OGH vom 27.04.2016, 7Ob68/16z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Eugen Amann, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Andreas Germann, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen 64.800 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 15/16m 30, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1. Der Umstand, dass ein Senat des Berufungsgerichts und zwar ausgehend von einem anderen Wortlaut der einschlägigen ÖNORM zu einem Ergebnis gelangte, das der angefochtenen Entscheidung widerspricht, begründet allein keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.
1.2. ÖNORMEN sind objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut, das heißt unter Verzicht auf außerhalb des Textes liegende Umstände, gemäß § 914 ABGB auszulegen (RIS Justiz RS0122959). Sie sind so zu verstehen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Adressatenkreises erschließen; im Zweifel bildet die Übung des redlichen Verkehrs einen wichtigen Auslegungsbehelf (9 Ob 19/15g). Auf dieser Grundlage ist eine Revision, in der eine unrichtige Auslegung einer ÖNORM-Bestimmung behauptet wird, nicht grundsätzlich, sondern nur dann zulässig, wenn dargetan wird, dass das Berufungsgericht besagte Auslegungsgrundsätze unvertretbar angewandt hat oder der Klärung des Einzelfalls darüber hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl 3 Ob 211/07m; 9 Ob 19/15g). Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen sind hier nicht gegeben:
1.3. Das Berufungsgericht hat die Ansicht vertreten, es liege kein dem Punkt 6.5.3.1 der ÖNORM B2110 zu unterstellender Fall einer einvernehmlichen Verlängerung der Leistungsfrist vor. Es gelangte zu diesem Ergebnis zusammengefasst deshalb, weil die Beklagte in einem einheitlichen Werkvertrag zur Erbringung bestimmter Bauleistungen für zwei am selben Standort gelegene Objekte (Haus 1 und Haus 2) verpflichtet war, deren Fertigstellung mit (Haus 1) und (Haus 2) pönalisiert war. In der Folge kam es aus nicht in der Sphäre der Parteien gelegenen Umständen (nur) zu einer einvernehmlichen Abänderung des Bauablaufs dahin, dass entgegen der ursprünglichen Planung zunächst der Rohbau des Hauses 1 und dann jener des Hauses 2 in Angriff genommen wurde. Allein daraus resultierte nach den vorliegenden Feststellungen bei ordnungsgemäßer Durchführung der Arbeiten keine Verzögerung für die Beklagte. In dieser Änderung des Bauablaufs erkannte das Berufungsgericht im Ergebnis lediglich einen „Austausch“ der datumsmäßig unverändert gebliebenen Fertigstellungstermine (Fertigstellung des Hauses 1 bis und Fertigstellung des Hauses 2 bis ), die es deshalb entsprechend der ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung weiter als pönalisiert ansah.
1.4. Die Beklagte verweist in ihrer Revision auf nicht vergleichbare Fallkonstellationen und beschränkt sich im Übrigen auf die Behauptung, dass die Vereinbarung einer Konventionalstrafe nicht mehr gegolten habe, weil „die Pönalisierung der neuen Fertigstellungstermine nicht festgehalten (worden sei)“, dies aber bei Vereinbarung solcher neuer Fertigstellungstermine zur Klarstellung notwendig sei. Aufgrund welcher Auslegungsüberlegungen und gegebenenfalls welcher Verkehrsübung des angesprochenen Adressatenkreises auch der hier vorgelegene, recht spezifische Geschehnisablauf (bloßer Austausch der Bauobjekte, aus dem keine Verzögerung resultierte, unter Aufrechterhaltung der vereinbarten Fertigstellungstermine) überhaupt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts als ein dem Punkt 6.5.3.1 der ÖNORM B2110 zu unterstellender Fall einer einvernehmlichen Verlängerung der Leistungsfrist zu behandeln sei, begründet die Beklagte in ihrer Revision nicht. Damit stellt sich die Auslegung von Punkt 6.5.3.1 letzter Satz ÖNORM B2110 nicht und die Beklagte zeigt insoweit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
2. Die Beklagte behauptet, das Berufungsgericht habe das Recht zur richterlichen Mäßigung einer Konventionalstrafe nicht nachvollziehbar angewandt. Auch damit zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf:
Die Parteien haben vereinbart, dass „die Fälligkeit einer Vertragsstrafe (…) keinen Schadensnachweis des Auftraggebers voraus(setzt)“. Soweit die Beklagte als Mäßigungskriterium unterstellt, die Klägerin habe durch die Verzögerungen bei Fertigstellung der von der Beklagten geschuldeten Leistungen auch tatsächlich keinen Schaden erlitten, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus (RIS-Justiz RS0043603), weil das Erstgericht dazu eine Negativfeststellung getroffen hat, die zu Lasten der Beklagten geht (vgl RIS-Justiz RS0032195).
3. Im Ergebnis stellt sich insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Die außerordentliche Revision ist somit unzulässig und zurückzuweisen.
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00068.16Z.0427.000
Fundstelle(n):
QAAAD-66658