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OGH vom 20.06.1984, 7Ob21/84

OGH vom 20.06.1984, 7Ob21/84

Norm

AÖB 1965 § 2 Abs 2 lita;

Kopf

SZ 57/113

Spruch

Ein Transportmittelunfall iS des § 2 Abs. 2 lit. a AÖB 1965 liegt nicht vor, wenn das Fahrzeug bei einem Ausweichmanöver unbeschädigt geblieben und nur Schaden am Transportgut entstanden ist

(OLG Wien 14 R 266/83; LGZ Wien 21 Cg 70/83)

Text

Die klagende Partei hatte bei der beklagten Partei eine Transportversicherung für handelsüblich und transportgerecht verpackte Pilze und Waldbeeren mit einer Laufzeit ab abgeschlossen, auf die die "Zusatzbedingungen", die "Besonderen Bedingungen", die Allgemeinen österreichischen Binnen-Transport-Versicherungsbedingungen (AÖB 1965) und das "Havariekommissarverzeichnis" Anwendung finden. Nach Punkt 2.1 der "Zusatzbedingungen" gewährt die beklagte Partei für die bereits genannten Güter nach Maßgabe der AÖB 1965 Versicherungsschutz gegen folgende Gefahren: Transportmittelunfall, Feuer, Blitzschlag, Explosion und höhere Gewalt. Nach den "Begriffserläuterungen" im "Prämientarif für die Versicherung von Binnentransporten" - dessen Anwendung zwischen den Parteien nicht ausdrücklich vereinbart wurde - liegt ein Transportmittelunfall vor, wenn das Transportmittel durch ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis eine Sachbeschädigung erleidet; Brems- und Betriebsschäden sowie gewöhnliche Bruch- und Leckageschäden sind nach derselben Begriffserläuterung keine Transportmittelunfallschäden. Nach seinen "Vorbemerkungen" gilt der "Prämientarif" für Binnentransporte mittels Bahn, Auto und Fluß-Schiff sowie für mit diesen Verkehrsmitteln kombiniert durchgeführte Beförderungen von Gütern aller Art.

Der LKW der klagenden Partei wurde am auf einer schmalen Landstraße zwischen Rosenheim und Bad Tölz durch ein entgegenkommendes Fahrzeug, das über die Fahrbahnmitte fuhr, derart abgedrängt, daß der Lenker Oskar H (Geschäftsführer der klagenden Partei), um einen Frontalzusammenstoß zu vermeiden, das Fahrzeug nach rechts verreißen und an den Straßenrand lenken mußte. Dadurch rutschten zwei Räder des Aufliegers (ca.16 Tonnen) auf das Bankett. Der Auflieger kam ins Schwanken, die Zugmaschine blieb gerade noch auf der Straße stehen. Lediglich unter Ausnutzung der Differenzialsperre konnte der Auflieger wieder hochgezogen werden. Der LKW der klagenden Partei wurde im Zuge des Unfallsablaufes nicht beschädigt.

Die klagende Partei begehrt den Zuspruch von 148 050 S sA und bringt vor, sie habe am eine Ladung Pfifferlinge geliefert. Die Ladung sei ordnungsgemäß in ineinander verhakten Plastikkörben oben offen gepackt gewesen. Durch den geschilderten Unfall sei die Ladung verrutscht. Die Körbe seien reihenweise verschoben und von vorn bis rückwärts ausgeschüttet worden. Die Ladung sei dadurch zerstört worden und zwischen die Paletten gefallen.

Die beklagte Partei beantragt Abweisung des Klagebegehrens und wendet ein, daß ein Transportmittelunfall iS der Begriffserläuterungen im "Prämientarif" nicht vorliege; denn das Transportmittel habe keine Sachbeschädigung erlitten. Nach den Erhebungen des Havariekommissärs seien darüber hinaus nur einige der - ungesicherten - Körbe während der Fahrt umgekippt, wobei ihr Inhalt herausgefallen sei. Die Ware sei jedoch wieder eingesammelt worden, sodaß der Verlust minimal gewesen sei. Es habe jedoch die Empfängerfirma den schlechten Zustand der gelieferten Ware bemängelt, der beim Waschen und Blanchieren einen Schwund von 1 950 kg zur Folge gehabt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, daß ein Transportmittelunfall nicht vorliege, weil auf den LKW der klagenden Partei eine mechanische Gewalt nicht eingewirkt und das Kfz. selbst keine Beschädigung erlitten habe.

Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es vertrat die Ansicht, die Allgemeinen Versicherungsbedingungen seien wie Gesetze auszulegen. Es könne daher schon grundsätzlich auf die Definition des Transportmittelunfalls im "Prämientarif" - dessen Anwendung zwischen den Streitteilen nicht vereinbart worden sei - nicht ankommen; maßgebend für die Auslegung dieses Begriffes sei vielmehr sein objektiver Sinngehalt. Bei der Ermittlung des objektiven Sinngehaltes einer generellen Norm nach ihrem Zweck sei der vom Normsetzer als typisch vorausgesetzte Lebenssachverhalt und der auf dieser Grundlage gebotene Interessenausgleich zugrunde zu legen; eine Einzelfallgestaltung müsse vorerst unbeachtet bleiben. Im vorliegenden Fall dürfe nicht übersehen werden, daß allein die richtige Reaktion des Lenkers Oskar H bewirkt habe, daß eine mechanische Gewalt auf den LKW der Klägerin nicht eingewirkt und daher der LKW Beschädigungen nicht erlitten habe. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Versicherter den Versicherungsschutz durch eine solche richtige Reaktion verlieren sollte. Eine derart enge Auslegung des Begriffes "Transportmittelunfall" sei mit dem Sinn und Zweck des nach den AÖB 1965 zu gewährenden Versicherungsschutzes nicht in Einklang zu bringen. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes sei daher ein Transportmittelunfall anzunehmen. Das Erstgericht werde daher Feststellungen zu den weiteren von der Beklagten in Anspruch genommenen Gründen der Leistungsfreiheit zu treffen haben.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der beklagten Partei Folge und stellte das Ersturteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die

Anwendung des "Prämientarifes" zwischen den Streitteilen nicht

vereinbart wurde, sodaß dieser Tarif entgegen den Ausführungen des

Erstgerichtes nicht Vertragsbestandteil geworden ist. Dadurch, daß

der "Prämientarif" nicht zur Vertragsgrundlage gemacht wurde,

unterscheidet sich der vorliegende Fall auch deutlich von jenem

Sachverhalt, der der Entscheidung VersR 1978, 880 zugrunde lag. Wenn

auch die dargestellte Erläuterung des Begriffes

"Transportmittelunfall" im "Prämientarif" nicht zur Auslegung

herangezogen werden kann, findet die Rechtsansicht der beklagten

Partei, es müsse ein Unfall des Transportmittels und dessen

Beschädigung einem durch diese Beschädigung entstandenen Schaden am

Transportgut vorangehen oder mit dieser gleichzeitig eingetreten

sein, in der Bestimmung des § 2 Abs. 2 lit. a der AÖB 1965 ihre

Stütze, wonach ua. Schäden von der Versicherung ausgeschlossen sind,

die durch Verstreuen ... der Güter verursacht werden, es sei denn,

daß diese Schäden als unmittelbare Folge ... eines dem

Transportmittel zugestoßenen Unfalls ... nachgewiesen werden. Sind

die Schäden an den Gütern als Folge "eines dem Transportmittel zugestoßenen Unfalls" nachzuweisen, kann dies nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nichts anderes bedeuten, als daß das Transportmittel einen Unfall mit einem dadurch verursachten Schaden erlitten haben muß. Unter Unfall ist nach ständiger Lehre und Rechtsprechung (Veit, MGA EKHG[3], 14, Anm. 1, und die dort angeführten weiteren Nachweise; ZVR 1965/200 ua.) ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis zu verstehen. Zweifellos liegt ein Unfall nicht nur dann vor, wenn Schäden durch Berührung mit einem anderen Kfz. entstanden sind (vgl. Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht[2] II 512; ZVR 1982/361 ua.); doch wird von einem dem Transportmittel zugestoßenen Unfall dann nicht gesprochen werden können, wenn dieses - etwa wie hier bei einem Ausweichmanöver - unbeschädigt geblieben ist. Daß eine solche Auslegung des Begriffes "Transportmittelunfall" dem Zweck der Transportversicherung widerspräche, nach objektiv-teleologischer Interpretation also unhaltbar sei, kann nicht gesagt werden. Die in § 2 Abs. 2 lit. a AÖB 1965 getroffene Regelung, der Schaden am Gut müsse als unmittelbare Folge eines dem Transportmittel zugestoßenen Unfalls nachgewiesen werden, kann durchaus den Sinn haben, Schäden am Gut von der Haftung auszuschließen, die entstanden sind, obwohl eine Beschädigung des Transportmittels vermieden werden konnte. Die vorgenommene Regelung ist geeignet, das Vortäuschen von Schäden am Gut als Folge eines Unfalls, der nicht auch dem Transportmittel zugestoßen ist, sodaß die Ursächlichkeit eines derartigen Unfalls für Schäden am Gut fragwürdig erscheint, zu unterbinden.

Die erörterte Bestimmung der AÖB konnte deshalb von der klagenden Partei auch nach der Übung des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) nicht anders als in der beschriebenen Weise verstanden werden.

Im Ergebnis mit Recht hat deshalb das Erstgericht einen Transportmittelunfall verneint. Es bedarf aus diesem Gründe keiner weiteren Erhebungen darüber, ob die von der beklagten Partei in Anspruch genommene Leistungsfreiheit (auch) aus anderen Gründen gegeben ist. Da die Streitsache zur Entscheidung reif ist, hat der OGH durch Urteil in der Sache selbst zu erkennen und die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen (§ 519 Abs. 2 ZPO).

Fundstelle(n):
CAAAD-66359