OGH vom 21.02.2018, 7Ob25/18d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners K***** M*****, geboren am *****, vertreten durch VertretungsNetz, Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. A***** N*****), *****, diese vertreten durch Mag. Gerlinde Füssel, Rechtsanwältin in Linz, Sachwalterin M***** M*****, Einrichtungsleiterin A***** H*****, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer, LL.M., PLL.M., Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung gemäß § 11 HeimAufG, über den Revisionsrekurs der Einrichtungsleiterin gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 21 R 447/17g-23, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Thalgau vom , GZ 3 Ha 3/17x-17, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Bewohner leidet an einer Mehrfachbehinderung, bei der eine rechtsbetonte Tetraparese im Vordergrund steht. Der Schädel ist nur zum Teil durch die knöcherne Hülle geschützt, weshalb im Rahmen auftretender Anfallsgeschehen eine intensive Verletzungsgefahr besteht. Zielgerichtete oder intendierte Bewegungen sind dem Bewohner nicht möglich; möglich sind allerdings Spontanbewegungen, die allenfalls zu einer fortbewegungsähnlichen Situation führen können. Dass der Bewohner einen Bewegungs-/Fortbewegungswillen bilden kann, ist weder feststellbar noch ausschließbar. Dass es in vereinzelten Pflege- und Betreuungssituationen zu einer nonverbalen Äußerung, etwa über den Gesichtssinn, über Kopf-/Blickzuwendung oder die linke Hand, eines Fort-/Bewegungswillens kommt, ist nicht völlig ausgeschlossen.
Das Erstgericht sprach aus, dass die mechanische Freiheitsbeschränkung des Bewohners durch hochgezogene Seitenteile am Pflegebett unzulässig ist. Anstelle der Seitenteile, könnte als gelinderes Mittel ein Niedrigflurbett auf niedrigster Stufe mit Abrollmatte und Bettfluchtbügel bzw bei Bedarf zusätzlich ein geteiltes und abgepolstertes Bettseitenteil eingesetzt werden.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Beim Bewohner sei ein Fortbewegungswille und die Möglichkeit zur nonverbalen Äußerung des Fortbewegungswillens bloß nicht ausschließbar und er könne sich nur mit Hilfe Dritter fortbewegen. Es sei fraglich und über den Einzelfall hinaus bedeutsam, ob in einem solchen Fall eine einschränkende Auslegung des Anwendungsbereichs des HeimAufG geboten sei.
In ihrem Revisionsrekurs macht die Einrichtungsleiterin im Wesentlichen geltend, dass ein Bettseitenteil dann keine Freiheitsbeschränkung darstelle, wenn der Bewohner dadurch ohnehin an keiner willkürlichen Ortsveränderung gehindert werde und es damit an der Kausalität zwischen der Verwendung von Seitenteilen und einer Bewegungseinschränkung fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 Satz 4 AußStrG):
Die Entscheidung des Rekursgerichts entspricht der ständigen Rechtsprechung des Fachsenats, wonach nur derjenige vom Anwendungsbereich des HeimAufG ausgenommen ist, dem die Fortbewegungsfähigkeit fehlt und der auch keinen Fortbewegungswillen mehr bilden oder äußern kann. Für die Beurteilung, ob eine der Überprüfung nach diesem Gesetz unterliegende Maßnahme vorliegt, kommt es nicht auf die (Un)Wahrscheinlichkeit der Äußerung eines Fortbewegungswillens an; vielmehr steht schon die nicht völlig ausgeschlossene Möglichkeit dazu der Annahme entgegen, eine Freiheitsbeschränkung käme nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0121662 [T12]). Diese Grundsätze hat der Fachsenat bereits bei der Überprüfung der Zulässigkeit des Einsatzes von Bettseitenteilen angewendet und dabei auch die von der Einrichtungsleiterin ins Treffen geführten Materialien (ErläutRV 353 BlgNR 22. GP 8 ff) berücksichtigt (7 Ob 233/16i = iFamZ 2017/127 [Strickmann]; 7 Ob 199/16i [jeweils Seitenteile bei Immobilität]).
Die Behauptung der Einrichtungsleiterin, der Bewohner werde durch die Verwendung von Bettseitenteilen in seiner Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt, widerspricht dem festgestellten Sachverhalt, dienen die Seitenteile doch gerade diesem Zweck. Auch mit der weiteren Behauptung, die Annahme des Erstgerichts, ein Fortbewegungswille des Bewohners könne nicht gänzlich ausgeschlossen werden, sei eine „Leerformel“, will sich die Einrichtungsleiterin– unzulässig – über diese entscheidungswesentliche (Negativ-)Feststellung des Erstgerichts hinwegsetzen.
In der von der Einrichtungsleiterin angesprochenen Entscheidung (richtig:) 7 Ob 102/17a erfolgte eine Abgrenzung gegenüber der Entscheidung 7 Ob 19/07f, die bezüglich der Verneinung einer Freiheitsbeschränkung unter Hinweis auf die generell notwendige Hilfe Dritter vereinzelt geblieben ist, weshalb auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (vgl RISJustiz RS0042690).
Da sich somit die Entscheidungen der Vorinstanzen im Rahmen der maßgeblichen Rechtsprechungslinie des Fachsenats halten, fehlt es an den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG. Der Revisionsrekurs ist daher unzulässig und zurückzuweisen.
Die Frist für die Revisionsrekursbeantwortung der Bewohnervertreterin beträgt zufolge § 16 Abs 3 iVm § 17a HeimAufG 7 Tage. Die Bewohnervertreterin erhielt den Revisionsrekurs am zugestellt. Die Revisionsrekursbeantwortung wurde am eingebracht, ist daher verspätet und deshalb zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00025.18D.0221.000 |
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