OGH vom 24.05.2017, 1Ob81/17v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** S*****, vertreten durch Dr. Christiane Pirker, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 18.619,92 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 2/17t-13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom , GZ 3 Cg 9/16g-8, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.044,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:
Das Berufungsgericht begründete seinen nachträglichen Zulassungsausspruch nach § 508 Abs 3 ZPO damit, es habe bei der Beurteilung der Vertretbarkeit der zweitinstanzlichen Entscheidung im Anlassverfahren auf höchstgerichtliche Judikatur zurückgegriffen, die keine ausdrückliche Stellungnahme zur Frage des Erfordernisses eines Feststellungsinteresses bei der Geltendmachung der Nichtigkeit eines Vereinsbeschlusses enthalte. Dieser Rechtsfrage komme für die Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zu.
1. Die vom Kläger behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
2. Der Verweis des Klägers auf seine Ausführungen im Antrag gemäß § 508 ZPO im Anlassverfahren ist unzulässig und damit unbeachtlich und kann eigenständige nachvollziehbare Revisionsausführungen nicht ersetzen (RIS-Justiz RS0007029 [T1, T 15]; 1 Ob 59/15f = RS0043616 [T19]).
3. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausführte, ist im Amtshaftungsverfahren nicht – wie in einem Rechtsmittelverfahren – zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte (RIS-Justiz RS0049955 [T6]; RS0050216 [T7]). Die Prüfung der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung als Verschuldenselement ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und entzieht sich deshalb regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0110837). Anderes gelte nur, wenn dem Berufungsgericht eine aus Gründen der Rechtssicherheit wahrzunehmenden Fehlbeurteilung der Vertretbarkeit unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0049955 [T10]). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
4. Nach § 7 Satz 1 VerG 2002 sind Beschlüsse von Vereinsorganen nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten.
In der Entscheidung 1 Ob 137/06p hat der Oberste Gerichtshof eine Klage, mit der festgestellt werden sollte, dass eine Bestimmung der Satzung (infolge Verstoßes gegen die guten Sitten) unwirksam sei, als Feststellungsklage im Sinn des § 7 Satz 1 VerG 2002 gewertet, das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung geprüft und dieses bejaht, weil die damalige Klägerin durch den Vereinsbeschluss in ihrem subjektiven, dem Vereinsverhältnis entspringenden Recht auf Teilnahme an Vereinsveranstaltungen verletzt gewesen sei. In der Entscheidung 6 Ob 20/10z sprach der Oberste Gerichtshof in einem Feststellungsprozess, in dem sich der Kläger auf die Verletzung seines rechtlichen Gehörs im vereinsinternen Ausschlussverfahren berufen hat, (unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung zum Vereinsgesetz 1951, 7 Ob 2314/96a; entspricht RISJustiz RS0038953 [T15]) auch zum VerG 2002 aus, dass dem ausgeschlossenen Vereinsmitglied der mit Klage gemäß § 228 ZPO geltend zu machende Anspruch auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vereinsausschlusses zustehe.
Auch in der Literatur (Höhne, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Vereinsbeschlüssen – einige Anmerkungen, in ÖAMTC [Hrsg], Der große Verein [2013] 57 [64 f]; Höhne/Jöchl/Lummerstorfer, Das Recht der Vereine5 [2016] 435) wird die Ansicht vertreten, dass auch Vereinsmitglieder bei Geltendmachung einer Nichtigkeit ein Feststellungsinteresse im Sinn des § 228 ZPO plausibel behaupten müssen.
5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass durch das VerG 2002 nur die Möglichkeit der Anfechtung hinzutreten sollte (§ 7 Satz 2 VerG 2002); dass sich aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 990 BlgNR XXI. GP 27 f) nicht ergebe, dass dadurch auch das Verfahren zur Geltendmachung von Nichtigkeiten berührt oder hin zu einer die Voraussetzungen des § 228 ZPO nicht erfordernden Nichtigkeitsklage geändert werden sollte, sodass die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts im Anlassprozess, eine Feststellungsklage nach § 7 Satz 1 VerG 2002 erfordere das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der Feststellung, jedenfalls vertretbar sei, ist aus den zu Punkt 4. genannten Überlegungen nicht zu beanstanden. Gegenteilige Entscheidungen, die auf ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Nichtigkeit verzichtet hätten, vermag der Kläger nicht zu nennen. Das Berufungsgericht im Anlassprozess verneinte sein rechtliches Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses vom , weil seine Mitgliedschaft beim Verein durch den nachfolgenden Beschluss vom beendet worden sei. Dass er durch den Vereinsausschluss vom in seinem Recht auf Teilnahme an (nicht näher genannten) Vereinsveranstaltungen im Zeitraum bis gehindert gewesen sei, behauptet er erstmals in der Revision im Amtshaftungsprozess. Welche Ansprüche ihm aus dem ersten Vereinsausschluss erwachsen sein sollen, vermag er auch im gegenständlichen Prozess nicht näher zu konkretisieren.
6. Im vorliegenden Fall hat der Kläger im Übrigen im Anlassverfahren zwar einen – als Rechtsmittel im Sinn des § 2 Abs 2 AHG zu betrachtenden (RISJustiz RS0119554) – Antrag auf Abänderung des Nichtzulässigkeits-ausspruchs an das Berufungsgericht (samt Ausführung einer ordentlichen Revision) erhoben, in dem grundsätzlich all das anzuführen ist, woraus später ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet werden soll. Die Partei muss das Rechtsmittel nicht nur überhaupt erheben, sondern es darüber hinaus auch so formulieren, dass die darüber entscheidende Instanz in der Lage ist, den behaupteten Beurteilungs- oder Verfahrensfehler aufzugreifen und zu korrigieren (1 Ob 68/16f = RISJustiz RS0026901 [T14]). Das Berufungsgericht ist nämlich bei der Prüfung der nachträglichen Zulassung der ordentlichen Revision auf die im Abänderungsantrag geltend gemachten Gründe beschränkt (RISJustiz RS0112166 [T2, T 9, T 14]). Mangels derartiger darin enthaltener Ausführungen ist der Kläger seiner Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG nicht nachgekommen (1 Ob 68/16f mwN; vgl auch RISJustiz RS0053073).
Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger in seinem Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO samt der damit verbundenen ordentlichen Revision nichts Konkretes dazu ausgeführt habe, welches Vorbringen er in Kenntnis des fehlenden Feststellungsinteresses erstattet hätte, wodurch er die Erheblichkeit des Verfahrensmangels nicht dargetan hatte (vgl RISJustiz RS0120056 [T2, T 7]), sodass dieser Umstand der Ableitung von Amtshaftungsansprüchen entgegensteht, ist zumindest vertretbar. Das Berufungsgericht im Anlassverfahren war – wie dargelegt – bei der Prüfung der nachträglichen Zulassung der Revision auf die geltend gemachten Gründe beschränkt, sodass es auf ein allfälliges berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung der Nichtigkeit bei der Zulassung der ordentlichen Revision gar nicht eingehen konnte.
7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO. Die Beklagte hat in der Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00081.17V.0524.000 |
Schlagworte: | Gruppe: Amtshaftungsrecht,Zivilverfahrensrecht |
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