OGH vom 30.03.2000, 2Ob89/00b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard W*****, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, und der auf seiner Seite beigetretenen Nebenintervenienten Janusz D*****, und
2. ***** A***** Versicherungs AG, ***** beide vertreten durch Dr. Günther Romauch und Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei ***** Versicherung*****, vertreten durch die Partnerschaft der Rechtsanwälte Dr. Kreinhöfner - Dr. Mader in Wien, wegen S 194.770 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 154/99a-71, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 20 Cg 306/95g-65, zum Teil bestätigt und zum Teil abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 73.750 samt 4 % Zinsen ab zu bezahlen und die mit S
3.795 bestimmten Prozesskosten (Barauslagen) zu ersetzen.
Das Mehrbegehren auf Zahlung von S 121.020 sA wird abgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von S 5.300 (Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.228,64 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 541,44 und Barauslagen von S 1.980) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am gegen 9.30 Uhr kam es auf der A 1-Westautobahn in Fahrtrichtung Wien zu zwei Verkehrsunfällen. Am ersten Verkehrsunfall waren Janusz D***** als Lenker eines PKW Opel Ascona sowie Ralf P***** als Lenker eines PKW Fiat Tipo mit ausländischem Kennzeichen beteiligt. Beide fuhren am rechten Fahrstreifen. D***** fuhr lediglich mit einer Geschwindigkeit von 40 km/h. P***** fuhr wesentlich schneller und konnte nicht mehr rechtzeitig abbremsen. Es kam zu einer Kollision zwischen den beiden Fahrzeugen mit der Folge, dass beide nach links gerieten und letztlich auf dem zweiten Fahrstreifen querstehend zum Stillstand kamen. In der Unfallsendstellung war der rechte Fahrstreifen völlig frei. Die beiden Lenker stiegen aus den Fahrzeugen und begannen miteinander zu diskutieren. Keiner der beiden schaltete die Warnblinkanlage ein oder stellte ein Warndreieck auf. Im Nachfolgeverkehr fuhr der Kläger mit einem im Eigentum von Esther P***** stehenden Opel Kadett mit einer Geschwindigkeit von ca 120 km/h mit Abblendlicht am linken Fahrstreifen. Rechts vorne auf dem Beifahrersitz saß Mag. Christiane H*****. Der Kläger sah vor sich auf seinem Fahrstreifen ein eigentümliches Glitzern, das durch die Reflexionen von den Fahrzeugen des Gegenverkehrs ausgelöst wurde und von den Unfallfahrzeugen stammte. Er bremste aber nicht, sondern ging nur vom Gas weg und hoffte, angesichts des Kolonnenverkehrs am rechten Fahrstreifen auf eine Lücke. Circa 10 bis 15 m vor der Unfallstelle konnte er sein Fahrzeug tatsächlich in eine solche Lücke hineinlenken und kam an sich kollisionsfrei an den beiden vorher verunfallten Fahrzeugen vorbei. Circa 10 bis 20 m nach der ersten Unfallstelle begann sein Fahrzeug plötzlich instabil zu werden, worauf er voll bremste. Es wäre ihm möglich gewesen, hätte er nicht mit einer Vollbremsung reagiert, das Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bringen und die Kollision mit der Leitschiene zu vermeiden. Aufgrund der Bremsung drehte sich das Fahrzeug und stieß mit der linken Frontecke gegen die rechte Leitschiene. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Zweitunfall auch bei Einschalten der Warnblinkanlage und/oder dem Aufstellen eines Warndreiecks in Richtung des herannahenden Folgeverkehrs mit einem Abstand von 150 m zur Unfallstelle nicht vermieden worden wäre. Bei dem Unfall wurden der Kläger und Mag. H***** verletzt. Eine im Eigentum von Mag. H***** stehende Kamera wurde durch den Unfall zerstört, ein ebenfalls in ihrem Eigentum stehendes Seidentuch verschwand. Das Fahrzeug wurde bei dem Unfall total beschädigt. Die sich aus dem Unfall ergebenden Schadenersatzansprüche haben sowohl Mag. H***** als auch Esther P***** vereinbarungsgemäß an den Kläger zum Inkasso abgetreten.
Mit der Behauptung des Alleinverschuldens des Lenkers des Fahrzeuges mit ausländischem Kennzeichen begehrt der Kläger Schadenersatz in der Höhe von S 194.770, wobei sich dieser Betrag aus seinen Schmerzengeldansprüchen und solchen seiner Beifahrerin sowie Sachschäden zusammensetzt.
Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung und wendete ein, den Kläger treffe das Alleinverschulden an dem Unfall.
Das Erstgericht wies - allerdings ausgehend von anderen Feststellungen - das Klagebegehren ab.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht änderte die Entscheidung dahin ab, dass die beklagte Partei zur Zahlung von S 60.250 sA verurteilt wurde; das Mehrbegehren auf Zahlung von S 134.520 wurde abgewiesen. Es sprach zunächst aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.
Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, es sei von einem annähernd gleich gravierenden Verschulden der beteiligten Lenker auszugehen, weshalb eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 angemessen sei. Daraus folge, dass die beklagte Partei die Hälfte der unfallsbedingten Schäden zu ersetzen habe. Der vom Kläger aufgrund der Abtretung der Eigentümerin geltend gemachte Fahrzeugschaden betrage S 65.500, wozu noch die Ummeldespesen in der Höhe von S 2.000 kämen. Der Wert der Kamera sei gemäß § 273 ZPO mit S 4.000 einzuschätzen, der Wert des Seidentuches mit 1.000 S. Die vom Kläger verursachten Verletzungen rechtfertigten ein Schmerzengeld von S 26.000, jene von Mag. H***** ein solches von S 22.000. Daraus errechne sich ein Gesamtschaden von S 120.500, wovon die beklagte Partei die Hälfte, sohin S 60.250 zu tragen habe.
Über Antrag der klagenden Partei änderte das Berufungsgericht seinen Zulässigkeitsausspruch dahin ab, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig erklärt wurde. Das Berufungsgericht begründete diesen Beschluss damit, dass es unberücksichtigt gelassen habe, dass die von der Beifahrerin erlittenen Schäden nicht der Verschuldensteilung unterlägen, sondern nach § 8 Abs 1 EKHG zu beurteilen seien. Gemäß § 26 KHVG könne die geschädigte Beifahrerin ihren Schadenersatzanspruch auch gegen den Versicherer des ersatzpflichtigen Lenkers geltend machen. Der Versicherer und der Ersatzpflichtige hafteten als Gesamtschuldner. Der verletzte Insasse eines der am Unfall beteiligten Fahrzeuge könne seine Ansprüche im vollen Umfang gegen jeden der Schädiger geltend machen, er müsse sich jedoch von jedem der gemeinsam oder gesondert in Anspruch genommenen Schädiger sein Eigenverschulden oder Mitverschulden einwenden lassen; ein Mitverschulden der geschädigten Beifahrerin sei jedoch nicht behauptet worden. Der vom Kläger aufgrund der an ihn erfolgten Abtretung geltend gemachte Anspruch der Beifahrerin werde durch die Abtretung nicht verändert, weshalb das dem Kläger anzulastende Mitverschulden diesen Anspruch nicht beeinträchtige. Überdies sei vom Obersten Gerichtshof auch ausgesprochen worden, dass Beteiligter im Sinn des § 11 EKHG nur der sei, der wegen des Unfalles schadenersatzpflichtig werden könne. Auch mit dieser höchstgerichtlichen Judikatur stehe das Urteil des Berufungsgerichtes in Widerspruch.
Gegen die Abweisung des Begehrens auf Zahlung weiterer 13.500 S sA richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren auch insoweit Folge gegeben werde.
Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der klagenden Partei zurückzuweisen, in eventu nach Stattgebung der Revision die klagende Partei zum Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung zu verhalten.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht, wie es selbst in seinem Beschluss, mit dem es aussprach, die ordentliche Revision sei zulässig, ausführte, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist im Umfang der Anfechtung auch berechtigt.
Die klagende Partei macht in ihrem Rechtsmittel geltend, die Ansprüche der geschädigten Beifahrerin, die an den Kläger abgetreten worden seien, seien aufgrund des Mitverschuldens des Lenkers nicht zu quotieren.
Diese zutreffende Rechtsansicht wurde von der beklagten Partei in ihrer Revisionsbeantwortung auch nicht bekämpft.
Der Anspruch der bei dem Unfall verletzten Beifahrerin Mag. H***** ist nämlich nach § 8 Abs 1 EKHG zu beurteilen. Als Fahrgast ist sie selbst Geschädigte, ohne zum Kreis der Beteiligten zu gehören (Schauer in Schwimann, ABGB2, Rz 4 zu § 8 EKHG; RIS-Justiz RS0034158). Gemäß § 26 Abs 2 KHVG haften der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte als Gesamtschuldner. Ein eigenes Mitverschulden der geschädigten Beifahrerin wurde von der beklagten Partei nicht behauptet.
Es war daher der Revision im Umfange der Anfechtung stattzugeben und dem Kläger als Zessionar der ungekürzte Schadenersatzanspruch der geschädigten Beifahrerin zuzusprechen.
Entgegen der von der beklagten Partei vertretenen Ansicht sind die Voraussetzungen des § 48 ZPO bezüglich des Kostenersatzes nicht gegeben. Der beklagten Partei sind nämlich die Kosten der Revisionsbeantwortung nicht durch einen Zufall verursacht worden (§ 48 ZPO), sondern dadurch, dass unberücksichtigt blieb, dass die Ansprüche der geschädigten Beifahrerin nicht zu kürzen sind.
Im Übrigen gründet sich die Entscheidung über die Kosten auf die §§ 41, 43, 50 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz erfährt durch die erfolgreiche Revision keine Änderung, wobei jedoch aus Gründen der Klarstellung die in dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Betrag von S 9.095 enthaltene halbe Pauschalgebühr für das Berufungsverfahren in der Höhe von 5.300 S aus den Kosten des Verfahrens erster Instanz herausgenommen und an Kosten des Berufungsverfahrens zugesprochen wurde.