OGH vom 25.06.2020, 6Ob72/20m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U*****, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen die beklagten Parteien 1. L***** GmbH, *****, 2. D***** GmbH, *****, vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen 108.301,54 EUR, über den Rekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 165/19z-114, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 9 Cg 57/15i-109, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin, die bis Geschäftsführerin der Erstbeklagten war, macht den ihr von der S***** AG, die bis Gesellschafterin der Erstbeklagten war, abgetretenen Anspruch auf Ausschüttung des Bilanzgewinns der Erstbeklagten zum geltend. Seit ist die Zweitbeklagte Alleingesellschafterin der Erstbeklagten. Zuvor war sie an dieser seit 2010 mit 50,1 % des Stammkapitals beteiligt. Geschäftsführer der Erstbeklagten ist G*****, der auch Alleingesellschafter und Geschäftsführer der Zweitbeklagten ist.
Die Klägerin behauptet, der Bilanzgewinn der Erstbeklagten zum sei durch unzulässige Rückstellungen vernichtet worden. In die Bilanz habe der Geschäftsführer rechtswidrig eine Rückstellung für Prozesskosten von 120.000 EUR und eine Rückstellung für offene Geschäftsführergehälter der Klägerin von 315.330,17 EUR eingestellt. Der Jahresabschluss der Erstbeklagten sei mit Beschluss der Alleingesellschafterin vom festgestellt worden.
Die beklagten Parteien beantragten die Klagsabweisung. Aufgrund der von der Klägerin behaupteten Forderungen hätten die Rückstellungen gebildet werden müssen.
Das Erstgericht wies das Haupt- und die Eventualbegehren ab. Bei der Bewertung der Rückstellungspflicht komme es auf die zum Abschlussstichtag vorhandene Informationslage an. Da die zur Rückstellung führende Ungewissheit vornehmlich den Grund des Anspruchs betreffe, sei grundsätzlich in voller Höhe der durch die Forderungsstellung sich ergebenden drohenden Ansprüche rückzustellen. Drohende Aufwendungen nach dem Bilanzstichtag stellten als nicht im Bilanzzeitraum oder davor verursacht keinen Grund für Rückstellungen in der Bilanz zum dar. Es verbleibe jedoch ein gerechtfertigtes Rückstellungsvolumen, welches geeignet sei, einen Bilanzgewinn und damit einen Anspruch der Klägerin auf Auszahlung des der S***** AG zustehenden Anteils daran zu beseitigen.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.
Bei der Bewertung von Rückstellungen sei der Rückzahlungsbetrag im Sinne des Erfüllungserfordernisses zugrunde zu legen. Seien Verbindlichkeiten lediglich dem Grunde nach ungewiss, stehe jedoch die Betragshöhe fest, so sei der voraussichtliche Erfüllungsbetrag in voller Höhe anzusetzen. Rückstellungen, die auch hinsichtlich ihres Grundes unsicher seien, seien in Ermangelung eines exakten Kenntnisstandes im Schätzungsweg festzusetzen. Eine Passivierungspflicht für Rückstellungen aufgrund von drohenden Prozesskosten bestehe grundsätzlich ab Gerichtsanhängigkeit. Das Recht zur Bildung einer Rückstellung für Prozesskosten werde erst durch die Erhebung einer Klage ausgelöst. Ein Prozess über die Entgeltansprüche der Klägerin sei jedoch zum Bilanzierungszeitpunkt noch nicht anhängig gewesen.
Zur Rückstellung aus dem Titel „Entschädigung Mehraufwendungen“, die die Klägerin gegenüber der Erstbeklagten geltend gemacht habe, seien noch nähere Feststellungen erforderlich, ebenso zur Position „Rückstellungen Sonstige“. Darin seien im Ersturteil 315.330,17 EUR angeführt; eine Addition der im Zusammenhang mit der Geschäftsführertätigkeit der Klägerin zunächst strittigen Positionen ergebe jedoch insgesamt lediglich einen Betrag von 310.135,43 EUR. Das Erstgericht werde daher den Inhalt der strittigen Bilanz festzustellen haben; erst dann könne beurteilt werden, in welchem Umfang ein allfälliger an die Klägerin abgetretener Anspruch auf Gewinnausschüttung aus der Bilanz zum berechtigt sei.
Der „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs, § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) sei zulässig, weil Judikatur des Höchstgerichts zur Frage, welche (Erfolgs-)Wahrscheinlichkeiten gegeben sein müssen, um Rückstellungen nach § 211 UGB auszuweisen, ebensowenig vorliege wie zur Frage, wann und in welcher Höhe Rückstellungen für mögliche Prozesskosten zu bilden seien.
Der Rekurs der Beklagten spricht nur die Frage an, wann und in welcher Höhe Rückstellungen für mögliche Prozesskosten zu bilden seien.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
1. Der Rekurs ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bildung von Rückstellungen in der Jahresbilanz für Prozesskosten fehlt. Er ist aber nicht berechtigt.
2.1. Nach § 198 Abs 1 UGB sind in der Bilanz ua die Rückstellungen gesondert auszuweisen und unter Bedachtnahme auf die Grundsätze des § 195 UGB aufzugliedern. Demnach hat der Jahresabschluss den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu entsprechen. Er ist klar und übersichtlich aufzustellen. Er hat dem Unternehmer ein möglichst getreues Bild der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens zu vermitteln.
2.2. § 198 Abs 8 UGB enthält für Rückstellungen darüber hinaus ua folgende Regelungen:
a) Rückstellungen sind für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu bilden, die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind („Verbindlichkeitsrückstellungen; Verlustrückstellungen“).
b) Rückstellungen dürfen außerdem für ihre Eigenart nach genau umschriebene, dem Geschäftsjahr oder einem früheren Geschäftsjahr zuzuordnende, Aufwendungen gebildet werden, die am Abschlussstichtag wahrscheinlich oder sicher, aber hinsichtlich ihrer Höhe oder des Zeitpunkts ihres Eintritts unbestimmt sind. Derartige Rückstellungen sind zu bilden, soweit dies den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht („Aufwandsrückstellungen“).
2.3. Künftige Prozesskosten rechnet die herrschende Ansicht zu den ungewissen Verbindlichkeiten (vgl Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133; Hilber in U. Torggler, UGB³ § 198 Rz 76; Eberhartinger/Weinhandl in Bertl/Mandl, RLG Rz 3 mwN; Hopf/Schiemer, Die Prozesskostenrückstellung, SWK 2000, 462).
2.4. Unter Verbindlichkeiten im Sinn des § 198 Abs 8 UGB sind alle Dritten gegenüber möglicherweise bestehenden privatrechtlichen, öffentlich-rechtlichen oder faktischen Leistungspflichten zu verstehen, deren Ursache in Ereignissen der Vergangenheit (vor dem Bilanzstichtag) liegt und die zu einem künftigen Vermögensabfluss führen (Maschek/Csokay in Jabornegg/Artmann, UGB² § 198 Rz 50 f mwN; vgl Altenburger in Zib/Dellinger, UGB § 198 Rz 130, 134 ff; Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 131 f; Eberhartinger/Weinhandl in Bertl/Mandl, RLG Rz 3 mwN).
2.5. Die Ungewissheit einer Verbindlichkeit kann sich auf das Bestehen der Verbindlichkeit, auf deren Höhe oder auf beides beziehen (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133 mwN). Ungewiss kann eine Verbindlichkeit sein, weil zweifelhaft ist, ob die Schuld aufgrund der gegebenen Rechtslage tatsächlich besteht oder ob alle für das Entstehen der Verbindlichkeit maßgeblichen Sachverhaltselemente bereits verwirklicht sind (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133/2 mwN).
2.6. Ist eine Verbindlichkeit dem Grunde nach ungewiss, darf eine Rückstellung nur gebildet werden, wenn mit dem Be- oder Entstehen der Verbindlichkeit ernsthaft gerechnet werden muss. Besteht die Ungewissheit über eine bereits fällige Verpflichtung, ist weitere Voraussetzung für eine Rückstellung, dass der Unternehmer mit der Inanspruchnahme ernsthaft rechnen muss (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133/1 und 136 je mwN; vgl Altenburger in Zib/Dellinger, UGB § 198 Rz 149).
2.7. Was den Zeitpunkt der Passivierung anlangt, so ist für ungewisse Verbindlichkeiten dann mittels Rückstellung vorzusorgen, wenn diese zum Bilanzstichtag wirtschaftlich verursacht, insbesondere rechtlich entstanden sind (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133/2; Altenburger in Zib/Dellinger, UGB § 198 Rz 154). Eine Verbindlichkeit ist dann wirtschaftlich verursacht, wenn zum Bilanzstichtag die wesentlichen Tatbestandsmerkmale vorliegen und das rechtliche Entstehen bloß noch von wirtschaftlich unbedeutenden Tatbestandsmerkmalen abhängt (Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 133/2 unter Hinweis auf die stRsp des Verwaltungsgerichtshofs und des deutschen Bundesfinanzhofs).
3.1. Gemäß § 5 Abs 1 EStG 1998 sind für die Gewinnermittlung jener Steuerpflichtigen, die nach § 189 UGB oder anderen bundesgesetzlichen Vorschriften rechnungslegungspflichtig sind und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb beziehen, die unternehmensrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung maßgebend, sofern nicht zwingende steuerrechtliche Vorschriften abweichende Regelungen treffen.
3.2. Für Rückstellungen sieht § 9 Abs 1 Z 1 bis 4 EStG 1998 vor, dass sie nur (1) für Anwartschaften auf Abfertigungen, (2) laufende Pensionen und Anwartschaften auf Pensionen, (3) sonstige ungewisse Verbindlichkeiten, wenn die Rückstellungen nicht Abfertigungen, Pensionen oder Jubiläumsgelder betreffen, und (4) drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gebildet werden können. Rückstellungen können für „sonstige ungewisse Verbindlichkeiten“ und drohende Verluste nicht pauschal gebildet werden. Die Bildung von Rückstellungen ist nur dann zulässig, wenn konkrete Umstände nachgewiesen werden können, nach denen im jeweiligen Einzelfall mit dem Vorliegen oder dem Entstehen einer Verbindlichkeit (eines Verlusts) ernsthaft zu rechnen ist (§ 9 Abs 3 EStG 1998).
3.3. Die steuerrechtlichen Vorschriften für Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten treffen keine zu § 198 Abs 8 UGB abweichende Regelungen (Hopf/Schiemer, Die Prozesskostenrückstellung, SWK 2000, 462).
4.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs weisen Rückstellungen bereits entstandenen Aufwand aus. Es muss ein wirtschaftlich die Vergangenheit (das abgelaufene Wirtschaftsjahr) betreffender Aufwand bestimmter Art ernsthaft drohen (VwGH 2009/15/0158). Davon ausgehend kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Rückstellung für Prozesskosten nur gebildet werden, wenn am Bilanzstichtag bereits ein Prozess läuft und ernsthaft damit zu rechnen ist, dass dem Steuerpflichtigen durch den Ausgang des Prozesses besondere Aufwendungen – zB Gerichtskosten, Rechtsanwaltskosten – erwachsen (VwGH 2009/15/0158, 86/13/0153 ÖStZB 1988, 258). Die wirtschaftliche Zuordnung bedingt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zudem, dass jedes Wirtschaftsjahr nur mit den in dieses fallenden Prozesshandlungen belastet werden kann, weshalb etwa die Kosten eines aus betrieblichen Gründen geführten Aktivprozesses nicht mit Prozessbeginn zur Gänze rückgestellt werden können.
4.2. Nach – bei vergleichbarer Rechtslage (§ 249 Abs 1 Satz 1 dHGB iVm § 5 Abs 1 dEStG) – ständiger Rechtsprechung des deutschen Bundesfinanzhofs kann ein zukünftiger Prozessaufwand für einen am Bilanzstichtag noch nicht anhängigen Prozess grundsätzlich nicht rückgestellt werden (I R 14/95 BFHE 180, 258 = BB 1996, 1495; I B 3/15 ua; vgl auch BGH II ZR 172/88). Anderes kann allerdings dann gelten, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände am Bilanzstichtag die (spätere) Klageerhebung nur noch als selbstverständliche und daher rein formale Handlung darstellt (I B 3/15; vgl I R 14/95 in Hinsicht auf künftige Prozesskosten für ein am Bilanzstichtag noch nicht anhängiges Berufungs- oder Revisionsverfahren).
5. In der österreichischen Literatur wird in unterschiedlichen Formulierungen unter Berufung auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und des Bundesfinanzhofs vertreten, dass Voraussetzung für Prozesskostenrückstellungen ein am Bilanzstichtag bereits – in erster oder höherer Instanz – laufendes Verfahren ist und (überwiegend) dass es ausnahmsweise genügen kann, dass sich am Bilanzstichtag die tatsächliche Einleitung des Verfahrens oder die tatsächliche Einlegung eines Rechtsmittels nur noch als selbstverständliche und daher rein formale Handlung darstellt (vgl Doralt in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG17§ 9 Rz 35; Bertl/Hirschler, Bildung und Auflösung von Gewährleistungs- und Prozesskostenrückstellung, RWZ 2001/109, 356; Jann/Kasinger/Urtz/Züger,Rechtsprechungsübersicht Bundes-finanzhof, ecolex 1997, 288; Hopf/Schiemer, Die Prozesskostenrückstellung, SWK 2000, 462; Ch. Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II/RLG³ § 198 Rz 136; Maschek/Csokay in Jabornegg/Artmann, UGB² § 198 Rz 54; Egger/Samer/Bertl, Jahresabschluss UGB Band 117 388; Grünberger, Praxis der Bilanzierung13 247).
6. Der erkennende Senat vertritt im Anschluss an die dargestellte Rechtsprechung und Literatur Folgendes:
6.1. Künftige Prozesskosten für ein am Bilanzstichtag noch nicht anhängiges Verfahren können grundsätzlich nicht rückgestellt werden, weil die Pflicht zur Kostentragung – mangels entsprechenden Kostenanspruchs – noch nicht rechtlich entstanden und ihr (künftiges) Entstehen nicht im abgelaufenen Geschäftsjahr wirtschaftlich verursacht ist (BFH I B 3/15 ua), setzt doch eine wirtschaftliche Verursachung voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale für das Entstehen der Verbindlichkeit bereits am Bilanzstichtag erfüllt sind und das zivilrechtliche Entstehen der Schuld nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt (s oben 2.7.). Wesentliches Tatbestandsmerkmal für das Entstehen von Prozesskostenverpflichtungen für die erste Instanz ist, dass eine Klage (des Unternehmers oder des Prozessgegners) anhängig ist, und für eine spätere Instanz, dass eine der Parteien ein Rechtsmittel erhoben hat.
Nach dem Grundsatz der Einzelbewertung (§ 201 Abs 2 Z 3 UGB) ist zu unterscheiden zwischen der Passivierung einer (ungewissen) Leistungsverpflichtung, für die der Rechtsgrund im abgelaufenen oder in einem früheren Geschäftsjahr gelegt wurde, und der ungewissen Verpflichtung zur Tragung künftiger Kosten eines Prozesses um diese Leistungsverpflichtung. Das eine (ungewisse) Leistungsverpflichtung begründende Verhalten lässt noch keine wirtschaftliche Verpflichtung zur Tragung künftiger Prozesskosten zur Geltendmachung oder Abwehr der Leistungsverpflichtung entstehen (vgl BFH I R 14/95; Hopf/Schiemer, Die Prozesskostenrückstellung, SWK 2000, 462).
Von einer wirtschaftlichen Erfüllung der wesentlichen Tatbestandsmerkmale kann allerdings dann auszugehen sein, wenn sich unter Würdigung der Gesamtumstände die (spätere) Klagseinbringung oder die tatsächliche Erhebung des Rechtsmittels nur noch als selbstverständliche und daher rein formale Handlung darstellt (vgl BFH I B 3/15; I R 14/95; Doralt in Doralt/Kirchmayr/
Mayr/Zorn, EStG17§ 9 Rz 35). Das ist bei einem Rechtsmittelverfahren nicht der Fall, solange die das anhängige Verfahren in der Instanz abschließende Entscheidung noch nicht ergangen ist. Liegt sie aber zum Bilanzstichtag vor, dann kann die tatsächliche Rechtsmitteleinlegung als sogenannter werterhellender Faktor berücksichtigt werden (BFH I R 14/95; vgl Hopf/Schiemer, Die Prozesskostenrückstellung, SWK 2000, 462; vgl 6 Ob 250/16g zu werterhellenden und wertbegründenden Faktoren).
6.2. Der im Rekurs vertretenen Ansicht, es müsse für die Bildung einer Prozesskostenrückstellung ausreichen, wenn am Bilanzstichtag bereits ein Streit erkennbar sei und nach Lage des Falls damit gerechnet werden müsse, dass der Streit in einem gerichtlichen Verfahren ausgetragen werde, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen, stellt sie doch im Ergebnis nur auf Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme, nicht aber auch auf die Rückstellungsvoraussetzung der wesentlichen wirtschaftlichen Verursachung der Verbindlichkeit im abgelaufenen Geschäftsjahr ab.
7.1. Das Berufungsgericht ist aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zu der zutreffenden Beurteilung gelangt, dass von der Erstbeklagten eine Rückstellung für Prozesskosten nicht zu bilden war, weil zum Bilanzstichtag noch kein Prozess anhängig und eine Klagserhebung auch keine reine Formalität war, hatte doch die Klägerin über ihren Rechtsanwalt nur mitgeteilt, die Forderungen weiter zu vertreten. In einem Folgegespräch prallten die Meinungen zwar hart aufeinander, auch danach wurden aber noch mehrere Schreiben mit Lösungsvorschlägen unterbreitet. Der Rekurs geht mit der Behauptung, die gerichtliche Geltendmachung sei zum Bilanzstichtag bereits „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestanden“, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.
7.2. Der unter den Punkten 2.2 bis 3. ausgeführten Rechtsansicht im Rekurs sind die angeführte Rechtsprechung und Literatur entgegenzuhalten; der Rekurs kann für seine Ansicht keine einzige unmittelbare Belegstelle anführen. Soweit geltend gemacht wird, dass der Bundesfinanzhof eine zum Verwaltungsgerichtshof gegenteilige Ansicht vertrete, betrifft dies nur die Frage der Aufteilung der Rückstellungen für Prozesskosten auf mehrere Perioden und nicht die Frage, ob ein anhängiges Verfahren Voraussetzung für die Bildung von Rückstellungen überhaupt ist.
7.3. Die Ausführungen zu Punkt 4. des Rekurses (Ausführungen von Eberhartinger/Weinhandel zu „Aufwandsrückstellungen“) sind eine über mehrere Seiten verlaufende Kopie einer Kommentierung und lassen einen Bezug zum vorliegenden Verfahren nicht erkennen.
7.4. Das vorgelegte Privatgutachten (vgl dazu auch RS0041743 [T2]; RS0043585) setzt sich mit den im Vorigen zitierten Auffassungen der Literatur und Rechtsprechung in keiner Weise auseinander.
7.5. Aus der im Rekurs zitierten Kommentarstelle Clemm/Nonnenmacher in Beck‘scher Bilanzkommentar7§ 249 HGB Rz 100 ist nichts Konkretes für die Beklagten zu gewinnen, da auch dort unter Verweis auf BFH-Judikatur für eine Prozesskostenrückstellung für erforderlich gehalten wird, dass ein Verfahren bereits anhängig ist bzw zumindest, dass mit einer Klageerhebung „unabwendbar zu rechnen war“ (siehe weiterführend auch Osterloh-Konrad, Rückstellungen für Prozessrisiken in Handels- und Steuerbilanz, DStR 2003, 1675). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nach den Feststellungen der Vorinstanzen aber nicht erfüllt.
8. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum. Ist aber die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts zutreffend, ist dem Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, die Prüfung der Frage verwehrt, ob die zusätzlich vom Berufungsgericht für erforderlich gehaltenen Feststellungen tatsächlich notwendig sind (RS0042179).
9. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00072.20M.0625.000 |
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