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OGH vom 17.11.1983, 7Ob64/83

OGH vom 17.11.1983, 7Ob64/83

Norm

ABGB § 1324;

VersVG § 61;

Kopf

SZ 56/166

Spruch

Grob fahrlässig handelt, wer nicht einmal einfachste, naheliegende Überlegungen anstellt und Maßnahmen unterläßt, die jedermann einleuchten müssen; die Verwendung eines hölzernen Abfallbehälters für Zigarettenreste in einer Discothek ohne konkrete Sicherungsmaßnahmen ist in diesem Sinne grob fahrlässig

(OLG Wien 14 R 262/82; LGZ Wien 35 Cg 721/82)

Text

Der vom Strafgericht wegen fahrlässiger Brandstiftung rechtskräftig verurteilte Kläger begehrt die Deckung des an seiner Discothek entstandenen Brandschadens aus der bei der beklagten Partei geschlossenen Feuerversicherung. Nach dem Aufhebungsbeschluß des (= SZ 53/145), wäre der Versicherer gemäß § 61 VersVG und Art. 12 Abs. 1 ABS leistungsfrei, wenn der Kläger den Schaden grob fahrlässig herbeigeführt hätte. Das sei durch das rechtskräftige Strafurteil allein nicht erwiesen. Das Zurverfügungstellen einer mit Pappkarton verkleideten Holzkiste als Abfallbehälter auch für das Entleeren von Aschenbechern deute zwar grundsätzlich auf grobe Fahrlässigkeit hin, könnte aber im Einzelfall durch die vom Kläger behauptete Weisung an sein Personal entschärft worden sein, die Zigarettenreste erst bei Betriebssperre in die Holzkiste zu deponieren und diese sodann auf einem freien Platz vor dem Lokal abzustellen.

Im zweiten Rechtsgang wies der Erstrichter das (eingeschränkte) Klagebegehren ab, weil grobe Fahrlässigkeit vorliege.

Das Berufungsgericht gab nach teilweiser Beweiswiederholung dem Klagebegehren statt.

Nach seinen Feststellungen war seit der Inbetriebnahme der Discothek des Klägers am bis zu deren Brand am in der sogenannten kleinen Bar eine mit Pappkarton ausgekleidete Holzkiste zur Aufnahme der anfallenden Zigarettenkippen und aller sonstigen Abfälle, ua. auch der Servietten, bestimmt. Der Kläger hatte seinen Angestellten aufgetragen, diese Behälter nach Betriebsschluß in den Hof zu stellen, sofern Aschenbecher in sie entleert wurden. Alle Angestellten hatten die Anweisung, die Aschenbecher danach zu kontrollieren, ob noch Glutreste von Zigaretten vorhanden sind. Sie hatten darauf zu achten, daß nichts Brennbares dabei ist. Nur wenn die Holzkiste und die Behälter einen geringen Inhalt aufwiesen, zB zwei bis drei Flaschen, war der Kläger damit einverstanden, daß die Klste nicht sofort ins Freie gestellt wird. Er sagte aber seinen Angestellten, daß die Holzkiste auf alle Fälle hinauszustellen sei, wenn sich darin Servietten befänden und darauf Aschenbecher entleert würden. Er bestand darauf, daß die Behälter hinausgestellt werden müssen, wenn sich darin Asche befindet. Am Brandtag waren bei Geschäftsschluß der Geschäftsführer und der Disc-Jockey sowie die Angestellte Maria M. und deren Ehemann anwesend. Maria M. half, obwohl nicht im Dienst befindlich, in der Discothek mit und entleerte unter anderem gegen 1.30 Uhr die Aschenbecher. Der vom Personal benützte Aschenbecher wurde von ihr zehn Minuten vor dem Verlassen des Lokals entleert. Sie hatte die Kippen und die Asche in die erwähnte Holzkiste geschüttet, die im Vorraum zwischen der Kaffeemaschine und einem Kastel abgestellt war. Um etwa 2 Uhr wurde das Lokal gesperrt. Beim Entleeren der Aschenbecher hatte Maria M. weder eine glühende noch eine rauchende Zigarette gesehen. Da die Holzkiste nach Ansicht der Anwesenden einen geringen Inhalt aufwies, wurde sie entgegen der Weisung des Klägers nicht ins Freie gestellt, obwohl darin Aschenbecher entleert worden waren. Der Brand ist durch heiße, nachglühende Teilchen, wie sie Zigarettenreste darstellen, entstanden. Er konnte sich durch die hölzerne Wandverkleidung rasch ausbreiten. Bei Verwendung eines nicht brennbaren Blechbehältnisses mit dicht schließendem Deckel zur Aufnahme der Zigarettenreste wäre der Brand mit Sicherheit verhindert worden. Bei der Kommissionierung des Lokals wurde das Vorhandensein der Holzkiste weder von der Bau- noch von der Gewerbebehörde beanstandet. Der Kläger hatte überall große Mistkübel aus Blech gesucht, aber keine entsprechenden gefunden. Er hatte bis zum Brandtag keinen Grund gehabt zu beanstanden, daß seine Weisungen über das Entleeren der Holzkiste nicht befolgt würden.

Nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes liege zwar grundsätzlich grobe Fahrlässigkeit vor, wenn eine mit Pappkarton verkleidete Holzkiste als Abfallbehälter auch für das Entleeren von Aschenbechern in einer Discothek zur Verfügung gestellt werde. Dieses Verschulden sei aber hier dadurch entschärft worden, daß der Kläger seinem Personal die Weisung erteilt hatte, die Behälter und die Holzkiste auch bei geringem Inhalt auf einem freien Platz vor dem Lokal abzustellen, wenn sich darin Aschenreste befinden, zumal er bis zum Brandtag keinen Grund zur Annahme hatte, daß diese Weisung vom Personal nicht befolgt werde, und weder die Bau- noch die Gewerbebehörde das Vorhandensein der Holzkiste im Lokal beanstandet hatten.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei Folge und stellte das Ersturteil wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Frage der groben Fahrlässigkeit wurde im Aufhebungsbeschluß des OGH wegen des Fehlens der erforderlichen Tatsachenfeststellungen nur allgemein dahin beantwortet, daß das Bereitstellen einer mit Pappkarton verkleideten Holzkiste als Abfallbehälter auch für das Entleeren von Aschenbechern grundsätzlich auf grobe Fahrlässigkeit hindeute, im Einzelfall aber durch die vom Kläger behauptete Weisung an sein Personal entschärft worden sein könnte, die Zigarettenreste erst bei Betriebssperre in die Holzkiste zu deponieren und diese sodann auf einem freien Platz vor dem Lokal abzustellen. Die nun vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen weichen von dem im Aufhebungsbeschluß als möglich angenommenen Sachverhalt ab, sodaß für seine Beurteilung noch keine bindende Rechtsansicht des OGH vorliegt. Ein deutlicher Unterschied der nun getroffenen Feststellungen liegt darin, daß der Kläger einerseits die Erlaubnis, Zigarettenreste in die Holzkiste zu schütten, nicht ausdrücklich auf den Zeitpunkt des letzten Aufräumens im Lokal beschränkte und daß er andererseits das Hinausstellen der Holzkiste ins Freie nicht bedingungslos anordnete, sondern diese Weisung auf den Fall beschränkte, daß die Kiste mehr als einen bloß geringen Inhalt aufwies und daß sich darin nicht Asche befinde, wobei in diesem Zusammenhang auch noch vom Zusammenkommen von Zigarettenresten und Servietten gesprochen wurde.

Der Begriff der groben Fahrlässigkeit, dessen Vorliegen bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer nach § 61 VersVG und Art. 12 Abs. 1 ABS zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, ist iS der ständigen Rechtsprechung zu § 1324 ABGB dahin auszulegen, daß sich das Versehen über das Maß der alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen erheblich und ungewöhnlich heraushebt, sodaß der Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich vorhersehbar ist; die Sorglosigkeit muß auffallend und ungewöhnlich sein, wie sie nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorzukommen pflegt; dabei sind die besondern Verhältnisse des Einzelfalles zu berücksichtigen (SZ 43/80, SZ 47/39, SZ 48/39 uva.). Nach Koziol, Haftpflichtrecht[2], I 131 ist allerdings mit diesen allgemeinen Formulierungen für den Einzelfall höchstens eine schwache Richtlinie vorgezeichnet; als weitere brauchbare Anhaltspunkte, von denen die Beurteilung im einzelnen abhängen kann, kommen die Gefährlichkeit der Situation, die zu einer Sorgfaltsanspannung führen sollte, der Wert der gefährdeten Interessen, das Interesse des Handelnden an seiner Vorgangsweise und schließlich die persönlichen Fähigkeiten des Handelnden in Betracht. In diesem Sinn ist für das Versicherungsvertragsrecht anerkannt, daß grobe Fahrlässigkeit gegeben ist, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen (Hofmann, Privatversicherungsrecht 105); die Außerachtlassung allgemein gültiger Sicherheitsregeln ist grob fahrlässig, wenn die Kenntnis dieser Regeln nach dem Grad ihrer Verbreitung allgemein vorausgesetzt werden muß (Prölss - Martin, VVG[22], 365 mwN). Auch die besondere Gefahrenträchtigkeit des Handelns fällt ins Gewicht (Bruck - Möller, VVG II[8], 551 f.).

Bei Anwendung dieses Maßstabes kann der Meinung des Berufungsgerichtes nicht gefolgt werden, daß das Verhalten des Klägers den Grad der groben Fahrlässigkeit noch nicht erreicht habe. Auszugehen ist davon, daß der Revisionsgegner die Verwendung der mit Pappkarton ausgekleideten Holzkiste als Abfallbehälter auch für Zigarettenreste nicht nur geduldet, sondern sogar angeordnet und den so von ihm zu vertretenden Zustand seit der Eröffnung der Discothek bis zum Brand, also über ein Jahr hinaus, aufrechterhalten hat. Für jedermann muß es auch bei geringster Aufmerksamkeit klar sein, daß Zigarettenreste in einer mit Pappkarton ausgekleideten Kiste in jedem einzelnen Fall einer solchen Verwendung eine eminente Brandgefahr bilden, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, daß Zigaretten häufig nicht vollständig "abgetötet" werden und die auf diese Weise immer zu befürchtenden Glutreste Papier entzunden können (vgl. Martin, Sachversicherungsrecht M I 27 und O I 18). Umsomehr mußte der Kläger diese Überlegung anstellen, weil Brände in Discotheken erfahrungsgemäß besonders gefährliche Situationen hervorrufen können, sodaß nicht nur hohe Sachwerte, sondern sogar Menschenleben durch eine so leichtsinnige Vorgangsweise in hohem Maß gefährdet wurden. Nur ganz eindeutige schadensverhütende Weisungen hätten dem, etwa im Sinn der Ausführungen im Aufhebungsbeschluß des OGH, verläßlich entgegenwirken können. Jede Weisung hingegen, die der einleitend durch die allgemeine Erlaubnis zur Verwahrung auch von Zigarettenresten in der mit Pappkarton ausgekleideten Holzkiste geschaffenen Gefahr nicht verläßlich entgegenwirken konnte, war unzureichend und konnte die leichte Vorhersehbarkeit, daß ein Schaden geradezu wahrscheinlich drohe, nicht beseitigen. Dazu kommt, daß ein Interesse des Klägers, über lange Zeit hinweg die genannte Holzkiste als Abfallbehälter zu benützen, nicht im geringsten erkannt werden kann. Das der Kläger nach den getroffenen Feststellungen die ganze Zeit über nach einem anderen Behältnis suchte, spricht deutlich genug dafür, daß ihm die Gefährlichkeit seines Verhaltens auch tatsächlich bekannt war. Es ist aber nach der Lebenserfahrung auszuschließen, daß ein geeigneter anderer Aschenbehälter nicht innerhalb kurzer Zeit hätte aufgetrieben werden können.

Im einzelnen fällt dem Revisionsgegner als grob fahrlässig zur Last, daß seine, die allgemeine Erlaubnis zur Verwendung der Holzkiste auch für Zigarettenabfälle ergänzenden Weisungen ungenügend, mehrdeutig und irreführend waren. Die erste Anweisung, die Aschenbecher danach zu kontrollieren, ob noch Glutreste von Zigaretten vorhanden sind, und sich davon zu überzeugen, daß nichts Brennbares dabei sei, war leicht erkennbar schon deshalb ungenügend, weil damit den Angestellten die Prüfung von Umständen aufgetragen wurde, die bei bloß oberflächlicher Nachschau erfahrungsgemäß leicht übersehbar waren. Dazu kam die Erlaubnis, die Kiste dann nicht ins Freie zu stellen, wenn sie einen geringen Inhalt aufwies, zB zwei bis drei Flaschen. Abgesehen davon, daß die Umschreibung "geringer Inhalt" verschiedene Auslegungen durch die Angewiesenen zuließ, war auch ein geringer Inhalt der Kiste kein verläßlicher Anhaltspunkt für die Ungefährlichkeit des Inhaltes, zumal etwa beim Vorhandensein einiger Flaschen kaum noch erkennbar sein konnte, was sich in der Kiste darunter befand. Die Weisung, daß die Behältnisse jedenfalls hinausgestellt werden müssen, wenn sich darin Asche befindet, war ebenfalls ungenügend. Einerseits war sie nach den Feststellungen nicht ganz unabhängig davon, ob gleichzeitig Servietten in der Holzkiste waren, auf die Aschenbecher entleert wurden (was natürlich eine besondere Brandgefahr darstellen mußte, ohne aber umgekehrt eine Entzundung des Pappkartons durch Zigarettenreste auch ohne Servietten auszuschließen); andererseits war die Weisung dadurch unvollständig, daß sie den für die Prüfung vor Betriebsschluß zuständigen Angestellten leicht dazu verleiten konnte, den Inhalt der Kiste gar nicht oder nur unvollständig zu prüfen, wenn er nicht selbst Zigarettenasche dort verwahrt hatte. Insgesamt waren somit die Anweisungen des Revisionsgegners von vornherein vollkommen ungenügend, um die durch die generelle Bestimmung der Kiste auch als Behältnis für Zigarettenreste in hohem Maß gegebene Brandgefahr zu beseitigen. Der Kläger hat bei weitem nicht jenen Sachverhalt erwiesen, den der OGH im Aufhebungsbeschluß als noch vertretbar bezeichnete.

Bei dieser Sach- und Rechtslage kommen dem Revisionsgegner auch weitere Umstände nicht zugute. Die Tatsache, daß die Bau- und die Gewerbebehörde das Vorhandensein der Kiste nicht beanstandeten, kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, besonders auch schon darauf, daß der Zweck, für den der Kläger die Kiste bestimmt hatte, nicht erkennbar war. In keinem Fall konnte der Kläger die Nichtbeanstandung als Freibrief dafür verstehen, der ohnehin erkannten Gefahr nicht mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Aber auch der Umstand, daß Maria M. im vorliegenden Fall sogar die erteilte Weisung mißachtete, fällt nicht ins Gewicht, weil ein richtiges Vorgehen des Klägers entweder zur längst erforderlichen Beseitigung dieser Kiste überhaupt oder wenigstens zu solchen Anweisungen an seine Angestellten führen hätte müssen, bei denen Zweifel nicht mehr möglich waren. Daß die Angestellten auch solche Weisungen mißachtet hätten, ist in keiner Weise dargetan; demnach ist auch der in der Revisionsbeantwortung angestellte Vergleich mit einer Übertretung von Straßenverkehrsvorschriften durch einen angestellten Lenker eines Kraftfahrzeuges nicht zielführend.