war daher der Revisionsrekurs des Klägers zurückzuweisen. Einer weitergehenden Begründung bedarf diese Entscheidung nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Zivilverfahrensrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2010:0050OB00067.10D.0527.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
LAAAD-67234