OGH vom 24.10.2013, 6Ob70/13g

OGH vom 24.10.2013, 6Ob70/13g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Schneditz-Bolfras und andere Rechtsanwälte in Gmunden, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, *****, vertreten durch Heid Schiefer Rechtsanwälte OG in Wien, wegen 141.757,48 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 240/12i 12, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 27 Cg 60/11w 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen .

Die Beklagte hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, die zu beurteilende Frage gehe angesichts der großen Zahl vergleichbarer Fälle im Bauwesen in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Bei der zu beurteilenden Frage geht es um die Berechtigung eines ausschreibungspflichtigen Auftraggebers nach § 99 Abs 2 BVergG 2006 zur Abweichung von „geeigneten Leitlinien“ wie etwa ÖNORMEN in den Ausschreibungsbedingungen.

1. Nach § 99 Abs 2 BVergG kann der Auftraggeber Festlegungen für den Leistungsvertrag treffen. Bestehen für die Vertragsbestimmungen geeignete Leitlinien, wie ÖNORMEN oder standardisierte Leistungsbeschreibungen, so sind diese heranzuziehen. Der Auftraggeber kann in den Ausschreibungsunterlagen in einzelnen Punkten davon abweichende Festlegungen treffen. Die Gründe für die abweichenden Festlegungen sind vom Auftraggeber festzuhalten und den Unternehmern auf Anfrage unverzüglich bekannt zu geben. Der Verfassungsausschuss (1245 BlgNR XXII. GP, 9) hat dazu festgehalten, dass „die inhaltliche Grenze hinsichtlich der Möglichkeit, von Leitlinien abzuweichen, das Missbrauchsverbot beziehungsweise die Sittenwidrigkeit“ bilden sollen.

Dies entspricht auch der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. So hat der Verfassungsgerichtshof (G 174/06 RPA 2007, 173 [ Gölles ]) entschieden, dass die Heranziehung von geeigneten Leitlinien durch das Bundesvergabegesetz 2006 nicht zwingend vorgesehen werde, vielmehr räume das Gesetz dem öffentlichen Auftraggeber einen Spielraum für Abweichungen ein; das Gesetz eröffne dem öffentlichen Auftraggeber eine weite, nur durch das Missbrauchsverbot beschränkte Möglichkeit, die Ausschreibung abweichend von Leitlinien an die Besonderheiten des einzelnen Auftrags anzupassen. Auch der Verwaltungsgerichtshof (Zl 2008/04/0077) hat auf die vom Verfassungsausschuss vorgegebene inhaltliche Grenze hinsichtlich der Möglichkeit des Abweichens von Leitlinien verwiesen; diese bestehe im Missbrauch beziehungsweise in der Sittenwidrigkeit.

Der Oberste Gerichtshof schließt sich insbesondere im Hinblick auf den aus der Entstehungsgeschichte des Bundesvergabegesetzes 2006 (vgl dazu auch Götzl , Die vergaberechtliche Bindung an geeignete Leitlinien Klarstellungen zu Anwendbarkeit, Umfang und Abweichung, RPA 2010, 123) erkennbaren Willen des historischen Gesetzgebers dieser Meinung an, die im Übrigen von den Parteien im Revisionsverfahren auch nicht in Zweifel gezogen wird. Einer sachlichen Begründung, Notwendigkeit oder Rechtfertigung bedürfen die Abweichungen der Ausschreibungsbedingungen von den Leitlinien daher nicht (Verfassungsausschuss aaO; VwGH Zl 2008/04/0077; BVA 17F 13/03-11; Hagen/Essletzbichler , ÖNORMEN im Leistungsvertrag [Teil II], ZVB 2006, 229; Götzl aaO; aA Krejci , Zur „Normenbindung“ gemäß § 97 Abs 2 und § 99 Abs 2 BVergG 2006, ÖZW 2006, 2; Wiesinger/Wohlgemuth , ÖNORMen im Leistungsvertrag, ZVB 2006, 325; Stempkovski , Vergaberechtsmuster für Gemeinden [2006] 61).

2. Die Klägerin wendet sich in der Revision gegen die Berechnung veränderlicher Preise in den Ausschreibungsunterlagen der Beklagten.

2.1. Nach Punkt 4.1.3. der ÖNORM B 2111 ist eine Festlegung, dass für Leistungen eine gewisse Zeit Festpreise gelten, welche in der Folge zu veränderlichen Preisen werden, unzulässig. Demgegenüber vereinbarten die Parteien aufgrund der Ausschreibungsunterlagen, dass die im Angebot und/oder Auftrag ausgepreisten Einheitspreise Festpreise bis 12 Monate nach Ende der Angebotsfrist seien; danach erfolge eine Valorisierung.

Die Klägerin hält diese Regelung für missbräuchlich beziehungsweise sittenwidrig, weil Motiv hiefür „die Schaffung eines erheblichen wirtschaftlichen Vorteils zugunsten des Auftraggebers“ gewesen sei.

Eine Aufteilung der Preisrisikotragung in der Weise, dass Änderungen des allgemeinen Preisgefüges bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (zu Lasten des Unternehmers) für die Entgeltbestimmung unbeachtlich seien, Preisänderungen nach diesem Zeitpunkt aber (zu Lasten des Bestellers) bei der Entgeltbestimmung berücksichtigt werden sollen, stellt jedoch ein gedankliches Zwischenmodell zwischen Festpreisvereinbarungen und Preisgleitklauseln dar, das als solches weder im Verdacht schwerwiegender inhaltlicher Unausgewogenheit noch auch bei Aufnahme in Formularerklärungen im Verdacht der Unüblichkeit steht; der Vereinbarung längerer Festpreisfristen ist dabei im Zweifel eine bewusste Risikoaufteilung zu unterstellen (6 Ob 662/86 WBl 1987, 38).

Die Auffassung der Vorinstanzen, die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung sei weder eine missbräuchliche noch eine sittenwidrige Abweichung von Leitlinien iSd § 99 Abs 2 BVergG 2006, ist somit durchaus vertretbar. Dass als Basiszahl für die Valorisierung nicht jene bei Angebotsende, sondern erst jene nach Ablauf des Festpreiszeitraums vereinbart wurde, ist logische Folge einer zeitlich begrenzten Festpreisvereinbarung.

2.2. Nach Punkt 4.2.3. der ÖNORM B 2111 sind für die Preisumrechnung als Preisumrechnungsgrundlage hinsichtlich des Preisanteils Lohn ein „zutreffender Index“ oder „ein aus zwei oder mehreren Preisumrechnungsgrundlagen gebildeter Gesamtindex (Berechnung im Sinn eines Warenkorbes)“ und hinsichtlich des Preisanteils Sonstiges ein „zutreffender Index“ oder „der objektbezogene Warenkorb“ zu wählen. Die Parteien vereinbarten aufgrund der Ausschreibungsunterlagen, dass die zu 2.1. genannte Valorisierung grundsätzlich nach den Regeln der ÖNORM B 2111 mit folgenden Ergänzungen zu erfolgen habe: Als Bezug für die Berechnung wurde der durch die Statistik Austria veröffentlichte amtliche „Baukostenindex Wohnhaus und Siedlungsbau, Gesamtbaukosten insgesamt“ vereinbart.

Die Klägerin hält diese Regelung für missbräuchlich beziehungsweise sittenwidrig, weil konkret anzuwendender Index jener für Stuckkateure und Gipser gewesen wäre; es sei ein Krankenhaus, also ein Objektbau, zu errichten gewesen, bei welchem Trockenbauarbeiten eine große Rolle spielten, diese Arbeiten im Wohnungs- und Siedlungsbau jedoch nur von untergeordneter Bedeutung und deshalb in einem allgemeinen Index praktisch nicht abgebildet seien.

Es kann jedoch auch vor dem Hintergrund des § 99 Abs 2 BVergG 2006 nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs sein (vgl § 502 Abs 1 ZPO) festzulegen, welcher Index für welche Bauleistungen der richtige ist; die Beantwortung dieser Frage richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und übersteigt deshalb an Bedeutung den jeweiligen Rechtsstreit nicht.

Da die Klägerin nicht als einziges Unternehmen bei der Errichtung des Krankenhauses tätig war und die Beklagte (offensichtlich) mit allen anderen Unternehmen ebenfalls den allgemeinen „Baukostenindex Wohnhaus und Siedlungsbau, Gesamtbaukosten insgesamt“ vereinbarte, ist die Auffassung der Vorinstanzen auch in diesem Punkt nicht zu beanstanden.

2.3. Schließlich hält die Klägerin die getroffenen Vereinbarungen aufgrund ihres Zusammenwirkens für missbräuchlich beziehungsweise sittenwidrig; infolge Festpreisphase und sodann (lediglich) allgemeinem Index sei es gegenüber einer sofortigen Anwendung des Index für Stuckkateure und Gipser zu einem wirtschaftlichen Nachteil für sie in Höhe des Klagsbetrags gekommen.

Bei der Beurteilung von Missbrauch und Sittenwidrigkeit kann allerdings zum einen die Gesamtauftragssumme von rund 3,4 Mio EUR nicht gänzlich außer Acht gelassen werden; zum anderen verweist die Beklagte in ihrer Revisionsbeantwortung nicht zu Unrecht auf die Unternehmereigenschaft der Klägerin, auf deren eigene Verantwortung, welches wirtschaftliche Risiko sie eingehen will, und schließlich darauf, dass es unzulässig erscheint, zunächst eine Preisgleitvereinbarung abzuschließen und dann (also im Nachhinein) deren Gültigkeit zu bestreiten, wenn sich das (beiderseitige) Risiko tatsächlich zum eigenen Nachteil ausgewirkt hat.

3. Da im hier zu beurteilenden Fall weder Missbrauch noch Sittenwidrigkeit gegeben waren, bedarf es aber keiner Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs zu der im Revisionsverfahren von den Parteien erörterten Frage, ob eine unzulässige Abweichung iSd § 99 BVergG 2006 überhaupt noch im Zivilverfahren geltend gemacht werden kann, wenn sie nicht als Verstoß gegen das Vergaberecht bereits im Vergabeverfahren gerügt wurde.

4. Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Die Beklagte hat dessen Kosten selbst zu tragen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2013:0060OB00070.13G.1024.000