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OGH vom 10.05.1984, 7Ob23/84

OGH vom 10.05.1984, 7Ob23/84

Norm

VersVG § 43;

VersVG § 44;

Kopf

SZ 57/94

Spruch

Der Versicherer haftet für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten seines Vermittlungsagenten. Den Versicherungsnehmer trifft ein Mitverschulden für die Nichtbeachtung der mit der Polizze übersendeten Versicherungsbedingungen

(OLG Wien 3 R 4/84; HG Wien 28 Cg 8/80)

Text

Seit dem Jahre 1974 besteht zwischen den Streitteilen eine landwirtschaftliche Bundelversicherung, die ua. eine Haftpflichtversicherung enthält. Für diese Haftpflichtversicherung gelten die Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHVB 1963) und die Ergänzenden Haftpflichtversicherungsbedingungen (EHVB 1963). Nach Art. 5 III Z 5 der AHVB 1963 sind Schäden an Fluren und Kulturen, verursacht durch Weidevieh, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

In der Nacht vom 26. auf verursachten von den Klägern gehaltene Schafe auf einem Nachbargrundstück Schäden, bezüglich derer die Kläger zum Schadenersatz und auf Grund eines Schadenersatzprozesses zur Zahlung von Prozeßkosten verhalten wurden. Sie begehren, sieht man von einem bereits rechtskräftig abgewiesenen Teilbetrag ab, den Zuspruch von 306 090.69 S sA und behaupten, der bei Vertragsabschluß für die Beklagte tätig gewesene Versicherungsvertreter habe ausdrücklich Versicherungsschutz auch für den Fall einer Schadensstiftung durch Schafe zugesagt.

Das Erstgericht hat dem Hauptbegehren auf Zahlung stattgegeben, wobei es von folgenden wesentlichen Feststellungen ausging: Die Kläger erklärten gegenüber dem für die Beklagte bei ihnen vorsprechenden, nicht zum Abschluß von Versicherungsverträgen befugten Vertreter, sie wollten alle Risken versichert haben, die mit der Schafzucht verbunden sind. Hiebei wurde ausdrücklich die Frage besprochen, ob auch Schäden durch Abfressen oder Zertrampeln anläßlich eines Ausbruches der Schafe aus der Koppel gedeckt sind. Der Vertreter der Beklagten, der den Inhalt der Versicherungsbedingungen nicht kannte, sagte die Deckung auch derartiger Schäden zu. Nach diesem Gespräch füllte er den Versicherungsantrag aus und übergab ihn der Beklagten. Die Kläger haben den schriftlichen Antrag weder gesehen noch unterfertigt. Der Vertreter machte die Beklagte nicht darauf aufmerksam, daß die Kläger das erwähnte Risiko ebenfalls gedeckt haben wollten. In der am ausgestellten Polizze nahm die Beklagte auf die AHVB 1963 als Vertragsgrundlage Bezug. Die Kläger erhielten diese Bedingungen mit der Polizze zugesandt. Sie haben keine Einwendungen gegen die Polizze erhoben.

Rechtlich vertrat das Erstgericht den Standpunkt, die Kläger hätten den Widerspruch zwischen den mündlichen Erklärungen des Vertreters der Beklagten und den Versicherungsbedingungen nicht erkennen können. § 5 Abs. 2 VersVG sei nicht anwendbar, weil die Beklagte auf Abweichungen nicht hingewiesen habe. Die Beklagte habe aber für Erklärungen ihres Agenten einzustehen. Ein Mitverschulden könne den Klägern nicht zur Last gelegt werden.

Das Berufungsgericht hob die erstgerichtliche Entscheidung unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es verneinte ein Gewohnheitsrecht in der Richtung, daß auch Zusagen des nicht zum Abschluß befugten Agenten für den Versicherer verbindlich seien. Allerdings sei auch ein solcher Agent zur Entgegennahme mündlicher Anträge oder Ergänzungen zu Anträgen berechtigt. Solche an den Agenten gerichtete Anträge gelten als dem Versicherer zugekommen. Gebe jedoch der Agent dem Versicherer nicht den vollen Inhalt der Anträge bekannt, so habe der Versicherer nicht die Möglichkeit, iS des § 5 Abs. 2 VersVG auf Abweichungen aufmerksam zu machen. Nehme er in einem solchen Falle den Antrag mit einem anderen Inhalt an, so läge ein Dissens vor, der das Zustandekommen eines Versicherungsvertrages hindere. Allerdings sei auch der Vermittlungsagent ein Erfüllungsgehilfe des Versicherers bei der Anbahnung von Versicherungsverträgen. Eine allfällige culpa in contrahendo des Agenten, etwa durch mangelnde Aufklärung des Versicherungsnehmers, falle daher aus dem Titel des Schadenersatzes auch dem Versicherer zur Last. Im vorliegenden Fall sei ein solches Verschulden des Agenten und allenfalls auch ein eigenes Organisationsverschulden des Versicherers durch mangelhafte Instruktion seines Agenten gegeben. Demnach treffe die Beklagte grundsätzlich eine Schadenersatzpflicht, wobei sie das negative Vertragsinteresse zu ersetzen habe. Der Geschädigte sei also so zu stellen, wie er stunde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre. Dies bedeute, daß er so zu stellen sei, als hätte er in Kenntnis der Versicherungsbedingungen eine das von ihm erwähnte Risiko deckende Zusatzversicherung abgeschlossen. Allerdings müsse er sich als Vorteilsausgleich Eigenersparnisse, also die Prämien der nicht abgeschlossenen Zusatzversicherung, anrechnen lassen. Im vorliegenden Fall komme jedoch eine uneingeschränkte Haftung der Beklagten deshalb nicht in Frage, weil die Kläger ein erhebliches Mitverschulden treffe, das dem Verschulden, für das die Beklagte einzustehen habe, gleichwertig sei. Die Kläger hätten nämlich, falls sie die ihnen lange vor dem Schadensfall übermittelten Versicherungsbedingungen durchgelesen hätten, ihren durch den Vertreter der Beklagten bestärkten Irrtum über den Umfang der Versicherung ohne weiteres erkennen müssen. Demnach könnten sie höchstens die Hälfte ihres Schadens verlangen. Auch ein solches Begehren wäre aber dann nicht gerechtfertigt, wenn die Einwendung der Beklagten richtig sein sollte, bereits im Jahre 1976 sei gegenüber den Klägern die Deckung eines "ähnlichen Versicherungsfalles" abgelehnt worden. Sollte bereits damals auf den Ausschluß der Deckungspflicht für Kultur- und Flurschäden durch ausbrechendes Weidevieh verwiesen worden sein, hätten es sich die Kläger selbst zuzuschreiben, daß sie seither nicht entsprechende Schritte zur Deckung dieses Risikos unternommen haben.

Der Oberste Gerichtshof gab den Rekursen beider Parteien teilweise Folge und änderte die Entscheidungen der Vorinstanzen mit Teilurteil dahin ab, daß er das Begehren auf Zahlung von 153 045.34 S samt Nebengebühren abwies. Im übrigen gab er den Rekursen nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Kläger machen in ihrem Rekurs ausschließlich geltend, bei der strittigen Ausschlußbestimmung der AHVB 1963 handle es sich um eine Bedingung derart außergewöhnlichen Inhaltes, daß sie im Hinblick auf § 864 a ABGB nicht anwendbar sei. Daß die Bestimmung des § 864 a ABGB für den vorliegenden Versicherungsfall nicht unmittelbar gilt, weil der Versicherungsvertrag vor dem Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes abgeschlossen worden ist (§ 39 Abs. 1 KSchG), erkennen die Kläger selbst. Sie vertreten lediglich unter Hinweis auf die in EvBl. 1981/53 veröffentlichte Entscheidung den Standpunkt, die in § 864 a ABGB aufgezeigten Grundsätze hätten bereits vor Inkrafttreten des Konsumentenschutzgesetzes gegolten. Die von ihnen zitierte Entscheidung hat jedoch lediglich ausgesprochen, daß eine Ausnahme von dem Grundsatz, wonach der Inhalt einer unterfertigten Urkunde als rechtsverbindliche Willenserklärung auch dann gilt, wenn die Urkunde vor Unterfertigung nicht durchgelesen wurde, nur dann anzunehmen wäre, wenn der Urkundeninhalt so ungewöhnlich ist, daß ein Einverständnis nicht angenommen werden kann. Die bloße Abgrenzung des vom Versicherer übernommenen Risikos an der deutlich hiefür vorgesehenen Stelle der Versicherungsbedingungen stellt jedoch keine so außergewöhnliche Einschränkung dar, daß für sie die Erwägung der Entscheidung EvBl. 1981/53 gelten könnten. Vielmehr kann kein Versicherungsnehmer von vornherein damit rechnen, daß jedes von ihm ins Auge gefaßte Risiko durch den Abschluß eines Versicherungsvertrages gedeckt ist. Die von den Klägern gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes vorgebrachten Bedenken sind sohin nicht gerechtfertigt.

Richtig hat das Berufungsgericht erkannt, daß ein Wissen des Vermittlungsagenten gemäß § 44 VersVG dem Versicherer nicht zuzurechnen ist. Nach § 43 VersVG ist jedoch auch der Vermittlungsagent befugt, Anträge auf Abschluß einer Versicherung entgegenzunehmen. Die dem Agenten zugegangenen Anträge gelten daher als dem Versicherer zugegangen. Hat der Agent zulässige mündliche Ergänzungen zu schriftlichen Anträgen dem Versicherer nicht weitergegeben, so ist der Versicherer nicht in der Lage, auf Abweichungen gegenüber diesen mündlichen Zusätzen gemäß § 5 Abs. 2 VersVG hinzuweisen. Demnach kommt die Annahme einer Zustimmung des Versicherungsnehmers zu Abweichungen nicht in Frage. Da jedoch der Versicherer vom Gesamtantrag abgewichen ist, liegt ein Dissens vor, der dem wirksamen Abschluß eines Versicherungsvertrages entgegensteht (SZ 48/52; VersR 1980, 471 ua). Im vorliegenden Fall ist ein wirksamer Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen den Streitteilen nicht zustande gekommen.

Die Beklagte hat allerdings durch einen Vertreter Vertragsverhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses eines Versicherungsvertrages angebahnt. Demnach trafen sie entsprechende vorvertragliche Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem in Aussicht genommenen Vetragspartner (Koziol-Welser[6] I 164). Für die Verletzung derartiger vorvertraglicher Sorgfaltspflichten durch einen Erfüllungsgehilfen haftet der Geschäftsherr. Erfüllungsgehilfe ist auch, wer für den Geschäftsmann einen Geschäftsabschluß vorbereitet. Die zu erfüllenden besonderen Verbindlichkeiten ergeben sich hier aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis (Koziol-WelseraaO 360; Koziol, Haftpflichtrecht[2] II 73, 337; EvBl. 1979/22 ua.). Bei der versuchten Anbahnung des Abschlusses eines Versicherungsvertrages tritt der Versicherungsagent gegenüber dem in Aussicht genommenen Versicherungsnehmer als Erfüllungsgehilfe des Versicherers auf (Bruck-Möller, VVG[8] I 1026 f; Hofmann, Privatversicherungsrecht[2] 43; Prölss-Martin, VVG[23] 248 f). Die Aufklärungspflicht des Agenten ist vor allem dann gegeben, wenn der Antragsteller eine unzutreffende Meinung äußert. Diesfalls muß der Versicherer bzw. sein Agent als Erfüllungsgehilfe diese unrichtige Ansicht des Antragstellers richtigstellen (Bruck-Möller aaO 1030).

Im vorliegenden Fall haben die Kläger eine unrichtige Meinung über den Umfang des von der Beklagten durch den Abschluß des in Aussicht genommenen Versicherungsvertrages übernommenen Risikos geäußert. Der Agent der Beklagten hat diese irrige Meinung nicht nur nicht richtiggestellt, sondern die Kläger in ihrem Irrtum noch bestärkt. Auf diesem Irrtum war der Abschluß einer Versicherung zurückzuführen, die das gewünschte Risiko nicht deckte. Dieser Umstand begrundet grundsätzlich die Schadenersatzpflicht der Beklagten in dem vom Berufungsgericht richtig aufgezeigten Umfang.

Richtig hat das Berufungsgericht allerdings auch erkannt, daß der Versicherungsnehmer sich nicht blindlings auf die Zusagen des Agenten verlassen darf. Es entspricht vielmehr seinen Sorgfaltspflichten, die ihm übermittelten Versicherungsbedingungen zu studieren und zu kontrollieren, ob die Polizze tatsächlich seinem Antrag entspricht oder nicht. Unterläßt er diese selbstverständliche Vorsichtsmaßnahme, so trifft ihn ein erhebliches Mitverschulden an Schäden, die durch das blinde Vertrauen auf die Zusagen des Agenten entstanden sind. Unbedenklich hat das Berufungsgericht das Mitverschulden der Kläger im vorliegenden Fall als gegenüber dem von der Beklagten zu vertretenden Verschulden gleichwertig erachtet.

Richtig wurde vom Berufungsgericht auch erkannt, daß die Kläger den vom Agenten der Beklagten veranlaßten Irrtum nicht mehr zu ihren Gunsten geltend machen könnten, falls dieser Irrtum so rechtzeitig vor Eintritt des vorliegenden Schadensfalles aufgeklärt worden wäre, daß sie für eine ausreichende Deckung ihres Risikos Sorge tragen hätten können. Dies wäre dann der Fall, wenn die Beklagte bereits anläßlich eines früheren Schadensfalles auf den Ausschluß des Risikos für dem vorliegenden Anspruch gleichartige Fälle verwiesen hätte. Diesfalls hätte den Klägern klar sein müssen, daß dieses Risiko durch die Versicherung nicht gedeckt ist. Hiebei spielt es keine Rolle, ob es damals letzten Endes zu einem Entfall der Versicherungsleistung wegen des Einwandes des Versicherers gekommen ist oder ob die Kläger ihr Begehren auf Deckung des Schadens aus anderen Gründen zurückgezogen haben. Maßgebend ist nur, ob die Beklagte bereits damals unmißverständlich auf die fehlende Deckung für gleichartige Risken verwiesen hat oder nicht bzw. ob die damalige Stellungnahme der Beklagten von den Klägern in diesem Sinne verstanden werden mußte. Eine solche Ablehnung der Beklagten hätte nämlich die Kläger auf jeden Fall veranlassen müssen, nunmehr die ihnen übermittelten Versicherungsbedingungen durchzulesen. Sie könnten sich daher ab diesem Zeitpunkt auf ein Nichtkennen dieser Bedingungen keinesfalls mehr berufen.

Der Einwand der Beklagten bezüglich der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles zur Prüfung der Stellungnahme der Beklagten zu einem früheren Versicherungsfall übersieht, daß zu dieser Frage von den Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen wurden. Dem OGH ist das Treffen eigener Feststellungen verwehrt. Der diesbezügliche Feststellungsmangel kann nur durch weitere Beweisaufnahmen behoben werden, weshalb die Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung in dem im Spruch ersichtlichen Umfange gerechtfertigt war. Aus der richtigen Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ergibt sich im übrigen, daß zumindest die Hälfte des Klagsanspruches keinesfalls gerechtfertigt sein kann. Der OGH ist daher gemäß § 519 Abs. 2 ZPO in der Lage, über diesen Teil des Anspruches durch Teilurteil endgültig zu entscheiden.