OGH vom 28.06.1995, 3Ob547/95
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst, Dr.Graf, Dr.Pimmer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz L*****, vertreten durch Dr.Gerhard Holzinger, Rechtsanwalt in Braunau, wider die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr.Thomas Gratzl, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 191.000 sA, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 1 R 115/94-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels vom , GZ 6 Cg 7/93y-31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällenden Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger, der ein Gartenbauunternehmen betreibt, hatte den Auftrag, in größerer Höhe Bäume zu schneiden, und mietete zu diesem Zweck von einem Dritten eine auf einem Lastkraftwagen aufgebaute hydraulische Hubarbeitsbühne, die in Finnland hergestellt und von der beklagten Partei nach Österreich eingeführt und hier in Verkehr gebracht wurde. Das Gerät wurde so aufgestellt, daß vier ausfahrbare hydraulische Schrägstützen jeweils auf der Asphaltfläche aufstanden, davon die rechte hintere Stütze nicht auf der Fahrbahn, sondern auf dem etwas erhöhten Gehsteig. Ungefähr 45 Minuten, nachdem der Kläger vom Korb der Hebebühne aus mit dem Schneiden der Bäume begonnen hatte, stürzten die Hebebühne und der Lastkraftwagen nach rechts um, wodurch der Kläger verletzt wurde. Das Umstürzen war darauf zurückzuführen, daß der rechte hintere Stützfuß seit dem Aufstellen des Gerätes um einige Zentimeter nachgab. Die Ursache dafür lag darin, daß sich das Rückflußventil des Hydraulikzylinders im Bereich der rechten hinteren Abstützung infolge eines Schmutzpartikels, der sich im Hydrauliköl befand, nicht ganz schloß, weshalb geringe Mengen des Öls zurückfließen konnten. Dies führte zu einem unmerklichen, langsamen Nachgeben der rechten hinteren Schrägstütze. Das Hydrauliköl hätte noch nicht erneuert werden müssen, weil das Gerät neu war und höchstens 200 bis 500 Stunden in Betrieb stand, die Erneuerung des Hydrauliköls aber erst nach 1000 Betriebsstunden erforderlich ist. Das ordnungsgemäße Funktionieren auch der rechten hinteren Abstützung ist ein wesentlicher Sicherheitsfaktor. Das eingesetzte Gerät entsprach aber insgesamt dem Stand der Technik. Danach kann nicht gefordert werden, daß das Gerät mit einem weiteren unabhängigen Hydraulikkreis ausgerüstet wird. Weder vor noch nach dem geschilderten Vorfall war ein Defekt am Rückschlagventil der rechten hinteren Schrägstütze aufgetreten, obwohl in deren Bereich nichts verändert wurde.
Der Kläger begehrt von der beklagten Partei den Ersatz des mit S 191.000 sA geltend gemachten unfallbedingten Schadens.
Die beklagte Partei bestritt, daß das beim Unfall verwendete, von ihr in Verkehr gebrachte Produkt fehlerhaft gewesen sei. Sollte aber ein Fehler gegeben gewesen sein, läge ein Haftungsausschluß vor, weil der Fehler nicht erkennbar gewesen wäre.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es war rechtlich der Meinung, daß das beim Unfall verwendete Produkt nicht fehlerhaft im Sinn des § 5 PHG gewesen sei, weil sich das Auftreten von Schmutzpartikeln "praktisch" nicht vermeiden lasse, und mit zumutbaren Mitteln - der Einbau eines zweiten Hydrauliksystems oder eines Gerätes, das das Absinken einer Stütze anzeigt, wäre, soweit technisch überhaupt machbar, zu aufwendig - nicht ausgeglichen werden könne.
Das Berufungsgericht stellte infolge Berufung des Klägers mit Zwischenurteil fest, daß seine Forderung dem Grunde nach zu Recht besteht. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei das für den Unfall maßgebende Produkt fehlerhaft im Sinne des § 5 PHG gewesen, weil es "geradezu typisch" jene Sicherheit aufweisen müsse, die bei sachgemäßer Verwendung einen Umsturz ausschließt. Der beklagten Partei sei auf der anderen Seite der sie gemäß § 7 Abs 2 PHG treffende Nachweis nicht gelungen, daß das Produkt den den Schaden verursachenden Fehler noch nicht hatte, als sie es in den Verkehr brachte, weshalb die Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz zu bejahen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die von der beklagten Partei gegen dieses Zwischenurteil des Berufungsgerichtes wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache erhobene außerordentliche Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig, weil zu der in ihrer Bedeutung über den Anlaßfall hinausgehenden Frage, unter welchen Umständen eine Schadensursache wie die hier aufgetretene zur Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz führt, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt; sie ist auch berechtigt.
Da auch mit den Ausführungen zum Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nur Feststellungsmängel behauptet werden, die auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht zurückgehen würden, ist hierauf nicht gesondert einzugehen (SSV-NF 3/29; JBl 1982, 311; SZ 23/175 ua).
Gemäß § 5 Abs 1 PHG ist ein Produkt fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts
1. der Darbietung des Produkts,
2. des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,
3. des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist.
Bei den Produktfehlern ist zwischen Konstruktionsfehlern, Produktionsfehlern und Instruktionsfehlern zu unterscheiden. Bei den Konstruktionsfehlern ist die Enttäuschung der Sicherheitserwartung im technischen Konzept, eben in der "Konstruktion" des Produkts, begründet. Beim Produktions(Fabrikations-)fehler entspricht zwar das Konzept und das danach hergestellte "idealtypische Produkt" den Erwartungen, nicht aber einzelne Stücke, weil der Produktionsprozeß nicht normgerecht war. Beim Instruktionsfehler macht nur die unzureichende Darbietung das Produkt fehlerhaft (Welser, PHG Rz 24 ff zu § 5; vgl auch Fitz/Purtscheller in Fitz/Purtscheller/Reindl, Produkthaftung Rz 45 ff sowie Schmidt-Salzer/Hollmann, Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung Rz 100 ff zu Art 6 mwN).
Hier kommt ein Instruktionsfehler nach den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes nicht in Betracht, zumal nicht hervorgekommen ist, daß die beklagte Partei mit der Möglichkeit des Eindringens eines Schmutzteilchens trotz ordnungsgemäßer Benützung des Produktes rechnen und diese Möglichkeit daher als mit der Benützung allgemein verbundene Gefahr ansehen mußte. Ein Produktionsfehler läge vor, wenn das Schmutzteilchen, das das Absinken des Stützfußes verursachte, schon während der Herstellung des Gerätes in den Hydraulikkreis geraten wäre. Um einen Konstruktionsfehler würde es sich hingegen handeln, wenn dies erst später der Fall gewesen wäre, wenn aber infolge einer mangelhaften Konstruktion keine Vorrichtung vorgesehen worden wäre, die dennoch das Absinken des Stützfußes vermieden oder zumindest angezeigt hätte. Hiefür wäre entweder ein weiterer Hydraulikkreis oder eine entsprechende Anzeigevorrichtung notwendig gewesen. Beides war aber nach den - zum Teil erst im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen, aber dennoch beachtlichen (JUS Z 1994/513) Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes nach dem Stand der Technik - der Stand der Wissenschaft ist hier ohne Bedeutung (vgl Schmidt-Salzer/Hollmann aaO Rz 123 zu Art 7) - nicht erforderlich. Dieser Standard konkretisiert die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktbenützers (Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch II § 62 Rz 18), er ist die Grundlage jeder erwartbaren Sicherheit (Taschner/Frietsch, Produkthaftung2, Rz 15 zu § 3 ProdHaftG). Dann kann aber die Maßnahme nicht als den berechtigten Sicherheitserwartungen der Produktbenützer entsprechend angesehen werden, es sei denn, daß diese aufgrund der Darbietung des Produktes (s § 5 Abs 1 Z 1 PHG) mit einer über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Sicherheit rechnen durften. Die Voraussetzungen hiefür sind hier aber nicht gegeben.
Es bleibt daher der Fall eines Produktionsfehlers. Dieser macht das Produkt fehlerhaft im Sinn des § 5 Abs 1 PHG, weil der Produktbenützer mit Recht erwarten darf, daß keines von mehreren hergestellten Produkten gegenüber einem anderen einen Mangel aufweist, der die Sicherheit wesentlich beeinträchtigt. Um einen solchen Produktionsfehler auszuschließen, hätte die beklagte Partei gemäß § 7 Abs 2 PHG unter Berücksichtigung der Umstände als wahrscheinlich dartun müssen, daß das Schmutzteilchen, das den Schaden verursacht hat, noch nicht in den Hydraulikkreis des Gerätes geraten war, als sie es in den Verkehr gebracht hat. Hiezu hat die beklagte Partei aber im Verfahren erster Instanz keine Behauptung aufgestellt und die Vorinstanzen haben daher in diesem Zusammenhang mit Recht keine Feststellungen getroffen. Die nunmehr in der Revision vorgebrachte Annahme, es sei wahrscheinlicher, daß das Schmutzteilchen erst während des Einsatzes in das Gerät gelangte, ist
nicht offenkundig im Sinn des § 269 ZPO, weshalb auf sie ohne entsprechende Feststellungen nicht Bedacht genommen werden kann.
Auch bei einem Produktionsfehler ist die Haftung aber gemäß § 8 Z 2 PHG ausgeschlossen, wenn der in Anspruch genommene nachweist, daß die Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik zu dem Zeitpunkt, zu dem er es in den Verkehr gebracht hat, nicht als Fehler erkannt werden konnten. Es handelt sich dabei um einen Haftungsausschluß für typische Entwicklungsrisiken (Graf von Westphalen aaO § 60 Rz 78; Taschner/Frietsch aaO Rz 98 zu § 1 ProdHaftG). Das Kernelement des Entwicklungsrisikos liegt darin, daß die Gefährlichkeit einer bestimmten Produkteigenschaft beim Inverkehrbringen nicht erkennbar war (Fitz/Purtscheller aaO Rz 11 zu § 8 PHG). Die beklagte Partei macht in der Revision mit Recht geltend, daß sich das Berufungsgericht hiemit nicht auseinandersetzte, obwohl sie sich schon im Verfahren erster Instanz auf diesen Haftungsausschluß berufen hat. Aufgrund der vorliegenden Tatsachenfeststellungen kann die angeführte Frage aber nicht beantwortet werden. Die Feststellung, daß das Gerät insgesamt dem Stand der Technik entsprochen hat, sagt nichts darüber aus, ob ein Fehler nach dem allgemein zugänglichen Stand der Technik oder Wissenschaft als Fehler erkannt werden konnte. Hiezu wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren daher Feststellungen zu treffen haben.
Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.