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OGH vom 21.04.2010, 7Ob19/10k

OGH vom 21.04.2010, 7Ob19/10k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** A*****, vertreten durch Dr. Klaus Schiller und Dr. Markus Schablinger, Rechtsanwälte in Schwanenstadt, gegen die beklagte Partei U*****versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen 48.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 174/09i-52, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 50 Cg 64/07y 47, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.224,68 EUR (darin enthalten 792,78 EUR an USt und 2.468 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger absolvierte 1989 bei der U***** GmbH in S***** eine Papiermacherlehre und arbeitete seit 1992 als Papiermaschinengehilfe. Die Tätigkeit des Papiermaschinengehilfen stellt einen Teilbereich des Lehrberufs Papiermacher dar.

Der Kläger war bei der Beklagten für die Zeit vom bis unfallversichert. Für den Fall der dauernden Invalidität war eine Versicherungssumme von 80.000 EUR vereinbart. Der Versicherungsvertreter, der für die Beklagte den Versicherungsvertrag abschloss, füllte das Vertragsformular im Beisein des Klägers aus. Er wusste, dass der Kläger als Papiermaschinengehilfe arbeitete. In der Polizze führte er als derzeitigen entgeltlichen Beruf jedoch lediglich „Papiermacher“ an. Er stufte den Kläger aber richtig in die für Papiermaschinengehilfen geltende Gefahrenklasse 2 ein. Damit war die Prämie etwa ein Drittel höher als jene für die Gefahrenklasse 1, die für Papiermacher gilt. Der Kläger zahlte auch die der Gefahrenklasse 2 entsprechenden Prämien.

Dem Versicherungsvertrag liegen die K*****-Bedingungen für die Unfallversicherung ***** (in der Folge AUVB) zu Grunde, die auszugsweise lauten:

„Dauernde Invalidität - Artikel 7

...

2. Für die Bemessung des Invaliditätsgrades gelten folgende Bestimmungen:

2.1. bei völligem Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit ... der Sehkraft eines Auges ... 35 %

...

6. Wird der Versicherte durch den Versicherungsfall dauernd vollständig berufsunfähig, bezahlen wir im Fall der dauernden Invalidität - unabhängig vom Invaliditätsgrad - 100 % der dafür versicherten Summe. ...

Vollständige Berufsunfähigkeit bedeutet: Dem Versicherten kann infolge des Unfalles nach medizinischen Gesichtspunkten die Ausübung der zum Zeitpunkt des Unfalles ausgeübten Erwerbstätigkeit nicht zugemutet werden. Diese Erwerbstätigkeit darf dann auch tatsächlich nicht mehr ausgeübt werden. ...“

Am erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall dadurch, dass ein 8 x 8 cm großes Metallstück in sein Gesicht geschleudert wurde. Er erblindete am linken Auge. Durch die neurologischen Dauerfolgen ergab sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 5 %. Insgesamt liegt eine Dauerinvalidität von 40 % vor. Der Kläger ist in seinem räumlichen Sehvermögen eingeschränkt und er darf keiner großen Staubbelastung ausgesetzt sein. Das Heben von Lasten von mehr als 15 bis 20 kg ist ihm nicht möglich. Seine bisherige Beschäftigung als erster Papiermaschinengehilfe kann der Kläger deshalb - insbesondere wegen der hohen Staubbelastung nicht mehr ausüben und er übte sie bis auf einen fehlgeschlagenen Arbeitsversuch auch nicht mehr aus. Er arbeitet zur Zeit als „TPM-Operator“. In diesem Arbeitsbereich können die von einem Papiermacher erlernten Kenntnisse und Fertigkeiten umgesetzt und angewendet werden. Der Kläger wird von seinem Arbeitgeber aus rein sozialen Gründen unter Hinnahme weitgehender Einschränkungen in der Faserabteilung weiterbeschäftigt.

Die Beklagte bezahlte an den Kläger entsprechend der festgestellten Invaliditätsquote 40 % der Versicherungssumme (32.000 EUR) und lehnte dessen von einer vollständigen Berufsunfähigkeit ausgehenden Mehrforderung ab.

Der Kläger begehrt die Zahlung von 48.000 EUR, weil er nicht nur einen Invaliditätsgrad von 40 % erreicht habe, sondern durch den Unfall vollständig berufsunfähig geworden sei. Er könne seinen Beruf als Papiermaschinengehilfe nicht mehr ausüben. Bei der Beurteilung der vollständigen Erwerbsunfähigkeit komme es nicht auf die in der Polizze angeführte allgemeine Berufsbezeichnung „Papiermacher“, sondern auf die tatsächlich ausgeübte Erwerbstätigkeit „Papiermaschinengehilfe“ an.

Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Beim Kläger liege keine vollständige Berufsunfähigkeit vor. Er sei in einem Arbeitsbereich tätig, in dem die erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten des Berufsbildes „Papiermacher“ umgesetzt und angewandt werden. Der Kläger sei nach wie vor Papierfacharbeiter. Dies entspreche seinen Angaben in seinem Versicherungsantrag. Als Papiermaschinengehilfe hätte er in die Gefahrenklasse 2 eingestuft werden müssen, in der die Prämien um ein Drittel höher seien. Die Beklagte hätte den Vertrag mit einem anderen Inhalt geschlossen und sei berechtigt, ihre Leistungen um ein Drittel zu kürzen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beruf „erster Papiermaschinengehilfe“ sei ein Teilbereich des Berufs „Papiermacher“. Die Angaben des Klägers, er sei Papiermacher, sei jedenfalls nicht unrichtig, da er diese Lehre abgeschlossen habe und sich dann für den Teilbereich „Papiermaschinengehilfe“ spezialisiert habe. Eine bloß unpräzise, jedoch nicht unrichtige Angabe im Antrag auf Abschluss eines Versicherungsvertrags schade nicht. Erheblich seien gemäß § 16 Abs 1 VersVG jene Gefahrenumstände, die geeignet seien, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Die Angaben des Klägers zu seiner Berufsbezeichnung seien nicht einmal erheblich, da der Kläger ohnehin in die „teurere“ Gefahrenklasse 2 für Papiermaschinengehilfen eingestuft worden sei und auch die höhere Prämie bezahlt habe. Die Bezeichnung des Berufs als „Papiermacher“ habe daher keinen Einfluss auf den Abschluss des Vertrags gehabt. Nach dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers sei die zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübte Erwerbstätigkeit jene Tätigkeit, die der Versicherungsnehmer konkret ausübe, also hier die Tätigkeit des ersten Papiermaschinengehilfen. Die Beklagte müsse die vereinbarte Versicherungssumme ausbezahlen, weil der Kläger die Tätigkeit als erster Papiermaschinengehilfe aus medizinischen Gründen nicht mehr ausüben könne und diese Tätigkeit auch nicht mehr ausübe.

Das Berufungsgericht änderte das Urteil in eine gänzliche Klagsabweisung ab, ohne sich mit der Beweisrüge der Beklagten auseinanderzusetzen. Es komme nicht auf die Tätigkeit des Klägers in einem Teilbereich des erlernten Berufs an, sondern auf den vom Kläger selbst in der Polizze angegebenen Beruf. Da der Kläger nunmehr im selben Betrieb in der Faserabteilung weiterhin als Papierfacharbeiter beschäftigt sei, übe er denselben Beruf aus. Für einen durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer bestehe der Zweck des Art 7.6. AUVB, einen sozialen Abstieg des Versicherten im Arbeitsleben sowie Einkommenseinbußen auszugleichen. Einkommensverluste habe der Kläger nicht behauptet. Es liege keine vollständige Berufsunfähigkeit vor. Für den Kläger lasse sich auch nichts daraus gewinnen, dass er als Papiermaschinengehilfe in die Gefahrenklasse 2 und nicht als Papiermacher in die Gefahrenklasse 1 eingestuft worden sei, weil die Einstufung nach Gefahrenklassen für die Prämienbemessung, nicht jedoch für die Beurteilung der vollständigen Berufsunfähigkeit wesentlich sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung des Art 7.6. AUVB keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen nach Vertragsauslegungs grundsätzen (§§ 914 f ABGB) auszulegen. Die Auslegung hat sich am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers zu orientieren (RIS-Justiz RS0050063). Die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen sind, wenn sie - wie hier - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Stets ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0112256). Nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln müssen daher so ausgelegt werden, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinne des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der Bedingungen, also des Versicherers, gehen (7Ob129/09k mwN).

Eine private Unfallversicherung im Sinn der §§ 179 ff VersVG dient der Abdeckung bestimmter Folgen eines Unfalls, insbesondere auch der einer eingetretenen dauernden Invalidität. Die Invaliditätsentschädigung wird je nach dem Grad der zurückgebliebenen Dauerfolgen nach einer sogenannten „Gliedertaxe“ bemessen. Es handelt sich dabei um eine Summenversicherung, da die Leistung - anders als etwa bei der Abgeltung der Unfallkosten - unabhängig von dem Nachweis eines konkreten Vermögensnachteils in voller Höhe gebührt. Auch wenn die Invaliditätsentschädigung zumindest der pauschalen Abdeckung eines typischen Einkommensausfalls dient, stellt sie aber eben nicht einen Ausgleich eines konkreten Mehraufwands dar (7 Ob 186/09t; RIS-Justiz RS0118777). Es kommt also - im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Berufungsgerichts und der Beklagten - bei der Beurteilung der dauernden Invalidität nicht auf eine konkrete Erwerbsminderung des Versicherungsnehmers an. Schon in 7 Ob 301/03w wurde ausgeführt, dass aufgrund des nunmehrigen (auch hier zu beurteilenden) Wortlauts der Bedingungen im Gegensatz zu älteren AUVB (die die konkrete Erwerbsfähigkeit des Versicherten in Betracht zogen; vgl RIS-Justiz RS0111998) nicht mehr zusätzlich auf die Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen ist, sondern nur auf die körperliche Funktionsbeeinträchtigung nach medizinischen Gesichtspunkten (in diesem Sinn auch 7 Ob 186/09t). Der Einwand, der Kläger habe schon deshalb keinen Anspruch, weil er keinen vollkommenen Einkommensverlust erlitten habe, ist daher nicht berechtigt.

Nach den AUVB liegt vollständige Berufsunfähigkeit dann vor, wenn dem Versicherten infolge des Unfalls „nach medizinischen Gesichtspunkten die Ausübung der zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübten Erwerbstätigkeit“ nicht zugemutet werden kann. Feststeht, dass der Kläger wegen der Unfallfolgen die im Zeitpunkt des Unfalls ausgeübte Tätigkeit als erster Papiermaschinengehilfe nach medizinischen Gesichtspunkten nicht mehr ausüben kann und dass er diese Tätigkeit auch nicht mehr ausübt. Schon nach dem objektiven Erklärungswert ist nur auf die konkret ausgeübte Erwerbstätigkeit und nicht auf den erlernten Beruf (die Berufsgruppe) abzustellen. Es kommt auf die dem Versicherungsantrag zu Grunde liegende und tatsächlich im Zeitpunkt des Unfalls ausgeübte Erwerbstätigkeit an. Dass auch die Beklagte sehr wohl zwischen der Tätigkeit des „Papiermachers“ und des „Papiermaschinengehilfen“ unterscheidet, zeigt sich nicht zuletzt in ihrer unterschiedlichen Gefahreneinstufung.

Damit ist hier entscheidend, welche Erwerbstätigkeit dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegt. Feststeht dazu (diese Feststellung wurde von der Beklagten nicht bekämpft und ist der Entscheidung zu Grunde zu legen), dass dem Abschlussagenten der Beklagten die ausgeübte Tätigkeit des Klägers als Papiermaschinengehilfe bekannt war und er dennoch als Beruf „Papiermacher“, die Bezeichnung für den Lehrberuf des Klägers, anführte. Dem Versicherer ist die Kenntnis des Abschlussagenten zuzurechnen (§ 45 VersVG; RIS-Justiz RS0117406), sodass es sich nur um eine für den Versicherungsnehmer unschädliche, zu allgemeine Bezeichnung handelt. Die Vertragspartner hatten dieselbe Vorstellung von der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit. Dies wird auch dadurch unterstrichen, dass die Beklagte den Kläger in die richtige (höhere) Gefahrenklasse mit um ein Drittel höherer Prämie einstufte. Bei der Beurteilung der dauernden Berufsunfähigkeit ist daher vom Beruf des Papiermaschinengehilfen und nicht vom Lehrberuf Papiermacher im Allgemeinen auszugehen.

Der Invaliditätsbegriff in der Unfallversicherung unterscheidet sich wesentlich vom Begriff der Berufsunfähigkeit in der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (RIS-Justiz RS0112000). Aufgrund des klaren Wortlauts der Bedingungen sind keine Erwägungen darüber anzustellen, ob ein Papiermaschinengehilfe „für die Beurteilung der Frage der vollständigen Berufsunfähigkeit“ gleichsam auf das gesamte Tätigkeitsspektrum des Papiermachers verwiesen werden könnte. Die Feststellungen, auf die sich die unerledigte Beweisrüge bezieht, haben daher keine rechtliche Relevanz. Ob die nunmehr ausgeübte Tätigkeit des Klägers „viel angenehmer“ ist als jene, die vor dem Unfall ausgeübt wurde, ist ebenfalls unerheblich. Es kann daher bereits abschließend über das Klagebegehren entschieden werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Zum Rekurs im Kostenpunkt der Beklagten ist auszuführen, dass der Schriftsatz vom eine Replik zum Schriftsatz vom darstellt und vor der Verhandlung in der Sache eingebracht wurde. Die Einwendungen gegen die Sachverständigenbestellungen am wurden noch vor dem Umbestellungsbeschluss vom selben Tag im Hinblick auf das Schreiben des Sachverständigen vom erhoben. Die Schriftsätze waren hier zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig.