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OGH vom 09.04.2015, 7Ob20/15i

OGH vom 09.04.2015, 7Ob20/15i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin E***** S*****, geboren am *****, verstorben am *****, zuletzt Landespflegeheim Retz, 2070 Retz, Jahnstraße 8, vertreten durch den Verein VertretungsNetz Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin Mag. G***** N*****), 1130 Wien, Jagdschlossgasse 59, Pav. 17, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Einrichtungsleiter H***** W*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 25 R 41/14b 23, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hollabrunn vom , GZ 55 HA 1/14f 11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Bewohnerin befand sich seit bis zu ihrem Tod am im Landespflegeheim Retz, einer Einrichtung im Sinn des § 2 Abs 1 HeimAufG.

Mit formgültig am bei Gericht eingelangtem Schreiben beantragte der Verein die Unzulässigerklärung einer näher beschriebenen Medikation als medikamentöse Freiheitsbeschränkung.

Das Erstgericht wies den Antrag zurück. Das Vertretungsrecht des Vereins erlösche mit dem Tod des Bewohners. Ein danach eingelangter Antrag sei daher zurückzuweisen. Gegenteilige Überlegungen zum Unterbringungsrecht seien auf Grund der dort bestehenden Amtswegigkeit nicht auf das antragsgebundene Heimaufenthaltsverfahren zu übertragen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig sei. Es übernahm im Wesentlichen die Rechtsansicht des Erstgerichts. Ergänzend führte es aus, dass aus dem Fortbestand des Rechtsmittelrechts des Einrichtungsleiters nach dem Tod des Bewohners im Fall der Unzulässigerklärung einer Maßnahme für den hier vorliegenden Fall einer erst nach dem Tod des Bewohners bei Gericht einlangenden Antragstellung nichts zu gewinnen sei.

Der gegen diesen Beschluss vom Verein erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zulässig, er ist auch berechtigt.

1. Entgegen den Ausführungen im Revisionsrekurs hat der Oberste Gerichtshof bereits in einer Entscheidung (9 Ob 148/06i = RIS Justiz RS0121743) zur Frage der Vertretungsbefugnis des Bewohnervertreters (Verein) ausdrücklich Stellung genommen und dazu ausgesprochen, dass das Vertretungsrecht mit dem Tod des Bewohners erlischt. Diese Entscheidung begründete er mit einer zur Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts im Unterbringungsverfahren ergangenen Entscheidung (5 Ob 503/95). In der Folge haben - davon abweichend - zwei höchstgerichtliche Entscheidungen die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts (Verein) nach dem Tod des Kranken bejaht (6 Ob 169/08h und 4 Ob 210/09z). Damit bedarf es einer neuerlichen Überprüfung der Vertretungsbefugnis des Vereins nach dem Tod des Bewohners im Verfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz.

2.1. Nach älterer Rechtsprechung erlosch im Unterbringungsverfahren die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts grundsätzlich mit dem Tod des Kranken (RIS Justiz RS0075885). Davon abweichend sprach der Oberste Gerichtshof gestützt auf Art 2 MRK in der Entscheidung 6 Ob 169/08h aus, dass bei verfassungskonformer Auslegung eine Antragslegitimation (zur Wahrnehmung der insbesondere in den §§ 30 bis 39 UbG verankerten Rechte) des Patientenanwalts jedenfalls dann zu bejahen ist, wenn der Kranke während der Unterbringung stirbt und der Patientenanwalt einen Zusammenhang zwischen dem Tod des Patienten und der Unterbringung behauptet, wird doch dadurch sichergestellt, dass die nach Art 2 MRK erforderliche Überprüfung des Todes zusätzlich zu einer allenfalls in der Krankenanstalt nach sanitätspolizeilichen Vorschriften vorgenommenen Obduktion auf Antrag einer öffentlichen Stelle in einem zivilen Gerichtsverfahren erfolgt (RIS Justiz RS0075885 [T3]). In einer nachfolgenden Entscheidung (4 Ob 210/09z) wurde die Antrags- und Rechtsmittelbefugnis des Patientenanwalts unabhängig davon bejaht, ob dieser einen Zusammenhang mit der Unterbringung und dem Tod behauptet (RIS Justiz RS0075885 [T7]); dafür würden systematische Erwägungen so bleibt die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts trotz Beendigung der Unterbringung aufrecht , das Aufklärungsinteresse der Anstalt und der Allgemeinheit über die Ursache des Todes während einer Unterbringung sowie eine nach der Rechtsprechung des EGMR bestehende Vermutung für die Verantwortlichkeit des Staats bei einem Tod während einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme sprechen.

2.2. Diese in der Entscheidung 4 Ob 210/09z für die Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts im Unterbringungsverfahren angestellten Erwägungen betreffend die Überprüfung freiheitsbeschränkender Maßnahmen nach dem Tod des Kranken gelten auch für die Vertretungsbefugnis des Bewohnervertreters im Verfahren nach dem Heimaufenthaltsgesetz. Dieses dient nämlich ebenfalls der Überprüfung der Zulässigkeit an natürlichen Personen (Bewohner) gesetzter freiheitsbeschränkender Maßnahmen (vgl §§ 11 Abs 1, 19a Abs 1 HeimAufG), für welche der Bund ebenso wie für die im Rahmen der Hoheitsverwaltung gesetzten Maßnahmen nach den §§ 8 ff UbG (vgl zur Bescheinigung nach § 8 UbG 1 Ob 130/00z = RIS Justiz RS0113695) gemäß § 24 Abs 1 HeimAufG nach dem Amtshaftungsgesetz einzustehen hat.

Auch in der Lehre wird, soweit eine Auseinandersetzung mit der von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Ausweitung der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts (Vereins) erfolgt, eine entsprechende Ausweitung der Vertretungsmacht befürwortet (vgl Kopetzki , EF-Z 2009/54, 66; Strickmann , Heimaufenthaltsrecht², 183; Zierl , ÖZPR 2015/14). Damit im Einklang kommentiert Ganner (iFamZ 2013, 98) die in der Entscheidung des Landesgerichts Steyr zu 1 R 182/12a angenommene Möglichkeit der postmortalen Überprüfung freiheitsbeschränkender Maßnahmen zustimmend.

2.3. Zum Verweis des Erstgerichts auf die Antragsgebundenheit des Verfahrens nach dem Heimaufenthaltsgesetz ist auszuführen, dass dies schon deshalb kein relevantes Unterscheidungskriterium ist, weil auch die nachträgliche Überprüfung nach § 38a Abs 1 UbG von einer entsprechenden Antragstellung abhängig ist.

2.4. Daher ist folgendes Ergebnis festzuhalten: Das Vertretungsrecht (Antrags- und Rechtsmittelbefugnis) des Vereins nach § 8 Abs 2 HeimAufG erlischt nicht mit dem Tod des Bewohners.

3. Damit hätten die Vorinstanzen den nach dem Heimaufenthaltsgesetz gestellten Überprüfungsantrag des Vereins nicht unter Verweis auf den im Zeitpunkt der formgültigen Antragstellung bereits eingetretenen Tod der Bewohnerin zurückweisen dürfen. Vielmehr wäre aus diesem Grund die auf eine Überprüfung nach § 11 Abs 1 HeimAufG gerichtete Antragstellung von Amts wegen in eine solche nach § 19a Abs 1 HeimAufG umzudeuten gewesen.

4. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben. Die Rechtssache ist an das Erstgericht zur Durchführung eines Verfahrens nach § 19a HeimAufG zurückzuverweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00020.15I.0409.000