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OGH vom 28.03.2017, 2Ob83/16v

OGH vom 28.03.2017, 2Ob83/16v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** B*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab und Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagten Parteien 1. M***** T*****, und 2. H***** GmbH, *****, beide vertreten durch Dr. Ludwig Beurle und andere Rechtsanwälte in Linz, sowie 3. Fachverband der Versicherungsunternehmungen, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Ivo Burianek, Rechtsanwalt in Mödling, wegen 22.650 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 3.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 12 R 2/16z34, womit infolge der Berufungen der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 2 Cg 106/14g29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei die mit 1.205,96 EUR (darin 200,99 EUR USt) und der drittbeklagten Partei die mit 1.096,56 EUR (darin 182,76 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Am ereignete sich im Zuge eines Beladevorgangs auf dem Betriebsgelände der zweitbeklagten Partei ein Unfall, bei dem der Kläger schwere Verletzungen erlitt.

Der Kläger hatte von seinem Arbeitgeber den Auftrag erhalten, mit einem Lkw vom Betriebsgelände der zweitbeklagten Partei einen „Hoftrac“ abzuholen. Da die zweitbeklagte Partei über keine Laderampe verfügte und auch der Lkw nicht mit einer solchen ausgestattet war, sollte ihm der Erstbeklagte, ein Arbeitnehmer der zweitbeklagten Partei, mit einem von dieser gehaltenen Gabelstapler bei der Beladung des Lkws behilflich sein.

Der Kläger fuhr mit dem „Hoftrac“ zur Rückseite des Lkws und stellte ihn mit den Vorderrädern auf die abgesenkte Ladebordwand. Da diese Fläche nur 1,8 m lang war, die Länge des „Hoftracs“ aber 3,44 m betrug, konnten die Hinterräder nicht auf der Ladebordwand positioniert werden. Die Schaufel des „Hoftracs“ wurde auf der Ladefläche des Lkws abgelegt. Der Erstbeklagte fuhr mit dem Gabelstapler zwischen die Räder und hob den „Hoftrac“ an. In weiterer Folge hob der Kläger auch die von ihm schräg gestellte Ladebordwand ein Stück an. Außerdem zog er bei dem „Hoftrac“ die die Hinterräder blockierende Feststellbremse, um die Position des „Hoftracs“ zu fixieren.

Auf diese Weise wurde der „Hoftrac“ mithilfe des Gabelstaplers und der vom Kläger bedienten Ladebordwand so weit hochgehoben, bis die Ladebordwand mit der Ladefläche eine Ebene bildete. Die Hinterräder des „Hoftracs“ hatten zunächst keinen Kontakt zu der Ladebordwand. Der Erstbeklagte schob sodann den „Hoftrac“ über dessen Vorderachse auf die Ladefläche des Lkws. Dann setzte er die Hinterräder auf der Ladebordwand auf, worauf die Feststellbremse „griff“. Der Kläger löste die Bremse, setzte sich auf den „Hoftrac“ und lenkte diesen, angeschoben durch den Erstbeklagten, in den Laderaum des Lkws. Dann startete der Kläger den Motor, während der Erstbeklagte mit den Staplergabeln etwas herausfuhr, um den „Hoftrac“ noch weiter in den Laderaum hineinschieben zu können. Als sich die Hinterräder des „Hoftracs“ ca 40 cm innerhalb der Ladefläche befanden und die Ladebordwand nicht mehr belastet war, entfernte der Erstbeklagte die Staplergabeln und fuhr mit dem Stapler zurück.

Durch die Beladung im rückwärtigen Bereich des Lkws neigte sich dieser zumindest soweit, dass das Ende der Ladebordwand keine Überhöhung mehr aufwies. Der „Hoftrac“ begann relativ rasch nach dem Absenken des Lkws rückwärts zu rollen und stürzte mit dem Kläger von der Ladebordwand, auf der er mit den Vorderrädern hängenblieb. Dass der Kläger den Rückwärtsgang eingelegt hatte, konnte nicht „mit Sicherheit“ festgestellt werden. Hätte er die Feststellbremse angezogen oder die „Parkstellung“ eingelegt, hätte er ein nennenswertes Zurückrollen des „Hoftracs“ und dessen Abstürzen verhindern können. Letzteres gilt auch für den Erstbeklagten, wenn er mit dem Gabelstapler bei der Ladebordwand verblieben wäre.

Der Kläger stellte unter Anrechnung eines Mitverschuldens von einem Viertel ein zuletzt auf 22.650 EUR sA lautendes Zahlungsbegehren sowie ein Feststellungsbegehren. Der Erstbeklagte habe grundlos und schuldhaft die Staplergabeln zu früh gelöst und dadurch den Unfall verursacht. Die zweitbeklagte Partei hafte als Halterin des Gabelstaplers, der drittbeklagte Fachverband hafte gemäß § 6 VOEG.

Die beklagten Parteien bestritten ihre Haftung. Der Kläger habe vermutlich den Rückwärtsgang eingelegt. Die Beladung des Lkws sei im Zeitpunkt des Unfalls bereits abgeschlossen gewesen.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren im Umfang von 14.100 EUR sA und dem Feststellungsbegehren insoweit statt, als es die Haftung der beklagten Parteien für 50 % aller künftigen Schäden des Klägers aus dem Unfall vom aussprach. Das jeweilige Mehrbegehren wurde rechtskräftig abgewiesen. In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu gleichteiligem Verschulden des Klägers und des Erstbeklagten.

Das nur von den beklagten Parteien angerufene Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung des Erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei und änderte das erstinstanzliche Urteil im Übrigen dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei.

Das Berufungsgericht verneinte ein Verschulden des Erstbeklagten, für den das Zurückrollen des „Hoftracs“ nicht vorhersehbar gewesen sei. Der Unfall habe sich auch nicht beim Betrieb des Gabelstaplers iSd § 1 EKHG ereignet, weil der Beladevorgang bereits vorher beendet gewesen sei. Aus diesen Gründen hafte keine der beklagten Parteien für den Schaden des Klägers.

Die Revision sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Beendigung eines Beladevorgangs fehle, insbesondere dazu, wie lange der „Betrieb“ reiche und ab wann nur noch „Verwendung“ vorliege. Durch die Entscheidung 2 Ob 47/14x sei noch keine hinreichende Klarstellung dieser Rechtsfrage erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision des Klägers ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche, für die Entscheidung auch präjudizielle Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. Das Berufungsgericht hat ein schuldhaftes Fehlverhalten des Erstbeklagten verneint. Dabei ist ihm keine iSd § 502 Abs 1 ZPO korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen:

1.1 Nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen ist nicht erwiesen, dass der Erstbeklagte – bei Anlegung des Sorgfaltsmaßstabs des § 1299 ABGB – mit einer Rückwärtsbewegung des „Hoftracs“ rechnen musste, nachdem er ihn mit dem Gabelstapler zur Gänze auf der Ladefläche des Lkws abgestellt hatte. Der Grund für das Zurückrollen des „Hoftracs“ konnte nur im „Absenken“ des Lkws gelegen sein. Der Kläger hätte daher den ihm nach allgemeinen Grundsätzen obliegenden Beweis zu erbringen gehabt, dass diese Gefahr für einen Fachmann, also einen „geprüften bzw geübten Staplerfahrer“ (so die Revision), vorhersehbar war und ihn zum längeren Verharren bei der Ladebordwand des Lkws veranlassen hätte müssen. Diesen Beweis hat der Kläger nicht erbracht. Die verbliebene Unklarheit geht zu seinen Lasten (RIS-Justiz RS0022783).

1.2 In diesem Sinne hat das Berufungsgericht das geltend gemachte Verschulden des Erstbeklagten mit jedenfalls vertretbarer Begründung verneint, wenn es davon ausging, dass das Zurückrollen des „Hoftracs“ nicht vorhersehbar gewesen sei.

1.3 Der in der Entscheidung 2 Ob 47/14x beurteilte Sachverhalt, zu dem der Kläger „verblüffende Parallelen“ zu erkennen glaubt, unterscheidet sich deutlich vom vorliegenden Fall:

- Dort wurde ein Siloballen an einer Stelle mit neunprozentiger Neigung abgelegt, sodass mit der Möglichkeit eines Abrollens gerechnet werden musste. Im Übrigen ging es um die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, sodass denjenigen, der den Ballen abgelegt hatte, die Beweislast für sein mangelndes Verschulden traf (RIS-Justiz RS0022476).

- Hier war die Ladefläche eben. Erst unter der Last des „Hoftracs“ neigte sie sich, wobei die Beweislast für die Vorhersehbarkeit der damit verbundenen Gefahr des Zurückrollens – wie oben erörtert – den Kläger traf.

Ob der Beladevorgang im Zeitpunkt des Unfalls schon „beendet“ war, ist für die Beurteilung der Verschuldensfrage überdies irrelevant.

1.4 Der erstmalige Hinweis auf § 21 Arbeitsmittelverordnung („Heben von ArbeitnehmerInnen“) muss schon deshalb ins Leere gehen, weil Adressaten dieser Arbeitnehmerschutzvorschrift die ArbeitgeberInnen sind und ihr Regelungszweck auf die Gesundheit der (eigenen) ArbeitnehmerInnen abstellt (vgl 2 Ob 211/12m mwN; 2 Ob 223/15f mwN). Davon abgesehen wurde nicht der Kläger mit dem Gabelstapler „gehoben“, sondern der „Hoftrac“, sodass ein Anwendungsbereich dieser Bestimmung keinesfalls gegeben wäre.

2. Auch die Verneinung einer Haftung der zweitbeklagten Partei wirft keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

2.1 Die Haftung des Halters nach § 1 EKHG setzt einen Unfall „beim Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs voraus. Ob diese Voraussetzung vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und geht über die Bedeutung des Anlassfalls nicht hinaus (RIS-Justiz RS0111365).

2.2 Unfälle beim Be- und Entladen sind solche „beim Betrieb“. Es muss aber in jedem Einzelfall geprüft werden, ob auch tatsächlich ein Gefahrenzusammenhang in dem Sinn besteht, dass der Unfall aus einer spezifischen Gefährlichkeit des Kraftfahrzeugs resultiert. Der Unfall muss daher mit dem eigentlichen Vorgang des Be- und Entladens zusammenhängen (2 Ob 181/15d mwN; 2 Ob 188/16k; RIS-Justiz RS0124207).

2.3 Von diesen Grundsätzen ausgehend, kommt es im vorliegenden Fall nicht entscheidend darauf an, ob die Beladung des Lkws (bzw die Entladung des Gabelstaplers) bereits „beendet“ war:

- Bejaht man diese Frage, ereignete sich der Unfall nicht „beim Betrieb“ des Gabelstaplers, wovon das Berufungsgericht ausging.

- Doch selbst wenn man sie verneinen würde, worauf die Revision abzielt, käme man zu keiner Haftung der zweitbeklagten Partei. Denn verwirklicht hat sich im konkreten Fall nicht die mit dem Einsatz des Gabelstaplers verbundene spezifische Gefährlichkeit, sondern jene des ebenfalls noch im Betrieb befindlichen Lkws (RIS-Justiz RS0124207), weil das Zurückrollen des „Hoftracs“ erst (und nur) durch das „Absenken“ der Ladefläche möglich wurde. Nach der insoweit eindeutigen Tatsachengrundlage fehlte es daher an einem Gefahrenzusammenhang mit dem Betrieb des Staplers.

2.4 Die Lösung des Berufungsgerichts stimmt auch mit jener Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überein, wonach Unfälle mit einem Hubstapler nach dem Umladen der Ware nicht mehr dem Betrieb des Lkws zugerechnet werden können (2 Ob 193, 2 Ob 194/75 ZVR 1976/233; RIS-Justiz RS0058421). Gründe, warum dies nicht auch umgekehrt gelten sollte, sind nicht ersichtlich und werden auch in der Revision nicht genannt.

2.5 Vor diesem Hintergrund erweist sich die Rechtsansicht des Berufungsgerichts zur – von ihm abgelehnten – Gefährdungshaftung der zweitbeklagten Partei als nicht korrekturbedürftig.

3. Schließlich steht auch seine Auffassung, dass unter den vorstehenden Prämissen eine Haftung des drittbeklagten Fachverbands scheitern muss, im Einklang mit höchstgerichtlicher Judikatur:

3.1 Denn der auf das VOEG gestützte Anspruch gleicht grundsätzlich jenem, der gegen einen versicherungspflichtigen bzw haftpflichtversicherten Schädiger bestehen würde. Es ist daher zu fingieren, dass der schadenersatzrechtliche Leistungsanspruch des Opfers durch eine Kfz-Haftpflichtversicherung im Rahmen der gesetzlichen Versicherungspflicht gedeckt ist (2 Ob 20/16d mwN; RIS-Justiz RS0029484).

3.2 Maßgeblich ist demnach, ob der Schadenersatzanspruch des Klägers nach den Grundsätzen der Verschuldens- oder der Gefährdungshaftung zu Recht besteht (2 Ob 89/12w; 2 Ob 20/16d). Beide Haftungsgrundlagen wurden jedoch – wie erörtert – vertretbar verneint.

3.3 Eine erhebliche Rechtsfrage liegt daher auch insoweit nicht vor. Auf die Frage, ob der Gabelstapler im Zeitpunkt des Unfalls noch iSd § 2 Abs 1 KHVG „verwendet“ wurde, kommt es nicht an. Auch auf die – in der Revision ohnedies nicht angesprochene – Problematik der Ausnahmebestimmung des § 6 Abs 3 Z 2 VOEG idF BGBl I 2013/12 (vgl 2 Ob 112/15g) muss hier nicht eingegangen werden.

4. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00083.16V.0328.000
Schlagworte:
Gruppe: Verkehrsrecht,Verkehrsopfergesetz

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