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OGH vom 22.07.2009, 3Ob76/09m

OGH vom 22.07.2009, 3Ob76/09m

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei G***** mbH, *****, vertreten durch Ebner Aichinger, Guggenberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die verpflichtete Partei Josef Franz L*****, vertreten durch Mag. Klaus Hehenberger, Rechtsanwalt in Wels, wegen Räumungsexekution, über den Revisionsrekurs der verpflichteten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 54 R 40/09k-9, womit über Rekurs der betreibenden Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom , GZ 8 E 626/09z-5, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die verpflichtete Partei hat die Kosten ihres Revisionsrekurses selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Im Verfahren AZ 11 C 1930/06a des Erstgerichts kündigte die nun betreibende Partei den mit dem nun Verpflichteten geschlossenen Mietvertrag über eine Wohnung aus dem Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auf.

Das Gericht erster Instanz erkannte die Aufkündigung mit Urteil vom für wirksam und verpflichtete den Verpflichteten zur Räumung der Wohnung binnen 14 Tagen.

Das Gericht zweiter Instanz gab der dagegen vom Verpflichteten erhobenen Berufung mit Urteil vom nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das dem Vertreter des Verpflichteten am zugestellte Berufungsurteil erwuchs in Rechtskraft.

Am beantragte die betreibende Partei Räumungsexekution, die am bewilligt wurde (Verfahren AZ 8 E 5291/08b des Erstgerichts).

Am beantragte die betreibende Partei unter Hinweis darauf, dass im Räumungsexekutionsantrag vom die Angabe eines Exekutionsobjekts fehle, die Einstellung der Exekution. Diese erfolgte antragsgemäß mit Beschluss vom .

Am beantragte die betreibende Partei neuerlich die zwangsweise Räumung des nun näher bezeichneten Exekutionsobjekts.

Diesen Antrag wies das Erstgericht mit der Begründung ab, dass die Sechsmonatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO als materiellrechtliche Frist durch die Gerichtsferien nicht beeinflusst werde. Der Exekutionsantrag vom liege daher außerhalb der 6-Monatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO. Eine außerordentliche Revision sei nicht erhoben worden. Im Hinblick auf § 505 Abs 3 ZPO sei die Exekutionsführung objektiv nach Ablauf der 14-tägigen Leistungsfrist, beginnend mit der Zustellung der Berufungsentscheidung, möglich gewesen. Der Umstand, dass aufgrund des Exekutionstitels bereits am ein Antrag auf Räumungsexekution gestellt und bewilligt worden sei, ändere an der Rechtslage nichts, weil diese Räumungsexekution mit Beschluss vom eingestellt worden sei. Die Frist nach § 575 Abs 2 ZPO sei nur gewahrt, wenn innerhalb der Frist die Exekution beantragt, bewilligt und in der Folge nicht eingestellt worden sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen von der betreibenden Partei erhobenen Rekurs Folge und bewilligte in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung antragsgemäß die Räumungsexekution. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei und ergänzte - in Befolgung eines Auftrags des Obersten Gerichtshofs vom - seinen Ausspruch dahin, dass es aussprach, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige. Die Zulässigerklärung des ordentlichen Revisionsrekurses gründete das Rekursgericht darauf, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Beginn des Laufs der Sechsmonatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO fehle.

Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, dass die Frist des § 575 Abs 2 ZPO erst zu laufen beginne, wenn die Vollstreckung des Räumungstitels objektiv möglich sei. Fielen Rechtskraft und Vollstreckbarkeit auseinander, beginne die Frist erst mit Rechtskraft, auch wenn kein Rechtsmittel erhoben worden sei. Die am zugestellte Berufungsentscheidung sei erst mit Ablauf des in Rechtskraft erwachsen. Der am beim Erstgericht eingebrachte Exekutionsantrag sei unabhängig von der Frage, ob nicht bereits durch die „perplexe" Exekutionsführung zu AZ 8 E 5291/08b des Erstgerichts die Sechsmonatsfrist gewahrt worden sei, jedenfalls rechtzeitig.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Verpflichteten erhobene Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

1. § 575 Abs 2 ZPO lautet:

Eine gerichtliche Kündigung oder ein Auftrag zur Übergabe oder Übernahme des Bestandgegenstands, wider welche nicht rechtzeitig Einwendungen erhoben wurden, desgleichen die über solche Einwendungen ergangenen rechtskräftigen Urteil treten vorbehaltlich des über den Kostenersatz ergangenen Ausspruchs außer Kraft, wenn nicht binnen sechs Monaten nach dem Eintritt der in diesen Aufträgen oder im Urteile für die Räumung oder Übernahme des Bestandgegenstands bestimmten Zeit wegen dieser Räumung oder Übernahme Exekution beantragt wird.

Das Außerkrafttreten des rechtskräftigen und vollstreckbaren Exekutionstitels bedeutet, dass dem säumigen Betreibenden die im Exekutionsverfahren geregelte Möglichkeit verloren geht, den konkreten Leistungstitel im Exekutionsverfahren durchzusetzen. Im Fall nicht rechtzeitiger Antragstellung erlischt der Vollstreckungsanspruch (3 Ob 163/98m).

2. Die dem Exekutionsverfahren zuzuordnende verfahrensrechtliche Frist des § 575 Abs 2 ZPO (3 Ob 179/07f) knüpft nach herrschender Auffassung nicht an den Zeitpunkt der Rechtskraft des Exekutionstitels, sondern an den Ablauf der Leistungsfrist an (RIS-Justiz RS0044978). Sie beginnt somit erst zu laufen, wenn die Vollstreckung möglich geworden ist (RIS-Justiz RS0044958) und ist von Amts wegen wahrzunehmen (Weixelbraun in Fasching/Konecny IV/1² § 575 Rz 16; RIS-Justiz RS0044959).

3. Jene Rechtsprechungslinie, die (siehe 2.) davon ausgeht, dass die Frist des § 575 Abs 2 ZPO erst zu laufen beginnt, wenn die Vollstreckung möglich ist (RIS-Justiz RS0044958; RS0044978) ist allerdings nicht so zu verstehen, dass der Lauf der Frist auch dann mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Vollstreckbarkeit beginnt, wenn - wie hier - Vollstreckbarkeit und Rechtskraft des Exekutionstitels zeitlich auseinanderfallen.

Die hier allein entscheidungswesentliche Frage, ob es für den Beginn des Laufs der Sechsmonatsfrist ausschließlich auf den Eintritt der Vollstreckbarkeit ankommt, diese Frist somit auch dann zu laufen beginnt, wenn das vollstreckbare Berufungsurteil noch nicht rechtskräftig ist, wurde in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bisher nicht behandelt.

4. Der Wortlaut des § 575 Abs 2 ZPO („die über solche Einwendungen ergangenen rechtskräftigen Urteile ...") spricht dafür, dass der Gesetzgeber den Lauf der Frist des § 575 Abs 2 ZPO nicht vor Eintritt der Rechtskraft des zugrundeliegenden Exekutionstitels beginnen lassen wollte. Auch vor Inkrafttreten der ZVN 1983, die die ursprünglich bloß 14-tägige Frist zur Vollstreckung des Räumungstitels auf sechs Monate verlängerte (vgl dazu 3 Ob 179/07f) wurde in § 575 Abs 3 ZPO auf „rechtskräftige" Urteile Bezug genommen.

5. Auch der Zweck der Regelung des § 575 Abs 2 ZPO spricht für die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Rekursgerichts: Dem Bestandnehmer, der das Bestandobjekt nach einer gerichtlichen Aufkündigung weiter benützt, soll binnen angemessener (sechsmonatiger) Frist Klarheit verschafft werden, ob der Bestandgeber den sich aus dem Titel ergebenden Räumungsanspruch gegen ihn durchsetzt. Die Frist soll dem Bestandgeber einen „Anreiz" zur raschen Rechtsverfolgung bieten (3 Ob 179/07f).

So lange aber der Exekutionstitel nicht in Rechtskraft erwachsen ist, kann der Bestandnehmer aus einem „Untätigbleiben" des Bestandgebers ab Eintritt der Vollstreckbarkeit (Ablauf der Leistungsfrist nach Zustellung des Berufungsurteils, das die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärte - vgl § 505 Abs 4 letzter Satz ZPO) nicht ernstlich ableiten, der Bestandgeber wolle von dem - noch nicht rechtskräftigen - Titel keinen Gebrauch machen.

Die gegenteilige Beurteilung würde zu dem auch verfahrensökonomisch nicht wünschenswerten Ergebnis führen, dass der Bestandgeber, um die Frist des § 575 Abs 2 ZPO nicht zu versäumen, gezwungen wäre, bei Erwirkung eines klagestattgebenden Berufungsurteils, mit welchem die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, einen Räumungsexekutionsantrag innerhalb einer Frist von sechs Monaten, gerechnet ab Eintritt der Vollstreckbarkeit, zu stellen, und zwar auch dann, wenn der Beklagte bereits eine außerordentliche Revision erhoben hatte. Der Beklagte (Verpflichtete) seinerseits könnte in diesem Fall immer Exekutionsaufschiebung nach § 42 Abs 1 Z 2 lit a EO erwirken, wobei nach der ausdrücklichen Anordnung in § 44 Abs 3 EO auch keine Prüfung der Erfolgsaussichten der außerordentlichen Revision zu erfolgen hat. Es wäre verfahrensökonomisch nicht zu rechtfertigen, den obsiegenden Kläger zu einer Exekutionsführung zu verpflichten, obwohl das streitige Erkenntnisverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen wurde und daher die Möglichkeit besteht, dass der Exekutionstitel noch abgeändert wird.

Davon zu unterscheiden ist, dass die Erhebung eines absolut unzulässigen Rechtsmittels den Eintritt der Rechtskraft nicht hinausschiebt und daher auch den Lauf der Sechsmonatsfrist des § 575 Abs 2 ZPO nicht zu hindern vermag (RIS-Justiz RS0041259).

6. Daraus folgt zusammengefasst, dass in Übereinstimmung mit einem Teil der zweitinstanzlichen Rechtsprechung und der herrschenden Lehre (LGZ Wien MietSlg 59.701; LG Salzburg RIS-Justiz RSA0000042; Sprung/Mayr, Die Befristung bestandrechtlicher Exekutionstitel, wobl 1990, 4; Frauenberger in Rechberger³ § 575 Rz 4; Weixelbraun aaO § 575 Rz 10) davon auszugehen ist, dass der Fristenlauf des § 575 Abs 2 ZPO nicht vor Eintritt der Rechtskraft der Berufungsentscheidung beginnt.

Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung gilt das auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine außerordentliche Revision nicht erhoben wurde: Der Beginn eines gesetzlich geregelten Fristenlaufs muss aus Gründen der Rechtssicherheit klar zu bestimmen sein. Wollte man in jenen Fällen, in welchen eine außerordentliche Revision gegen ein Berufungsurteil zwar möglich gewesen wäre, nicht aber erhoben wurde, für den Beginn des Fristenlaufs des § 575 Abs 2 ZPO auf den Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellen, müsste zunächst ein „ungewisses" Ereignis (nämlich ob der Beklagte außerordentliche Revision erhebt oder nicht) abgewartet werden, um dann im Fall, dass der Beklagte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht, ex post den Fristenlauf des § 575 Abs 2 ZPO früher anzusetzen als in jenen Fällen, bei welchen eine außerordentliche Revision erhoben wurde.

Erging daher ein klagestattgebendes Berufungsurteil (über ein Räumungsbegehren), auf welches § 575 Abs 2 ZPO anzuwenden ist, und wurde in dem Berufungsurteil die ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt, so beginnt der Fristenlauf des § 575 Abs 2 ZPO auch dann nicht vor Eintritt der Rechtskraft, wenn die Berufungsentscheidung vom Beklagten nicht mit außerordentlicher Revision bekämpft wurde.

Dem unberechtigten Revisionsrekurs war daher ein Erfolg zu versagen, ohne dass noch geprüft werden müsste, ob sich die Exekutionsführung zu AZ 8 E 5291/08b des Erstgerichts auf den Lauf der Frist des § 575 Abs 2 ZPO auswirkte.

Die Entscheidung über die Kostentragung durch den Verpflichteten gründet sich auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO iVm § 78 EO.