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OGH vom 09.03.2011, 7Ob25/11v

OGH vom 09.03.2011, 7Ob25/11v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Maximilian F*****, wegen Regelung der Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Sabine F*****, vertreten durch MMag. Dr. Stefan Günther, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Regner Günther Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 591/10w 51, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, ob den Eltern (hier der außerehelichen Mutter) nach § 176 Abs 1 ABGB die Obsorge zu entziehen und gemäß § 213 ABGB dem zuständigen Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Ihr kommt daher keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu, wenn dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wird und leitende Grundsätze der Rechtsprechung nicht verletzt werden (7 Ob 79/05a mwN).

Die Entziehung der Obsorge ist nur bei Gefährdung des Kindeswohls vorzunehmen; ein Wechsel in den Pflege und Erziehungsverhältnissen setzt also voraus, dass er im Interesse des Kindes dringend geboten ist (7 Ob 79/05a mwN). Bei der Beurteilung der Frage ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (RIS Justiz RS0048699; RS0047841). Die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als äußerste Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs angeordnet werden und bedarf besonders wichtiger Gründe, die im Interesse des Kindes eine so einschneidende Maßnahme dringend geboten erscheinen lassen, weil andernfalls das Wohl des pflegebefohlenen Kindes gefährdet wäre (7 Ob 126/07s mwN). Das Kindeswohl ist gefährdet, wenn die Obsorgepflicht nicht erfüllt oder gröblich vernachlässigt wird oder sonst schutzwürdige Interessen des Kindes ernstlich und konkret gefährdet werden, wobei die objektive Nichterfüllung oder Vernachlässigung genügt, ohne dass ein subjektives Schuldelement hinzutreten müsste (1 Ob 176/07z mwN; Hopf in KBB³ §§ 176, 176b ABGB Rz 2). Die Entziehung (allenfalls auch nur Einschränkung) der Obsorge ist demnach dann geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist (7 Ob 79/05a mwN). Bei der Entscheidung ist nicht nur von der momentanen Situation auszugehen, sondern es sind auch Zukunftsprognosen zu stellen (RIS Justiz RS0048632).

2. Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanzen, die sich insbesondere auf ein familienpsychologisches Gutachten stützen, ist die Mutter aufgrund ihrer näher beschriebenen Persönlichkeitsstörung nicht ausreichend erziehungsfähig, weist im emotionalen Bereich deutliche Defizite auf und ihr ist ein feinfühliges Erziehungsverhalten nur schwer möglich. Sie ist nicht in der Lage, das Kind selbst zu betreuen. Der (außereheliche) Vater des Kindes fühlt sich in der Erziehungsaufgabe überfordert. Beide Eltern sind nicht in der Lage, dem Kind die Voraussetzungen für eine sichere Bindung und gute emotionale Entwicklung zu bieten. Für ihren Sohn könnte das bedeuten, dass er eine Bindungsstörung entwickelt. Für diesen ist die „Fremdunterbringung“ die beste Möglichkeit für eine gute und stabile Entwicklung. Aufgrund der problematischen emotionalen Stabilität beider Elternteile ist die Erstellung einer (positiven) Zukunftsprognose nicht möglich.

Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin liegen ausreichende und hinreichend aktuelle Tatsachenfeststellungen vor, die die Prognose zulassen, eine Betreuung des Kindes durch die Mutter (und auch den Vater) würde diesem aufgrund der derzeit fehlenden Erziehungskompetenz schaden. Weitere Feststellungen zur psychischen Erkrankung der Mutter sind nicht erforderlich. Wenn die Revisionsrekurswerberin meint, dass schwerwiegende Gründe, die eine Obsorgeentziehung im Bereich der Pflege und Erziehung rechtfertigten, nicht vorliegen, und dass keine sichere Prognose hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung des Kindes getroffen worden sei, entfernt sie sich von den Feststellungen der Tatsacheninstanzen.

3. Der Jugendwohlfahrtsträger ist gemäß § 213 ABGB nur subsidiär zu Verwandten, anderen nahestehenden Personen oder sonst besonders geeigneten Personen mit der (Teil )Obsorge zu betrauen (7 Ob 38/08a; 8 Ob 14/10g jeweils mwN). Da eine solche zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignete Person jedoch nicht zur Verfügung steht, ist die Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung an den Jugendwohlfahrtsträger nicht zu beanstanden.

4. Dass neben dem psychologischen Gutachten nicht auch ein psychiatrisches Gutachten über den Gesundheitszustand der Mutter eingeholt und darüber eine Tagsatzung abgehalten wurde, kann schon begrifflich das rechtliche Gehör der Revisionsrekurswerberin nicht verletzen. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS Justiz RS0050037). Dies gilt um so mehr, wenn ein behaupteter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens wie hier die unterlassene Einholung des psychiatrischen Gutachtens im Rekurs gar nicht gerügt wurde (10 Ob 18/10k mwN). Die Revisionsrekurswerberin vermag auch keine überzeugenden Gründe dafür aufzuzeigen, dass im konkreten Fall die Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls geboten wäre (vgl 9 Ob 58/10k mwN).

5. Gemäß § 215a erster Satz (iVm § 213) ABGB fallen, sofern nicht anders angeordnet ist, die Aufgaben dem Bundesland als Jugendwohlfahrtsträger zu, in dem das minderjährige Kind seinen (gewöhnlichen) Aufenthalt hat. Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist das Land (§ 4 Abs 1 JWG). Die Landesgesetzgebung bestimmt, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben (§ 4 Abs 2 JWG). Damit wird klar zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen oder Organisationseinheiten unterschieden (7 Ob 2280/96m; 6 Ob 2276/96s; 2 Ob 2369/96p). In Wien obliegt nach § 4 Abs 1 WrJWG 1990 die Durchführung dieser Aufgaben der Landesregierung und dem Magistrat als Bezirksverwaltungsbehörde. Mangels Einreihung der Aufgaben im Zusammenhang mit der Übertragung der Obsorge in die Kompetenz der Landesregierung nach § 4 Abs 2 WrJWG 1990 ist der Magistrat die dafür zuständige Organisationseinheit des Landes Wien (§ 4 Abs 3 leg cit; vgl zu Aufgaben nach § 9 UVG 6 Ob 524/95).

Jugendwohlfahrtsträger, dem die Obsorge zu übertragen ist, ist demnach das Land Wien. Wenn das Rekursgericht die Obsorge im Teilbereich der Pflege und Erziehung dem für die Durchführung im örtlichen Bereich in Wien zuständigen Organ „Magistrat der Stadt Wien, Soziale Arbeit mit Familien, Bezirke 1, 4 und 5“ überträgt, kommt damit hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass die Übertragung der Obsorge an das Land Wien als Jugendwohlfahrtsträger angeordnet wurde. Eine wie von der Revisionsrekurswerberin behauptet - unwirksame Übertragung der Obsorge liegt nicht vor.

6. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht aufgezeigt, weshalb er zurückzuweisen ist. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).