OGH vom 19.08.2021, 5Ob66/21y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch KosesnikWehrle Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, aus Anlass der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 30 R 5/21g19, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 43 Cg 22/20p15, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 25 Abs 1 der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr 1093/2010 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass sich im Fall der Ausübung des Rechts des Kreditnehmers, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen, die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und die von der Laufzeit abhängigen Kosten verhältnismäßig verringern, während es für laufzeitunabhängige Kosten an einer entsprechenden Regelung fehlt?
2. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Text
Begründung:
[1] A. Sachverhalt
[2] Die klagende Partei ist ein nach § 29 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) klagebefugter Verein zur Durchsetzung von Verbraucherinteressen. Die Beklagte ist ein Kreditinstitut und bietet ihre Leistungen bundesweit an. Sie ist Unternehmerin und verwendet im Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit dem Abschluss hypothekarisch sichergestellter Darlehensverträge Vertragsformblätter, die unter dem Punkt „vorzeitige Rückzahlung“ das Recht auf vorzeitige Darlehensrückzahlung durch den Darlehensnehmer sowie die Verringerung der von ihm diesfalls zu zahlenden Zinsen und der laufzeitabhängigen Kosten regeln, zuletzt aber den Satz enthalten: „Klargestellt wird, dass die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen nicht – auch nicht anteilig – rückerstattet werden.“
[3] Die Zulässigkeit dieser Klausel ist Gegenstand des Anlassverfahrens.
[4] II. Anträge und Vorträge der Parteien:
[5] Der klagende Verein begehrt die Verpflichtung der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt, und/oder bei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung dieser Klausel oder die Verwendung sinngleicher Klauseln sowie die Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln zu unterlassen. Er begehrt weiters die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung.
[6] Die Klausel widerspreche Art 25 Abs 1 der WohnimmobilienkreditRL 2014/17/EU (WIKrRL), wonach der Verbraucher bei vorzeitiger Rückzahlung das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits habe, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit eines Vertrags richten. Zu der im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des Art 16 Abs 1 der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (VKrRL) habe der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-383/18 am (Lexitor) ausgesprochen, dass sowohl laufzeitabhängige als auch laufzeitunabhängige Kosten zu ermäßigen seien. Diese Rechtsprechung sei auch auf Hypothekar- und Immobilienkredite anzuwenden. Die in Umsetzung der WIKrRL ergangene Bestimmung des § 20 Abs 1 des österreichischen Hypothekar- und Immobilienkreditgesetzes (HIKrG) habe sich an der in Umsetzung der VKrRL geschaffenen Bestimmung des § 16 Abs 1 des österreichischen Verbraucherkreditgesetzes (VKrG) orientiert, die Bestimmungen hätten gleichermaßen für den Fall der vorzeitigen Rückzahlung eine verhältnismäßige Verringerung der vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen und laufzeitabhängigen Kosten vorgesehen, über laufzeitunabhängige Kosten hingegen keine Aussage getroffen. Beide Bestimmungen seien richtlinienkonform im Sinn der Entscheidung des EuGH Lexitor dahin auszulegen, dass auch laufzeitunabhängige Kosten zu reduzieren seien.
[7] Die Beklagte wendete ein, die Entscheidung des EuGH Lexitor sei nur zur VKrRL ergangen und auf Wohn- und Immobilienkredite nicht anzuwenden. Wenn auch die Bestimmungen der Richtlinien und der sie umsetzenden Gesetze nahezu gleich seien, sei aufgrund der Besonderheiten von Hypothekarverträgen und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Definition der Gesamtkosten des Kredits in den Richtlinien zu differenzieren. Bei Hypothekar- und Immobilienkrediten fielen wesentlich mehr laufzeitunabhängige Kosten an. Die Entscheidung Lexitor wirke sich auf die inkriminierte Klausel daher nicht aus. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre § 20 Abs 1 HIKrG aufgrund seines klaren Wortlauts und des eindeutigen Willens des Gesetzgebers einer richtlinienkonformen Interpretation in diesem Sinn nicht zugänglich, weil keine planwidrige Unvollständigkeit vorliege. Das Veröffentlichungsbegehren sei nicht berechtigt, begehrt werde aber die Gegenveröffentlichung eines abweisenden Urteils.
[8] C. Bisheriges Verfahren
[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und gab dem Gegenveröffentlichungsbegehren statt. Dem vom klagenden Verein behaupteten Auslegungsautomatismus stehe entgegen, dass sich die EuGH-Entscheidung Lexitor nur auf Art 16 VKrRL beziehe, wobei Bindungswirkung der Vorlageentscheidung nur der Spruch entfalte, der sich auf die in der Vorlagefrage bestimmte Richtliniennorm beziehe. VKrRL und WIKrRL regelten unterschiedliche Systeme mit voneinander abzugrenzenden Anwendungsbereichen, wobei der europäische Gesetzgeber für Immobiliarkredite erst Jahre später bewusst ein eigenes System geschaffen habe, um den Besonderheiten derartiger Verträge Rechnung zu tragen. Ein differenzierender Ansatz sei daher gerechtfertigt, zumal Unterschiede der Richtlinien etwa auch beim Begriff der Gesamtkosten bestünden. Die Auslegung von § 20 Abs 1 HIKrG im Sinn der Entscheidung Lexitor wäreüberdies unzulässig, weil sie dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des historischen Gesetzgebers widerspreche.
[10] Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden Vereins Folge und der Klage vollinhaltlich statt. Es ging davon aus, die zu beurteilende Wortfolge in Art 16 Abs 1 der VKrRL und Art 25 der WIKrRL sei wortgleich und daher gleich auszulegen. Unter Berücksichtigung der Erwägungen des EuGH in der Rechtssache Lexitor zu Art 16 Abs 1 der VKrRL sei das Ergebnis der Auslegung des Unionsrechts unzweifelhaft, sodass im Sinn der acte-clair-Doktrin die Anrufung des EuGH entbehrlich sei. Eine generelle Nichtrückerstattung laufzeitunabhängiger Kosten lasse sich aus der WIKrRL nicht ableiten. § 20 Abs 1 HIKrG sei daher richtlinienkonform auszulegen, weil durch die Entscheidung Lexitor – nachträglich – eine Gesetzeslücke entstanden sei, der Gesetzgeber des HIKrG aber einen Generalumsetzungswillen der WIKrRL gehabt habe. Eine Lückenschließung mittels Analogie sei daher zulässig.
Rechtliche Beurteilung
[11] Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr über die gegen die Berufungsentscheidung erhobene Revision der Beklagten zu entscheiden, die eine Wiederherstellung des Ersturteils anstrebt. Der Oberste Gerichtshof beschließt, das Revisionsverfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union die für die Entscheidung der Rechtssache wesentliche unionsrechtliche Frage vorzulegen.
[12] IV. Rechtsgrundlagen:
[13] Unionsrecht:
[14] WIKrRL:
[15] Art 25 Vorzeitige Rückzahlung
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Verbraucher das Recht haben, ihre Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vollständig oder teilweise vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.
[...]
[16] Art 4 Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
[...]
13. „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ die Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher im Sinn von Art 3 Buchstabe g der Richtlinie 2008/48/EG einschließlich der Kosten für die Immobilienbewertung – sofern eine solche Bewertung für die Gewährung des Kredits erforderlich ist –, jedoch ausschließlich der Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch. Ausgenommen davon sind alle Entgelte, die der Verbraucher für die Nichteinhaltung der im Kreditvertrag festgelegten Verpflichtungen zahlen muss.
[...]
[17] VKrRL:
[18] Art 3 Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
[...]
g)„Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ sämtliche Kosten, einschließlich der Zinsen, Provisionen, Steuern und Kosten jeder Art – ausgenommen Notargebühren –, die der Verbraucher im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag zu zahlen hat und die dem Kreditgeber bekannt sind; Kosten für Nebenleistungen im Zusammenhang mit dem Kreditvertrag, insbesondere Versicherungsprämien, sind ebenfalls enthalten, wenn der Abschluss des Vertrags über diese Nebenleistung eine zusätzliche zivile Voraussetzung dafür ist, dass der Kredit überhaupt oder nach den vorgesehenen Vertragsbedingungen gewährt wird.
[...]
[19] Art 16 Vorzeitige Rückzahlung
(1) Der Verbraucher ist berechtigt, seine Verbindlichkeiten aus seinem Kreditvertrag jederzeit ganz oder teilweise zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet.
[...]
[20] Nationales Recht:
[21] Konsumentenschutzgesetz (KSchG):
[22] § 28 Verbandsklage – Unterlassungsanspruch
(1) Wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, oder wer solche Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung geklagt werden. Dieses Verbot schließt auch das Verbot ein, sich auf eine solche Bedingung zu berufen, soweit sie unzulässiger Weise vereinbart worden ist.
[...]
[23] Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz
(in der bis geltenden Fassung)
[24] § 20 Vorzeitige Rückzahlung
(1) Der Kreditnehmer hat das jederzeit ausübbare Recht, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen. Die vorzeitige Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags samt Zinsen gilt als Kündigung des Kreditvertrags. Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; laufzeitabhängige Kosten verringern sich verhältnismäßig.
[...]
[25] In der durch BGBl I Nr 1/2021 geänderten, ab anzuwendenden Fassung lautet die Bestimmung wie folgt:
[26] § 20 Vorzeitige Rückzahlung
(1) Der Kreditnehmer hat das jederzeit ausübbare Recht, den Kreditbetrag vor Ablauf der bedungenen Zeit zum Teil oder zur Gänze zurückzuzahlen. Die vorzeitige Rückzahlung des gesamten Kreditbetrags samt Zinsen gilt als Kündigung des Kreditvertrags. Die vom Kreditnehmer zu zahlenden Zinsen verringern sich bei vorzeitiger Kreditrückzahlung entsprechend dem dadurch verminderten Außenstand und gegebenenfalls entsprechend der dadurch verkürzten Vertragsdauer; die Kosten verringern sich verhältnismäßig.
[...]
[27] § 31 Inkrafttretens- und Übergangsbestimmung
[...]
§§ 5, 9, 10, 11, 20 und 27 sowie die Bezeichnung des 4. Abschnitts in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 1/2021 treten mit in Kraft und sind auf Kreditverträge und Kreditierungen anzuwenden, die nach dem geschlossen bzw gewährt werden.
[28] V. Begründung der Vorlagefrage
[29] 1. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs kann mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht mehr angefochten werden (Art 267 AEUV). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat das befasste nationale Gericht in diesem Fall grundsätzlich sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden, das Unionsrecht betreffenden Fragen zu beurteilen ( RN 18 mwN). Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Auslegung von Art 25 WIKrRL sei dermaßen eindeutig, dass von einer acte clair auszugehen sei, teilt der erkennende Senat nicht.
[30] 2. Vorauszuschicken ist, dass sich im konkreten Fall die nationale Rechtslage nach dem Schluss der Verhandlung erster Instanz maßgeblich geändert hat. Im Klauselverfahren ist nach der nationalen Rechtsprechung ein Unterlassungsanspruch nur dann zu bejahen, wenn das beanstandete Verhalten im Fall einer Rechtsänderung sowohl gegen das alte als auch gegen das neue Recht verstößt. Maßgeblich für die Vorlagefrage ist ausschließlich die Fassung von § 20 Abs 2 HIKrG vor der Novelle BGBl I Nr 1/2021. Der Vorlage liegt im Übrigen die – bis zur Entscheidung des EuGH Lexitor völlig herrschende – Auffassung der österreichischen Lehre zugrunde, die eindeutige Formulierung in § 16 Abs 1 VKrG aF (und § 20 Abs 1 HIKrG aF), die zwischen laufzeitabhängigen zu reduzierenden und nicht genannten laufzeitunabhängigen Kosten unterscheide, sei aufgrund eines Umkehrschlusses dahin auszulegen, dass im Kreditvertrag vereinbarte und vom Verbraucherkreditnehmer bezahlte, von der Kreditlaufzeit unabhängige Kosten von der vorzeitigen Rückzahlung unberührt bleiben (Nemeth inKlang3§ 16 VKrG Rz 18; Pendl in Schwimann/Kodek Va § 16 VKrG Rz 10; P. Bydlinski Anm zur EuGH Lexitor, ÖBA 2019/89 [861] mwN).
[31] 3. In der Rs C-383/18 Lexitor sprach der EuGH aus (Rn 36), Art 16 Abs 1 VKrRL sei dahin auszulegen, dass das Recht des Verbrauchers auf die Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung sämtliche dem Verbraucher auferlegte Kosten betreffe. Der EuGH konzedierte, dass sich anhand der vergleichenden Prüfung der verschiedenen Sprachfassungen von Art 16 Abs 1 der VKrRL der genaue Umfang der darin vorgesehenen Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits nicht bestimmen lasse (Rn 25). Das Ziel der Richtlinie sei es, einen hohen Schutz des Verbrauchers zu gewährleisten (Rn 29), wobei die Wirksamkeit des Rechts des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits beeinträchtigt wäre, wenn sich die Ermäßigung des Kredits auf die Berücksichtigung der Kosten beschränken könnte, die vom Kreditgeber als von der Vertragslaufzeit abhängig ausgewiesen wurden (Rn 31). Dies könnte die Gefahr mit sich bringen, dass dem Verbraucher zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kreditvertrags höhere einmalige Zahlungen auferlegt werden (Rn 32). Die Einbeziehung der Kosten, die nicht von der Vertragslaufzeit abhängig seien, in die Ermäßigung der Gesamtkosten beeinträchtige den Kreditgeber nicht in unangemessener Weise, weil Art 16 Abs 2 der VKrRL sein Recht auf Entschädigung für gegebenenfalls unmittelbar mit der vorzeitigen Rückzahlung des Kredits zusammenhängende Kosten vorsehe.
[32] Die Entscheidung ist – was im Anlassverfahren niemand in Zweifel zieht – ausschließlich zur Auslegung von Art 16 Abs 1 VKrRL ergangen und trifft zu Art 25 WIKrRL keine Aussage.
[33] 4. Ein Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union bindet das nationale Vorlagegericht und entfaltet auch über den Ausgang eines Rechtsstreits hinaus rechtliche Bindungswirkung dahin, dass alle Gerichte der Mitgliedstaaten die vom EuGH vorgenommene Auslegung zu beachten haben. Verbindlich ist allerdings nur der Urteilsspruch, der im Licht der Entscheidungsgründe zu lesen ist (, Bosch; Schima in Jäger/Stöger, EUV/AEUV Art 267 AEUV Rz 197 ff mwN). Überdies können nationale Gerichte neuerlich an den EuGH vorlegen, wenn sie dem Gerichtshof eine neue Rechtsfrage stellen oder ihm neue Gesichtspunkte unterbreiten, die ihn dazu veranlassen könnten, eine bereits gestellte Frage abweichend zu beantworten (Schima aaO Rz 199 mwN). Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts gibt es sowohl Argumente, die für eine Auslegung von Art 25 Abs 1 WIKrRL nach den Kriterien der Entscheidung des EuGH Lexitor sprechen, als auch Argumente dagegen:
[34] 5. Für eine Auslegung im Sinn der Entscheidung Lexitor spricht zunächst, dass der Wortlaut von Art 16 Abs 1 VKrRL und Art 25 Abs 1 WIKrRL im jeweils zweiten Satz nahezu wortgleich ist. Der einzige Unterschied liegt darin, dass in Art 16 Abs 1 VKrRL von „den Gesamtkosten des Kredits“ und in Art 25 Abs 1 WIKrRL von „den Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ die Rede ist, woraus sich nach Auffassung des vorlegenden Gerichts allerdings keine dogmatischen Unterschiede ergeben sollten, weil die Begriffsbestimmungen beider Richtlinien von „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ sprechen (Art 4 Z 13 der VKrRL bzw Art 3 lit g der WIKrRL). Auch das in der Entscheidung Lexitor (Rn 29) hervorgehobene Ziel der VKrRL einen hohen Verbraucherschutz zu gewährleisten, weshalb Art 22 Abs 3 dieser Richtlinie auch sicherstelle, dass die Vorschriften, die die Mitgliedstaaten gemäß dieser Richtlinie verabschieden, nicht durch eine besondere Gestaltung der Verträge umgangen werden können, gilt auch für die WIKrRL (so ist im ErwGr 5 zur WIKrRL von der Entwicklung eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts mit einem hohen Verbraucherschutzniveau in Bezug auf Immobilienkreditverträge die Rede und Art 41 WIKrRL sieht die Unabdingbarkeit der Richtlinie sowie Vollharmonisierung ausdrücklich vor).
[35] 6.1. Es gibt aber auch gewichtige Argumente gegen einen Auslegungsautomatismus. Nach Art 2 Abs 2 lit a und b der bereits 2008 erlassenen VKrRL galt diese Richtlinie nicht für Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für unbewegliches Vermögen genutzt wird, oder durch ein Recht an unbeweglichem Vermögen gesichert sind, und für Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind. Die Anwendung von Art 16 Abs 1 VKrRL auf die vorzeitige Rückzahlung derartiger Immobiliarkredite war daher seit jeher ausgeschlossen. Die erst 2014 erlassene WIKrRL regelte erstmals bestimmte Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für mit Verbrauchern geschlossene grundpfandrechtlich besicherte Kreditverträge oder andere Wohnimmobilienkreditverträge (Art 1 WIKrRL). Die Erwägungsgründe zur Richtlinie nehmen – in unterschiedlichem Zusammenhang – mehrmals auf die Besonderheit von Immobilienkreditverträgen Bezug (ErwGr 7, 21, 23, 24). Zu den Besonderheiten des Hypothekar- und Immobilienkreditvertrags gehört es nach Auffassung des erkennenden Senats aber auch, dass diese Art von Darlehensverträgen typischerweise mit einer ganzen Reihe laufzeitunabhängiger und vom Kreditinstitut der Höhe nach kaum beeinflussbarer Kosten verbunden ist, die es bei der VKrRL unterliegenden „einfachen“ Verbraucherkredit-verträgen gar nicht gibt. Zu denken ist etwa an Schätzungskosten, Kosten für die Beglaubigung von Unterschriften für die grundbücherliche Eintragung der Hypothek, Kosten für ein Gesuch um Anmerkung der Rangordnung für eine beabsichtigte Veräußerung oder Verpfändung oder Eingabengebühren für das zur Hypothekeneinverleibung erforderliche Grundbuchsgesuch. Strukturell unterscheiden sich „einfache“, nur der VKrRL unterliegende Verbraucherkreditverträge daher grundlegend von Hypothekar- und Immobilienkreditverträgen, die der WIKrRL unterliegen.
[36] 6.2. Dies kommt auch im ErwGr 19 zur WIKrRL zum Ausdruck, wonach zwar aus Gründen der Rechtssicherheit der Rechtsrahmen der Union für Wohnimmobilienkreditverträge mit anderen Rechts-vorschriften der Union insbesondere in den Bereichen Verbraucherschutz und Aufsichtsrecht im Einklang stehen und diese ergänzen soll. Nur hinsichtlich bestimmter grundlegender Begriffsbestimmungen wie „Verbraucher“ und „dauerhafter Datenträger“ sowie die in den Standardinformationen zur Bezeichnung der finanziellen Merkmale des Kredits verwendeten Schlüsselbegriffe wie „vom Verbraucher zu zahlender Gesamtbetrag“ sowie „Sollzinssatz“ wird eine Übereinstimmung mit jenen der VKrRL erwähnt, damit die Terminologie sich unabhängig davon, ob es sich beim Kredit um einen Verbraucherkredit oder einen Wohnimmobilienkredit handelt, auf den gleichen Sachverhalt bezieht. Der hier maßgebliche Begriff „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ kommt in diesem Erwägungsgrund hingegen nicht vor und ist in den Richtlinien auch unterschiedlich geregelt. Zwar nimmt die Definition in Art 4 Z 13 der WIKrRL auf die Definition in Art 3 lit g der VKrRL Bezug, schließt aber zusätzlich die Kosten für die Immobilienbewertung – sofern für die Kreditgewährung erforderlich – ein, klammert hingegen (nur) die Gebühren für die Eintragung der Eigentumsübertragung in das Grundbuch aus. Strukturelle Unterschiede zwischen „einfachen“ und „hypothekarisch abgesicherten“ Verbraucherkreditverträgen scheint diese Begriffsbestimmung daher (bis zu einem gewissen Grad) anzuerkennen und berücksichtigen zu wollen. Da nach der Definition in Art 4 Z 13 WIKrRL unter „Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher“ gerade auch einmalig zu entrichtende Gebühren für Schätzung, Eintragung der Hypothek ins Grundbuch oder Unterschriftsbeglaubigung zu subsumieren sind, die bei derartigen Verträgen typischerweise anfallen, wirtschaftlich aber letztlich gar nicht dem Kreditgeber zufließen, scheint dem vorlegenden Gericht eine Auslegung des Art 25 Abs 1 WIKrRL nicht ausgeschlossen, dass damit für den Bereich der Immobilienkredite kein Ermäßigungsrecht in Bezug auf laufzeitunabhängige Kosten angeordnet werden sollte.
[37] 6.3. Verbraucherschutzinteressen würden eine derartige Auslegung nicht beeinträchtigen, weil gerade eine Rückerstattungspflicht für derartige laufzeitunabhängige Kosten durch den Kreditgeber im Sinn von Art 25 Abs 3 WIKrRL zu einer Entschädigung für möglicherweise dadurch entstandene, unmittelbar mit der vorzeitigen Kreditrückzahlung zusammenhängende Kosten führen könnte. Es ist auch kein Grund zu erkennen, weshalb es dem Verbraucher dadurch erschwert werde, einen hypothekarisch sichergestellten Kredit vorzeitig zurückzuzahlen, dass er die laufzeitunabhängigen, anlässlich einer derartigen Kreditvergabe jedenfalls anfallenden Schätzungskosten, Beglaubigungskosten und Grundbuchseintragungskosten nicht anteilig rückerstattet erhält.
[38] 6.4. Die in der Entscheidung Lexitor hervorgehobene vertragliche Gestaltungsmöglichkeit des Kreditgebers, derartige Kosten in laufzeitabhängige Kosten umzubenennen, ist schwer vorstellbar. Einer willkürlichen Festlegung, welche Kosten nicht laufzeitabhängig sind, kann nach der österreichischen Rechtsprechung im Übrigen dadurch begegnet werden, dass die Einordnung der Kosten im Weg einer „objektiv wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ erfolgt (Nemeth in Klang3§ 16 VKrG Rz 18 mwN). Danach wird festgestellt, welche Kosten tatsächlich Entgelt für die vorübergehende Kapitalnutzung sind, und welche eine echte, nicht laufzeitabhängige Leistung des Kreditgebers abgelten sollen (Pendl in Schwimann/Kodek4§ 16 VKrG Rz 10).
[39] 7. Von der Beantwortung der dem Gerichtshof der Europäischen Union gestellten Frage hängt die Entscheidung des vorlegenden Gerichts ab. Wird die Frage verneint, entsprach die von der Beklagten verwendete Klausel der bis geltenden Rechtslage, sodass deren Verwendung jedenfalls keine Unterlassungspflicht der Beklagten wegen eines Widerspruchs dagegen begründen könnte. Wird sie hingegen bejaht, wäre vom Obersten Gerichtshof nach dem Methodenkanon des nationalen Rechts die Frage zu beantworten, ob und gegebenenfalls wie § 20 Abs 1 HIKrG aF richtlinienkonform interpretiert werden kann.
[40] 8. Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00066.21Y.0819.000 |
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