OGH vom 03.05.2007, 1Ob80/07g
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners Laurin L*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Bewohnervertreterin Mag. Sabine H*****, vertreten durch Dr. Helmut Heiger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 89/07p-15, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 23 Ha 3/07p-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird als nichtig aufgehoben. Dem Rekursgericht wird eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Einrichtungsleiters nach Einlangen allfälliger Rekursbeantwortungen aufgetragen.
Text
Begründung:
Der vom Feststellungsantrag der Bewohnervertreterin betroffene Heimbewohner ist 16 Jahre alt und befindet sich seit in der K***** Dorf-Gemeinschaft. Bei ihm besteht eine psychomotorische Retardierung einschließlich einer zentralen Bewegungsstörung und geistigen Behinderung.
Die Bewohnervertreterin beantragte, die Freiheitsbeschränkung des Bewohners durch Versperren seiner Zimmertür von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr für unzulässig zu erklären.
Das Erstgericht erklärte die Freiheitsbeschränkung „des Hinderns am Verlassen seines Zimmers mittels eines Drehgriffes" in der Zeit von 20.00 Uhr bis 6.00 Uhr für unzulässig. Der Bewohner leide zwar an einer psychischen Krankheit, er würde aber auch bei nicht geschlossener Zimmertür weder sein Leben und seine Gesundheit noch das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich oder erheblich gefährden.
Auf Grund des Rekurses des Einrichtungsleiters änderte das Rekursgericht die erstgerichtliche Entscheidung dahin ab, dass der Feststellungsantrag der Bewohnervertreterin zurückgewiesen wurde. Der ordentliche Revisionsrekurs wurde für nicht zulässig erklärt. Das HeimAufG regle alleine die Voraussetzungen und die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen in Alten- und Pflegeheimen, Behindertenheimen sowie in anderen Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden könnten. Es sei hingegen nicht auf Heime und andere Einrichtungen zur Pflege und Erziehung Minderjähriger anzuwenden. Im Rahmen der elterlichen Sorge typische und alterstypische Freiheitsbeschränkungen stellten keinen Eingriff in den Schutzbereich des Rechts auf persönliche Freiheit dar und unterlägen daher nicht dem HeimAufG. Da das genannte Gesetz gemäß dessen § 2 Abs 2 auf den betroffenen minderjährigen Bewohner nicht zur Anwendung zu kommen habe, sei der Antrag der Bewohnervertreterin zurückzuweisen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zu lösen seien.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Bewohnervertreterin ist zulässig und berechtigt.
Diese weist zutreffend darauf hin, dass § 16 Abs 3 HeimAufG zwingend die Zweiseitigkeit des Rekursverfahrens vorsieht, wobei das Recht zur Rekursbeantwortung dem Bewohner, seinem Vertreter und seiner Vertrauensperson zusteht. Das Rekursgericht hat zwar erkannt, dass nicht einmal die Zustellung einer Gleichschrift des Rekurses an die genannten Beteiligten erfolgt war, dennoch aber über das Rechtsmittel des Einrichtungsleiters entschieden. Wegen dieses Entzugs des rechtlichen Gehörs im Rekursverfahren ist die angefochtene Entscheidung mit Nichtigkeit behaftet.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass es für die Anwendung der verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen des § 16 HeimAufG nicht darauf ankommen kann, ob sich der dem Verfahren zu Grunde liegende Antrag letztlich als zulässig erweist. Hat das Erstgericht diesen Antrag meritorisch behandelt und hat der Einrichtungsleiter dagegen Rekurs erhoben, ist § 16 HeimAufG jedenfalls anzuwenden. Im Übrigen hatte das Rekursgericht auch keine Bedenken gegen die Rekurslegitimation des Einrichtungsleiters, was ebenfalls die Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften des HeimAufG voraussetzt.
Das Rekursgericht wird daher vor einer neuerlichen Entscheidung für die erforderlichen Zustellungen zu sorgen und den in § 16 Abs 3 HeimAufG genannten Personen die Gelegenheit zur Erstattung einer Rekursbeantwortung zu geben haben. Bei seiner neuerlichen Entscheidung wird das Rekursgericht darüber hinaus berücksichtigen müssen, dass der Geltungsbereich des HeimAufG in dessen § 2 nicht personen-, sondern vielmehr einrichtungsbezogen abgegrenzt wird. Im erstinstanzlichen Verfahren sind alle Beteiligten mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, dass es sich bei der „K***** Dorf-Gemeinschaft B*****" um eine Einrichtung im Sinn des § 2 Abs 1 HeimAufG handle, also eine solche, in der wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden können. Derartiges behauptet die Revisionsrekurswerberin in ihrem Rechtsmittel nun auch ausdrücklich. Sollte dies zutreffen, wäre an der (zwingenden) Anwendbarkeit des HeimAufG nicht zu zweifeln, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei dem konkret betroffenen Bewohner um einen Erwachsenen oder einen Minderjährigen handelt. Dadurch, dass in eine Einrichtung gemäß § 2 Abs 1 HeimAufG auch (psychisch kranke oder geistig behinderte) Minderjährige aufgenommen werden, wird diese nicht zu einer „Einrichtung zur Pflege und Erziehung Minderjähriger" im Sinne des § 2 Abs 2 HeimAufG. Auf eine Minderjährigkeit ist allenfalls bei der meritorischen Entscheidung Bedacht zu nehmen, da bestimmte freiheitsbeschränkende Maßnahmen bei Kindern und Jugendlichen gegebenenfalls in weiterem Umfang erforderlich sein können als bei Erwachsenen.